Nur noch kurz die Welt retten – aber wie? Was Deutschland von Schweden und der Schweiz lernen muss
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Welt beginnt, gegen die Klimakrise zu kämpfen. Doch Deutschland, so bemängeln Kritiker, handelt zu spät, unternimmt zu wenig. Ein Blick zu nahen Nachbarn offenbart, wie viel möglich ist.
CO2-Neutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts – das ist laut Weltklimarat der einzige Weg, die Folgen der Krise noch abzumildern. Ansonsten drohen dramatische Folgen für alle Menschen: Dürren und Fluten, Hungersnöte und tödliche Hitzewellen, Flüchtlingsströme und Kriege. Nur mit einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter kann dem laut Ansicht der Forscher Einhalt geboten werden. Und dafür ist CO2-Neutralität erforderlich.
Deutschland floppt im Vergleich
Während Deutschland auf internationaler Bühne versucht, eine politische Führungsposition für den Klimaschutz einzunehmen, ist es schon im europäischen Vergleich kein Spitzenreiter hinsichtlich der Maßnahmen. Die nahe Nachbarschaft ist der Bundesrepublik zum Teil weit voraus – daran ändert laut Experten auch das viel kritisierte Klimapaket der großen Koalition nichts. Das zeigt der Blick nach Schweden und in die Schweiz.
Zum Hintergrund: Um die Erderwärmung zu stoppen, geht es grundsätzlich darum, nicht mehr Kohlendioxid auszustoßen, als gleichzeitig abgebaut oder gespeichert werden kann. Dieses Ziel hatte sich die internationale Gemeinschaft im Pariser Klimaabkommen 2015 gesetzt. Klimaschädliches soll deswegen teurer werden, damit CO2-sparende Technologien einen Schub bekommen – das nennt sich "CO2-Bepreisung".
Mehrere Länder haben das Ziel der CO2-Neutralität bereits gesetzlich festgeschrieben: Das ölreiche Norwegen will es schon bis 2030 erreichen, Schweden bis 2045 und Großbritannien bis 2050. In Frankreich wurde dieselbe Vorgabe wie im Vereinigten Königreich beschlossen. Zum UN-Sondergipfel haben sich insgesamt 66 Staaten dem Ziel verpflichtet, auch Deutschland.
Doch obwohl sich Deutschland international für das Vorhaben einsetzt – die beschlossenen Maßnahmen reichen laut Experten vermutlich nicht aus, um die anvisierte CO2-Neutralität bis 2050 zu erreichen. Und damit werde auch die Erderwärmung nicht aufgehalten.
Drei zentrale Bausteine unterscheiden Spitzenreiter wie Schweden und die Schweiz vom Klimapaket der Bundesregierung. Laut Experten gelten beide Staaten als Vorbilder.
1. Der Preis des Klimas
Um den Ausstoß von Kohlendioxid in die Atmosphäre zu reduzieren, gibt es zwei grundlegende Modelle der CO2-Bepreisung: zum einen die CO2-Steuer, zum anderen den CO2-Preis. Die Steuer wird von allen Unternehmen und Bürgern erhoben, der CO2-Preis hingegen bezieht sich auf den sogenannten Emissionshandel. Dabei erwerben Unternehmen begrenzt verfügbare Zertifikate, um eine gewisse Menge Kohlendioxid ausstoßen zu dürfen – mit den Zertifikaten darf dann untereinander gehandelt werden.
Das führte auf europäischer Ebene zuletzt dazu, dass klimaschädlicher Kohlestrom teilweise aus dem Markt gedrängt wurde – ein Teilerfolg des Systems. Doch Kritiker sehen auch Schwächen. "Der Emissionshandel auf europäischer Ebene hat aufgrund sehr vieler Schlupflöcher sehr lange nicht funktioniert", sagt Sebastian Scholz vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zu t-online.de. Andere Formen der CO2-Bepreisung haben hingegen eindeutigere Erfolge erzielt. "Das schwedische Modell scheint sehr gut zu funktionieren."
