Sucht als Pandemiefolge Mehr Raucher und bedenklicher Alkoholkonsum
Berlin/Düsseldorf (dpa) - Mehr Übergewicht, mehr seelische Probleme gerade bei Jüngeren, mehr problematische Handy-Nutzung - inzwischen zeigt sich immer deutlicher, welche Folgen die Pandemie für die Gesundheit vieler Menschen hat.
Auch der Anteil der Raucher in Deutschland steigt offenbar plötzlich wieder: Er liegt derzeit bei fast 31 Prozent bei Menschen ab 14 Jahren, wie aus der repräsentativen Langzeitstudie Debra (Deutsche Befragung zum Rauchverhalten) hervorgeht. Ende 2019, vor Corona, lag der Anteil der Raucherinnen und Raucher in der Bevölkerung noch bei etwa 27 Prozent.
Wahrscheinlich sei, dass im letzten Jahr mehr frische Ex-Raucher rückfällig geworden seien, sagt der Suchtforscher und Debra-Leiter Daniel Kotz der Deutschen Presse-Agentur. "Ob Corona-Stress oder allgemein Auswirkungen der Pandemie da jetzt hineinspielen, ist ein bisschen spekulativ, kann aber sein."
Alkoholkonsum verlagert sich mehr in die Wohnungen
Veränderungen gab es auch beimAlkoholkonsum. Es habe im Zuge der Corona-Pandemie weniger Gelegenheiten zum gemeinsamen Trinken gegeben, sagt der Suchtmediziner und Ärztliche Direktor Falk Kiefer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Dennoch sei der durchschnittliche Alkoholkonsum in Deutschland im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie in etwa gleich geblieben.
Er habe sich in die Wohnungen und auf eine spezielle Untergruppe von Konsumenten verlagert, erläutert Kiefer, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie ist. "Menschen, die ohnehin schon regelmäßig Alkohol zu Hause getrunken haben, zum Beispiel zum Schöntrinken des Abends - zum Vertreiben von Einsamkeit, Langeweile oder Sorgen, die trinken nun mehr." Rund 25 Prozent der Erwachsenen seien betroffen. Andere wiederum - die Geselligkeits- und Partytrinker - reduzierten ihren Konsum demnach im Mittel.
Dem Bundesverband Wein und Spirituosen International zufolge stieg im Lebensmitteleinzelhandel und Online-Handel der Absatz von Wein und Sekt, dies kompensiere die pandemiebedingten starken Rückgänge im Gastronomiebereich zumindest teilweise. "Menschen, die die Pandemie als belastend empfunden haben, haben im Schnitt mehr getrunken als andere", sagt Kiefer. Stressfaktoren seien zum Beispiel Mehrfachbelastungen durch Kinder im Home-Schooling oder Ehepartner im Homeoffice. Auch Langeweile und das Gefühl des Nichtgebrauchtwerdens sei für einige ein Grund zum Trinken.
Weniger Motivation, mit dem Rauchen aufzuhören
Im ersten Lockdown hatten laut einer Studie des Zentralinstituts und der Uniklinik Nürnberg 37 Prozent von über 2000 befragten Erwachsenen einen höheren Alkoholkonsum angegeben als zuvor, 21 Prozent einen geringeren. Ein ähnliches Bild ergab sich für den Tabakkonsum. Auch wenn solche Studien auf oft online erhobenen Selbstauskünften beruhen, sind die Ergebnisse durch die hohen Fallzahlen und die internationale Vergleichbarkeit laut Kiefer belastbar.
Schon vor der Corona-Pandemie habe man eine rückläufige Motivation in Deutschland beobachten können, mit dem Rauchen aufzuhören, erläutert der Epidemiologe Kotz, Leiter des Sucht-Forschungsschwerpunktes am Centre for Health and Society (chs) der Uni-Klinik Düsseldorf. Auch die sogenannte Rauchstoppversuchsrate sei rückläufig. Im Gegenzug gebe es aber bei Jugendlichen den klaren Trend, gar nicht erst anzufangen.
Studien zufolge gehen nach wie vor etwa 13 Prozent der Mortalität in Deutschland auf das Tabakrauchen zurück, wobei sich ein gutes Viertel dieser Todesfälle noch im Erwerbsalter ereignet. Jährlich sterben in Deutschland ungefähr 125.000 Menschen an den Folgen von Tabakkonsum. Das sind mehr Rauchertote in einem Jahr als Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus nach fast zwei Jahren.
Auch Alkohol hat jährlich zig vorzeitige Todesfälle zur Folge. Bei weitem nicht alle gehen auf Alkoholabhängigkeit zurück: Für mehr als 200 Krankheiten ist bekannt, dass sie durch Alkoholkonsum begünstigt oder direkt verursacht werden. "Das berühmte gesunde Glas Rotwein ist ein Ammenmärchen", sagt Christine Kreider von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS).
Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit mit dem Rauchen: die Schwierigkeit, wieder davon loszukommen. Gravierende Entzugserscheinungen drohen. "Alkohol hat die Eigenschaft, dass man sich an ihn gewöhnt", so Kreider. DemEpidemiologischen Suchtsurvey2018 zufolge konsumieren 6,7 Millionen Menschen in Deutschland zwischen 18 und 64 Jahren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Etwa 1,6 Millionen Menschen dieser Altersgruppe gelten als alkoholabhängig.
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