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Russland und Ukraine-Krieg: Experte äußert sich zur Zukunft des Panzers


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Zukunft des Panzers
"Diese Gefahr ist längst Realität"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 05.07.2024Lesedauer: 8 Min.
Russisches Uran-9: Angeblich wird das unbemannte Fahrzeug in der Ukraine eingesetzt.Vergrößern des Bildes
Russischer Uran-9: Angeblich wird das unbemannte Fahrzeug in der Ukraine eingesetzt. (Quelle: Sergei Karpukhin)

Kampfpanzer versus Drohnen: Im Ukraine-Krieg schalten die Fluggeräte effektiv gepanzerte Kolosse aus. Wie die Panzer der Zukunft aussehen könnten, erklärt Experte Ralf Raths.

Kampfpanzer sind gefürchtete Waffen. Unzerstörbar sind sie allerdings nicht. Gerade Russlands Krieg gegen die Ukraine zeigt, wie gefährlich etwa Drohnen für dieses Waffensystem sind. Wie werden Armeen und Rüstungshersteller auf die neue Herausforderung reagieren? Wie effektiv sind etwa die russischen "Schildkrötenpanzer"? Und steht der Kampfpanzer gar vor einem möglichen Aus?

Diese Fragen beantwortet Ralf Raths, Historiker und wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Panzermuseums, im Interview.

t-online: Herr Raths, das Ende des Kampfpanzers wird immer prophezeit: Machen nun Drohnen diesem Waffensystem den Garaus, wie es Bilder aus den Kriegen um die Ukraine und Berg-Karabach vermuten lassen könnten?

Ralf Raths: Den Panzer wird es weiter geben, er ist noch lange nicht am Ende. Allerdings wird er sein Aussehen ändern, so wie es seit mehr als 100 Jahren geschieht. Die Panzer des Ersten Weltkriegs haben wenig mit den Panzern des Zweiten Weltkriegs zu tun, diese wiederum wenig mit den heutigen. Drohnen sind für Panzer mittlerweile eine tödliche Gefahr – das zeigt sich aktuell weiterhin in der Ukraine, ein eindrückliches Beispiel dafür ist auch der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um Berg-Karabach 2020.

Die aserbaidschanischen Angreifer setzten Aberhunderte von Drohnen gegen die Armenier ein, deren Panzer, Artillerie und Soldaten nahezu chancenlos dagegen waren.

Ich verstehe immer noch nicht, warum das nicht für mehr Aufmerksamkeit gesorgt hat. Das war ein einschneidendes Ereignis, dort zeigte sich eine mögliche Zukunft des Krieges. Die Aserbaidschaner haben sich dieser neuen Kriegsführung im Hightech-Bereich offensichtlich komplett verschrieben.

In der Ukraine setzt die russische Armee inzwischen sogenannte Schildkrötenpanzer zum Schutz vor Drohnenangriffen aus der Luft ein, die mit eher simplen Mitteln "aufgerüstet" werden. Ist diese Vorgehensweise effektiv?

Das ist absolut möglich, auch wenn mehrere Iterationen nötig sind, um eine vorläufige Endform zu finden. Wir sollten die Russen nicht unterschätzen – und uns schon gar nicht über sie lustig machen. Ja, diese "Schildkrötenpanzer" sehen kurios aus, aber sie erfüllen ihren Zweck zumindest in Ansätzen, sonst würden sie nicht weiterentwickelt. Kein Panzer dieser Welt ist unzerstörbar, aus genau diesem Grund verändern sie sich immer wieder. Die grundlegenden Anforderungen an einen Panzer sind allerdings immer gleich.

Zur Person

Ralf Raths, Jahrgang 1977, war von 2013 bis 2024 Direktor des Deutschen Panzermuseums in Munster (Niedersachsen) und ist seit diesem Sommer dessen wissenschaftlicher Direktor. Auf dem YouTube-Kanal @Das Panzermuseum informiert der Historiker regelmäßig über Aspekte der Militärgeschichte.

Worin bestehen diese?

Auch wenn heute weitere Aufgaben dazugekommen sind, muss ein Panzer stets Mobilität, Schutz und Feuerkraft kombinieren. Die Grundidee besteht seit dem Ersten Weltkrieg darin, dass ein Geschütz in Bewegung gesetzt wird und durch die Panzerung nicht so einfach vom Gegner außer Gefecht gesetzt werden kann.

So sollte seit 1916 Bewegung in den weitgehend erstarrten Grabenkrieg an der Westfront entstehen?

