UN-Klimagipfel in New York Gretas Zorn und Merkels Beitrag
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Merkel galt einst als Klimakanzlerin. Dass diese Zeiten vorbei sind, wurde durch den Auftritt Greta Thunbergs besonders deutlich.
Kurz bevor Greta Thunberg im großen Saal der Generalversammlung der Vereinten Nationen die versammelten Präsidenten, Emire und Ministerpräsidenten anklagte, saß sie mit Angela Merkel zusammen. Der Regierungssprecher veröffentlichte ein Foto, auf dem Merkel und Thunberg nebeneinander auf zwei Sesseln sitzen. Beide lächeln.
Dann ging Thunberg auf die Bühne und als sie das Wort bekam, gab sie nichts auf die unausgesprochenen Regeln dieses obersten Hauses der Weltdiplomatie.
"Das ist so falsch. Ich sollte hier nicht sein. Ich sollte in der Schule sein, auf der anderen Seite des Ozeans", sagte sie mit bebender Stimme. Was sie vortrug, war eine Anklageschrift der Kinder gegen diejenigen, die sie in diese Welt gesetzt haben. "Ihr habt mir meine Kindheit geraubt."
Keine Zurückhaltung
Kurze Sätze, ohne Zurückhaltung, ohne Beschönigung. "Menschen leiden. Menschen sterben." Und immer wieder diese Frage, zwischen Wimmern und Grollen: "Wie können Sie es wagen?"
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"Wie können Sie es wagen, zu behaupten, das könne mit business as usual gelöst werden?" Von allen Sätzen, mit denen Thunberg die Mächtigen der Welt zum Schweigen brachte, war das vielleicht der heikelste – weil er die Stelle markiert, an der selbst die Wohlmeinenden derzeit oft stehen bleiben. Auch die Kanzlerin.
Es gab eine Zeit, da trug Merkel den Medienbeinamen "Klimakanzlerin". Sie war nicht nur die ehemalige Umweltministerin, unter deren Federführung 1995 auf der ersten Weltklimakonferenz in Berlin das Kyoto-Protokoll vorbereitet wurde, sie war nicht nur die Umweltministerin, die in einem Buch vor der Klimakrise gewarnt und einen CO2-Preis gefordert hatte, sie war auch die Regierungschefin, die in die Arktis flog, um dort die schmelzenden Eisberge zu betrachten – und sich fotografieren zu lassen.
Nicht mehr Führerin der bewohnbaren Welt
Nach der Einigung auf das Klimapaket am Freitag in Berlin und nach ihrem Auftritt auf dem UN-Klimagipfel in New York lässt sich sagen: Die Rolle der Klimakanzlerin hat sie aufgegeben. Merkel mag immer noch die Führerin der freien Welt sein, zu der sie nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten erklärt wurde. Die Führerin der bewohnbaren Welt ist sie nicht mehr.
Denn darum ging es auf dem Klimagipfel, darum ging es auch im Klimakabinett, darum geht es überhaupt im Klimaschutz: Die Erde ist dabei, sich so schnell und so heftig zu erhitzen, dass sie zu Lebzeiten einer sehr alten Greta Thunberg weitgehend unbewohnbar sein könnte. Wenn die Menschheit weiter Treibhausgase ausstößt wie in den vergangenen dreißig Jahren, wäre der Klimakorridor, in dem der Mensch entstand und sich bis zu iPhone, Wolkenkratzer und Atombombe entwickelte, zum Ende des Jahrhunderts verlassen.
Merkel versprach: business as usual
Der UN-Generalsekretär Antonio Guterres hatte den Gipfel einberufen, um konkrete Pläne im Kampf gegen die Erderhitzung zu hören. "Bringen Sie keine netten Reden", hatte er gesagt, "bringen Sie Pläne."
