Rat für Betroffene und Angehörige Fällt Ihnen das Leben schwer? Hier gibt es Hilfe
Der Gedanke, so nicht mehr leben zu wollen, kommt bei psychischen Erkrankungen, aber auch in Lebenskrisen vor. Das Wichtigste: darüber reden. Experten geben Rat für Betroffene und Angehörige.
Jedes Jahr am 10. September steht der Welttag für Suizidprävention im Zeichen der Aufklärung und Unterstützung für Menschen mit Suizidgedanken. In Deutschland starben im vergangenen Jahr über 10.000 Menschen durch Suizid, viele weitere unternahmen Versuche. Damit stiegen die Zahlen nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Vergleich zum Vorjahr wieder leicht an. Besonders viele Suizide gab es bei älteren Menschen über 65 Jahren.
Aber: Bei Suizidalität ist Hilfe möglich und ein Suizid vermeidbar, sagt Prof. Dr. Reinhard Lindner, einer der beiden Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland (NaSPro). Er erklärt, wie Menschen mit Selbstmordgedanken in ihrer extremen Verzweiflung Hilfe bekommen und wie Angehörige sie unterstützen können.
Suizid-Statistik 2023
Im Jahr 2023 haben sich mehr Menschen das Leben genommen als im Jahr zuvor. Knapp die Hälfte der Menschen, die Suizid begingen, waren 65 Jahre oder älter (46 Prozent). Gleichzeitig war jede 21. Person, die durch Suizid starb, jünger als 25 Jahre. Auch wenn die Zahl der Fälle in den jüngeren Altersgruppen geringer ist, so sei die suizidbedingte Sterblichkeit gerade bei jungen Menschen besonders hoch, teilt das Statistische Bundesamt mit. Bei den unter 25-Jährigen war Suizid im Jahr 2023 die häufigste Todesursache, vor Verkehrsunfällen und Krebs. 18 Prozent aller Todesfälle in diesem Alter waren Suizide.
Im Allgemeinen nimmt die Suizidrate jedoch weiter ab. Im Vergleich zu 2003 ging die Zahl der Suizid-Todesfälle um knapp acht Prozent zurück. Gegenüber 1980 nahm die Zahl um 44 Prozent ab.
Was sollte man tun, wenn man Suizidgedanken hat?
"Der erste Schritt sollte immer sein: Hol dir Hilfe", sagt Prof. Lindner. Also nicht alleine in der aussichtslos scheinenden Situation zu bleiben, sondern sich jemandem anzuvertrauen und über die Suizidalität zu sprechen, also über "die eigene Verzweiflung, die so weit geht, dass man sich töten will".
Und das hilft? In den meisten Fällen ja, berichtet der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin. "Tatsächlich wenden sich die allermeisten Menschen, die darüber nachdenken, Suizid zu machen, auf die eine oder andere Weise an andere. Und: Sie machen es dann nicht." Denn zusammen komme man auf Lösungsoptionen und Verbesserungsmöglichkeiten.
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Aber mit wem kann man darüber reden? Wer und was kann helfen?
Es gibt viele Wege, Unterstützung zu bekommen: etwa Beratung, Krisenintervention, Psychotherapie oder auch psychiatrische Behandlung. Dabei komme es auch darauf an, wie akut der Suizidgedanke oder -wunsch ist, so Lindner.
Sein Rat: Wenn es einem sehr schlecht gehe, weil man eine Situation oder ein Problem überhaupt nicht bewältigen kann – etwa weil eine geliebte Person einen verlassen und man das Gefühl hat, ohne diesen Menschen nicht leben zu können –, könne man überlegen: Mit wem kann ich darüber reden, auch im eigenen Umfeld, der nicht in Angst oder Stress verfällt, sondern mit mir auf Augenhöhe darüber sprechen kann, warum ich so verzweifelt bin.
Anonyme Gespräche und Beratung bieten Krisen-Hotlines wie die Telefonseelsorge (0800 1110111 oder 0800 1110222) an. Die Anonymität sei oft sehr hilfreich, so Lindner: "Denn ich kann mit dieser einen Person reden und kann ihr Sachen sagen, die ich sonst niemandem sagen würde."
Hausärzte und Psychotherapeuten (Sprechstundentermine unter Telefon 116 117 oder online) kommen natürlich auch infrage, und manchmal könnten auch religiöse Ansprechpartner eine Hilfe sein.
Was, wenn die Gedanken ganz akut sind?
Wenn man aber konkret den Suizid plant und dazu gar keinen Abstand finden kann, dann ist das Allerbeste: Man begibt sich in eine psychiatrische Klinik, sagt Prof. Lindner. Das geht über die Notaufnahme oder eine psychiatrische Ambulanz und zu jeder Tages- und Nachtzeit. "Da kann man erst mal mit der aufnehmenden Ärztin und anderen Fachpersonen sprechen und meist bleibt man im Rahmen einer Krisenintervention ein paar Tage da, um sich zu beruhigen und aus der Situation zu gehen."
