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Bedrohung durch Putin: "Darauf muss Deutschland jetzt endlich reagieren"


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Bedrohung durch Putin
"Darauf muss Deutschland jetzt endlich reagieren"


Aktualisiert am 14.02.2023Lesedauer: 8 Min.
Olaf Scholz: Deutschland muss mehr in seine Sicherheit investieren, sagt Christoph Heusgen.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Deutschland muss mehr in seine Sicherheit investieren, sagt Christoph Heusgen. (Quelle: Florian Gaertner/imago-images-bilder)

Russland wird immer aggressiver, aber die USA wollen nicht ewig Europas Aufpasser sein: Deutschland wird sich mächtig umstellen müssen, sagt Christoph Heusgen, der neue Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Und erklärt, welches Schicksal Putin hoffentlich erwartet.

Lange hatte sich Deutschland in Sicherheit gewähnt, doch mit Russlands Krieg gegen die Ukraine scheint die Zeit der Illusionen vorbei zu sein. Aber ist sie das wirklich? Die von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete "Zeitenwende" ist noch lange nicht vollzogen, der Streit über die Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine zog sich lange hin und beschädigte das Verhältnis Deutschlands zu den USA.

Sicherheit ist kostspielig, mahnt mit Christoph Heusgen einer, der es wissen muss. Lange Jahre beriet der Diplomat die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel in Fragen der Außenpolitik. Am kommenden Freitag eröffnet er als Vorsitzender die Münchner Sicherheitskonferenz, das weltweit wichtigste Forum zu internationalen Sicherheitsfragen. Im t-online-Interview erklärt er, warum der Westen den Ukrainern nun auch Kampfjets liefern sollte, Putin ins Gefängnis gehöre und Olaf Scholz trotzdem den Kontakt zum Kreml halten müsse.

t-online: Herr Heusgen, der Kampfpanzer-Streit hat das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA belastet. Ist es nachhaltig beschädigt?

Christoph Heusgen: Natürlich gab es auf amerikanischer Seite Verärgerung – immerhin wurden die USA zu etwas gezwungen, was sie eigentlich nicht tun wollten: ihren Kampfpanzer M1 Abrams an die Ukraine zu liefern. Da die Amerikaner der Ukraine zehnmal mehr Rüstungsgüter als Deutschland zur Verfügung stellen, ist ein gewisser Unmut über die deutsche Haltung nachvollziehbar.

Warum hat sich die Biden-Administration in die Enge treiben lassen?

Die Amerikaner wünschen sich ein größeres militärisches Engagement der Europäer. Für Joe Biden ist aber letztlich der Schulterschluss mit Europa und vor allem mit Deutschland das Wichtigste. Wir haben sehr viel Glück, dass gegenwärtig ein Transatlantiker im Weißen Haus sitzt und nicht ein Isolationist wie Donald Trump.

Christoph Heusgen, Jahrgang 1955, ist seit 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. 1980 trat der promovierte Wirtschaftswissenschaftler in den Auswärtigen Dienst ein, ab 2005 beriet Heusgen die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Anschließend war der Diplomat von 2017 bis 2021 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen. Am 15. Februar 2023 erscheint Heusgens Buch "Führung und Verantwortung. Angela Merkels Außenpolitik und Deutschlands künftige Rolle in der Welt".

Biden ist 80 Jahre alt, ob er für eine zweite Amtszeit antritt, ist immer noch unklar. Trump macht schon Wahlkampf.

Joe Biden wird nicht ewig Präsident bleiben, diese Tatsache sollten wir uns dringend in Erinnerung rufen. Wenn ich mich in Amerika umhöre, bekomme ich allerorten dieselbe Botschaft: Wir können uns nicht ewig so stark in Europa engagieren. Das gilt für die Republikaner, aber auch für die Demokraten. Darauf muss Deutschland jetzt endlich reagieren.

Deutschland verspricht seit langer Zeit, mehr Führung in Europa zu übernehmen. Passiert ist bisher aber nicht viel.

