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Lecks in Nord-Steam-Pipelines: Russische Marine nahe der Löcher beobachtet


Löcher in Nord-Stream-Pipelines
Bericht: Russische Marine nahe der Lecks beobachtet

Von t-online, das, fho

Aktualisiert am 01.10.2022Lesedauer: 7 Min.
Das Gasleck aus dem All fotografiert: Das Leck ist deutlich geschrumpft.Vergrößern des Bildes
Quelle: Planet Labs PBC/imago-images-bilder
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Nachdem an den Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 vier Löcher entdeckt wurden, wird weiter über die Ursache gerätselt. Ein Überblick.

Die Welt steht weiter vor einem Rätsel: Wie genau ist es zu den insgesamt vier Lecks in den beiden Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 gekommen – und wer könnte dafür verantwortlich sein? t-online hat die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengefasst:

Was ist passiert?

In der Nacht zum vergangenen Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der nicht genutzten Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Später meldete der Nord-Stream-1-Betreiber einen Druckabfall auch in diesen beiden Röhren. Seismologen nahmen Erschütterungen wahr. Auch Messstationen in Mecklenburg-Vorpommern konnten die Erschütterungen erfassen. Dänische Behörden entdeckten daraufhin drei Lecks an den beiden Pipelines, denen mehrere Explosionen vorausgegangen waren.

Die Löcher befinden sich alle in der Nähe der Ostseeinsel Bornholm. Laut dem norwegischen Rundfunk NRK war zuvor bereits ein norwegisches Segelschiff auf ungewöhnliche Radarechos und Gasgeruch aufmerksam geworden. Mehr dazu lesen Sie hier.

Obwohl beide Pipelines nicht in Betrieb sind, sind sie mit Gas gefüllt, das seitdem unkontrolliert in die Ostsee strömte. Am Donnerstag bestätigte die schwedische Küstenwache Medienberichte, dass ein viertes Leck an den Pipelines entdeckt worden sei. Insgesamt sollen sich zwei davon in schwedischen, zwei in dänischen Gewässern befinden.

Nach bisherigem Kenntnisstand gibt es an beiden Leitungen in der Röhre Nord Stream 1 jeweils ein Leck sowie zwei Lecks an einer Leitung von Nord Stream 2. Eine Leitung der Nord-Stream-2-Pipeline ist also weiterhin intakt.

Am Freitag meldete die schwedische Küstenwache bei einem der vier Lecks eine Veränderung: Der Gasaustritt am kleineren der beiden Lecks in der Ausschließlichen Wirtschaftszone Schwedens – dem an Nord Stream 2 – habe an Umfang abgenommen, gehe aber nach wie vor weiter.

Satellitenbilder zeigen und bestätigten am Freitag erstmals das Ausmaß des Methanlecks. Der Radius habe sich von Montag bis Donnerstag von 700 Meter bis auf etwa 520 Meter verringert, wie das International Methane Emissions Obervatory auf Twitter mitteilte.

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Am Samstag meldeten dann dänische Behörden und die Betreibergesellschaft der Pipeline, dass aus Nord Stream 2 kein Gas mehr in die Ostsee ströme. Mehr dazu lesen Sie hier.

Welche Folgen hat das für die Umwelt?

Erdgas besteht bis zu 99 Prozent aus Methan, einem wirkmächtigen Treibhausgas. In einem Zeitraum von 100 Jahren ist die erderwärmende Wirkung von Methangas 28 Mal größer als die von Kohlendioxid. Allerdings dauert die Zersetzung von Methan in der Atmosphäre nur etwa zehn Jahre, während CO2 mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte in der Atmosphäre verbleibt.

Bei Kontakt mit Wasser oxidiert ein Teil des Methans aus den Nord-Stream-Pipelines, sodass CO2 entsteht, wie der Atmosphärenphysiker Grant Allen von der Universität Manchester erläutert. Angesichts des Ausmaßes der Lecks werde aber der größte Teil des Erdgases in Form von Methan an die Oberfläche der Ostsee steigen. Mehr zu den Folgen für die Umwelt lesen Sie hier.

Wer ist für die Lecks verantwortlich?

Ein Unfall wird von zahlreichen Regierungen und anderen Organisationen mittlerweile ausgeschlossen. Aus der Bundesregierung hieß es am Mittwoch, dass es "keine natürliche Ursache für diesen Vorfall geben kann". Auf die Frage, ob es sich um einen Anschlag handle, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit: "Ich würde das im Augenblick gar nicht beschreiben."

Die Regierungen von Dänemark und Schweden hatten schon am Dienstagabend davon gesprochen, dass ein Sabotageakt wahrscheinlich sei. Ähnlich äußerten sich auch Vertreter von EU und Nato.

Andere Regierungen machten mehr oder weniger direkt Russland für einen möglichen Anschlag verantwortlich: Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki sprach davon, dass es sich "wahrscheinlich um die nächste Eskalationsstufe" im Ukraine-Konflikt handle.