Denn während sich Deutschland mit dem Klimapaket nun trotzdem auch national für das Modell des Emissionshandels in den Sektoren Wärme und Verkehr entschieden hat – mit dem viel kritisierten niedrigen Mindestpreis von 10 Euro pro Tonne Kohlendioxid –, verfolgen die meisten europäischen Staaten den steuerorientierten Ansatz. "Das Abgabenmodell ist vermutlich das sicherere Modell", sagt Scholz dazu. Schweden hat es bereits 1991 eingeführt – und will der "erste fossilfreie Wohlfahrtsstaat der Welt" werden.
Auf dem Weg dorthin hat es den mit Abstand höchsten CO2-Preis der Welt beschlossen. Heute liegt er bei rund 110 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Den Effekt fasst Brigitte Knopf im Gespräch mit t-online.de zusammen. Die Klimaforscherin vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change ist Mitverfasserin des aktuellen Sachstandsberichts des Weltklimarats zur globalen Erwärmung. "In Schweden hat man die historische Verbindung von Wirtschaftswachstum und Emissionswachstum entkoppelt", sagt Knopf. "Emissionen sinken heute, das Wirtschaftswachstum wird beibehalten."
Tatsächlich: Trotz CO2-Steuer verdoppelte Schweden seine Wirtschaftsleistung seit 1991. Denn während der private Konsum, Groß- wie Einzelhandel sowie Dienstleistungen besonders stark besteuert werden, erhalten Unternehmen, die auf Exporte angewiesen sind, deutliche Abschläge.
Die Folge: Sowohl im Klimaschutz als auch in der Wirtschaft macht das Land Fortschritte – während in Deutschland beides oft noch als Gegensatz begriffen wird. "In Schweden sind die Emissionen im Verkehrs- und Wärmesektor seit 2005 um 28 Prozent gesunken", sagt Knopf. "In Deutschland ist dagegen im Verkehrssektor seit 1990 gar nichts passiert." Nach Ansicht des Naturschutzbundes liegt das an den "mächtigen Interessenverbänden" der deutschen Automobil- und Zuliefererindustrie.
Für die Verbraucher in Schweden hat sich derweil allerdings viel geändert: Mit fossilen Brennstoffen wird dort so gut wie nicht mehr geheizt. 95 Prozent der Einnahmen aus der CO2-Steuer kommen nach Regierungsangaben über Sprit rein. Ab 2030 sollen keine Neuwagen mit Diesel- oder Benzinmotoren mehr verkauft werden. Schon jetzt subventioniert die Regierung den Kauf von Elektroautos massiv. Der Ausbau von erneuerbaren Stromquellen wird deswegen massiv gefördert – aber auch die Atomkraftwerke sollen weiterlaufen.
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Die Einnahmen kommen dem Staatshaushalt zugute und sind wie in Schweden üblich nicht zweckgebunden. Dass die Schweden die finanzielle Belastung durch die hohen CO2-Preise trotzdem akzeptieren, ist laut Knopf mitunter eine Mentalitätsfrage, die empirisch nachweisbar ist: "Wo Bürger großes Vertrauen in ihren Staat haben, sind auch die CO2-Preise hoch – vor allem in Skandinavien." In Schweden wurden zudem unbeliebte Abgaben wie Vermögenssteuern, Kapitalsteuern und bestimmte Ertragssteuern abgeschafft oder reduziert. Ähnliche Modelle finde man auch in bestimmten Provinzen Kanadas.
In Deutschland, wo der CO2-Preis im Vergleich enorm günstig ist, soll unter anderem eine Erhöhung der Pendlerpauschale die Belastung für Verbraucher abfedern. In der Schweiz, wo der CO2-Preis über eine steuerähnliche Abgabe in Höhe von rund 88 Euro pro Tonne geregelt ist, wird sogar ein Teilbetrag an die Bürger zurück ausgezahlt. "Dadurch stehen am Ende vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen besser da", sagt Knopf. Nabu-Experte Scholz hätte für Deutschland eine Kombination aus Rückzahlung und Infrastruktur-Investitionen wie in der Schweiz favorisiert.
