Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Das schleichende Volksleiden Millionen sind betroffen – und werden nicht ernst genommen
Ein Fünftel der Bevölkerung erkrankt im Laufe des Lebens an dieser Krankheit. Doch allzu oft wird über Depressionen hinweggesehen. Die Gefahren und Ursachen können vielfältig sein.
Sie "schwächelt ein bisschen", er "macht auf Psycho". Solche und ähnliche – nicht selten sogar wohlmeinende – Umschreibungen des Befundes lassen es erahnen: Über die wahren Ursachen, das Ausmaß und die persönlichen Auswirkungen von Depressionen ist offenbar nicht viel bekannt. Dabei erkrankt annähernd ein Fünftel der Bevölkerung einmal im Laufe des Lebens an der psychischen Störung.
Weltweit wird gegenwärtig von etwa 350 Millionen Menschen gesprochen, die aktuell an einer Depression leiden, und der Begriff der Volkskrankheit macht die Runde. Es ist in der Tat für Unbeteiligte nicht leicht, sich eine Vorstellung von solchen Stimmungstiefs zu machen.
Zur Person
Dr. med. Yael Adler ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie, Phlebologie und Ernährungsmedizin (DGEM). Seit 2007 praktiziert sie in ihrer eigenen Praxis in Berlin. Ihr Talent, komplexe medizinische Sachverhalte anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln, stellt sie seit Jahren in Vorträgen, Veranstaltungsmoderationen und den Medien unter Beweis. Über Prävention und Therapien spricht sie regelmäßig in ihrem Podcast "Ist das noch gesund?". Ihre Bücher "Haut nah" und "Darüber spricht man nicht" standen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Mit ihrem letzten Buch "Genial vital! – Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung" durfte sich die leidenschaftliche Ärztin erneut über diese Spitzenplatzierung freuen.
Man wünscht sie keinem: Depressionen sind eine immer noch unterschätzte ernsthafte psychische Störung, die nicht nur für die Betroffenen dramatisch sein kann, sondern auch für Menschen in deren Umgebung, Familienmitglieder, Freunde und Kollegen. Selbst Ärzte tun sich mitunter schwer, mit Patienten umzugehen, bei denen oft gar nichts mehr mitschwingt, keine Reaktion erkennbar und sogar die Mimik völlig erloschen ist.
Selbst Zahnschmerzen können möglich sein
Die "typische" Depression, von der bisher immer die Rede ist, äußert sich in bedrückten Stimmungslagen, geradezu zwanghaftem Grübeln, Verlust an Freude und jeglichen Interessen, an leichter Ermüdbarkeit, dann aber auch durch Schlafstörungen. Hinzu kommen diffuse Ängste, aber auch greifbare Beschwerden wie Schwindel, Druck auf der Brust oder Bauchweh, Kreislauf- und Verdauungsprobleme, und mitunter sogar Zahnschmerzen.
Wenn all diese Beschwerden psychosomatischen Ursprungs sind, ist das durch den Arzt nicht immer leicht zu erkennen, vor allem, wenn der Patient – wiederum krankheitsbedingt – nur wenig kommuniziert. Kommt dem Mediziner trotzdem der Verdacht, wählt er im Arztbrief für die Kollegen die milde Umschreibung "funktionell": "Funktionelle" Rücken- oder Kopfschmerzen – diese Formulierung soll anregen, eben auch nach psychischen Ursachen zu suchen.
Im alltäglichen Umgang mit Depressiven kommt es mitunter zu gut gemeinten, am Kern der Sache aber vorbei gehenden Aufmunterungsversuchen: "Warum bist du denn depressiv – guck mal, dir geht’s doch so gut!" Oder "Jeder hat mal einen schlechten Tag! Bei mir ist auch nicht immer alles eitel Freude und Sonnenschein!" Die landläufige Vorstellung, geregelte und angenehme äußere Lebensumstände – gutes Einkommen, treusorgende Familie, nette Wohnverhältnisse – müssten doch ausreichende Antidepressiva sein, ist einfach ein Fehlschluss. Ebenso wie die leicht erpresserische Vorstellung, der oder die Betroffene müssten sich einfach "nur mal zusammenreißen". Wer wirklich in so einem Tief steckt, kommt da ohne ärztliche Hilfe oft nicht mehr heraus.
Suche nach den Ursachen
Natürlich gibt es Faktoren, die eine Depression begünstigen können. Oft liegen die in der Vergangenheit, wenn es sich um verdrängte Kindheitserlebnisse handelt, eine belastende soziale oder familiäre Situation. Neben solchen Spuren in der Seele kann es durchaus auch eine genetische Veranlagung sein, die an nachfolgende Generationen weitergegeben wird.