Europäische Sicherheitsbeamte haben einem Bericht zufolge am Montag und Dienstag russische Marineschiffe in der Nähe der Lecks beobachtet. Das erfuhr der US-Sender CNN von zwei westlichen Geheimdienstmitarbeitern und einer weiteren mit der Angelegenheit vertrauten Person. Auch U-Boote seien in der vergangenen Woche in der Gegend registriert worden. Es sei allerdings unklar, ob diese etwas mit den Explosionen zu tun haben.

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach in seiner Videobotschaft am Mittwochabend von Sabotage, nannte aber keinen Verantwortlichen. Der Berater des ukrainischen Präsidenten, Mykhailo Podolyak, twitterte dagegen von einem "Terroranschlag", der von Russland geplant worden sei.

Die USA äußerten sich bisher vorsichtiger: "Wir haben derzeit mehr Fragen als Antworten", teilte ein Sprecher des Außenministeriums mit. Man wolle sich zurzeit an keinen Spekulationen beteiligen.

Auch von russischer Seite wird ein staatlicher Sabotageakt vermutet, allerdings weist der Kreml die Schuld von sich. "Es ist ziemlich vorhersehbar und vorhersehbar dumm und absurd, solche Annahmen zu treffen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch nach Angaben der Agentur Interfax. Peskow forderte, Russland an möglichen Aufklärungen des Vorfalls zu beteiligen.

Am Freitag verschärfte die russische Führung ihre Position und stellte die USA als Hauptverdächtigen dar. Es sei offensichtlich, "dass der Hauptnutznießer (der Pipeline-Explosionen), vor allem wirtschaftlich, die USA sind", sagte der Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, der Nachrichtenagentur Interfax zufolge auf einer Sitzung mit den Geheimdienstchefs der GUS-Staaten.

Russlands Präsident Wladimir Putin machte in seiner Rede zu den völkerrechtswidrigen Annexionen ukrainische Gebiete am Freitag "die Angelsachsen" verantwortlich. Sanktionen gegen Russland reichten den "Angelsachsen" nicht, diese hätten nun zum Mittel der "Sabotage" gegriffen.

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Welche Motive hätte Russland für einen Anschlag?

Verschiedene Sicherheitsexperten gehen derzeit davon aus, dass die russische Führung durchaus Gründe hätte, die eigenen Pipelines zu beschädigen. Die ehemaligen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler und August Hanning, sagten der "Welt", dass ein solcher Anschlag nur im Auftrag eines Staates habe erfolgen können. "Hierfür kommt eigentlich nur Russland in Betracht", glaubt Schindler.

So müsse Russland die ausbleibenden Gaslieferungen nun nicht mehr mit vermeintlichen technischen Problemen begründen, die vonseiten der Bundesregierung ohnehin nur als vorgeschoben gelten. Zusätzlich würde ein Anschlag für Unsicherheit in der westlichen Bevölkerung sorgen, was ins russische Kalkül passe.

Ein Angriff auf die eigenen Gasleitungen sei nur vordergründig widersinnig, sagte Johannes Peters vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel dem ARD-"Morgenmagazin". Ein Grund sei sicherlich, ein "starkes Signal" an Europa zu senden, vor allem an Deutschland und Polen, dass man dasselbe auch mit Pipelines machen könnte, die für die Versorgungssicherheit deutlich wichtiger seien, etwa die Pipelines aus Norwegen. "Also seid euch mal nicht so sicher, dass ihr für den Winter gut aufgestellt seid und dass ihr in der Lage seid, unser Gas zu kompensieren", so das Kalkül dahinter.

Ähnlich sieht es auch der Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehruniversität in München. Ein mögliches weiteres Ziel für Russland könnten nun Unterseekabel sein, warnte Masala gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Wie könnte ein Anschlag erfolgt sein?

Aus Militärkreisen heißt es im "Handelsblatt", dass ein Angriff auf drei Wegen theoretisch möglich war: über Wasser, unter Wasser oder aus der Luft. Denkbar ist dabei der Einsatz von Fahrzeugen wie Schiffen, U-Booten, Drohnen oder Flugzeugen. In deutschen Sicherheitsbehörden geht man zudem nach Informationen des Magazins "Spiegel" von hochwirksamen Bomben aus, deren Wirkung mit rund 500 Kilogramm TNT vergleichbar ist.

Ein Militärexperte schloss gegenüber dem "Handelsblatt" einen Einsatz von Kampftauchern "weitestgehend" aus, da die Gasleitungen 70 bis 80 Meter unter der Meeresoberfläche liegen und damit zu tief für Taucher seien. Das sieht allerdings nicht jeder so: Der Waffensachverständige Lars Winkelsdorf sagte gegenüber t-online, dass er den Einsatz von Tauchern am wahrscheinlichsten hält. So sieht es auch der ehemalige BND-Chef Hanning.

