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Nordirland vor dem Brexit: "Es gibt noch immer Schießereien, Morde, Bombendrohungen"


Meinung
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Nordirland vor dem Brexit
"Es gibt noch immer Morde, Schießereien, Explosionen"

MeinungEin Gastbeitrag von Bronagh McAtasney

Aktualisiert am 27.02.2019Lesedauer: 7 Min.
Ermittler untersuchen die Überreste eines Autos: Am 20. Januar explodierte in Londonderry eine Autobombe.Vergrößern des Bildes
Ermittler untersuchen die Überreste eines Autos: Am 20. Januar explodierte in Londonderry eine Autobombe. (Quelle: Charles McQuillan/Getty Images)

Es ist das heikelste Thema des Brexits: Kommt eine neue Grenze zwischen Irland und Nordirland? In Nordirland ruft die Aussicht Ängste hervor.

Die britische Premierministerin Theresa May verliert eine Abstimmung nach der anderen. Ein Brexit ohne Plan, wie es danach weitergeht, rückt immer näher. Die große Streitfrage: Wie geht es an der dann entstehenden EU-Außengrenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland weiter? Die EU müsste dann die Grenze kontrollieren, will aber eine feste Grenze unbedingt vermeiden.

Denn bis 1998 herrschte in Nordirland so etwas wie ein ethnischer Bürgerkrieg. Irisch-katholische Republikaner wollten Nordirland mit dem mehrheitlich katholischen Irland vereinen, britisch-protestantische Unionisten wollten näher an Großbritannien rücken. Die katholische IRA ermordete Menschen, die protestantische UVF ermordete Menschen, britische Soldaten ermordeten Menschen. Insgesamt wurden rund 3.500 Menschen getötet, darunter etwa die Hälfte Zivilisten.

In den Achtziger- und Neunzigerjahren begann ein echter politischer Verhandlungsprozess, der im Karfreitagsabkommen 1998 gipfelte. Darin verpflichten sich die wichtigsten paramilitärischen Gruppen, die Waffen niederzulegen, Irland verzichtet auf Forderungen nach einer Vereinigung mit Nordirland. Die Bevölkerung in Irland und Nordirland nimmt das Abkommen in einem Referendum an.

Durch den Brexit könnten bald Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland nötig werden. Und dann? Wie gefährlich wäre das? Wie prekär ist der Friede?

Bronagh McAtasney, 52, lebt in Nordirland, acht Kilometer von der Grenze entfernt. Sie ist im Konflikt aufgewachsen, hat Freunde verloren und sagt: Die Gefahr ist real.

Im Jahr 1982 hat es einmal an unserer Haustür geklopft. Ich war damals 14 Jahre alt und lebte mit meiner Familie in Newry im Süden Nordirlands. Draußen standen sieben bewaffnete IRA-Kämpfer. Als mein Vater öffnete, drängten die Männer ins Haus. Sie planten einen Hinterhalt und unser Haus lag günstig. Zum Glück tauchten die Polizisten nicht dort auf, wo die IRA sie erwartet hat. Niemand wurde verletzt in dieser Nacht, die wir zusammen in einem Zimmer verbringen mussten.

Die drohende Grenze zwischen Nordirland und Irland nach dem Brexit ist die große Streitfrage zwischen EU, Theresa Mays Regierung und den radikalen Brexiteers. Manchmal klingt der Streit abstrakt, wenn es um den „Backstop“ geht zum Beispiel. Aber wenn man in Nordirland aufgewachsen ist wie ich, dann ist es nicht abstrakt. Ich mache mir Sorgen. Die Leute um mich herum auch. Ich fürchte, dass die britische Regierung nicht versteht, was alles auf dem Spiel steht – und es steht viel auf dem Spiel.

Inhaftierte Kämpfer waren für uns Teenager wie Rockstars

Der Nordirlandkonflikt zwischen den irisch-katholischen Republikanern und den protestantisch-britischen Unionisten begann zwei Jahre nach meiner Geburt. Ich bin also damit aufgewachsen. Meine Familie ist katholisch. Wirklich politisch waren wir nicht, aber wir sind aufgewachsen mit dem Gefühl, Iren zu sein.

