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Ein Besuch in Nordirland: "Der Brexit wird Irland und Nordirland vereinen"


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Besuch an der britischen Grenze
"Der Brexit wird Irland und Nordirland vereinen"

Aus Nordirland berichtet Nathalie Helene Rippich

12.04.2019Lesedauer: 4 Min.
Bronagh McAtasney (Mitte) und Paulina Bork (rechts) mit Schulfreundin Samantha: Für die Teenager ist der Brexit ein großes Thema – alles könnte sich dadurch für sie ändern. Bronagh macht genau das sauer.Vergrößern des Bildes
Bronagh McAtasney (Mitte) und Paulina Bork (rechts) mit Schulfreundin Samantha: Für die Teenager ist der Brexit ein großes Thema – alles könnte sich dadurch für sie ändern. Bronagh macht genau das sauer. (Quelle: Nathalie Helene Rippich/t-online)
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Newry ist eine nordirische Kleinstadt nahe der Grenze zur Republik Irland. Zwei Drittel der Menschen hier wollten keinen Brexit. Dass er nun ewig nicht kommt, lässt sie auf die Zukunft hoffen. Ein Besuch in einem Café in Nordirland.

Acht Kilometer trennen Newry von Irland. Die Kleinstadt liegt in Nordirland und ist Teil des Vereinigten Königreichs – und damit auf dem Weg, die Europäische Union zu verlassen. Grenzen spielen hier seit Jahrhunderten eine Rolle. Im 12. Jahrhundert sind die Briten von der Nachbarinsel nach Irland gekommen und haben sich niedergelassen. Seitdem wurde immer wieder gekämpft – bis in die 1990er Jahre. 53 Menschen verloren während der "Troubles" hier ihr Leben. Die Ausschreitungen im Nordirlandkonflikt zwischen den 60er- und 90er-Jahren beschäftigen die Menschen bis heute.

Bronagh McAtasney ist 51 Jahre alt. Als Menschen bei Bombenexplosionen sterben, erschossen werden oder sich aus Protest zu Tode hungern, ist sie ein Teenager. Sie ist Katholikin, mag Jungs, beschäftigt sich mit ihrem Aussehen – und wächst mit der Gewalt auf. Auszüge aus ihrem Tagebuch aus dieser Zeit veröffentlicht sie bei Twitter. Außerdem sammelt sie Briefe und Notizen von Mädchen und Frauen aus der Zeit der Kämpfe. "Ich will, dass endlich die zu Wort kommen, die damals nicht gehört wurden. Wir waren normale Teenager, die die gleichen Wünsche und Träume hatten wie andere", sagt sie 21 Jahre nachdem die "Troubles" durch das Karfreitagsabkommen ein Ende gefunden haben.

In einem gut gefüllten Café in der Innenstadt von Newry, dem "Grounded", sitzt Paulina Bork zusammen mit Bronagh. Die Schülerin ist 17 Jahre alt – ein Teenager, der ebenso wie McAtasney turbulente Zeiten durchlebt. Bisher weitestgehend ohne Gewalt. Paulina ist klein, sieht jünger aus, was von der Schuluniform unterstrichen wird. Davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Bronagh nennt ihre Schülerin einen "Firecracker", zu deutsch: einen Knaller.

Die Unsicherheit treibt Menschen aus dem Land

Der Grund wird deutlich, sobald Paulina spricht. Mit fester Stimme, ohne Scheu vor den politischen Fragen aus Deutschland, erzählt sie in nordirischem Akzent, was sie umtreibt: Der Brexit. Vor zehn Jahren ist sie mit ihren Eltern aus Polen gekommen. Die Familie hoffte hier auf ein besseres Leben – und lange sah es gut aus. Die Eltern fanden Arbeit, Paulina fand sich gut ein, lernte die Sprache und brachte gute Leistungen in der Schule. Nordirland wurde ihr zuhause. Doch nun wollen die Eltern zurück. Aus Angst vor den Folgen des Brexit. Die Unsicherheit ist zu groß, die Angst um den Job, um die Existenz.

