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Sitzung im Bundestag zum Ukraine-Krieg | Merz an Putin: "Das Spiel ist aus"


Sondersitzung im Bundestag
Merz an Putin: "Genug ist genug, das Spiel ist aus"

Von dpa, t-online, rtr, afp
Aktualisiert am 27.02.2022Lesedauer: 6 Min.
Friedrich Merz: Der Bundesvorsitzende der CDU sprach während der Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz: Der Bundesvorsitzende der CDU sprach während der Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)
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Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt die deutsche Politik auf den Kopf. Kanzler Scholz kündigt einen Kurswechsel an. Auch Oppositionsführer Merz wird deutlich.

Während in der Ukraine die Kämpfe toben, leitet Deutschland eine historische Wende ein. In einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am Sonntag erklärte Kanzler Olaf Scholz:

► Die Regierung will die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro massiv stärken. Das "Sondervermögen" solle für Investitionen und Rüstungsvorhaben genutzt werden. Auch das lange verfehlte Nato-Rüstungsziel soll nun erfüllt werden. Mehr dazu lesen Sie hier.

► Zudem sollen als Reaktion auf die Abhängigkeit von russischem Erdgas zwei Terminals für Flüssigerdgas (LNG) in Deutschland gebaut werden. Als Standorte nannte Scholz Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Mehr dazu lesen Sie hier.

Die Reaktionen im Überblick

Im Anschluss an die Regierungserklärung folgte eine zweieinhalbstündige Aussprache der Fraktionen. Neben den Waffenlieferungen ging es auch um weitere Sanktionen gegen Russland und allgemein Deutschlands Position in dem Konflikt. Die wichtigsten Aussagen im Überblick:

Oppositionsführer Friedrich Merz hat der Bundesregierung Unterstützung für die Sanktionen gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine zugesagt. Die Union werde umfassende Maßnahmen unterstützen "und nicht im Kleinen herummäkeln", sagte der CDU-Vorsitzende. Wenn Scholz eine umfassende Ertüchtigung der Bundeswehr wolle, werde die Union auch gegen Widerstände den Weg mit dem Kanzler gehen, sagte Merz.

Zudem ist Merz Russlands Präsident Wladimir Putin scharf angegangen. Putin habe sich als "Kriegsverbrecher" entlarvt, sagt Merz. "Genug ist genug, das Spiel ist aus", mit Blick auf die gegen Russland verhängten Sanktionen. Die Nato habe Putin und Russland nie bedroht, das wisse auch der russische Präsident. Die einzige Bedrohung für Putin und sein System sei das eigene Volk, sei das Streben der Menschen nach Freiheit und Demokratie.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Kehrtwende Deutschlands bei Waffenlieferungen mit der Pflicht zur Verteidigung der Ukraine und der UN-Charta begründet. "Wir dürfen die Ukraine nicht wehrlos dem Aggressor überlassen, der Tod und Verwüstung über dieses Land bringt", sagte Baerbock. "Wir tun dies, weil unsere internationale Ordnung auf dem Spiel steht."

"Es ist eine klare Botschaft an Wladimir Putin", fügte die Ministerin an. "Das Preisschild dieses Krieges gegen unschuldige Menschen und der Bruch mit der Charta der Vereinten Nationen wird für das System Putin untragbar sein." Russland habe die Ukraine rücksichtslos angegriffen, dies habe wie jedes andere Land der Welt das Recht auf Selbstverteidigung. Das sei in der UN-Charta "verbrieft".

Baerbock sprach zugleich von einer grundlegenden Zäsur der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Vor wenigen Wochen habe sie im Bundestag zum Thema Waffenlieferungen gesagt, dass eine außenpolitische Wende um 180 Grad genau "im richtigem Moment" und "bei vollem Bewusstsein" getroffen werden müsse. "Jetzt ist der Moment dafür", betonte die Bundesaußenministerin.

