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Kampfjets für die Ukraine? "In dieser Bitte erkenne ich keine Maßlosigkeit"


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Kampfjet-Debatte
"Dann würde Russland den Krieg gewinnen"

InterviewVon Tim Kummert

Aktualisiert am 27.01.2023Lesedauer: 6 Min.
Griechenland: Ein moderner Militärjet der dortigen Luftwaffe – die Ukraine fragt nun nach europäischen Kampfflugzeugen.Vergrößern des Bildes
Griechenland: Ein moderner Militärjet der dortigen Luftwaffe – die Ukraine fragt nun nach europäischen Kampfflugzeugen. (Quelle: IMAGO/Michalis Karagiannis / Eurokinissi)

Kaum hatte Deutschland der Lieferung von Panzern zugestimmt, forderte die Ukraine Kampfjets. Ist das maßlos? Fragen an die Sicherheitsexpertin Claudia Major.

Bis sich Deutschland, die USA und andere Länder zur Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine durchringen konnten, dauerte es. Doch kaum war die schwierige Entscheidung verkündet, kamen aus der Ukraine sofort neue Forderungen. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, sein Land brauche nun Langstreckenraketen, Kampfflugzeuge und mehr Artillerie. Das sei "eine wichtige Aufgabe für uns alle".

Ist die Ukraine womöglich maßlos? Das fragen sich längst nicht mehr nur notorische Kritiker. Doch Claudia Major kann erklären, warum die Ukrainer immer mehr wollen: "Weil sie um ihr Überleben kämpfen."

Major zählt zu den renommiertesten Expertinnen für Sicherheitspolitik in Deutschland, ist Leiterin der entsprechenden Forschungsgruppe bei der Stiftung Wissenschaft und Politik und Mitglied im Beirat "Zivile Krisenprävention und Friedensförderung" der Bundesregierung.

t-online: Frau Major, kaum liefert Deutschland Panzer, fragt der ukrainische Präsident Selenskyj nach Kampfjets. Ist er maßlos?

Claudia Major: Ihm geht es um das Überleben seines Landes, ist dann maßlos – was einen leicht negativen Beigeschmack hat – der richtige Begriff? Oder muss man vielleicht maßlos sein, wenn es darum geht, weitere Kriegsverbrechen von der eigenen Bevölkerung abzuwehren? Denn Putins Äußerungen ergeben ja ein klares Bild: Er möchte sich nicht ein paar ukrainische Gebiete einverleiben und dann mit dem Rest der Ukraine in friedlicher Koexistenz zusammenleben. Sondern die Ukraine als souveräner Staat mit eigenständiger Kultur soll nicht mehr existieren.

Woran machen Sie das fest?

An seinen Reden. Und das sieht man bereits an den besetzten Gebieten. Dort geschieht eine Russifizierung und die ukrainische Bevölkerung wird einem Terrorregime ausgesetzt. Es gibt Bilder von Folterkellern, zahlreiche Berichte von den Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisation über Misshandlungen, deportierte Kinder. Russland sieht die eigenständige Ukraine, mit ihrer Kultur und Identität, als eine Anomalie der Geschichte, die korrigiert werden muss.

Und wegen dieser Brutalität kann eine Forderung von Selenskyj maßlos sein?

Na ja, ich kann die Frage schon verstehen, die sich mancher stellt: Warum wollen die immer mehr?

Wie lautet Ihre Antwort?

Weil die Ukrainer um ihr Überleben kämpfen. Kann es beim Kampf ums eigene Überleben eine Maßlosigkeit geben? Wollen wir im Westen sagen: "Na ja, ein wenig Morden müsst ihr halt schon ertragen — aber Kampfjets gibts eben nicht"? Zudem fordert Selenskyj nicht, sondern er bittet. Und ja, in dieser Bitte erkenne ich keine Maßlosigkeit, sondern Verzweiflung. Die Sorge, was das für uns in Deutschland bedeutet, und was noch passieren kann, die kann ich trotzdem verstehen.

