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Sabotage in der Ostsee: "Russland lotet die Grenzen des Artikel 5 aus"


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Sabotage in der Ostsee
"Russland lotet die Grenzen des Artikel 5 aus"


19.11.2024 - 17:29 UhrLesedauer: 4 Min.
Russische Marineoffiziere an Bord eines KriegsschiffesVergrößern des Bildes
Russische Marineoffiziere an Bord eines Kriegsschiffes (Symbolbild): Eine Untersuchung soll zeigen, ob die Unterseekabel in der Ostsee mutwillig zerstört wurden. (Quelle: Vitaly Nevar)

Ein wichtiges Datenkabel in der Ostsee wurde gekappt, alles spricht für einen Sabotageakt. Zeit für die Nato, in den Verteidigungsmodus zu gehen?

Am frühen Montagmorgen gegen 4 Uhr war die Verbindung im Datenkabel C-Lion1 plötzlich tot. Kurz darauf meldete der finnische Betreiber, dass das Unterseekabel durch äußere Einwirkung getrennt wurde. Die Leitung verläuft zwischen Rostock und Helsinki am Grund der Ostsee. Bald darauf meldeten auch Schweden und Litauen einen Schaden an dem Datenkabel, das ihre beiden Länder verbindet. War zunächst noch unklar, ob die Kabel versehentlich zum Beispiel durch Schiffsanker oder Schleppnetze gekappt wurden, deutet inzwischen vieles auf einen Sabotageakt hin.

"Niemand glaubt, dass diese Kabel aus Versehen durchtrennt worden sind", sagte am Dienstag Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Brüssel. Zurückhaltender äußerte sich sein finnischer Kollege Antti Häkkänen, der zu den möglichen Ursachen keine Vermutungen anstellen wollte.

Doch auch Häkkänen betonte, es werde in der ernsthaften Annahme ermittelt, dass "ein externer Akteur" beteiligt sei. Es würden nicht bloß Ermittlungen wie bei einer Naturkatastrophe angestellt. Im Gegensatz dazu sind bei der aktuellen Ermittlungen auch Sicherheitsdienste aus verschiedenen Ländern beteiligt. Außerdem koordinieren die beteiligten Länder Deutschland, Litauen, Schweden und Finnland ihre Anstrengungen, um die Ursachen für die Zwischenfälle zu klären.

Finnland: "Erste Informationen sind besorgniserregend"

Diese Ermittlungen laufen gerade an. Vilmantas Vitkauskas, Leiter des Nationalen Zentrums für Krisenmanagement in Litauen, erklärte t-online, Regierungsvertreter und Mitglieder des Krisenzentrums hätten sich am Dienstag mit den Sicherheitsdiensten und weiteren Institutionen ausgetauscht, um sich mit internationalen Verbündeten auszutauschen. "So wollen wir die wirklichen Gründe für die Zwischenfälle schnellstmöglich ans Tageslicht bringen", so Vitkauskas.

Sollte sich herausstellen, dass die Kabelschäden vorsätzlich entstanden seien, werde man in Litauen entsprechend reagieren, so der Sprecher des Krisenzentrums: "Wir werden die Widerstandsfähigkeit unserer kritischen Infrastruktur weiter stärken, eventuelle Anstifter und Täter ermitteln und sie vor Gericht stellen", erklärte Vitkauskas. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es zu früh, um eindeutig zu sagen, dass es sich um einen Sabotageakt handele. Allerdings erklärte Vitkauskas weiterhin: "Wir müssen die Widerstandsfähigkeit der Nato- und EU-Staaten weiter stärken, um gemeinsam auf die russische hybride Kriegsführung zu reagieren."

Auch in Finnland ist man noch sehr vorsichtig damit, einen Verdächtigen zu benennen. "Wir nehmen den Zwischenfall natürlich sehr ernst", erklärte eine Sprecherin des finnischen Außenministeriums. "Die ersten Informationen sind besorgniserregend." Während die Untersuchungen, die von den schwedischen Behörden geführt werden, noch laufen, wolle man sich allerdings nicht weiter äußern, hieß es aus Finnland.

Steckt Russland hinter Sabotage-Serie in Europa?