FDP-Chef Christian Lindner sagte: "Putin hat die Ukraine angegriffen, weil sich ein souveräner Staat in freier Selbstbestimmung dafür entschieden hat, den Weg nach Westen zu gehen." Die Ukraine sei ein souveräner Staat und habe sich gegen Autoritarismus und für die Demokratie und Rechtstaatlichkeit entschieden. Deshalb sei der Angriff auf die Ukraine "ein Angriff auf uns alle", so Lindner. Es gehe jetzt darum, Russland zu isolieren – "wirtschaftlich, finanziell und politisch".

Der Finanzminister hat Union und Bundesländer aufgefordert, ihre Zustimmung zu dem geplanten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr-Finanzierung zu geben. Man werde die Verteidigungsausgaben auf mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung anheben, sagt der FDP-Chef. Aber eine jahrelange Vernachlässigung der Bundeswehr könne man nicht "von jetzt auf gleich" im laufenden Haushalt korrigieren. Die Zustimmung der Union und der Bundesländer ist nötig für die von der Regierung geplante Verankerung des Sondervermögens im Grundgesetz.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die Kehrtwende der Bundesregierung in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine gerechtfertigt. In seiner Rede im Bundestag warf der Vizekanzler am Sonntag Russland eine "Vergewaltigung" des Nachbarlands Ukraine vor. "Wer bei einer militärischen Vergewaltigung zuschaut, macht sich schuldig", sagte der Grünen-Politiker. Mit der Zusage von Waffenlieferungen zeige Deutschland, "dass wir der Ukraine helfen in dieser Stunde der militärischen Vergewaltigungsnot".

In der Debatte sagte Habeck, er empfinde Hochachtung vor einer "Position des unbedingten Pazifismus". Er fügte aber hinzu: "Ich achte sie, aber ich halte sie für falsch." Der russische Überfall auf die Ukraine erfordere konkrete Gegenmaßnahmen. Der Wirtschaftsminister kündigte "Schutzmaßnahmen" für Wirtschaftsbereiche an, die ganz besonders von den Sanktionen gegen Russland betroffen sind – "ähnlich, wie wir es in der Corona-Pandemie gemacht haben".

Zudem werde die Bundesregierung rasch Schritte einleiten, um die "hohe energiepolitische Abhängigkeit von russischen Öl-, Gas- und Kohleexporten" zu verringern. Sie werde "zeitnah" ein Gesetz vorlegen, das darauf abzielen soll, die Gasspeicher in Deutschland voll zu halten, sagte Habeck. Der "Hochlauf" von Wasserstofftechnologie und erneuerbaren Energie solle engagiert umgesetzt werden.

► Zum Auftakt der Sondersitzung zum Ukraine-Krieg hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) die Solidarität Deutschlands mit dem Land versichert. "Der Deutsche Bundestag und die Menschen in unserem Land stehen fest an der Seite der freien und demokratischen Ukraine", sagte Bas. Sie sprach von einer "historischen Ausnahmesituation. Der im Bundestag anwesende ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, wurde von den Abgeordneten mit lang anhaltendem Applaus begrüßt.

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"Dieser Überfall ist ein klarer Bruch des Völkerrechts und ein Angriff auf die Prinzipien der freiheitlichen Welt", sagte die Bundestagspräsidentin. "Prinzipien, die für Deutschland und für alle Demokratien weltweit unverhandelbar sind."

"Wir alle stehen unter dem Eindruck dramatischer Ereignisse", sagte Bas weiter. "Was der Westen mit vereinten Kräften zu verhindern versucht hat, ist doch eingetreten: Wir haben Krieg in Europa." Russlands Präsident Wladimir Putin habe "die Ukraine angegriffen, die Souveränität des Landes brutal verletzt, den Menschen in der Ukraine das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen". Es komme jetzt darauf an, gleichermaßen besonnen und entschlossen zu handeln, im Bündnis der demokratischen Staaten.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat an Chinas Präsident Xi Jinping appelliert, sich bei Kreml-Chef Wladimir Putin für ein Ende des russischen Angriffs auf die Ukraine einzusetzen. "Präsident Xi, ändern Sie Ihren Kurs. Stoppen Sie den Krieg Putins. Nur dann kann China eine internationale Ordnung für den Frieden in Zukunft mit prägen", sagte Mützenich. Die chinesische Regierung müsse sich fragen, "wie lange sie die Spannung zwischen ihren außenpolitischen Grundsätzen und einer mitleidlosen Interessenpolitik noch aushalten kann".

