Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Spitzendiplomat über Trump "Bin zutiefst besorgt"

Die USA wollen mit Russland über Frieden in der Ukraine verhandeln. Jedoch ohne Europa. Wann wenn nicht jetzt wacht der Kontinent auf, fragt der Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger.
Die Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende hat eines deutlich gemacht: Der künftige sicherheitspolitische Kurs der USA bleibt ungewiss.
Europäische Staats- und Regierungschefs treffen sich am Montag zu einem informellen Gipfeltreffen, um über die Lage in der Ukraine und "die Herausforderungen für die Sicherheit in Europa" zu beraten (hier lesen Sie mehr dazu). Denn unter der Leitung von US-Außenminister Marco Rubio sollen amerikanische und russische Unterhändler in Saudi-Arabien zu Gesprächen zusammenkommen. Auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat sich angekündigt, europäische Regierungschefs sind in Riad jedoch nicht eingeladen.
Der britische Regierungschef Keir Starmer hat sich indes am Vorabend eines Krisentreffens europäischer Ukraine-Unterstützer "bereit und willens" gezeigt, nötigenfalls auch Friedenstruppen in das von Russland angegriffene Land zu entsenden. In den kommenden Tagen will er Trump treffen.
Wie steht es um Europas sicherheitspolitische Eigenständigkeit? Welche Signale sendet Washington? Und was ist von den geplanten Verhandlungen zu erwarten? Wolfgang Ischinger, langjähriger Vorsitzender der Sicherheitskonferenz, spricht über die geplanten geopolitischen Weichenstellungen der Trump-Administration:
t-online: Herr Ischinger, Sie gehen davon aus, dass auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine neue Weltordnung angebrochen ist. Wie überrascht sind Sie?
Wolfgang Ischinger: Die Tatsache, dass Donald Trump eine neue Ordnung ausruft, ist eigentlich wenig überraschend. Verblüffend ist allerdings die Geschwindigkeit und die Methode, die er an den Tag legt. Das tut ganz schön weh.
Im Zentrum der nicht mehr regelbasierten Ordnung stehen Autokraten wie Xi Jinping und Wladimir Putin sowie Donald Trump. Kehrt das 19. Jahrhundert im 21. zurück?
Ja, die Welt verändert sich mit atemberaubender Geschwindigkeit, aber nicht rückwärts, sondern nach vorwärts. Dafür sorgen die modernen Technologien, insbesondere die Künstliche Intelligenz, die in eine neue, zum Teil noch gar nicht überschaubare Richtung zielen. Unter diesen Bedingungen rivalisieren heute die Großmächte. Aber ich gebe den Glauben noch nicht auf, dass Demokratien mit den Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz besser umgehen können als Diktaturen oder Autokratien.
Was sehen Sie jetzt in Amerika – einen unsicheren Bündnispartner auf Zeit?
Der Kitt des transatlantischen Bündnisses ist gegenseitiges Vertrauen. Über viele Jahrzehnte war es manchmal getrübt, stand aber nie infrage. Durch die Ereignisse der jüngsten Zeit ist das Vertrauen leider erheblich gestört. Darüber bin ich zutiefst besorgt. Vertrauen ist die Währung der Diplomatie, deren Aufgabe es ist, Gegensätze zu überbrücken.
Die Großen regeln untereinander, was ihnen wichtig erscheint, und die Kleinen sind Zaungäste: Bereits am Dienstag treffen sich Putins und Trumps Abgesandte in Riad, um über die Beendigung des Krieges zu reden.
Für sich genommen ist das Treffen nicht zu kritisieren. Unter Fachleuten bestand Einigkeit darüber, dass der erste Schritt zur Beendigung des Krieges in der Ukraine eine gewisse Grundverständigung zwischen den USA und Russland sein müsste.
Schon jetzt wissen wir, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird, nicht die annektierten Gebiete zurückbekommt und der Nato-Artikel 5, der die Mitglieder zur Verteidigung eines angegriffenen Mitgliedslandes verpflichtet, für die USA nicht verpflichtend ist. Waren die Opfer dann umsonst?
So pessimistisch bin ich nicht. Man kann umgekehrt die Frage stellen, wie groß die Chance denn sein wird, dass Putin seine maximalen Ziele erreicht, nämlich den Zustand in Europa vor Beginn der Nato-Erweiterung 1997 um Ungarn, Polen und Tschechien wiederherzustellen. Es ist gut möglich, dass er hinter einer unerreichbaren Utopie her ist.

Zur Person
Wolfgang Ischinger gehört zu den herausragenden deutschen Experten für internationale Politik. Bis 2022 leitete er die Münchner Sicherheitskonferenz, zuvor war Ischinger als Diplomat und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als Botschafter in den USA tätig.
Eine Garantie auf Unabhängigkeit und Sicherheit vor Russland wollte auch Joe Biden nicht geben.
Richtig. Die USA waren und sind aber nicht der einzige Bündnispartner, der das Risiko für zu groß hält, die Ukraine in die Nato aufzunehmen, solange dort nicht tatsächlich wieder Frieden herrscht. Sonst wären die Nato-Mitglieder wegen des berühmten Artikels 5 gezwungen, ihre kollektive Verpflichtung auf Beistand zu erfüllen und sich am Krieg unmittelbar zu beteiligen. Ich kann gut verstehen, dass diese Aussicht weder in Washington noch in Berlin noch in etlichen anderen Hauptstädten auf viel Wohlgefallen stößt.