Fazit: Das von der großen Koalition beschlossene Klimapaket bleibt weit hinter dem effektiven Modell Schwedens zurück. Sowohl Nabu-Experte Scholz als auch Klimaforscherin Knopf zweifeln daran, dass der vereinbarte CO2-Preis ein ausreichendes Signal für Verbraucher und Märkte bedeutet, um Lenkungswirkung zu entfalten. Ein paar Cent mehr oder weniger – das falle in den täglichen Preisschwankungen an der Zapfsäule kaum auf. Eine neue Steuer hingegen schon.
Trotzdem ist Knopf nicht pessimistisch: "Das Klimapaket schafft die Architektur für eine CO2-Bepreisung. Das ist ein ganz wichtiger Schritt." Bei der Höhe des Preises müsse über die Zeit allerdings politisch nachgesteuert werden. Tatsächlich, darin sind sich Experten einig, kann die CO2-Bepreisung ohnehin nur ein Instrument unter vielen sein. Auch in Schweden und der Schweiz sei der Preis nicht so hoch, dass er für alle Entscheidungen ausschlaggebend sei, sagt Scholz.
Vielmehr braucht es einen ganzen Verbund an Maßnahmen, die vor allem auch die Verkehrsinfrastruktur im Land klimafreundlicher machen soll. Die Schweiz hat beispielsweise eine Flugticketabgabe auf den Weg gebracht – und sticht noch in einem weiteren Punkt heraus.
2. Ein attraktives Schienennetz
Das kleine Nachbarland im Süden gilt nicht nur als Musterschüler hinsichtlich des CO2-Preises, der zwar spät, aber dann auf einem hohen Einstiegsniveau eingeführt wurde. Auch der öffentliche Personennahverkehr gilt im europäischen Vergleich als vorbildlich. Im sogenannten Railway Performance Index ist die Schweiz Spitzenreiter. Zwar ist auch die Deutsche Bahn besser als ihr Ruf – Deutschland kommt immerhin hinter Dänemark und Finnland auf Platz vier – dennoch lohnt ein Blick ins Nachbarland.
Dort ist die Bahn ein nationales Aushängeschild. "Die über Jahrzehnte betriebene, konsequente Stärkung der Bahn führt in der Schweiz zu einem attraktiven Angebot, das gerne von den Kunden und Kundinnen angenommen wird", erklärt Daniel Rieger, Sprecher für Verkehrspolitik beim Naturschutzbund Deutschland, im Gespräch mit t-online.de. Gerade der langwierige und teure Aufbau und Erhalt eines gut erschlossenen Streckennetzes sei nur mittels langfristiger Planungen und Finanzierungszusagen zu realisieren. "Die Deutsche Bahn hat hier erheblichen Nachholbedarf", kritisiert Rieger.
Offenbar wurde dieser Bedarf nun zumindest erkannt. Laut Klimapaket möchte die Bundesregierung Emissionen einsparen, indem sie mehr Verkehr auf die Schiene bringt. Sie will mehr Geld in die Bahn stecken, Steuern für Fahrkarten senken und Genehmigungsverfahren für Bauprojekte beschleunigen.
Die Bahn kündigte an, dass Fahrkarten im Fernverkehr zehn Prozent billiger werden, sobald die Steuersenkung in Kraft tritt. Aus Sicht des Konzerns steht die Bahn in Deutschland damit vor dem größten Investitions- und Wachstumsprogramm in ihrer rund 180-jährigen Geschichte.
Rückenwind für die Bahn?
Unabhängig von den Klimabeschlüssen fließen in den nächsten zehn Jahren bereits 86 Milliarden Euro in das Schienennetz, davon 24 Milliarden Euro aus Mitteln der Bahn. Die neuen Beschlüsse brächten der Eisenbahn bis 2030 noch einmal 20 Milliarden Euro zusätzlich, sagt Bahn-Vorstandschef Richard Lutz. Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla meint: "Der Rückenwind bekommt schon fast Sturmstärke."