Noch ist also unklar, was genau mit den Datenkabeln geschehen ist und wer hinter einem möglichen Sabotageakt steckt. Doch an zufällige Schäden an ihrer Infrastruktur glauben in den Nato-Staaten wohl immer weniger Verantwortliche. Schon lange spionieren russische "Forschungsschiffe" die kritische Infrastruktur in der Ost- und Nordsee aus. Während in der Ostsee am Sonntag die Datenkabel gekappt wurden, eskortierte die irische Küstenwache das russische Spezialschiff Yantar aus ihren Hoheitsgewässern – auch dort lag der Verdacht nahe, das Schiff könnte es auf Unterseekabel abgesehen haben.

Doch nicht nur auf den Meeren treiben Putins Agenten mutmaßlich ihr Unwesen. So wurde vor Kurzem bekannt, dass es im Sommer einen versuchten Brandanschlag auf ein Frachtflugzeug am Flughafen Leipzig gab. Einen ähnlichen Fall registrierten litauische Behörden bei einer Maschine auf dem Weg nach Großbritannien. In beiden Fällen vermuten Ermittler russische Saboteure als Drahtzieher. Dass es nicht zum Unglück kam, ist wohl nur dem Zufall zu verdanken. Auch zwei Sabotagefälle an zwei Bundeswehrstandorten werden Russland zugeschrieben.

"Die Nato wird längst angegriffen"

Vor diesem Hintergrund glaubt auch CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter nicht daran, dass die Kabel in der Ostsee zufällig beschädigt wurden: "Es ist hochwahrscheinlich, dass es sich um Sabotage durch Russland handelt", sagte Kiesewetter t-online. "Auch seitens unserer deutschen Nachrichtendienste wird seit Langem vor Terrorangriffen gegen maritime kritische Infrastruktur in EU und Nato gewarnt." Russland wisse aufgrund seiner intensiven Aufklärung genau, wo es in der Ostsee zuschlagen könne, so Kiesewetter. Nach den jüngsten Vorfällen empfiehlt er der Nato ein entschlosseneres Vorgehen.

"Russland fühlt sich durch unsere bisherigen schwachen Reaktionen eingeladen, weiter zu eskalieren und seine hybriden Angriffe gegen die EU und die Nato auszuweiten", so Kiesewetter, der selbst Berufssoldat und an Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligt war. Kiesewetter hält es für verharmlosend, die mutmaßlich russischen Angriffe als "hybriden Krieg" zu bezeichnen. Er sieht die Aktionen als "Vorkriegsstufe" und als Vorbereitungen auf einen konventionellen Krieg: "Das heißt, die Nato wird längst angegriffen und sollte in diesem Sinne Konsultationen gemäß Artikel 4 einleiten."

"Wir erreichen nicht annähernd die Ziele der Nato"

Artikel 4 der Nato-Charta sieht Beratungen unter den Mitgliedsstaaten vor, wenn ein Bündnispartner seine territoriale Integrität bedroht sieht. Diese Konsultationen sind die Voraussetzung dafür, dass die Nato nach Artikel 5 den Bündnisfall feststellen kann. Dies geschah bislang nur einmal in der Geschichte des Bündnisses, nach den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001. An diesem Punkt sieht Roderich Kieswetter die Nato noch nicht, sagt aber: "Russland versucht mit seinen hybriden Angriffen die Grenzen des Artikel 5 gezielt auszutesten." Von der Bundesregierung fordert Kiesewetter jetzt eine entschlossenere Haltung gegenüber dem Kreml.

"Notwendig wäre insbesondere die massive Ausweitung der Unterstützung der Ukraine, da nur so Russland effektiv eingedämmt werden kann, wenn die Ukraine in eine Position der Stärke kommt und Russland zurückdrängt", so der Oppositionspolitiker. Seiner Meinung nach müsste Deutschland auch deutlich mehr Geld in Verteidigung und Geheimdienste investieren: "Da reden wir von drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die etliche Ostsee-Anrainer investieren. Deutschland erreicht leider nicht einmal zwei Prozent ohne Haushaltstricks. Wir haben weder eine zivile noch militärische Reserve und erreichen nicht annähernd die Minimalfähigkeitsziele der Nato."

Verwendete Quellen
  • Email des CDU-Politikers Roderich Kiesewetter
  • Anfragen an die Außenministerien Finnlands und Litauens
  • Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
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