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BDI-Präsident warnt – Droht die Deindustrialisierung in Deutschland?


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BDI-Präsident schlägt Alarm
Droht Deutschland jetzt die Deindustrialisierung?


Aktualisiert am 20.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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VW-Montage in Wolfsburg (Archivbild): Gerade in der Automobilbranche überlegen Konzerne, mehr in den USA zu fertigen. (Quelle: Teresa Kröger/dpa)
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Die Wirtschaft erholt sich wieder, doch die hohen Energiepreise machen vor allem deutschen Konzernen zu schaffen. Manch einer schaut sich daher im Ausland um.

Die Lieferketten funktionieren wieder, die Auftragsbücher sind gefüllt – und doch ist in vielen deutschen Unternehmen von Entspannung keine Spur. Der Grund: Die Energiepreise sind zuletzt zwar stark gesunken, langfristig aber werden Strom und Gas deutlich teurer bleiben als vor dem russischen Überfall auf die Ukraine.

Besonders zu schaffen macht das der Industrie. Doch auch viele Mittelständler sind betroffen. Branchenverbände befürchten nun, dass einige Industrieunternehmen Deutschland den Rücken kehren und sich andere Produktionsstandorte suchen. Droht der Bundesrepublik eine Abwanderungswelle, gar eine Deindustrialisierung?

Der Präsident des einflussreichen Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, schlägt jedenfalls schon einmal Alarm. "Die hohen Energiepreise stellen ein anhaltendes Problem dar", sagte er diese Woche bei einer Pressekonferenz. "Deutschland gerät immer mehr ins Hintertreffen gegenüber anderen Regionen der Welt."

Das schwäche nicht nur energieintensive Unternehmen, sondern habe spürbare Auswirkungen auf die gesamten Wertschöpfungsketten der Industrie. "Folglich sind Produktionsverlagerungen auch in anderen Branchen nicht auszuschließen", so Russwurm.

Industrieverband: Abwanderung als Gefahr

Das wiederum hätte weitreichende Folgen für die gesamte deutsche Wirtschaft. Die Industrie ist mit einem Anteil von gut einem Viertel am deutschen BIP ein entscheidender Wirtschaftsfaktor, deutlich wichtiger als in den meisten anderen EU-Staaten. Selbst wenn Deutschland dieses Jahr noch an einer tiefen Rezession vorbeikommt, das Bruttoinlandsprodukt nur minimal schrumpft – in den kommenden Jahren dürfte das Problem dann sichtbar werden.

Der Sehnsuchtsort vieler Unternehmen ist schnell gefunden: In den USA kostet lokal gefördertes Gas gegenwärtig gerade einmal ein Fünftel dessen, was in Deutschland zu bezahlen ist. Und durch das dortige Anti-Inflations-Gesetz ("Inflation Reduction Act", siehe Infobox) setzen die Vereinigten Staaten zusätzlich steuerliche Anreize für Konzerne, dort zu produzieren.

Das wirkt. So heißt es etwa aus Volkswagen-Kreisen, dass der Konzern genau deshalb plane, seine Produktion in den USA auszuweiten (mehr zur Lage auf dem Automobilmarkt lesen Sie hier). Auch Kanada sei wegen günstiger Energie hoch im Kurs, und manch einen Unternehmer ziehe es ins Nachbarland Österreich, so BDI-Präsident Russwurm. Denn dort gebe es keine Erbschaftssteuer.

Inflation Reduction Act

US-Präsident Joe Biden hat im August den Inflation Reduction Act unterzeichnet. Das Gesetz sieht milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz und Soziales vor. Subventionen und Steuergutschriften sind unter anderem daran geknüpft, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder in den USA produzieren. Nach Ansicht der EU-Kommission werden dadurch EU-Firmen gegenüber der US-Konkurrenz benachteiligt. Sie dringt daher auf Ausnahmen, wie es sie auch für Kanada und Mexiko gibt.

Und was macht Deutschland? Hier will die Ampelregierung Firmen und Konzerne mit der Energiepreisbremse unterstützen. Demnach sind die Gas- und Wärmepreise für Großverbraucher seit dem Januar gedeckelt, für private Privathaushalte und kleine Firmen dann ab März – mit einer rückwirkenden Entlastung für die Monate Januar und Februar.

Doch was nach einer guten Idee klingt, nehmen viele Betriebe offenbar nicht in Anspruch. Hauptgrund dafür ist laut Russwurm, der selbst Co-Chef der Gaspreiskommission war, die Vorgabe, dass ein Unternehmen für die volle Förderung einen Rückgang des Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen um mehr als 40 Prozent verzeichnen muss.

"Das wissen die Firmen aber erst beim Jahresabschluss im kommenden Jahr", so Russwurm. Deswegen müssten sie Rückstellungen bilden für eine mögliche Rückzahlung staatlicher Hilfen.

Bürokratie weiterhin großer Störfaktor

Ein weiterer Grund, der für Abwanderung von Firmen sorgen könnte, sind die hohen bürokratischen Hürden in Deutschland – über die vor allem viele Mittelständler klagen. Das deutsche Steuerrecht etwa gilt als eines der kompliziertesten der Welt.

Eine Umfrage des Mittelstandverbunds unter Tausenden Firmen zeigt: Rund 54 Prozent der Unternehmen halten die Anstrengungen von Regierung und Behörden, dies zu vereinfachen, für nicht ausreichend. Rund 36 Prozent vergaben die Note mangelhaft. Nur 1,8 Prozent der Befragten waren mit dem Einsatz der Politik zufrieden.

Und es kommen sogar noch neue Pflichten hinzu: Rund 45 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, durch das Lieferkettengesetz hohen oder sogar sehr hohen Bürokratieaufwand zu haben. Als moderat oder gering schätzen lediglich 37,5 Prozent das Gesetz und dessen zusätzliche Auflagen ein.

Mittelstandsverbund: "Keine weitere Deindustrialisierung"

Auch das könne manchen Unternehmer vergraulen, warnt der Mittelstand. Aber nicht alle Firmen können ihre Produktion ähnlich wie die großen Konzerne ins Ausland verlagern. Der Grund: zu hohe Kosten, zu tiefe Wurzeln in einzelnen Regionen – sie sind zum Bleiben gezwungen.

Umso schärfer ist deshalb aber auch die Kritik, etwa vom Wirtschaftsrat der CDU. "Insbesondere kleine und mittlere Betriebe, die Stütze unserer gesunden Wirtschaftsstruktur, können nicht einfach ihre Produktionsstätten verlagern, sondern müssen abbauen oder ganz schließen", sagt Wirtschaftsrat-Generalsekretär Wolfgang Steiger t-online. "Die Politik schaut zu Recht sehr gerne auf das Gründungsgeschehen von Start-ups, vernachlässigt aber zunehmend, wie viel uns in der Breite immer mehr verloren geht."

Und auch der Mittelstandsverbund fordert daher, Energiekosten in Deutschland so zu gestalten, dass sie dem internationalen Wettbewerb standhalten können. "Hier müssen wir gegensteuern, damit wir keine weitere Deindustrialisierung erleben, die ja in Teilen bereits begonnen hat", so Hauptgeschäftsführer Ludwig Veltmann zu t-online. "Zudem brauchen wir dringend eine funktionierende Infrastruktur, sowohl im digitalen Raum als auch bei der Straße und Schiene."

Verwendete Quellen
  • Pressekonferenz BDI
  • Statement Ludwig Veltmann
  • Pressemitteilung Mittelstandsverbund
  • Statement Wolfgang Steiger
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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