Faktencheck Corona bei Kindern: Wie sicher sind die Schulen?
Berlin (dpa) - In einer Schulklasse sitzen oft 25 Schüler über Stunden zusammen. In Corona-Zeiten stellt sich da die Frage: Kann man die Schulen offen lassen und Infektionen unter Kindern riskieren?
Ja, sagte kürzlich zum Beispiel Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) aus Mecklenburg-Vorpommern. Sie behauptete bei Twitter: "Kein Ort ist so sicher wie die Schulen." Die Infektionsrate zu Hause sei um ein bis zu Sechsfaches höher als in den Bildungseinrichtungen. Stimmt das?
- BEHAUPTUNG: In den Schulen ist die Corona-Ansteckungsgefahr für Kinder viel geringer als zu Hause.
- BEWERTUNG: Pauschal lässt sich nicht beantworten, wie sicher Schulen in der Pandemie sind. Wenn aber alle vorhandenen Maßnahmen eingehalten werden, bekommt man auch dort das Infektionsgeschehen erfolgreich in den Griff.
- FAKTEN: Die vierte Corona-Welle trifft vor allem Jüngere hart. Die Zahl der Fälle an Schulen in Deutschland steigt weiter. Nach Angaben der Kultusministerkonferenz waren in der Woche vom 29. November bis 5. Dezember 102.991 Schülerinnen und Schülern aktuell mit Corona infiziert. In der Vorwoche waren es 93.487 und damit etwa 10.000 weniger. Aus der Statistik geht nicht hervor, wo genau sich die Schüler ansteckten. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab für die selbe Woche die Inzidenz bei den 5- bis 9-Jährigen mit 951,19 und bei den 10- bis 14-Jährigen mit 1020,4 an. Das ist etwa doppelt so hoch wie zu dem Zeitpunkt im Bevölkerungsschnitt (462,99). Schüler werden allerdings auch häufig auf Corona getestet.
Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen geht von zunehmenden Ausbrüchen in Schulen aus. Die Zahlen des RKI zeigen auf den ersten Blick ein anderes Bild. Demnach wurden in der Woche vom 29. November bis 5. Dezember 5223 Fälle dem Bereich "Privater Haushalt" und 1614 dem Bereich "Ausbildungsstätte" zugeordnet. Aufgeführt sind in derRKI-Tabelle Ausbrüche "mit 2 oder mehr Fällen". Epidemiologe Zeeb betont, dabei handele es sich nur um Fälle, "bei denen man das ermittelt hat", die allermeisten blieben aber "ohne Angaben". Das heißt: Beim überwiegenden Teil der Infektionen weiß man nicht, wo sich die Menschen angesteckt haben.
In einem Klassenzimmer hielten sich im Gegensatz zur heimischen Familie typischerweise 25 Menschen auf, die infiziert werden könnten. Dazu komme im Klassenraum: "Hier gibt es viele nicht geimpfte Menschen", erklärt Zeeb. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, bestätigt "zahlreiche Ausbrüche an Schulen", bei denen Schüler ihre Nachbarn infiziert hätten. In den meisten Haushalten leben dagegen deutlich weniger Personen und die Impfquote ist durch die anwesenden Erwachsenen im Vergleich oft höher.
Auch die Aerosolforscherin Birgit Wehner vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung zweifelt an der Behauptung der Linken-Politikerin Oldenburg. "Dass Schulen der sicherste Ort überhaupt sind, finde ich etwas mutig formuliert", erklärt sie. Sie weist aber darauf hin, dass zu Hause oft keinerlei Schutzmaßnahmen ergriffen würden - wie Masken oder Luftfilter - und auch nicht nach einem festen Schema gelüftet werde, sagt Wehner. Deshalb könnte die Ansteckungsgefahr in Haushalten durchaus höher sein.
Nach einer vom Imperial College London geleitetenStudiesind Haushalte "weltweit der Ort der meisten Übertragungen". Das Ansteckungsrisiko in den heimischen vier Wänden wird darin für Ungeimpfte mit 38 Prozent und für Geimpfte mit 25 Prozent beziffert. Vollständige Geimpfte, die sich infizierten, ließen Corona im Vergleich zu Ungeimpften schneller hinter sich - wenngleich die maximale Viruslast ähnlich war. Eine dritte Booster-Impfung spielte bei der im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlichen Untersuchung noch keine Rolle.