So ist es. Die ersten Panzer wurden im Stellungskrieg als Zerstörer von Maschinengewehrnestern konzipiert, für Vorstöße in feindliche Grabensysteme waren die Armeen bis dahin auf die körperliche Kraft von Menschen und Pferden angewiesen. Beides ist auf dem Gefechtsfeld aber stark limitiert. Selbst wenn angreifende Soldaten Artilleriebeschuss, Abwehrfeuer und die ersten gegnerischen Gräben überwunden hatten, waren sie vollkommen erschöpft und anfällig für Gegenangriffe. Von ihrer schwierigen Versorgung mit Munition und Nahrung noch ganz abgesehen. Und das überlebenswichtige Nachziehen der eigenen Artillerie mit Pferden war meist unmöglich.

In der Vorstellung vieler Menschen sind Panzer in erster Linie zum Kampf gegen andere Panzer gedacht.

Das begegnet uns auch oft bei im Deutschen Panzermuseum. Diese Ansicht ist auch nicht falsch, es kommt allerdings auf den Zeitraum an. Im Ersten Weltkrieg waren Panzer schlichtweg nicht dafür gebaut, andere Panzer zu bekämpfen. In der Zwischenkriegsphase gab es dann große Debatten um den Panzer. Brauchen wir überhaupt noch Panzer? Falls ja, wofür? Derartige Fragen kursierten. So entstanden schließlich verschiedene neue Panzer-Designs in Form von kleinen, eleganten Fahrzeugen zur Aufklärung bis hin zu rollenden Festungen mit bis zu 70 Tonnen, die als Geschützplattformen dienten.

In den Dreißigerjahren setzte sich dann das grundlegende Design durch, das wir heute mit dem Zweiten Weltkrieg verbinden?

Damals kam immer mehr das Modell in Mode, das wir heute als Panzer kennen: Kette, Wanne, Geschützturm. Im Zweiten Weltkrieg wurde dies zum Standardpanzer, sein Hauptziel bestand aber immer noch nicht in der Bekämpfung gegnerischer Panzer. Zum überwiegenden Teil verschossen sie hochexplosive Granaten, um sogenannte weiche Ziele zu bekämpfen.

Also feindliche Infanterie, Fahrzeuge und Stellungen?

Genau. Der Kampfpanzer des Zweiten Weltkriegs bekämpfte andere Kampfpanzer, wenn diese auf dem Gefechtsfeld erschienen, aber solche Duelle waren nicht das Tagesgeschäft. Einige Modelle spezialisierten sich schließlich darauf, deswegen wurden ihre Geschützrohre auch immer länger. Der Tiger I ist ein Beispiel. Daher stammt unser modernes Bild vom Kampfpanzer des Zweiten Weltkriegs, das allerdings verzerrt ist.

Welche Änderungen brachte der Kalte Krieg?

Im Kalten Krieg entstanden die berühmten Duellpanzer, auch befördert durch technologische Fortschritte. Der "Hauptkampfpanzer" wurde für eine einzige Sache geschaffen, er soll als Schwerpunktwaffe die gegnerische Front durchbrechen. Wie erreicht er dieses Ziel? Indem er die feindlichen Kampfpanzer ausschaltet. Das ist also die berühmte Duellsituation.

Allerdings sind die Panzer der Gegenseite wiederum dazu gebaut worden, dieses zu verhindern?

Deswegen werden Kampfpanzer samt und sonders dafür optimiert, andere Kampfpanzer auszuschalten. Für Aufgaben wie Artillerieunterstützung sind sie daher nur noch bedingt einsetzbar. Leopard I und Leopard II, M1 Abrams, Challenger 2 und der T-72, das sind wirkliche Kampfpanzer.

Im Prinzip ist das der Entwicklungsstand des Panzers bis in die Gegenwart?

So ist es. Der Leopard 2A4 stammt aus den Achtzigerjahren. Bislang kam es eigentlich nur noch zu Upgrades, um die Kampfpanzer noch stärker zu machen. Auch, weil sie mehr und mehr ins Konzept des Gefechts der verbundenen Waffen eingebettet sind.

Info

Das Deutsche Panzermuseum (DPM) im niedersächsischen Munster ist ein Geschichts- und Technikmuseum. In einer neu gestalteten Ausstellung thematisiert es Krieg und Gewalt. Zu den Exponaten gehören zahlreiche Panzer, Fahrzeuge und Bordwaffen aus den deutschen Armeen des 20. Jahrhunderts.