Winkelsdorf ergänzte, dass Taucher dabei aber auf weitere Geräte angewiesen wären: Sie bräuchten etwa die Unterstützung eines U-Boots oder einer Tauchglocke, um in eine solche Tiefe zu gelangen. Das russische Militär wäre dazu aus seiner Sicht grundsätzlich in der Lage.

Hinzu kommt, dass der Schiffs- und Flugverkehr auf und über der Ostsee von mehreren Nato-Staaten streng überwacht wird. Die Marine erstellt aus all diesen Informationen ein "Unterwasserlagebild", das allerdings bei der Beobachtung gegnerischer U-Boote an Grenzen stößt. Auch Flugobjekte können bei geringer Flughöhe dem Überwachungsmechanismus entgehen, erklärte ein nicht genannter Militärexperte dem "Handelsblatt".

Laut Informationen der britischen "Times" sei es denkbar, dass ein unbemanntes U-Boot schon vor Wochen Sprengsätze an den Leitungen angebracht habe. Die Zeitung beruft sich dabei auf eine Quelle aus dem britischen Militär. Mehr dazu lesen Sie hier.

Prinzipiell ist aber bei einer Pipeline mindestens noch ein zweites Verfahren zur Zerstörung denkbar, sagen Technikexperten: Die Röhre wird mit einem "Molch" gewartet, einem ferngesteuerten Reinigungsroboter, der mit Sprengstoff bestückt werden kann, sofern Täter Zugang zu dem System haben.

Was bedeuten die Schäden für den deutschen Gasmarkt?

Für die deutsche Gasversorgung haben die Lecks keine Bedeutung, denn Nord Stream 2 wurde nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine nie ans Netz genommen. Nord Stream 1 war in den vergangenen Jahren die wichtigste Pipeline, doch Anfang September hat Russland seine Lieferungen gänzlich eingestellt, nachdem es zuvor die Lieferungen mit verschiedenen Begründungen schon deutlich reduziert hatte.

Dennoch können die Schäden an den Pipelines Auswirkungen auf den Gaspreis haben. Schon wenige Stunden, nachdem die ersten beiden Lecks gefunden worden waren, stieg der Preis für Fas-Futures an der Energiebörse EEX an. An den Spotmärkten schlugen sich die Ereignisse dann am Mittwoch deutlich nieder. Hatte eine Megawattstunde europäisches Gas (TTF) am Dienstag noch 168 Euro gekostet, stieg der Preis am Mittwoch auf 203 Euro an. Am Donnerstagfrüh lag er auf weiterhin hohem Niveau von 200 Euro.

"Es handelt sich dabei nicht um eine Reaktion auf eine ausbleibende Menge an Gas, die deutsche Versorgung ist nicht betroffen", sagt Malte Küper, Energieexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), im Gespräch mit t-online. "Der Anstieg drückt vielmehr eine Sorge vor weiteren Störungen der Gasversorgung auf anderen Routen aus." Zudem müsse man die Preissteigerungen auch im Kontext der vergangenen Monate betrachten, denn es habe zuletzt immer wieder auch noch deutlich stärkere Schwankungen gegeben. Zum Vergleich: In der letzten Augustwoche lag der Preis mehrere Tage lang bei rund 312 Euro, fiel danach aber deutlich ab.

Für Kunden sind diese Schwankungen nicht direkt spürbar. Die Gasversorger haben langfristige Lieferverträge abgeschlossen und damit stehen auch die Preise für einen gewissen Zeitraum fest. Kurzfristige Schwankungen schlagen somit selten auf die Gasrechnung von Privathaushalten durch. Insgesamt müssen sich Kunden aber ohnehin auf steigende Preise einstellen.

Wie soll der Fall aufgeklärt werden?

Eine genauere Untersuchung der Löcher in den Pipelines soll bei der Klärung des Falls helfen. Wie der "Spiegel" mit Verweis auf Sicherheitskreise berichtet, könnten Taucher oder ferngesteuerte Roboter schon am Wochenende zu den Löchern in den Pipelines tauchen, um die Schäden zu untersuchen.

Durch diese Untersuchung könne man im besten Fall feststellen, welche Art von Sprengstoff beim Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines eingesetzt wurde. Allerdings sei es nicht leicht, genau einzuschätzen, welche Spuren man bei einer eventuellen Untersuchung noch finden könne.

Als unwahrscheinlich gilt jedoch, dass die Pipeline repariert werden kann. Die beschädigten Röhren sind mit Meerwasser vollgelaufen, wodurch laut "Spiegel"-Bericht die spezielle Innenbeschichtung der Pipelines schnell korrodiere. Schon bei der einmaligen Flutung der Röhren könne Nord Stream anschließend nicht mehr zum Durchleiten von Gas genutzt werden.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Malte Küper
  • Interview mit Lars Winkelsdorf
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