Präsident Trump hat Interesse an Rohstoffen in der Ukraine wie Lithium, Titan, Kobalt und Seltenen Erden. Um Zugriff darauf zu bekommen sollte Stabilität im Land herrschen. Ist das ein Hoffnungsschimmer für das Land?
Das kann man in der Tat so sehen. Den Zugriff auf ukrainische Rohstoffe werden die USA jedenfalls nicht bekommen können, wenn Russland die Herrschaft über die ganze Ukraine ausüben könnte.
Ab jetzt kann sich Europa keinerlei Illusionen mehr hingeben. Haben Sie aus Gesprächen auf der Münchner Konferenz den Eindruck gewonnen, dass schon an Konsequenzen gearbeitet wird?
Seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 sprechen wir in immer neuen Anläufen von dem notwendigen Weckruf für Europa, die Konsequenzen zu bedenken. Außer viel Papier und frommen Reden ist jedoch nichts geschehen. Vielleicht braucht es in der Tat einen regelrechten Elektroschock, um Europa dazu zu bewegen, endlich selbst sicherheitspolitische Verantwortung für den alten Kontinent zu übernehmen.
Können die europäischen Nato-Staaten eine europäische Armee aufbauen?
Ich fand es bewegend, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj uns Europäer auf der Münchner Sicherheitskonferenz dazu aufgerufen hat, eine europäische Armee aufzubauen. Ich befürchte allerdings, dass die Vision, so schön sie auch ist, noch auf längere Sicht eine Vision bleibt. Was aber machbar sein könnte, wäre eine Stärkung und Konsolidierung der europäischen Verteidigungsindustrie, des europäischen Rüstungsmarkts. Das Ende der Kleinstaaterei wäre erreicht, wenn Rüstungsgut gemeinsam produziert, gekauft und gewartet würde. Auch die Ausbildung der Soldaten sollte zur Gemeinschaftsaufgabe werden. Auf diese Weise ließen sich übrigens zig Milliarden Euro pro Jahr sparen und damit anders verwenden.
Wie lange kann der Aufbau dauern?
Wenn der politische Wille da wäre, könnten die notwendigen Grundsatzentscheidungen noch in diesem Jahr getroffen werden. Wenn nicht jetzt, wann dann? Der französische Präsident Emmanuel Macron hat ja schon zu Beratungen über die bedrohliche Lage eingeladen.
Teilen Sie die Sorge, Putin werde in absehbarer Zeit andere osteuropäische Staaten angreifen, um sich Verlorenes zurückzuholen?
Über Georgien und Moldau kann man sich schon sehr große Sorgen machen. Nato-Mitglieder wie zum Beispiel die baltischen Länder sind natürlich auch äußerst alarmiert, aber dort baut das Bündnis Gegenmittel auf, wie die künftige deutsche Brigade in Litauen.
Am kommenden Sonntag wählen die Deutschen ihr Parlament. Spielt die Außenpolitik auf den letzten Metern noch eine Rolle?
Schön wär's. Nötig wär's! Ich finde es verblüffend, dass die sicherheitspolitische Gefahrenlage bisher im Wahlkampf weitgehend ausgeblendet blieb. Offenbar will keine Partei und kein Spitzenkandidat den Wählern die Erkenntnis zumuten, dass unser Trittbrettfahren im Vertrauen auf die Schutzmacht Amerika zu Ende geht und wir enorme Summen investieren müssen, um wieder verteidigungsfähig zu werden.
Trauen Sie es Friedrich Merz zu, als Kanzler die Bundeswehr kriegsfähig zu rüsten?
Im Prinzip ja, denn der Amtseid setzt ja das Ziel, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden! In welchem Maße er die Aufgabe verwirklichen kann, hängt natürlich auch von der Koalition ab, die er bildet.
Herr Ischinger, Sie haben schon als Schüler und später als Diplomat viele Jahre in Amerika verbracht. Was war dieses riesige Land für Sie?
Ein Sehnsuchtsort. Das Land der Zukunft, der Hoffnung, der Freiheit. Damals hatte freilich die tiefe Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft noch nicht eingesetzt, unter der sie heute leidet.
Trump stellt die Dinge in einem furiosen Tempo auf den Kopf. Anne Applebaum, die Trägerin des deutschen Friedenspreises, sagt dazu, der Präsident sei auf "Regime change" aus – auf einen Systemwechsel von oben. Hat sie recht?
Ja, diese Warnung ist berechtigt. Trump ist stark beeinflusst von der Tech-Philosophie, die Elon Musk verkörpert, wonach demokratische Regeln die technologischen Entfaltungskräfte beschneiden. Dagegen geht Trump vor und dabei bleibt viel auf der Strecke.
In unserem letzten Interview sagten Sie, was Trump im Wahlkampf androht, werde nicht unbedingt genauso kommen. Ein Irrtum aus Wunschdenken?
Trump-Kenner drücken es so aus: Wir neigen dazu, Trump nicht ernst, aber wörtlich zu nehmen. Besser ist es, ihn ganz ernst, aber nicht unbedingt wörtlich zu nehmen.
Herr Ischinger, danke für dieses Gespräch.
- Interview mit Wolfgang Ischinger
- Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP und dpa