Dem folgend soll das Zusammenwirken verschiedener Truppengattungen wie Infanterie, Artillerie, Panzer und Lufteinheiten den Gefechtswert optimieren.

Der moderne Kampfpanzer kann seine eigentliche Aufgabe nur erfüllen, wenn er in ein solches Konzept eingebunden ist. Er braucht Artillerieunterstützung, er braucht Flugabwehrpanzer wie den Gepard neben sich, dazu Infanteristen in Schützenpanzern, die absitzen, wenn sie benötigt werden. Nicht zuletzt Panzerjäger, auch und gerade in der Luft. Sonst wird es für den Kampfpanzer brenzlig.

Womit wir in der Ukraine angekommen sind, deren Frühjahrsoffensive 2023 nicht zuletzt wegen mangelnder Unterstützung aus dem Westen mit Panzern und Ausrüstung gescheitert ist.

Mit deutlich mehr Kampfpanzern und weiteren Waffensystemen aus dem Westen wäre ein Erfolg zumindest wahrscheinlicher gewesen. Das war eine verpasste Gelegenheit. Nun versuchen sowohl Ukrainer als auch Russen, ihre Kampfpanzer bestmöglich zu schützen. Beide Seiten verzichten ja darauf, sie für ihren eigentlichen Zweck als Stoßwaffe einzusetzen: die Ukraine, weil ihnen die Quantität fehlt; Russland, weil ihnen das taktische und operative Können fehlt.

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Der moderne Krieg braucht nun also neue, modifizierte Panzer?

Ja. Lange Zeit hat niemand neue Panzer entwickelt und gebaut. Die größte Entwicklung der letzten Jahre war das Trophy-System, mit dem Panzer Angriffe abwehren können. Entwickelt wurde es von zwei israelischen Rüstungsfirmen, es gibt mittlerweile auch andere Hersteller solcher Systeme, aber Trophy hat sich als Bezeichnung durchgesetzt. Verbaut wurde es aber lange nur auf den israelischen Merkava.

Es handelt sich um ein sogenanntes Hardkill-System. Was bewirkt es?

Panzerabwehrraketen sind effektive Waffen, damit lassen sich auch schwerste Kampfpanzer ausschalten. Um genau das zu verhindern, gibt es Softkill- und Hardkill-Systeme. Ein Softkill-System verwirrt eine gelenkte Rakete, sodass sie nicht trifft. Was aber, wenn eine solche Rakete ungelenkt ist? Für diesen Fall gibt es Hardkill-Systeme wie Trophy. Trophy ortet feindliche Projektile zunächst, berechnet die Stelle des kommenden Einschlags, dann werden sie blitzschnell noch in der Luft zerstört, bevor sie den Panzer treffen. Diese hochpräzise Steuerungstechnik ist wirklich geradezu unfassbar.

Besser aber, wenn es gar nicht dazu kommt?

Richtig, am besten wird der eigene Panzer vom Gegner gar nicht gesehen, das ist der Idealfall. Wenn er aber entdeckt wird, dann sollte er besser nicht getroffen werden. Falls der Panzer aber getroffen wird, dann sollte man besser nicht penetriert werden. Und wenn dieser Fall doch eintritt, dann sollte die Besatzung überleben. Das Überleben der Besatzung, das ist das entscheidende Ziel.

In der russischen Armee scheint das keine Priorität zu besitzen?

Dort zählt ein Mensch wenig, ja. In westlichen Armeen – und insbesondere der israelischen – ist das zum Glück anders. Die Russen sind allerdings nicht auf den Kopf gefallen. Sie schützen ihre Panzerbesatzungen mittlerweile durchaus effektiv gegen ukrainische Drohnen. In Form der Schildkröten, aber auch durch die über den Geschützturm geschweißten Stahlkäfige, die anfangs zu Unrecht so verspottet wurden.

Gegen die aus den USA stammende Panzerabwehrrakete Javelin erwiesen sich die Stahlkäfige auch als nutzlos.

Das stimmt, aber gegen Drohnen erfüllen sie ihren Zweck. Das liegt daran, dass die Javelin bei ihrem Sturzflug auf ein Ziel mit ihrem spezialisierten Sprengkopf eine ganz andere Durchschlagskraft hat als eine Drohne, die einen relativ simplen Sprengkörper fallen lässt. Heute spielen die Javelins in der Ukraine auch keine große Rolle mehr, zu Beginn der russischen Vollinvasion 2022 hatten sich durch das Vorgehen der russischen Armee einfach jede Menge taktische Situationen ergeben, in denen sie gut einsetzbar gewesen ist. Heute sind Drohnen wichtig. In beiden Fällen kommt die Bedrohung aber von oben. Damit sind wir mittendrin in den Veränderungen, die der Panzer zukünftig wahrscheinlich erleben wird.