Geboren wurde ich in einer ruhigen eher ländlichen Gegend. Ende der Siebziger, sind wir dann nach Newry gezogen, wo später die IRA an unsere Tür klopfte. Die Stadt liegt etwa acht Kilometer nördlich der Grenze zu Irland. Soldaten waren um uns herum, Checkpoints, Bomben explodierten, das war Alltag.

Inhaftierte Kämpfer der IRA, die in den Hungerstreik traten, waren so etwas wie Rockstars für uns katholische Teenager. Einige meiner Freunde sind sogar zur IRA gegangen. Die Truppe bot ihnen das Gefühl, dazuzugehören, oder sie fühlten sich als Verteidiger der Heimat. Einer hat sich versehentlich in die Luft gesprengt, mit 20 Jahren, als er eine Bombe bastelte. Ein anderer Freund von mir wurde erschossen, da war er 16 oder 17. Andere saßen im Gefängnis.

Bronagh McAtasney veröffentlicht auf Twitter unter dem Kürzel @NrnIrngirl1981 Notizen aus ihrem Tagebuch als Teenagerin, aus dem Leben einer 13-Jährigen zwischen Musik, Beziehungen und der politischen Gewalt, die sie umgab.

Der Brexit gefährdet, was sich im Frieden entwickelt hat

In den Achtzigern bin ich in die Hauptstadt gezogen, nach Belfast, dort habe ich gearbeitet und später Politik studiert. Gewalt brach ständig einfach so aus. Damals war es ganz normal, dass irgendwo eine Bombe hochging. Der Name, die Schule, auf der man war, die Universität, die man besuchte, all das verrät in Nordirland sofort, ob man Katholikin oder Protestantin ist. Also passte man auf, mit wem man sprach, was man sagte, wem man sich vorstellte.

Im Jahr 1994 habe ich das Land verlassen und bin in die USA gegangen. In diesen Jahren änderte sich das Klima merklich. Mehr Leute gingen in die Politik, anstatt zu bomben. Im Rückblick weiß man, wie aktiv in diesen Jahren verhandelt wurde. Vom Waffenstillstandsabkommen 1994 und vom Karfreitagsabkommen 1998, das den Konflikt formal beendete, habe ich aus der Ferne erfahren. Die Hoffnungen waren groß. Leider kam dann bald der Stillstand. Es wurde ruhiger, es wurde viel besser. Ganz vorbei war die Gewalt allerdings nie.

Acht Jahre nach dem Karfreitagsabkommen, 2006, bin ich zurückgekommen – nach Nordirland und nach Newry. Auch den Menschen hier geht es viel besser, seit es Frieden gibt, seitdem geht es merklich aufwärts. Doch jetzt droht der Brexit und damit eine neue Grenze und vielleicht sogar neue Gewalt. Die Leute reden jeden Tag darüber. Der Brexit gefährdet alles, was sich hier entwickelt hat.

Unsere Leben sind nicht so einfach zu entwirren

Die Wirtschaft läuft besser, aber sie boomt nicht, die Gegend ist immer noch nicht wohlhabend. Wir sind darauf angewiesen, mit Irland zu handeln und mit Großbritannien auch. EU-Geld hält alles zusammen. Die Unternehmer bekommen deshalb gerade richtig Panik. Einer ist schon über die Grenze gezogen, das hat einige Leute hier den Job gekostet.

Wenn ich am Wochenende an die Küste fahre, überquere ich vielleicht viermal oder fünfmal die Grenze, genau weiß ich es gar nicht. Ich kaufe mein Benzin immer in Irland, weil es dort viel günstiger ist. Ich habe Freunde, die im Norden arbeiten, aber im Süden leben. Ich kenne einen Unternehmer, dessen Firmengebäude steht in Nordirland, aber sein Hof liegt in Irland. Soll man da eine Grenze hochziehen? Wie? Das ist doch absurd!

Das ist also das eine Problem: dass unsere Leben hier nicht mehr so einfach zu entwirren sind. Das andere Problem ist: dass die Grenze, wenn sie kommt, an manchen Stellen kontrolliert werden wird.

Ich will keine Panik schüren, aber es wieder aufflammen

Es wird also Checkpoints geben, die wird man bewachen müssen, mit Schlagbäumen, Wachhäuschen, mit Polizisten oder sogar Soldaten. Dann sieht es aus wie früher, als die Grenze noch extrem hochgerüstet war und schwer bewaffnete Soldaten Autos durchsuchten. Und dann droht neue Gewalt. Ich will keine Panik schüren und ich glaube auch nicht, dass es wieder so schlimm wird wie damals, aber: Es kann passieren. Alles andere zu glauben, wäre naiv.