Nicht alle Staats- und Regierungschefs durften sprechen, sondern nur die, die neue, ambitioniertere Klimaziele vorstellen konnten. Die Reihenfolge, so war vorher zu hören, entspreche auch den Ambitionen der Staaten. Zuerst sprach die neuseeländische Premierministerin. Dann die Präsidentin der Marshall Islands, die durch steigende Meeresspiegel und Stürme in ihrer Existenz bedroht sind. Dann der indische Präsident. Als vierte schon Angela Merkel. Man könnte sagen, sie gehört immer noch zu den Vorreitern – und Deutschland tut ja auch etwas. Gibt etwa zusätzliche 250 Millionen Euro für den Schutz von Regenwäldern.
Aber selbst als eine der Mutigeren im Saal versprach Merkel der Welt dann doch auch das, was Greta Thunberg eben noch als unerhört beschrieben hatte: business as usual. Auch wenn es für die Gäste in New York wahrscheinlich nicht so klang, zeigte dieser Tag Gretas Zorn und Merkels Beitrag.
Die Ziele reichen nicht
"Der Maßstab für unser Handeln muss das Pariser Abkommen sein", sagte die Kanzlerin. Deutschland werde in vier Jahren 54 Milliarden Euro für die Förderung von umweltfreundlichen Technologien ausgeben. Das Land werde bis 2030 zwei Drittel seiner Energie erneuerbar erzeugen und bis 2050 treibhausgasneutral sein.
Doch dahinter verbirgt sich ein Klimapaket, von der schwarz-roten Koalition am Freitag rechtzeitig vor dem Gipfel beschlossen, von dem Klimaforscher und Ökonomen einhellig sagen, es werde so gut wie sicher nicht ausreichen, um die Klimaziele für das Jahr 2030 zu erreichen. Die wiederum, das bestreitet auch die Regierung nicht, werden nicht ausreichen, um dem Pariser Abkommen zu genügen – das Merkel selbst zum Maßstab fürs Handeln erklärt hat.
Zwischen dem, was Merkel für nötig erklärt, dem, was sie umzusetzen verspricht, und dann dem, was sie wirklich umsetzt, klafft eine Lücke. Das ist in der Politik nicht ungewöhnlich, es ist sogar der Regelfall. Es ist auch nicht unbedingt Merkels Schuld, es liegt an Zwängen der Koalition, an der CSU, auch der SPD. Am Ende steht ein Kompromiss. Business as usual eben.
Merkel selbst macht daraus keinen großen Hehl. "Aufgabe jeder Regierung ist es, alle Menschen mitzunehmen, dieser Aufgabe stellt sich Deutschland", sagte Merkel gegen Ende ihrer Rede noch. Der Gipfel war dazu gedacht, vorzustellen, was Länder sich alles neu vornehmen. Merkel nutzte ihn auch dazu, zu erklären, warum sie nicht alles umsetzen könne, was sie sich gern vornehmen würde.
Keine Leidenschaft erkennbar
Nach der Wahl Donald Trumps wurde Angela Merkel in Medien und Politik gern zur Führerin der freien Welt erklärt. Diese Zuschreibung hat sie recht bereitwillig angenommen. Eine Zeit lang wiederholte sie immer wieder, es gelte den Multilateralismus zu bewahren. Es drängte sich der Eindruck auf, sie arbeite an ihrem Vermächtnis als die Frau, die die Welt im Innersten zusammenhält.
Von der Leidenschaft, die sie in diesen Plädoyers für die Bewahrung des Multilateralismus erkennen ließ, war am Freitag in Berlin und am Montag in New York nichts zu sehen.
In New York kümmerte sie sich einen halben Vormittag um den Klimagipfel, dann anderthalb Tage um Zusammenarbeit mit Afrika, dem Balkan, die Libyenkrise oder den Iran und Saudi-Arabien, zwischen denen ein Krieg droht. Es gibt viel zu besprechen.
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Nach allem, was die Wissenschaft sagen kann, ist die Erderhitzung eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit. Als solche hat Greta Thunberg sie beschrieben. Für die Kanzlerin in ihrer Rolle als Regierungschefin war der Klimagipfel ein Termin von vielen während eines Besuchs in New York.
Business as usual.
- Eigene Beobachtungen in New York