Wie könnten diese aussehen?

Die Duellrolle ist nicht mehr zentral, der Panzer dient unter anderem als artilleristische, taktische und psychologische Unterstützung. Dann liegt aber die Frage durchaus nahe, warum der Panzer dann um eine Kanone herum konzipiert ist, die schwerstgepanzerte Ziele in fünf Kilometer Entfernung bekämpfen kann? Denn das Panzergefecht findet so ja überhaupt nicht statt. Das gab es übrigens auch im Zweiten Weltkrieg auch eher selten. Vom Tiger I hieß es immer stolz, dass er feindliche Panzer in drei Kilometer abschießen könne. Richtig, die typische Distanz für einen Schlagabtausch betrug aber zwischen 400 und 600 Meter.

Mittlerweile müssen sich Panzer Gegnern aus weit geringerer Distanz und nicht zuletzt aus der Luft stellen. Welche Auswirkungen wird das haben?

Der Rückbau des hoch spezialisierten Geschützes ist denkbar, das würde Gewicht und Raum zur Verfügung stellen. Unbemannte Türme, vielleicht sogar automatisiert, sind wahrscheinlich. Wichtig ist auch der Ausbau der 360-Grad-Abwehr gegen Angriffe. Und nicht zuletzt spielt der Faktor Tarnung eine wichtige Rolle, mittlerweile gibt es Module, die ihre Farbe verändern können. Auch multispektrale Nebel werden installiert, um den Panzer zu schützen. Dazu muss eine bessere Verarbeitung der Informationen des Gefechtsfeldes treten, durch Vernetzung und eventuell sogar eigene Drohnen an Bord. Das moderne Gefechtsfeld erfordert eben Umstellungen, auch beim Panzer. Früher haben wir Science-Fiction-Filme geguckt, mittlerweile sind wir in der Science-Fiction angekommen. In China und den USA werden bereits Roboterhunde mit Waffen ausgestattet. Wir haben also schon den "Killerroboter" im Staatsdienst. Diese Gefahr ist längst Realität.

Angeblich setzt Russland sein unbemanntes Bodenfahrzeug Uran-9 in der Ukraine ein?

Man sollte Russland nicht alles abnehmen. Auch Putins Super-Panzer T-14 Armata könnte sich als Luftschloss erweisen. In Putins Reich ist alles möglich. Zurzeit ist in der Entwicklung des Panzers viel in der Erprobung, auch verfügen zahlreiche Staaten mittlerweile über autonome Systeme. Fest steht nur, dass der Panzer auf den Schlachtfeldern des 21. Jahrhunderts anders aussehen wird. Alle Akteure beobachten gerade, was in der Ukraine geschieht, und ziehen ihre Schlüsse daraus. Auch wir in Deutschland. Hier entsteht mit dem KF51 Panther etwas, was möglicherweise in bestimmten Aspekten zukunftsweisend sein könnte.

Es handelt sich um das Projekt eines neuen Kampfpanzers.

Was daran neu ist, ist genau genommen alt. Die Panzer der Wehrmacht des Zweiten Weltkriegs waren auf taktischer Ebene unter anderem so erfolgreich, weil sie immer einen Mann mehr Besatzung an Bord hatten als der Gegner. Dieser zusätzliche Mann sorgte dafür, dass sich die Arbeit an Bord besser verteilt hat und jeder mehr Ruhe und Zeit hatte. Der KF51 Panther bietet auch die Möglichkeit eines zusätzlichen Manns an Bord, der den Informationsfluss im Blick hat. Dieses Layout könnte die Zukunft weisen.

Ein Ende des Panzers ist also tatsächlich eher unwahrscheinlich?

Der Panzer wurde immer wieder für tot erklärt. Zuerst 1918 und 1945 erschien er vielen gleich wieder veraltet angesichts der Entwicklung der Atombombe. 1973 im Jom-Kippur-Krieg stellte mancher angesichts des erfolgreichen Einsatzes von Raketen gegen israelische Panzer die Frage, warum Panzer noch nötig sind, wenn sie jeder Soldat abschießen kann. Diese Liste lässt sich fortsetzen, aber Panzer gibt es immer noch. Und das wird sich auch nicht so schnell ändern.

Herr Raths, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Ralf Raths im Deutschen Panzermuseum
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