Die Amerikaner wenden ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr dem indopazifischen Raum zu und verlangen von den Europäern, dass diese entsprechend mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen. Deutschland hat aber sein vor neun Jahren gegebenes Versprechen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aufzuwenden, immer noch nicht eingelöst. Deutschland ist in dieser Hinsicht eine Enttäuschung. Der Druck auf uns wird deshalb bald noch sehr viel größer werden.

Das Zwei-Prozent-Ziel ist selbst mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr nicht dauerhaft erreichbar.

Ja, die 100 Milliarden Euro reichen nicht. Wir müssen verstehen, dass unsere Sicherheit kostspielig ist. Wir können uns nicht länger auf andere verlassen und darauf vertrauen, dass uns schon nichts passieren wird.

Die Bundesregierung lässt den Ukrainern nun die Kampfpanzer Leopard 1 und 2 liefern – lehnt gleichzeitig aber Kiews Wunsch nach Kampfjets ab. Ist das klug?

Ich kann diese pauschale Art der Absage nicht nachvollziehen. Frankreich, Polen und die Niederlande können sich durchaus die Lieferung von Kampfflugzeugen vorstellen. Warum bemühen wir uns nicht um ein gemeinsames europäisches Vorgehen? Putin erfreut sich an diesen Dissonanzen.

Vielleicht sind Kampfjets der Punkt, an dem Olaf Scholz fürchtet, dass Putin auch Westeuropa attackieren würde.

Diese Diskussion des Wenn-Dann hören wir seit einem Jahr bei jeder neuen Waffengattung, die der Westen der Ukraine zur Verfügung stellt. Und was ist passiert? Bis auf die üblichen Drohungen kam aus Moskau nichts. Putin weiß, dass er sich nicht mit der Nato anlegen kann, weil er dann den Kürzeren ziehen würde. Wenn er Nato-Territorium angreift, ist sein Regime binnen Kurzem am Ende.

Mit Kampfjets könnten die Ukrainer aber auch die russisch besetzte Krim oder sogar russisches Staatsgebiet angreifen. Dann würden sie den Konflikt massiv eskalieren.

Die ukrainischen Streitkräfte gehen bislang überaus verantwortungsbewusst mit den westlichen Waffensystemen um. Es geht ihnen um den Schutz des ukrainischen Luftraums, um die Zivilbevölkerung vor russischen Angriffen zu schützen, und die Möglichkeit, ihre Waffen im Verbund einzusetzen, um für ihre Streitkräfte die besten Bedingungen zu schaffen. Ich kann nicht erkennen, was daran falsch sein soll. Der Regierung in Kiew ist glasklar, wo die Grenzen eines möglichen Einsatzes liegen. Sie wissen: Wenn sie zu weit gehen, bekommen sie keine Unterstützung aus dem Westen mehr.

Russische Stellungen auf besetztem ukrainischem Territorium mit westlichen Jets zu bombardieren, halten Sie aber für angemessen?

Die Ukraine wendet ihr durch die UN-Charta verbrieftes Recht auf Selbstverteidigung an. Völkerrechtlich bestehen also keine Bedenken. Aus politischer Sicht sieht das anders aus. Die Ukraine hält sich daran, Waffen, die sie von ihren Partnern erhält, nicht in Russland einzusetzen.

Was muss geschehen, damit Putin zu ernsthaften Friedensverhandlungen bereit ist?

Putin respektiert nur eines, und das ist Stärke. Das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen. Er verachtet Menschen, die er für Weichlinge hält. Uns Europäer betrachtet er als dekadent. Solange er glaubt, das westliche Engagement für die Ukraine sei nur temporär, wird er keine Zugeständnisse machen. Er glaubt, dass wir Europäer bald einknicken werden. Und dass die Stimmung in den USA kippt. Oder dass die ukrainische Bevölkerung demoralisiert aufgibt. Darauf setzt Putin. Er meint, einen stärkeren Durchhaltewillen als wir zu haben. Es wäre gut, wenn er sich irrte.