Paulina aber will bleiben. "Ich will hier studieren. Irland oder Nordirland, etwas anderes kommt für mich nicht in Frage", sagt sie. Während sie spricht, blickt Bronagh gedankenverloren in ihren Kaffee. Sticht mit dem Löffel in das Muster aus Milchschaum. Dann sagt sie: "Es ist eine Schande, was die mit den jungen Leuten hier machen."

Die, das sind "die in Westminster", die Politiker im fernen London. So nennen die beiden Theresa May und die Abgeordneten. "Sie sind weit weg und kümmern sich nicht um uns", sagt Paulina. "Niemand hat bei dem Referendum an die Grenze in Irland gedacht." Und jetzt steuert alles auf ein großes Desaster zu. Auch da sind sich Bronagh und Paulina einig: Der Brexit wird für Nordirland eine Katastrophe – mit oder ohne Deal.

Der Brexit kann schaffen, was die IRA nicht erreicht hat

"Wir haben hier keine nennenswerte Industrie. Wir haben ein paar Wiesen, Schafe, Kühe", sagt Bronagh. Die meisten Menschen sind im öffentlichen Dienst angestellt – viele Projekte werden von der EU gefördert. "Wenn das wegfällt – wovon sollen die Menschen hier leben", fragt sie und zuckt resigniert mit den Schultern. Es gebe andauernd Infoveranstaltungen zum Brexit. Dabei werde deutlich: Keiner weiß, was passieren wird. Die Unsicherheit besteht in Nordirland nicht darin, ob May ihren Deal durchbringt oder nicht. Der Brexit und die vielen Fragezeichen selbst sind hier das Problem. Bronagh glaubt, dass er das zu schaffen vermag, was die IRA mit Hunderten Bomben nicht geschafft hat: die Insel Irland zu vereinen.

Nordirland hat ein eigenes Parlament. Gearbeitet wird dort zurzeit nicht. Hunderte Entscheidungen stehen aus. Alles liegt still. Die irisch-republikanische Sinn Féin und die unionistische DUP – die analog für die Konfliktparteien auf der "grünen Insel" stehen – können sich nicht einigen. Wer unter dem Patt am meisten leidet: die Menschen, deren Zuhause Nordirland ist. Sie warten auf Geld – für soziale Projekte, für Bildung und vieles mehr, das das Leben besser machen würde. Und sie warten auf jemanden, der sich für sie stark macht.

Bronaghs Rechnung: Wenn Nordirland mit aus der EU austreten muss, wird sich das Land Irland zuwenden. Denn von London sind hier viele enttäuscht – Katholiken und Protestanten. Es wird zu einem Referendum kommen, bei dem für eine Vereinigung mit der Republik gestimmt wird, sagt sie. Westminster wird dieses Verlangen nicht überhören können. "Irland wird wieder eins.“ Bronagh weiß nicht, ob sie das gut findet. „Es würde sich so vieles ändern. Unser Leben heute ist so viel besser als vor 30 Jahren." Aber sie ist davon überzeugt.

Paulina hofft auf ein zweites Referendum

Paulina schöpft Hoffnung aus der Bereitschaft der EU, den Brexit immer weiter aufzuschieben. Im September wird sie 18, ist damit wahlberechtigt. Ihre Rechnung geht anders: Je länger Großbritannien braucht, um auszutreten, desto mehr Legitimation verliert das Referendum. Die Wahlbeteiligung unter den jungen Menschen war 2016 gering. "Niemand hat doch ernsthaft geglaubt, dass irgendjemand das will", sagt sie. Die Alten hätten entschieden – und nun bräuchten die Jungen – auf beiden Inseln – eine zweite Chance. "Es muss ein zweites Referendum geben. Diesmal wissen wir, was auf dem Spiel steht. Ich weiß, dass es anders ausgehen würde“, sagt Paulina. Eine neue Generation müsse mit den Folgen leben, sie wird sich erheben.


Bronagh fragt, wieso sie bislang nicht demonstrieren und nicht unabhängig von einem zweiten Referendum klarmachen, was sie wollen. "Wir werden nicht gehört", antwortet Paulina nüchtern. Für Nordirland interessiere man sich in London nicht. Auch da sind Bronagh und Paulina sich einig.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche vor Ort
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