Für viele Deutsche war laut Umfragen bereits die Entscheidung für die Lieferung von Panzern heikel.

Die Bitte um Kampfpanzer kam bereits acht Tage nach dem russischen Überfall im letzten Jahr auf, hat der "Spiegel" berichtet. Der Kanzler ist nicht vorgeprescht dabei, das war eine sehr ruckelige Entscheidung, die sich über fast ein ganzes Jahr hingezogen hat – das kann man heikel finden, aber es war wohlüberlegt.

Trotzdem lehnten vor wenigen Tagen noch über 40 Prozent der Deutschen solche Lieferungen ab.

Ja. Allerdings unterstützen mittlerweile über 50 Prozent eine Lieferung. Zwei Flugstunden von Berlin tobt ein brutaler Krieg. Natürlich müssen wir genau abwägen, warum wir dorthin Panzer liefern sollten. Aber was passiert denn, wenn wir es nicht tun?


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Ohne westliche Unterstützung, von Finanzen bis Munition und Ausrüstung, kann die Ukraine schlicht die russischen Truppen nicht weiter abwehren.


Claudia Major


Die Lage wäre rasch festgefahren.

Exakt. Oder Russland könnte gewinnen. Eine Möglichkeit wäre ein brutaler Stellungskrieg, wie er gerade in Bachmut stattfindet. Es heißt: Von früher 100.000 Einwohnern sind in dem Ort nur noch 7.000 übrig. Die ganze Stadt ist zerstört. Das Leiden der Menschen geht weiter, die russischen Truppen zerstören Wasser-, Strom- und Wärmeversorgung und damit die Lebensgrundlagen der Bevölkerung und bombardieren das Land in den wirtschaftlichen Bankrott. Und Kriegsverbrechen und Unterdrückung in den besetzen Gebieten gehen weiter. Ohne westliche Unterstützung, von Finanzen bis Munition und Ausrüstung, kann die Ukraine schlicht die russischen Truppen nicht weiter abwehren, geschweige denn weiter zurückzudrängen, also fährt es sich dann fest.

Klingt wie die Schlacht in Verdun im Ersten Weltkrieg.

Ja, ein Verhaken der beiden Parteien miteinander. Und zwar ein brutales. Wenn das Kräfteverhältnis noch weiter kippt, könnte Russland noch mehr von der Ukraine erobern. Dann würde es zwar den Krieg gewinnen. Aber nicht den Frieden. Denn bereits jetzt gibt es in den besetzten Gebieten Partisanenkämpfe und Russland gelingt es nicht, die annektierten Gebiete zu kontrollieren.

Was hieße das für Deutschland?

Eine deutlich größere Unsicherheit. Wir hätten ein instabiles Land an der Nato- und EU-Grenze, Russland wäre näher herangerückt an die EU. Und Moskau könnte die Lehre ziehen: Es mag teuer sein, solch einen Krieg zu führen, sogar deutlich teurer und schwieriger als zum Beispiel 2014 in der Ukraine, aber es lohnt sich, mit Krieg kann man seine Ziele erreichen. Am Ende können sie unter dem nuklearen Schirm ihre Ziele durchsetzen und Grenzen verschieben. Dann könnte Russland im nächsten Schritt Länder wie Moldau ins Visier nehmen. Und die Botschaft an die ganze Welt wäre: Das Recht des Stärkeren setzt sich durch. Das beobachten auch andere Länder.

Sie glauben, ein festgefahrener Stellungskrieg oder ein russischer Sieg würden die geopolitische Lage verändern?

Ja. Dieser regionale Krieg hat internationale Folgen. Nach welchen Regeln gehen Staaten in Zukunft miteinander um? Und was heißt es für unser Modell in Deutschland? Unser deutscher Wohlstand resultiert aus der Interaktion mit der Welt da draußen. Wir sind eng verflochten mit den anderen Ländern, sind in internationale Waren- und Finanzströme integriert und hängen von der internationalen Stabilität ab. Der kurzfristige Zusammenbruch einiger Lieferketten hat bereits gezeigt, wie anfällig Deutschland und Europa sind.