Wie sich die Situation in den einzelnen Schulen darstellt, hängt entscheidend davon ab, welche Maßnahmen vor Ort tatsächlich umgesetzt werden. Aerosolforscherin Wehner verweist auf Klassenräume, die bereits Luftfilter hätten, "während die Mehrheit nichts dergleichen hat". Daneben gebe es Klassenräume, in denen sich die Fenster nicht öffnen ließen.
Einstimmigkeit gibt es unter Experten hinsichtlich der Maskenpflicht in der Schule, die seit der Bund-Länder-Runde Anfang Dezember für alle Klassenstufen gilt. Hajo Zeeb bezeichnet diese nach und nach bundesweit umgesetzte Regel als "positiv".
Für Wehner könne "eine Kombination aus Masken, Lüften und Luftfiltern in der richtigen Anwendung das Infektionsrisiko stark eindämmen". Die Aerosolforscherin verweist auf Fälle, bei denen ein Schüler infiziert gewesen sei und sich dennoch niemand angesteckt habe. Das setze aber das richtige Tragen der Masken voraus, was "bei Grundschülern keine Selbstverständlichkeit" sei, so die Expertin. Ein weiteres Problem sieht Lehrer-Verbandspräsident Meidinger beim von Forschern der Universität Stuttgart empfohlenen Stoßlüften, das bestenfalls "alle zehn Minuten in der Praxis nie vollständig erreicht" werden könne.
Wie wichtig es etwa ist, dass Maßnahmen wie Maske tragen oder das Lüften umgesetzt werden, veranschaulicht auch ein Aerosol-Rechner des Max-Planck-Instituts für Innenräume wie Klassenzimmer. Wenn man hier von 25 Personen (24 ungeimpft, die Lehrkraft geimpft) in einem 40 Quadratmeter großem Raum ausgeht und eine Person mit der Delta-Variante des Coronavirus infiziert ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, "dass sich mindestens ein Teilnehmer infiziert", laut Rechner bei hundert Prozent.
Selbst wenn im Unterricht konsequent Maske getragen und für Frischluft gesorgt werde, gebe es noch andere Bereiche, die für Übertragungen in Frage kämen: Aerosolforscherin Wehner nennt als Beispiele das gemeinsame Essen in der Mensa oder überfüllte Schulbusse, "in denen die Masken auch nicht immer konsequent und korrekt getragen werden".
Wie sicher Schulen in Corona-Zeiten seien, stehe und falle damit, wie viele Maßnahmen "richtig angewendet werden", erklärt Wehner. Meidinger spricht in diesem Zusammenhang von einem begrenzten Instrumentarium. Das besteht bestenfalls aus einer konsequenten Maskenpflicht, dem vollständigen Abrufen von Fördermitteln für Raumluftfilteranlagen, einem engmaschigen Testkonzept und der Erhöhung der Impfquote bei Schülerinnen und Schülern ab elf Jahren.
Trotzdem wird es in den Schulen nie eine vollständige Sicherheit geben. Wenn es grundsätzlich Schulpräsenz geben solle, müsse klar sein, dass "eine Durchseuchung nach und nach stattfindet", erklärt Epidemiologe Zeeb. Um die Dynamik der Ausbreitung einzuschränken, könnten bei hohen Inzidenzen Schulschließungen über zwei Wochen oder - wie in manchen Bundesländern bereits beschlossen - vorgezogene Ferien hilfreich sein, sagt Zeeb. Wenn die Politik einen möglichst schnellen Rückgang der Infektionen für notwendig hält und weitere Maßnahmen beschließt, müssten letztlich auch Schulen geschlossen werden, erklärt auch Aerosolforscherin Wehner. Für sie sei das aber einer der finalen Schritte.
Bisher verlaufe eine Corona-Erkrankung bei Kindern meist ohne Krankheitszeichen oder mild, teilt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mit. Einer Studie zufolge seien bei 35 Prozent der Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren keine Symptome genannt worden. Bei den anderen (65 Prozent) sei mindestens ein Symptom genannt worden. Am häufigsten: Husten, Fieber und Schnupfen. Auffällig ist laut BZgA, dass bei Kindern Magen-Darm-Beschwerden häufiger als bei Erwachsenen vorkommen - auch ohne Atemwegsbeschwerden. Schwere Krankheitsverläufe seien selten und beträfen insbesondere Säuglinge und Kleinkinder sowie Kinder mit Vorerkrankungen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.