Der russische Überfall sei die Rückkehr zu einer kriegerischen Großmachtpolitik, kritisierte Mützenich. "Es besteht die Gefahr eines Flächenbrandes", warnte er. Deswegen erhoffe man sich die Unterstützung für die Sanktionen gegen Russland von weiteren Regierungen außerhalb des Westens. Er sei sicher, dass die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung die Aggression Russlands verurteile. Zugleich betonte der SPD-Politiker, es sei richtig gewesen, dass der UN-Sicherheitsrat versucht habe, die russische Aggression aufs Schärfste zu verurteilen. Russlands Veto ändere daran nichts. "Putin hat sein Vetorecht moralisch und politisch verwirkt", sagte Mützenich unter Beifall.

► Die Fraktionschefin der Linken, Amira Mohamed Ali, hat die Waffenlieferungen an die Ukraine und die Erhöhung der Ausgaben für die Bundeswehr kritisiert. "Dieses Hochrüsten, diese Militarisierung, die können und werden wir als Linke nicht mittragen", sagte sie. Daran habe sich "bei aller Nachdenklichkeit nichts geändert".

Die Linke habe die "tiefe Überzeugung, dass Abrüstung und Demokratie der Weg zu Frieden sind", sagte Mohamed Ali weiter. "Daher können wir niemals zustimmen, dass Waffen in Krisengebiete geliefert werden und aufgerüstet wird", sagte die Fraktionschefin mit Blick auf die deutschen Waffenlieferungen und die von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigten zusätzlichen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.

Die Fraktionsvorsitzende gestand im Bundestag zugleich die Fehleinschätzung ihrer Partei mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein. "Ich räume hier in aller Deutlichkeit ein, dass wir die Absichten der russischen Regierung falsch eingeschätzt haben", betonte Mohamed Ali. "Wir sehen die Lage heute anders und sagen klar: Putin ist hier der Aggressor und muss sofort aufgehalten werden."

► Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel hat dem Westen eine Mitverantwortung für den Angriff Russlands auf die Ukraine gegeben. Die Hardliner hätten starr an der Nato-Beitrittsperspektive für die Ukraine festgehalten und dabei überheblich Russland den Großmachtstatus abgesprochen, sagte Weidel am Sonntag in der Sondersitzung des Bundestags. "Das ist das historische Versagen des Westens: die Kränkung Russlands." Dies ändere nichts an der "Verwerflichkeit des russischen Einmarsches", fügte sie hinzu.

"Deutschland hat in seinem gegenwärtigen Zustand nichts aufzubieten, um den Worten auch Tagen folgen zu lassen", sagte Weidel weiter. Sanktionen, die den eigenen Bürgern mehr Schaden zufügten als denen, gegen die sie sich richten, könnten den Krieg nicht beenden. Sie seien letztendlich Alibipolitik – "so wie das Anstrahlen des Brandenburger Tores in den ukrainischen Nationalfarben". Auch sicherheitspolitisch sei Deutschland ein "Leichtgewicht" geworden. "Eine heruntergewirtschaftete Armee und eine marginalisierte Rüstungsindustrie, das ist das Erbe von 16 Jahren Angela Merkel."

Weidel sagte, die Herausforderung, eine europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die das Ost-West-Blockdenken überwindet, sei schwieriger geworden, aber nicht vom Tisch. "Deutschland kann und sollte hier eine wichtige Rolle als ehrlicher Makler spielen." Deutschland dürfe sich "bloß nicht unreflektiert in einen Krieg hineinziehen lassen", warnte die AfD-Politikerin.

Die vollständige Regierungserklärung von Kanzler Scholz finden Sie hier im Wortlaut.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters
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