Das Geld soll in die Modernisierung des Gesamtsystems Bahn fließen, Engpässe an Knotenbahnhöfen beseitigen, neue Schienen möglich machen. "Der Deutschlandtakt kommt nun in greifbare Nähe", kündigt Pofalla an. Dabei sollen besser abgestimmte Umsteigeverbindungen die Züge pünktlicher und Reisezeiten kürzer machen. Der Zeitplan dafür ist aber noch offen; vor einem Jahr war ein Modellfahrplan für das Jahr 2030 präsentiert worden.
Vertrauen gewinnen
Doch die Finanzierung für diese Vorhaben ist noch vage, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft spricht von halbherzigen Beschlüssen der Klimakabinetts. In der Tat ist es fraglich, ob durch die Beschlüsse vor allem mehr Güterverkehr von Lkws auf die Schiene wechseln wird, die Anreize durch den geringen CO2-Preis sind zu gering.
Das Schweizer Vorbild zeigt vor allem, dass es bei einem gut funktionierenden Schienennetz auf Verlässlichkeit und Flexibilität ankommt, damit die Bevölkerung den Schienenverkehr möglichst gut in ihren Alltag einbinden kann. Den Taktfahrplan, der nach dem Willen der Bahn in Deutschland umgesetzt werden soll, wurde in der Schweiz schon im Jahr 1982 eingeführt.
Die Züge fahren also in regelmäßigen, sich periodisch wiederholenden Abständen und sind eng mit fast allen öffentlichen Verkehrsmitteln vernetzt, wodurch die Wartezeiten zum Umsteigen auf ein Minimum reduziert werden. Dieses System wurde mit dem Knotenprinzip im Jahr 2000 erweitert: Es garantiert stündliche und halbstündliche, in Richtung und Gegenrichtung stets gleiche, spiegelbildliche Anschlüsse in allen wichtigen Knotenbahnhöfen des Alpenlandes.
Deutsche Bahn hat Nachholbedarf
Dies macht die Schweizer Bahn vor allem pünktlich und die Abfahrzeiten für die Bevölkerung planbar. Pendler müssen so keine Sorge haben, dass sie zu spät zur Arbeit kommen. In der Schweiz gilt ein Zug als pünktlich, wenn Reisende am Zielort mit weniger als drei Minuten Verspätung ankommen. Zum Vergleich: Die Deutsche Bahn wertet alles unter sechs Minuten als pünktlich. Rund jeder vierte Zug der Deutschen Bahn kam im Jahr 2018 im Fernverkehr unpünktlich, in der Schweiz waren es trotz strengerer Auslegung nur zwölf Prozent.
Die Bahn schiebt das Pünktlichkeitsproblem auf Finanzierungsengpässe. Und in der Tat gaben die Schweizer im Jahr 2017 fünfmal mehr aus als die Deutschen. Während die Schweiz pro Kopf und Jahr 362 Euro für die Bahn investierte, waren es in Deutschland magere 69 Euro. Da das Schienennetz in Deutschland größer und die Vernetzung in einem Flächenland wie der Bundesrepublik deutlich schwieriger ist, machen sich die fehlenden Investitionen noch deutlicher bemerkbar. Angesichts der Klimakrise soll sich das nun ändern.
Jedoch ist ein maßgeblicher Faktor für eine attraktive Schiene, neben der guten Vernetzung und Anbindung an ländliche Regionen, vor allem der Preis. Bucht man rechtzeitig, sind die Tickets in Deutschland und der Schweiz im Fernverkehr für eine ähnlich lange Strecke in beiden Ländern etwa gleich teuer. Doch durch Zugauslastungen und weniger Fahrten auf bestimmten Strecken sind in Deutschland die Spartickets oftmals vergriffen, sodass der Preis pro Kilometer in Deutschland im Vergleich zum Nachbarland auf das Doppelte ansteigen kann.
Fazit: Deutschland kann deutlich mehr Emissionen einsparen, wenn es gelingt, die Bahn attraktiver zu machen. Bei der Verlässlichkeit, beim Netzausbau und beim Preis gibt es deutlichen Nachholbedarf. "In Deutschland wurde über viele Jahre hinweg und wird auch heute noch viel zu wenig in die Bahn investiert", sagte der Schweizer Eisenbahnexperte Walter von Andrian dem Nachrichtenportal "tagesschau.de". So sei die Deutsche Bahn in einen technischen Rückstand geraten.