Und es wird natürlich auch gegenwärtig immer weiter an den Ursachen, an Vermeidungs- und Therapiemöglichkeiten dieser schweren inneren Bedrückung geforscht. Inzwischen weiß man, dass ein dauerhaft gestörter Tag-Nacht-Rhythmus der Auslöser sein kann, langanhaltende winterliche Dunkelheit oder Stress im Beruf.
Selbst Belastungen, denen die Mutter während der Schwangerschaft ausgesetzt war, können beim noch Ungeborenen das Risiko einer späteren Erkrankung erhöhen. Und – wie so oft – tragen auch ein Mangel an Bewegung oder depressiv machende Bakterien in der Darmflora dazu bei. Ebenso wie ein Mangel an Vitamin D, B, Omega-3-Fettsäuren oder an bestimmten Aminosäuren im Blut, die unser Körper zur Produktion des Glückshormons Serotonin so dringend braucht. Manchmal kann auch eine nicht ausbalancierte Schilddrüse eine Ursache sein.
Hormone spielen auch hier eine Rolle
Generell sind hormonelle Veränderungen im Laufe unseres Lebens zu beachten: In den Wechseljahren etwa schnellt die Gefahr einer Depression um das 14-Fache in die Höhe.
Bis zu einem Fünftel der Frauen erleben sie in der Zeit um ihre Menopause, möglicherweise durch den Abfall des Sexualhormons Progesteron. Männer dagegen wirken äußerlich oft erst einmal alles andere als depressiv. Aktionismus – nicht selten mit Aggressivität gepaart –, Sport, Sex, und alles, was einen echten Kerl ausmacht, rückt plötzlich überscharf in den Mittelpunkt – und den Ausübenden nicht selten ins Licht des Lächerlichen. Aber auch das ist oft nur das Aufbäumen gegen die Erkrankung.
Die Menschen in unserer Gesellschaft werden immer älter. Auch wegen dieses demografischen Grundes erkennt die Wissenschaft im Phänomen der Altersdepression noch zunehmenden Aufklärungsbedarf. Davon wird gesprochen, wenn Menschen ab 65 Jahren an einer Depression erkranken. Neben Demenzerkrankungen gehören Depressionen nämlich zu den am häufigsten auftretenden psychischen Störungen im fortgeschrittenen Lebensalter.
Menschen ab 60 besonders gefährdet
Die Merkmale der Erkrankung sind im Prinzip die gleichen wie bei jüngeren Patienten. Allerdings scheinen sich die älteren oft zu einer Art Selbstdisziplin zu zwingen, die aber eher als Verschleierungstaktik gelebt wird: Psychische Ursachen weisen sie nämlich gern weit von sich ("Ich bin doch nicht verrückt!"), machen dafür lieber ihren altersgerecht voranschreitenden körperlichen Verfall verantwortlich. Der hat ja im wahrsten Sinne des Wortes Hand und Fuß und ist deshalb auch in den eigenen Augen akzeptabler als irgendwelche diffusen "modernen" Krankheiten.
Leider wächst hier dann auch die Suizidgefährdung. In Suizid-Statistiken liegen Menschen im Alter von mehr als 60 Jahren bei einem Anteil von etwa 40 Prozent. Bei dieser Altersgruppe ist es wichtig, die Betroffenen sachlich und konkret anzusprechen, für sie da zu sein, wenn der Verdacht einer depressiven Störung aufkommt.
Unbedingt professionelle Hife suchen
Für beide Geschlechter – jüngeren sowie älteren Baujahrs – gilt: Hormone finden ihre Verbindungsstellen im Gehirn und haben Auswirkungen auf Gemüt und Verhalten. Körper und Seele hängen miteinander zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Wer Leidensdruck verspürt, sollte unbedingt darüber reden und sich Hilfe suchen – am besten bei einem Psychologen oder Psychiater.
Weil auch das Warten auf einen Psychotherapieplatz mittlerweile zur stimmungs- und kräfteraubenden Langzeitübung werden kann, gibt es inzwischen sogar "Psychotherapeuten" als Online-Avatare: hier soll die Therapie schlicht durch einen Computer-Algorithmus abgedeckt werden. Bauen Sie auch hier lieber weiter auf den Kontakt von Mensch zu Mensch und kommen Sie gesund durch die Zeit!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- eigene Meinung