Geirrt hat sich vor allem Deutschland mit seiner jahrelangen Russlandpolitik. Sie haben jahrelang für Bundeskanzlerin Merkel gearbeitet. War ihr Umgang mit Putin naiv?

Nein, sie hatte keine Illusionen über Putin. Aber sie hat gleichzeitig alles versucht, ihn einzubinden, die deutsch-russischen Beziehungen zu pflegen, Putin einzuhegen. Nach dem ersten Einmarsch Russlands in der Ukraine 2014/2015 war es Merkel, die gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Hollande den russischen Vormarsch aufgehalten hat und mit dem Minsker Abkommen eine diplomatische Lösung ermöglicht hat.

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Zugleich ist Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Gas gewachsen.

Das müssen Sie im Kontext der damaligen Zeit sehen: Nach der Atomkatastrophe von Fukushima hatte die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen – eine Entscheidung, die rund 80 Prozent der Menschen im Land begrüßten! Es musste also Energieersatz her. Kohle war schon damals aus Klimaschutzgründen problematisch, mit den Erneuerbaren waren wir noch nicht weit genug. Aus Politik und Wirtschaft kam der Wunsch nach mehr russischem Gas. Es war billig, und Russland hatte sich seit Jahrzehnten als zuverlässiger Lieferant erwiesen. Auch in vielen Medien wurden damals die Vorteile von Nord Stream 2 betont.

Wir haben uns also allesamt täuschen lassen und einen kollektiven Fehler begangen, meinen Sie?

Natürlich war es eine Entscheidung der Regierung. Aber sie fand im Kontext der gesellschaftlichen Stimmung statt. Das vergessen heute viele Kritiker.

Nun hat Putin seine wahren Absichten enthüllt. Wird der Westen ihm jemals wieder trauen können?

Nein, definitiv nicht. Putin ist ein Verbrecher. Er hat einen völkerrechtswidrigen Krieg begonnen und alle seine Versprechungen gebrochen. Russland hatte der Ukraine ja in zahlreichen Abkommen ihre territoriale Integrität garantiert. Den Ukrainern nun zu raten, das nächste Abkommen mit dem Kreml ohne handfeste Garantien zu schließen, wäre völlig inakzeptabel. Was nicht bedeutet, dass man nicht immer wieder versuchen muss, die Bereitschaft zu Verhandlungen auszuloten. Es ist richtig, dass Olaf Scholz Putin immer wieder anruft.

Aber nimmt Putin den Bundeskanzler überhaupt ernst, wenn er doch nur Stärke respektiert?

Europa ist nicht so schwach, wie manche meinen. Nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine 2014 haben Angela Merkel und der damalige französische Präsident François Hollande Führung bewiesen und das Abkommen von Minsk vermittelt. Zugleich haben sie dafür gesorgt, dass die Europäer gemeinsam die verhängten Sanktionen gegen Russland getragen haben – und das alles im Gleichklang mit der US-Administration von Barack Obama. Das war ein Erfolg!

Ohne Amerika wäre Europa schutzlos. Das ist ein großes Risiko, falls in den USA wieder ein Präsident wie Trump an die Macht kommt. Sollten die französischen Atomwaffen "europäisiert" werden, um Deutschland und anderen EU-Staaten mehr Schutz zu bieten?

Es ist wichtig, dass Europa funktioniert. Insbesondere das Tandem aus Deutschland und Frankreich. Eine europäische Armee ist dabei aber nicht der beste Weg, auch eine Ausweitung des französischen Nuklearschirms ist sicher nicht in Sichtweite. Ganz ohne die USA wird es nicht gehen – aber zumindest eine leistungsfähige europäische Eingreiftruppe sollte doch möglich sein. Gerade wenn sich die Vereinigten Staaten aus einem Konflikt heraushalten wollen.