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Die Beschlüsse der Großen Koalition scheinen deswegen in die richtige Richtung zu gehen. Das Schweizer Modell könnte hierbei eine Orientierung sein. Dirk Flege, Vorstand beim Verkehrsbündnis Allianz Pro Schiene, bewertet im ZDF-Interview die Ankündigungen als "gute Nachricht". Ob die Finanzmittel ausreichen, um den Deutschlandtakt tatsächlich zu realisieren, wird sich zeigen. "Wir schieben einen gigantischen Investitionsstau bei der Bahn bei uns her."
3. Wasserstoff als klimafreundliche Alternative
Neben der Optimierung vorhandener Strukturen wird es beim Klimaschutz besonders im verkehrspolitischen Bereich auf Innovationen ankommen. Es muss eine Alternative zu fossilen Brennstoffen gefunden werden, um den CO2-Ausstoß von Fahrzeugen jeglicher Art zu verringern. Dabei bringen vor allem norddeutsche Bundesländer vermehrt die Wasserstofftechnologie ins Gespräch.
Die Bundesregierung scheint bei dem Thema umzudenken. Zunächst hatte das Wirtschaftsministerium die Technologie abgelehnt, die Produktionskosten für Wasserstoff würden zu viel Energie kosten. Doch nun scheint es im neuen Klimapaket ein Umdenken zu geben: "Die Kosten von Wasserstofferzeugung aus erneuerbaren Energien sind aktuell noch sehr hoch. Dennoch wollen wir uns diese Option für die Zukunft offen halten: Für den Klimaschutz, aber auch als Chance für unsere Industrie“, heißt es in einem Statement des Wirtschaftsministeriums für t-online.de. "Das Wirtschafts-, Verkehrs- und Bildungsministerium erarbeiten derzeit eine Wasserstoffstrategie. Diese soll Ende des Jahres dem Kabinett vorgelegt werden."
Unstrittig ist, dass die Brennstoffzelle Potenzial hat – und es in gewissen Bereichen bereits abruft. In U-Booten wird sie beispielsweise schon seit Jahrzehnten eingesetzt. Ihre Umweltbilanz ist positiv: Wasserstoff wird in der Reaktion mit Sauerstoff zu Wasserdampf und Strom gewandelt. Ob H2-Autos auf lange Sicht aber für den Pkw-Massenmarkt taugen, das wird stark bezweifelt.
Denn auch die Herstellung von Wasserstoff kostet Energie. Umweltexperten sehen Wasserstoffautos skeptisch. Florian Hacker vom Öko-Institut verweist auf den niedrigen Wirkungsgrad. Man brauche Strom, um aus Wasser Wasserstoff herzustellen, der in Gastanks gelagert und nach dem Tanken im Auto in Strom gewandelt wird. Bei diesen Schritten verliere man Energie. "Nur 25 Prozent der ursprünglichen Energie führt in einem Brennstoffzellenfahrzeug zu Fortbewegung, der Rest geht verloren – bei batteriebetriebenen Elektroautos liegt der Wert etwa bei 70 Prozent."
Entsprechend höher sei der Strombedarf bei Brennstoffzellenautos, sagt er. "Man sollte die Brennstoffzelle weiter im Blick behalten, aber im Massenmarkt ist der Einsatz batteriebetriebener E-Autos sinnvoller."
Eine Art Teufelskreis sieht der Autoexperte Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft: "Solange es nicht genug Nachfrage gibt, lohnt sich der Aufbau dieser Infrastruktur nicht richtig – und umgekehrt kaufen die Leute kein Brennstoffzellenfahrzeug, wenn die Infrastruktur nicht breit verfügbar ist."
