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Wo Opfer einer Vergewaltigung Hilfe bekommen


Aktualisiert am 04.06.2018Lesedauer: 6 Min.
Frau in Abwehrhaltung: Opfer einer Vergewaltigung haben keine Schuld. Schuld hat nur der Täter.Vergrößern des Bildes
Frau in Abwehrhaltung: Opfer einer Vergewaltigung haben keine Schuld. Schuld hat nur der Täter. (Quelle: markgoddard/getty-images-bilder)
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Eine Vergewaltigung ist nicht nur ein Angriff auf den Körper – auch die Seele wird massiv beschädigt. Betroffene wissen meist nicht, wie sie sich nach einer solch schrecklichen Tat verhalten sollen. Eine Expertin gibt wichtige Tipps für Opfer und erklärt, wo sie die nötige Hilfe bekommen.

2017 gab es laut einer Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) in Deutschland fast 12.000 Anzeigen wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung. Die Dunkelziffer ist aber vermutlich viel höher, denn aus Scham zeigen Betroffene die Tat nicht immer an.

Eine Vergewaltigung liegt dann vor, wenn eine Person gegen ihren Willen zum Sex oder zu anderen sexuellen Handlungen gezwungen wird – egal ob durch den Ehepartner, eine bekannte oder unbekannte Person. "Sehr häufig sind Vergewaltigungen Beziehungstaten, unbekannte Täter sind in der Minderzahl", erklärt Kristina Erichsen-Kruse t-online.de. Sie ist stellvertretende Landesvorsitzende des Weißen Rings in Hamburg, der sich um Kriminalitätsopfer und deren Angehörige kümmert.

Das Wichtigste: Sie sind nicht schuld

Wenn Frauen Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, machen sich viele völlig zu unrecht Selbstvorwürfe. "Die Opfer haben keine Schuld. Schuld hat nur der Täter. Und auch sonst niemand – sondern nur der Täter. Er ist allein verantwortlich für diese Tat", betont Erichsen-Kruse mit Nachdruck.

"Eine Frau muss betrunken und nackt im Wald liegen können, ohne dass irgendjemand meint, sich an ihr vergreifen zu dürfen. Eine Frau muss auch nicht großartig 'Nein' sagen müssen. Der Respekt gebietet es, nicht übergriffig zu werden – weder verbal, geschweige denn körperlich", sagt Erichsen-Kruse unmissverständlich.

Immer zuerst die Polizei rufen

Opfer einer Vergewaltigung befinden sich in einer schrecklichen Ausnahmesituation und stehen oft unter Schock. Auch wenn es große Überwindung kostet und Angst und Scham meist eine Rolle spielen: Rufen Sie immer zuerst die Polizei oder die Feuerwehr.

"Nur diese beiden Berufsgruppen wissen, was danach zu tun ist", sagt Erichsen-Kruse, die seit 2000 ehrenamtlich für den Weißen Ring in Hamburg arbeitet. "Wenn Betroffene in das nächste Notfallkrankenhaus gehen – bei schweren Verletzungen ist das allerdings manchmal nötig – dann können dort unter Umständen Spuren vernichtet werden, weil die Ärzte gar nicht daran denken, was sie alles als Beweis sichern müssen. Da stehen andere Kriterien im Vordergrund."

Beweise sichern

Bei der Polizei werden die Opfer unter anderem eingehend zum Tatort, zur Tatzeit, zum Täter und der Tat befragt. Für das Opfer und die Angehörigen ist es manchmal schwer nachvollziehbar, warum diese Befragung so gut wie unmittelbar nach der Tat geschieht. "Die Polizei muss das machen. Das ist auch eine Form der Beweissicherung. Je gründlicher die Tat aufgeklärt ist, desto eher kann ein Tatverdächtiger vor Gericht gestellt werden", erklärt Erichsen-Kruse.

