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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nahtoderfahrungen Können wir den Moment des Todes bewusst wahrnehmen?
Was passiert in unserem Gehirn, während wir sterben? Diese Frage beschäftigt die Wissenschaft schon lange. Eine neue US-Studie könnte Antworten liefern.
Meist führt ein Herzstillstand innerhalb weniger Minuten zum Tod. Doch es gibt auch Überlebenschancen – allerdings nur, wenn sofort Maßnahmen zu Wiederbelebung begonnen werden. Denn mit jeder Minute, die das Herz stillsteht, sinkt die Überlebenschance der betroffenen Person um zehn Prozent.
Ein Teil jener Menschen, die erfolgreich reanimiert werden können, berichten im Nachhinein von sogenannten Nahtoderfahrungen. Die Erlebnisse der Betroffenen ähneln sich häufig: So berichten viele von einem weißen Licht und davon, den eigenen Körper von oben zu sehen, oder von der Wiederbegegnung mit einem verstorbenen Familienmitglied.
Ein verborgenes Bewusstsein während des Todes?
Wie diese Phänomene entstehen, wird in der Wissenschaft schon lange erforscht – und Stück für Stück helfen die Erkenntnisse, ein genaueres Bild von dem zu erhalten, was im Augenblick des Sterbens im Körper geschieht. So zeigte eine im Frühjahr veröffentlichte US-Studie etwa, dass sich eine erhöhte Hirnaktivität während eines Herzstillstands feststellen lässt.
Die Forscher untersuchten dafür allerdings nur vier Personen. Bei der Hälfte verzeichneten sie mittels Elektroenzephalografie (EEG) einen signifikanten Anstieg der Herzfrequenz sowie der Gammawellen in verschiedenen Hirnregionen. Diese Wellen im Gehirn werden mit erhöhter geistiger Klarheit, Konzentration und besserer Informationsverarbeitung in Verbindung gebracht.
Erneute Studie zu Nahtoderfahrungen
Nun hat ein Forscherteam der New York School of Medicine mit der Unterstützung von britischen Forschern weitere Erkenntnisse veröffentlicht. Sie untersuchten in 25 britischen und US-amerikanischen Krankenhäusern eine Gruppe von 567 Patienten, die zwischen April 2013 und Mai 2015 einen Herzstillstand erlebten.
Diese Patienten erfüllten folgende Kriterien: Sie waren über 18 Jahre und ihr Herzstillstand hatte eine Dauer von mehr als fünf Minuten. Von dieser Gruppe überlebten 213 Personen.
Die Methodik der Studie
Von den Überlebenden befragten die Forscher der New Yorker Studie 28 Menschen zu ihren Erfahrungen und untersuchten sie. Zunächst wurde bei den Patienten nach Anzeichen einer Beeinträchtigung der Gehirnleistung gesucht, die durch den Herzstillstand ausgelöst wurde.
Dazu nutzten die Forscher den Abbreviated Mental Test Score (AMTS). Dieser Zehn-Punkte-Test wird genutzt, um die geistige Funktionsfähigkeit bei Menschen zu bestimmen. Er besteht aus einer Reihe von zehn Aufgaben, etwa zur Orientierungsfähigkeit in Raum und Zeit. Auch einfache Rechenaufgaben sind Teil des Tests.
Die drei Patienten, die bei diesem AMTS weniger als sechs Punkte erreichten, wurden von der Studie ausgeschlossen. Die restlichen 25 Patienten, die mehr als sechs Punkte erhielten, wurden zu ihren bewussten Wahrnehmungen während der Wiederbelebung befragt.
Die Skala zu Nahtoderfahrungen
In der nächsten Interviewphase fragten die Forscher genauer nach den Erfahrungen der Wiederbelebten. Dazu nutzten sie vorgefertigte Fragen und die Nahtoderfahrungsskala.
Dieser Fragebogen besteht aus 20 Aussagen zu Erfahrungen während des Sterbens. Die Patienten können den Aussagen auf einer Skala von null bis vier zustimmen. Beispielsweise "Sie haben Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit gesehen oder wiedererlebt" oder "Sie hatten den Eindruck außerhalb oder losgelöst von ihrem Körper zu sein".
Vier Gemeinsamkeiten während der Nahtoderfahrung
Bei der Befragung identifizierten die Forscher vier Gruppen von Erlebnissen, die sich bei allen Patienten wiederfanden:
- Das Aufwachen aus dem Koma während der Herz-Lungen-Wiederbelebung
- Das Aufwachen aus dem Koma erst einige Zeit nach der Wiederbelebung
- Die Erinnerung an die Todeserfahrung
- Träume oder traumähnliche Erfahrungen
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass Menschen während eines Herzstillstands trotz fehlender sichtbarer Anzeichen ein Bewusstsein zeigen und ihre Umgebung wahrnehmen können.
"Menschen, die einen Herzstillstand erlitten haben, erleben die Erinnerung an den Tod, einschließlich eines klaren, zielgerichteten Rückblicks auf ihr Leben", schreiben die Forscher in ihrer Analyse. "Dieser konnte zum ersten Mal mithilfe von Gehirnmonitoren verfolgt werden."
Das Gehirn kann länger durchhalten als gedacht
Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: Nach der Wiederbelebung, die bis zu 60 Minuten andauerte, stellte sich bei rund 40 Prozent der Patienten eine nahezu normale EEG-Aktivität ein.
Das zeigt ein EEG
Bei einem EEG (Elektroenzephalogramm) werden die Gehirnwellen gemessen. Dabei wird darauf geachtet, wie häufig die Wellen auftreten und wie hoch sie ausschlagen. Der Verlauf der Wellen hängt vor allem davon ab, wie aktiv das Gehirn in dem Moment ist – ob man also wach ist oder schläft, sich konzentriert oder müde ist.
Diese Studienergebnisse sind überraschend. Denn während man bis jetzt davon ausging, dass das Gehirn bereits nach zehn Minuten ohne Sauerstoff irreversible Schäden davonträgt, zeigen die neuen Erkenntnisse, dass eine vollständige Erholung des Gehirns nach einem Herzstillstand möglich sein kann.
Die Studienautoren halten allerdings weitere Untersuchungen für notwendig, um genauere Erkenntnisse zu Nahtoderfahrungen zu gewinnen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Resuscitation Journal: "Awareness during Resuscitation – II: A multi-center study of consciousness and awareness in cardiac arrest"
- Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung: "Plötzlicher Herztod"
- gesundheitsinformation.de