Diese Basisversorgung sei in einer akuten Krise "sehr wirksam und hilfreich, dass man überlebt", so der Experte. In der Psychiatrie kann man sinnvolle nächste Schritte besprechen.
Was genau sinnvoll ist, hänge von individuellen, aber auch von Versorgungsfaktoren ab, erklärt Lindner. "Wenn man auf dem Land mit einer eher schlechten Versorgungssituation und wenig Beratungs- und Psychotherapie-Angeboten lebt, empfiehlt er die Institutsambulanz einer psychiatrischen Klinik, "weil man da auf Leute trifft, die etwas von der Lage, in der man ist, verstehen".
Hilfe bei Suizidalität im Überblick
Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt, Psychiater oder Psychotherapeut. In akuten Krisen helfen die nächste psychiatrische Klinik oder der Notarzt unter 112. Zu jeder Zeit erreichen Sie zudem die Telefonseelsorge kostenfrei unter 0800 1110111 oder 0800 1110222. Krisendienste in Ihrer Region finden Sie etwa bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention.
Was können Angehörige tun?
Es kann nur ein Gefühl sein oder konkrete Anzeichen: Wenn man sich Sorgen macht und Angst hat, jemand überlegt, sich das Leben zu nehmen, sollte man nicht abwarten. Auch hier gilt: "Der wichtigste Schritt ist, das Gespräch zu suchen", sagt Lindner. Dabei sollte man die Situation durchaus konkret ansprechen. Davor scheuen sich viele. Aber es sei wichtig, etwa nachzufragen: "Geht es dir schlecht? Hast du manchmal das Gefühl, aufgeben zu wollen?", so Lindner.
Dass man durch das Ansprechen die Suizidalität verstärke oder Menschen überhaupt erst auf den Gedanken bringe, ist falsch, so Lindner. "Fast alle suizidalen Menschen haben dadurch das Gefühl: Da will jemand wirklich wissen, was in mir los ist. Und die Suizidalität ist ja da – die wird weder durch Nachfragen hervorgerufen noch geht sie weg dadurch, dass man nichts sagt."
Diese Warnzeichen deuten auf eine Depression hin
Selbstmordgedanken treten nicht aus dem Nichts auf. Häufig geht ihnen eine psychische Erkrankung voraus, etwa eine Depression. Eine Depression ist eine ernsthafte Erkrankung. Sie kann viele Gesichter haben, sodass selbst enge Angehörige die Warnzeichen oft übersehen. Zu den Symptomen einer Depression gehören etwa häufige Müdigkeit und Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Antriebslosigkeit, Interessenverlust, Freudlosigkeit und negative Zukunftsvorstellungen. Mehr zu den Warnzeichen und den verschiedenen Arten von Depressionen erfahren Sie hier.
Die zentrale Botschaft, die vermittelt werden sollte, wenn man die offensichtliche Not und Verzweiflung des anderen anspricht: "Dir geht es schlecht, aber es gibt Hilfe. Du musst nicht alles aushalten. Es muss nicht so bleiben." Einen Gesprächsleitfaden und Informationen dazu, was man bei so einem Gespräch vermeiden sollte, gibt es etwa bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS).
So könne man auch anbieten, gemeinsam nach Hilfsangeboten zu suchen, aber auch vorschlagen, zusammen in die Psychiatrie zu fahren, so Lindner. Wenn jemand aber sagt, er bringe sich um: Dann sollte man den Notruf der Polizei unter 110 anrufen, damit die gegebenenfalls die Fahndung auslösen kann, wenn man mit dem Menschen nicht zusammen ist.
Was tun, wenn der andere abblockt?
Wenn man sieht, dass die Person über lange Zeit sehr verzweifelt und suizidal ist, sollte man immer wieder einmal die eigene Angst formulieren, sagt Lindner. Und etwa sagen: "Du, ich mache mir einfach Sorgen. Ich möchte auch nicht, dass du stirbst."
Auch wenn man nicht davon ausgehen könne, dass es bei allen Betroffenen wirkt, lohne es sich oft, hartnäckig zu sein, erklärt der Experte. Viele hätten nicht unbedingt den Wunsch zu sterben, heißt es auch von der Telefonseelsorge: Sie wollen nur nicht so weiterleben, wie sie es gerade tun müssen.
"Man muss im Leben nicht alles aushalten, muss sich aber nicht unbedingt umbringen", sagt Prof. Lindner. "Es geht darum, mit den Belastungen des Lebens einen Umgang zu finden. Dazu braucht man manchmal Hilfe. Sich Hilfe zu holen, ist nicht schlimm. Und es gibt gute Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung, wenn man darüber nachdenkt, sich das Leben zu nehmen." Auch und gerade, wenn die Gedanken als Teil psychischer Erkrankungen auftreten. Die meisten sind gut behandelbar.
Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur dpa
- depressionsliga.de: "Depression erkennen". (Abrufdatum: September 2024)