So eine Truppe würde Einigkeit voraussetzen. Von der ist die EU aber weit entfernt. Ungarn unter Viktor Orbán betreibt sein eigenes Spiel, auch die Polen haben eigene Vorstellungen.

Wenn es hart auf hart kommt, halten die Europäer zusammen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Auch zu Zeiten Angela Merkels gab es einen Viktor Orbán, trotzdem ist es gelungen, Europa zusammenzuhalten. Nach Abschluss des Minsker Abkommens flogen Merkel und Hollande 2015 sofort nach Brüssel, um die Zustimmung der europäischen Partner einzuholen, was gelang. Noch ein Beispiel: Beim Atomabkommen mit Iran 2015 spielten die EU-Länder eine Schlüsselrolle.

In wenigen Tagen beginnt die Münchner Sicherheitskonferenz, die erste unter Ihrer Präsidentschaft. Wäre das nicht eine gute Gelegenheit, um mit Russland wieder ins Gespräch zu kommen?

Ja, ist es. Bei der Sicherheitskonferenz wird es eine Diskussionsrunde mit Vertretern der russischen Opposition und Zivilgesellschaft geben.

Aus der russischen Regierung haben Sie aber niemandem eingeladen, anders als im vergangenen Jahr.

Angesichts des massiven russischen Truppenaufmarschs an der ukrainischen Grenze hatten wir 2022 Vertreter der russischen Regierung zum Dialog eingeladen – unser Angebot wurde aber ausgeschlagen. Vier Tage nach Abschluss der Sicherheitskonferenz marschierte Russland in die Ukraine ein. Glauben Sie mir: Wenn ich auch nur den kleinsten Funken Hoffnung hätte, dass jemand seitens der russischen Regierung aufrichtiges Interesse an einem ernsthaften Austausch hätte, dann hätten wir eine Einladung in den Kreml geschickt. Ein bloßes Forum für Propaganda wollen wir jemandem wie Sergej Lawrow aber nicht bieten.

Der SPD-Außenpolitiker Egon Bahr, der in den Sechzigerjahren als Architekt der Ostpolitik galt, hat Russland mal als "unverrückbar" bezeichnet. Gilt das auch für Wladimir Putin?

Noch mal: Wladimir Putin ist ein Kriegsverbrecher, der begreifen muss, dass seine Politik der Gewalt keinen langfristigen Erfolg haben wird. Er gehört vor ein Strafgericht.

Was kann die Sicherheitskonferenz überhaupt bewirken, wenn keine russischen Vertreter dabei sind?

Wir haben russische Vertreter vor Ort – aus der Zivilgesellschaft und der Opposition. Wir erwarten dieses Jahr einen so großen Besucherandrang wie nie zuvor. Ich sehe darin einen Beleg für das weltweite Bedürfnis nach Austausch und Dialog. Das Ziel ist ein Schulterschluss der internationalen Gemeinschaft mit der Ukraine. Wichtig ist mir dabei das Podium mit Vertretern des "Globalen Südens". Damit wollen wir den weitverbreiteten Glauben widerlegen, dass der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine lediglich eine Fortsetzung des alten Ost-West-Konflikts sei und vermeintlich Unbeteiligte eine gewisse Äquidistanz einnehmen könnten.

Weil Russlands Völkerrechtsbruch weitere Aggressoren ermutigen könnte?

Genau deshalb. Immer wieder höre ich Stimmen, dass Russland nun das mit der Ukraine mache, was die USA 2003 mit dem Irak angestellt hätten. Diese martialische Politik muss enden. Nicht auszudenken, falls China, der Iran oder Nordkorea sich Putin zum Vorbild nehmen und andere Länder überfallen. Wir wollen die enorme Bedeutung einer regelbasierten Ordnung zwischen den Staaten herausstellen. Es geht im Ukraine-Krieg auch um die Verteidigung der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Herr Heusgen, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Christoph Heusgen via Videokonferenz
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