Damit die Polizei wichtige Beweise wie DNA-Spuren sichern kann, sollten Betroffene Folgendes beachten:

  • Opfer einer Vergewaltigung sollten sich nicht waschen, bevor sie zur Polizei gehen oder ärztlich untersucht wurden.
  • Kleidung, die zur Tatzeit getragen wurde, sollte ebenfalls nicht gewaschen werden.
  • Alle Kleidungsstücke, auch zerrissene Sachen, sollten aufbewahrt und nicht weggeworfen werden.
  • Auch Taschentücher sollten nicht entsorgt werden, wenn sie mit dem Täter oder seinen Spuren in Berührung gekommen sind.
  • Beweise auf keinen Fall in einer Plastiktüte aufbewahren, sondern am besten in eine Papiertüte packen. Sonst können sich Pilze und Bakterien bilden, die die DNA-Spuren zerstören können.

"In der Wirklichkeit sieht es häufig so aus, dass betroffene Opfer große Schwierigkeiten haben, diesen Ratschlägen zu folgen, weil der Drang einfach da ist, sich von diesem Schmutz zu befreien. Die Frauen werden die Kleidung, die sie bei einer solchen Tat angehabt haben, nie wieder tragen und deswegen neigen sie auch dazu, sie wegzuwerfen. Aber jede verlorene Spur mindert die Chance den Täter dingfest zu machen – egal ob bekannt oder unbekannt", betont Erichsen-Kruse.

Ärztliche Versorgung

Die Polizei bringt das Opfer in der Regel in die Rechtsmedizin. Dort werden die Betroffenen ärztlich versorgt, es werden Untersuchungen durchgeführt und alle Spuren gesichert, sodass es gerichtsfeste Beweise gibt. "In der Rechtsmedizin kann auch sofort entschieden werden, ob eine Prophylaxe gemacht werden muss. Insbesondere bei unbekannten Tätern wird oft eine HIV-Prophylaxe angestrebt", weiß die Expertin und weist darauf hin: "Das wird von keinem normalen niedergelassenen Arzt gemacht."

Diese Prophylaxe, also eine Vorsorge, sollte innerhalb kurzer Zeit geschehen – 24 Stunden seien da noch ziemlich weit gefasst, sagt Erichsen-Kruse. In der Rechtsmedizin wissen die Ärzte allerdings in jedem Fall, was zu tun ist. Auch die "Pille danach" sei nach der Prophylaxe nicht mehr nötig.

Professionelle Betreuung

Im letzten Schritt sorgt die Polizei dafür, dass Hilfestellen wie der Weiße Ring oder andere Opferhilfevereine einbezogen werden, wenn das Opfer das möchte. Meist setzen sich die Betroffenen ein paar Tage nach der Tat mit den Hilfsorganisationen in Verbindung oder umgekehrt. Von da an betreuen sie die Opfer, solange sie die Hilfe brauchen.

"Wir arbeiten ehrenamtlich und sind, wenn wir aufgefordert werden binnen 24 Stunden in Kontakt mit den Opfern. Wir begleiten die betroffenen Frauen überall hin, fragen aber nicht im Einzelnen nach der Tat, weil uns das nichts angeht, wenn die Frauen nicht darüber sprechen wollen. Wir sind keine Ermittlungsbehörde", erklärt Erichsen-Kruse die Betreuung vom Weißen Ring.

Auch die Vermittlung von Psychologen, Therapeuten und Rechtsanwälten übernimmt die Organisation. Unter Druck setzen müssen sich die Opfer allerdings nicht. "Es gibt Frauen, die ziehen sich erst mal zurück und wollen überhaupt nichts mehr wissen von der Welt, solange bis sie eines Tages von selbst so weit sind. Und das ist für uns völlig in Ordnung, wir haben Zeit. Wir können warten, bis sie sagen, jetzt will ich doch Hilfe. Und das kann auch ein halbes Jahr dauern."

Was Betroffenen helfen kann

Aus Scham oder weil sie sich selbst irgendwie schuldig fühlen, fällt es den Opfern meist schwer, mit der Familie oder Freunden über die Tat zu sprechen. "Eine Vergewaltigung ist die demütigendste Erfahrung, die eine Frau machen kann. Einem anderen Menschen derart ausgeliefert zu sein und darüber zu sprechen, das geht im Prinzip am allerbesten mit Menschen, die nicht zum engeren Kreis gehören", weiß Erichsen-Kruse.