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Leute denken manchmal, es gebe jetzt Frieden und alles sei gut in Nordirland. Das ist ein Irrtum. Es schwelt immer noch. Vergangene Woche war eine Straße außerhalb der Stadt hier ganz in der Nähe für Stunden gesperrt, die Polizei hat eine Bombe entschärft. So etwas passiert immer wieder, man bekommt es anderswo nur nicht mit. Es gibt noch immer Schießereien, Morde, Bombendrohungen und Explosionen, wenn auch nicht mehr vergleichbar mit früher. Es gibt da draußen immer noch Menschen, die werde in einem bewachten Grenzposten ein Ziel sehen. Viele sind es nicht, aber genug, um alles neu anzufachen.

Massaker wurden nie aufgearbeitet, die Trennung wirkt immer noch

Man muss verstehen, wie weit der Konflikt zurückreicht: Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, mindestens bis zur Teilung Irlands, als Nordirland geschaffen wurde. Die „Troubles“, wie wir den Nordirlandkonflikt nennen, waren die moderne und furchtbarste Manifestation, aber Konflikte gab es schon lange vorher.

Man muss verstehen, dass der Konflikt nie wirklich aufgearbeitet wurde, dass Massaker nicht thematisiert wurden, dass ich mit anderen Nordiren kaum je so frei über die Vergangenheit rede, wie es ich es hier tue. Man weiß nie, wer was getan oder erlebt hat, also ist man vorsichtig.

Und man muss verstehen, wie stark die Trennung noch immer ist. Nicht nur in Belfast sind immer noch Stadtviertel komplett segregiert. In Städten stehen Mauern. Wir haben immer noch katholische und protestantische Schule und fast keine gemischten. Leute wachsen immer noch separiert auf.

Aus diesen Gründen ist die Angst vor neuer Gewalt keine Panikmache, sondern gut begründet und berechtigt. Uns hier war immer klar, was nach einem Brexit passieren würde. Es ist ja auch kein Zufall, dass hier eine Mehrheit für den Verbleib in der EU war. Trotzdem war Nordirland in der gesamten Brexit-Debatte kein Thema.

Ich glaube, Nordirland wird von den meisten Menschen auf der britischen Insel als Bürde betrachtet. Wir machen Ärger. Wir kosten Geld. Wir witzeln gern, dass wir niemandes Kind sind. Wir wissen, dass die Briten uns nicht wirklich wollen, und wahrscheinlich wollen uns die Iren auch nicht wirklich. Die Remain-Kampagne hat einen lausigen Job gemacht, aber ich bezweifle leider, dass es Menschen etwa in England wirklich interessiert hätte.

Noch wäre Zeit, einzusehen, dass keine Grenze kommen darf

Und so rückt der Tag näher, an dem ich vielleicht wieder an einer echten Grenze wohne. An dem wieder bewaffnete Polizisten an Checkpoints stehen. Keiner weiß, was dann passiert. Ich verstehe die Position der EU. Sie muss sich hinter Irland stellen, wenn sie nachgibt, bekommt sie richtige Probleme. Das Problem ist eben, dass niemand darüber nachgedacht hat, was es bedeutet, eine Grenze zu schaffen, die man nicht kontrollieren kann und die man nicht kontrollieren sollte. Noch wäre Zeit, das einzusehen.

Leider habe ich den Eindruck, dass die konservative Partei nur an ihre eigene Macht denkt und keinen Schritt weiter. Sie würde alles tun, um an der Macht zu bleiben, und setzt dabei unsere Sicherheit, Stabilität und unseren Alltag leichtfertig aufs Spiel. Unterstützt wird sie auch noch von der nordirischen DUP, die gegen die EU ist und die immer noch von der Größe Großbritanniens träumt. Ich fühle mich im Stich gelassen und verraten, von beiden.

Ich rede viel mit Menschen hier. Und ich kann sagen: Wir wollen nicht, dass es wieder wird wie früher. Wir wollen es einfach nicht.

Verwendete Quellen
  • Gastbeitrag; Protokoll: Jonas Schaible
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