Wie in der Pandemie.

Nur in einer noch heftigeren Variante. Was machen wir denn, wenn künftig ein Staat eine Insel aufschüttet und sagt: "So, dann erweitere ich hiermit mein Territorium"? Was machen wir denn in der Bundesrepublik, wenn keine Halbleiter mehr aus Taiwan kommen? Wie funktioniert die deutsche Exportwirtschaft, wenn Schifffahrtsrouten plötzlich blockiert sind? Das gab es teilweise schon, aber wenn das in noch größerem Ausmaß passiert, dann gerät doch hier sehr vieles ins Wackeln. Die große Verletzlichkeit haben wir im letzten Jahr auch mit Blick auf die russische Energieabhängigkeit gesehen.

Die Unterstützung der Ukraine ist also sogar rein egoistisch gedacht aus deutschem Interesse?

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Wenn Sie so wollen, ja. Deswegen finde ich die Frage mit der Maßlosigkeit immer ein wenig seltsam. Wir haben ein Interesse daran, dass international gewisse Regeln gelten. Und wir haben ein Interesse daran, dass die souveräne Ukraine überlebt. Und wir können mit unserer Unterstützung für die Ukraine weiteres Leid dort verhindern.


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Eine stabile souveräne Ukraine ist die beste Sicherheitsvorsorge auch für Deutschland und Europa.


Claudia Major


Manch einer fragt sich trotzdem: Schützen deutsche Panzer das Land nicht besser, wenn sie in Deutschland stehen?

Das ist für mich eine konstruierte Debatte. Wir stellen dabei einen Zielkonflikt her, Bündnisverteidigung gegen Ukraine-Unterstützung, den es so nicht gibt.

Wie meinen Sie das?

Eine stabile souveräne Ukraine ist die beste Sicherheitsvorsorge auch für Deutschland und Europa. Denn je besser sich die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland schlägt, desto geringer sind – zumindest kurzfristig – die Anforderungen an die Nato an der Ostflanke. Und desto weniger wird Russland in Zukunft Angriffskriege führen können.

Deshalb kann man sagen, dass die Sicherheit und Stabilität Europas gerade in der Ukraine verteidigt werden. Und der Ausgang des Krieges hat Folgen für uns in Europa und Deutschland: Ein Sieg Russlands würde die Sicherheit der Europäer verringern und das Eskalationsrisiko würde steigen. Gewinnt die Ukraine, gewinnt auch die deutsche Sicherheit. Wenn wir die Leopard-Panzer zurückhalten, riskieren wir, dass die Ukraine verliert und russische Truppen näher an die Nato und EU rücken.

Trotzdem fehlen die deutschen Panzer erstmal im Bestand der Bundeswehr.

Ja, das stimmt. Wir haben nicht nur jahrelang die Bundeswehr vernachlässigt, kaputtgespart und schlecht verwaltet, sondern sie gibt jetzt auch noch viel moderne Ausrüstung aus ihren Beständen ab, wie den Leopard-Panzer. Das gilt es aufzufüllen – und zwar zügig. Zum anderen müssen wir mal schauen, wie es künftig in der Ukraine aussieht. Die kämpfen um die Sicherheit Europas, verbrauchen dabei aber aktuell mehr Munition und Ausrüstung, als überhaupt nachgeliefert werden können. Die USA haben deshalb bereits ihre Produktion hochgefahren.

Deutschland sollte das auch tun?

Ja. Und uns mit einem Partner an den Tisch setzen, mit dem die Öffentlichkeit und die Politik bislang eine eher schwierige Partnerschaft hatten: der Rüstungsindustrie. Denn hier liegt ein Schlüssel für eine langfristige Unterstützung der Ukraine und der Stärkung der Bundeswehr und der europäischen Verteidigung.

Frau Major, herzlichen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Claudia Major
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