Warum ist der Wasserstoffanteil am deutschen Verkehrsmix fast unsichtbar? Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen zeigt auf die Geldbörse: Der Preis für so ein Auto sei "inakzeptabel". Grob gesagt kostet ein Wasserstoff-Pkw in Deutschland 70.000 bis 80.000 Euro, auch Leasingverträge sind nicht billig. Immerhin gibt es staatliche Förderung. Dennoch, das sei viel zu teuer, meint der Professor: "Das reine Wasserstoffauto ist für den Privatkunden derzeit außer Reichweite." Die Gründe für die hohen Preise: Die Entwicklung ist teuer und die verkauften Stückzahlen sind gering – erst bei hohen Stückzahlen würden die Kosten pro Fahrzeug sinken und der Preis käme etwas herunter.
Auch deshalb sind Fahrzeuge mit Brennstoffzellen kaum auf deutschen Straßen zu finden. Gerade einmal 386 Wasserstofffahrzeuge sind in Deutschland laut Kraftfahrt-Bundesamt zugelassen. Bei einem Gesamtfahrzeugbestand von 64,8 Millionen hierzulande ist das ein Anteil von 0,0006 Prozent. Beim Öko-Konkurrenten E-Auto sind es immerhin 0,2 Prozent.
Doch in Norddeutschland wird schon länger dafür gekämpft, dass überschüssige Energie aus den Windparks zur Herstellung von Wasserstoff verwendet werden kann. Auch hier drohen Länder wie die Schweiz, die Bundesrepublik abzuhängen.
In ersten Pilotprojekten fahren nun 1.000 mit Wasserstoff angetriebene Lkws der Firma Hjundai auf den Schweizer Straßen. Zur Herstellung von Wasserstoff wird im Nachbarland die überschüssige Energie aus Wasserkraftwerken verwendet. "Es ist ein gesellschaftliches Thema, dass wir CO2-frei werden. Besonders Transporteure in der Schweiz suchen nach Lösungen, um das CO2 von der Straße zu bringen", erklärt Jörg Ackermann vom Förderverein H2 Mobilität Schweiz gegenüber der ARD-Fernsehsendung "Panorama". "Was ihnen fehlt, ist die Technologie. Die Wasserstofftechnologie hat das gleiche Preis-Leistungsvermögen wie ein Diesel-Lkw."
Fazit: Die Schweiz unterstützt die Technologie mit steuerlichen Vergünstigungen für die Lastwagen. Die Wasserstoff-Technologie ist noch zu teuer und nicht massentauglich. Bei der Wasserstoffenergie hat die Bundesrepublik noch nicht so viel Zeit verloren wie beim Ausbau der Schieneninfrastruktur. Doch Wasserstoff könnte die erneuerbare Energie der Zukunft sein, sie ist ähnlich leistungsfähig wie fossile Brennstoffe und dazu umweltfreundlich. Deshalb darf auch hier der Anschluss in der Forschung nicht verpasst werden.
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Letztlich müssen klimapolitische Maßnahmen immer im Verbund gesehen werden, keiner der oben genannten Bausteine kann alleinstehend dafür sorgen, dass Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Außerdem wichtig: Keine der Maßnahmen hat eine sofortige Wirkung, laut Angaben einer großen Mehrheit der Klimawissenschaftler drängt die Zeit. Deshalb kann sich Deutschland zwar bei unseren Nachbarn nach klimapolitischer Inspiration suchen, umsetzen muss die Bundesrepublik die Maßnahmen jedoch selbst.
- eigene Recherchen
- mit Material der Nachrichtenagenturen AFP, dpa
- Weltklimarat: "Sonderbericht zur Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius" (engl.)
- Weltklimarat: Fünfter Sachstandsbericht zum Klimawandel 2014 (engl.)
- Bundesregierung: Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030
- Weltbank: "State and Trends of Carbon Pricing" (engl.)
- Handelsblatt: "Schweden zeigt, dass CO2-Steuer und hohe Wachstumsraten kein Widerspruch sein müssen"
- tagesschau.de: "Preis oder Steuer für CO2 – was ist besser?"
- Zeit-Online.de: "Der große Bahntest"
- tagesschau.de: "Der Vorzeigeschüler schwächelt"houseofswitzerland.ch: "10 gute Gründe Bahn zu fahren in der Schweiz"
- tagesschau.de: "Warum ist die Bahn woanders besser?"
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