Sie empfiehlt Betroffenen, mit Traumatherapeuten und zum Beispiel der Traumaambulanz zu sprechen. Hier können sie ihren Emotionen freien Lauf lassen und weinen, schreien oder toben – Reaktionen, die Angehörige vielleicht überfordern könnten.

Was die Familie tun kann und was sie nicht tun darf

Die Familie – also Eltern, Geschwister, der Partner und die Kinder – sind natürlich auch von dem Vorfall betroffen. Wenn alle Beteiligten damit einverstanden sind, werden auch sie von den Hilfsorganisationen mitbetreut. Denn das Verhalten der Familie ist in dieser Situation sehr wichtig für das Opfer: Unter keinen Umständen sollten ihm Vorwürfe gemacht werden.

Gegenüber dem Weißen Ring hingegen können betroffene Familien auch Meinungen äußern, die sie der Betroffenen gegenüber nicht aussprechen sollten. Dazu gehören laut der Expertin Gedanken wie: 'Ich hab gleich ein schlechtes Gefühl gehabt bei dem Mann – hätte ich ja sagen können, aber ich hab mich nicht getraut.' Oftmals seien Betroffene und ihre Angehörigen aber so belastet, dass sie gar nicht mehr miteinander sprechen könnten. Auch hier können Hilfen vermittelt werden.

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Helfen können Angehörige und Freunde dem Opfer dagegen am besten, indem sie einfach zuhören und für die Betroffene da sind.

Müssen Vergewaltigungen immer angezeigt werden?

Viele Frauen scheuen sich davor, den Täter anzuzeigen, weil sie ihm beispielsweise nicht noch einmal begegnen wollen. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung rät Erichsen-Kruse den betroffenen Frauen aber, eine Vergewaltigung immer anzuzeigen.

"Es muss zu einer Rechtsprechung kommen. Die Verteidiger des Täters nötigen dem Opfer zwar mitunter auch eine mühsame Gerichtsverhandlung auf, aber die Frau, die das durchgestanden hat und dem Täter wirklich in die Augen geguckt hat, kann klar sagen: 'Ich hab ihn gesehen und er hat gesehen, dass er mich nicht kleinkriegt' – und das kann ihr sehr helfen."

Dafür brauchen die Opfer einen guten Anwalt, dessen Profession die Strafverteidigung ist – es sollte beispielsweise kein Scheidungsanwalt oder ein Anwalt für Erbrecht sein. Bei der Vermittlung unterstützen die Hilfsorganisationen die Betroffenen bei Bedarf tatkräftig. Der Täter kann nur durch eine Anzeige gefasst und mögliche Folgetaten verhindert werden.

Folgen einer Vergewaltigung

Eins ist klar: Ein solches Erlebnis ist so einschneidend, dass es die Betroffenen für den Rest ihres Lebens begleiten wird. Deshalb ist es wichtig, dass die Opfer sich frühzeitig beraten und helfen lassen, um posttraumatische Belastungsstörungen zu verhindern.

"Wenn Betroffene rechtzeitig Hilfe bekommen, durch entsprechend fachliche Interventionen, dann ist das Erlebnis zwar da, aber es bestimmt nicht ihr Leben. In der Regel ist es so, dass sie dieses Datum nie vergessen, weil sich von da an ihr Leben ändert – ob sie wollen oder nicht. Aber sie können wieder Spaß haben und sie können auch wieder einen Freund haben. Dann ist ein normales Leben wieder möglich – auch wenn die Tat nie wirklich ganz verschwindet", versichert die Expertin und macht Mut: "Aber letztendlich: Es ist keine unheilbare Krankheit, Sie können alles in den Griff kriegen!"

Hilfsangebote:
Deutschlandweit gibt es Opferhilfevereine und Frauennotrufe, an die sich Betroffene anonym und kostenfrei wenden können. Dazu gehören:
Weißer Ring: www.weisser-ring.de; Opfer-Telefon 116 006
Hilfetelefon: www.hilfetelefon.de; Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" 08000 116 016
Hilfeportal Sexueller Missbrauch: www.hilfeportal-missbrauch.de; Hilfetelefon Sexueller Missbrauch 0800 22 55 530
Hilfsangebote in Ihrer Umgebung finden Sie hier: www.frauen-gegen-gewalt.de/hilfe-vor-ort.html

Verwendete Quellen
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