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Massaker von Butscha: Müssen wir jetzt nicht doch die Gasimporte stoppen?


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Massaker von Butscha
Müssen wir jetzt nicht doch die Gasimporte stoppen?


Aktualisiert am 04.04.2022Lesedauer: 6 Min.
Tiefer Bruch: Die Gräueltaten der russischen Truppen dürfen laut der Bundesregierung nicht folgenlos bleiben. Wie lange kann sie da die wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland aufrechterhalten?Vergrößern des Bildes
Tiefer Bruch: Die Gräueltaten der russischen Truppen dürfen laut der Bundesregierung nicht folgenlos bleiben. Wie lange kann sie da die wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland aufrechterhalten? (Quelle: Heike Aßmann/imago-images-bilder)
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Die Bilder aus Butscha erschüttern die Welt. Die Forderung nach einem Gasembargo wird angesichts der mutmaßlichen russischen Verbrechen lauter. Kann sich Deutschland dem noch entziehen?

Leblose Körper auf offener Straße, Menschen, brutal ermordet – mutmaßlich von russischen Soldaten: Es ist ein Massaker, das sich im Kiewer Vorort Butscha zugetragen hat, ein potenzielles Kriegsverbrechen, für das zuallerletzt auch Russlands Präsident Wladimir Putin die Verantwortung tragen dürfte.

Entsprechend groß sind die Erschütterung und die Empörung auf der ganzen Welt. "Die Verbrechen des russischen Militärs müssen wir schonungslos aufklären und die Täter zur Rechenschaft ziehen", twitterte am Sonntag auch Bundeskanzler Olaf Scholz.

Gleichzeitig und umso mehr jedoch geht es nun um die Frage, die Deutschland schon seit Tagen beschäftigt: Dürfen wir jetzt immer noch weiter Gas aus Russland beziehen? So klar die Sache dabei aus moralischer Sicht ist – am Gasembargo als schwere Sanktion führt kein Weg vorbei –, so schwierig gestaltet sich der Lieferstopp aus politischer und wirtschaftlicher Perspektive. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was würde ein Gasembargo bringen?

Ob ein Gasembargo Russland im Krieg gegen die Ukraine zum Einlenken zwingen könnte, lässt sich kaum abschätzen. Das liegt zum einen an der Unberechenbarkeit des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zum anderen ist offen, wie sehr Russland von Europa als Abnehmer seines Gases wirklich abhängig ist.

Zwar fließen 74 Prozent der russischen Gasexporte nach Europa, der deutsche Markt nimmt dabei eine besonders große Rolle ein. Gleichzeitig spielt aber auch der Export von Rohöl aus dem Ural eine große Rolle für Russland – und das lässt sich, anders als Gas, deutlich leichter transportieren, zum Beispiel über Tankschiffe oder Lastwagen nach China oder Indien.

Fest steht: Symbolisch wäre ein Gasembargo ein enormer Schritt. Gerade weil immer wieder aus der Ampelkoalition betont wird, wie schwerwiegend die Folgen für Deutschland sein können, würde mit einem Stopp der Lieferungen ein deutliches Zeichen gesetzt: "Seht her, wir wissen nicht genau, wie wir das alles verkraften werden, doch unsere rote Linie wurde mit dem Massaker von Butscha überschritten." Dass sich die Ampelkoalition dazu durchringen kann, gilt jedoch zum aktuellen Zeitpunkt als ausgeschlossen.

Können wir es uns leisten, auf russisches Gas zu verzichten?

Glaubt man der Einschätzung von Unternehmen, Verbänden und zahlreichen Ökonomen, zöge ein Verzicht auf russisches Gas schwere wirtschaftliche Folgen nach sich. Der Chef des Chemiekonzerns BASF, Martin Brudermüller, etwa warnte unlängst vor "beispiellosen Schäden".

Die Chemiebranche, zu der auch BASF zählt, wäre der Industriezweig, den ein Lieferstopp des russischen Gases wohl am drastischsten treffen würde. Doch auch die Glas- und Stahlindustrie wäre stark betroffen und müsste die Maschinen im Fall eine Gaslieferstopps herunterfahren. Das würde wiederum viele Industriezweige betreffen, die auf die verarbeiteten Produkte angewiesen sind, etwa die Autobranche (mehr zu den betroffenen Branchen lesen Sie hier)

Sofort würden die Bänder wohl aber nicht stillstehen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte bereits, dass die Reserven in den Gasspeichern, die aktuell noch zu etwa einem Viertel gefüllt sind, eine gewisse Zeit überbrücken könnten. Wie lange, ist allerdings offen. Fest steht: Ohne russisches Gas würde es schwer, die Speicher für den Winter wieder aufzufüllen.

Wirtschaftsexperten sind derweil geteilter Meinungen, wie schlimm die ökonomischen Konsequenzen eines Lieferstopps wären. Sebastian Dullien vom IMK und der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Tom Krebs warnen vor ähnlichen Auswirkungen wie zu Beginn der Corona-Pandemie: ein Anstieg der Arbeitslosigkeit und ein heftiger Einbruch des Wirtschaftswachstums um mindestens sechs Prozent.

Eine andere Gruppe von Volkswirten um den Ökonomen Rüdiger Bachmann kommt dagegen zu dem Schluss, dass ein Importstopp der russischen Energie maximal drei Prozent der Wirtschaftsleistung kosten würde – weniger als die Corona-Krise. Auch die Experten der Leopoldina sowie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm bezeichnen einen Verzicht als "handhabbar."

Wann würden Verbraucher das Embargo spüren?

Angst vor kalten Wohnungen müssen die Verbraucher in Deutschland vorerst nicht haben. Sollte die nächste Stufe des Gasnotfallplans, den Habeck bereits aktiviert hat, in Kraft treten, würde zuerst die Industrie verzichten müssen. Hier prüft die Bundesnetzagentur bereits, welche Zweige besonders wichtig sind und welche dagegen früher von der Versorgung abgekoppelt werden können. Die Verbraucher werden bis zuletzt versorgt, so wie es das EU-Recht vorschreibt (mehr zu den einzelnen Stufen des Notfallplanes lesen Sie hier).

Merken dürften die Deutschen das Gasembargo allerdings schon bald im Supermarkt, an der Tankstelle sowie beim Strompreis. Schon jetzt hat der Ukraine-Krieg und die Angst vor einem Gasembargo die Energiepreise in die Höhe schnellen lassen. Im Falle eines tatsächlichen Liefer- beziehungsweise Importstopps dürfte sich diese Entwicklung verschärfen.

Zeitgleich dürfte die Inflation auf über zehn Prozent ansteigen, warnte zuletzt auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Kaufkraft der Deutschen würde also drastisch sinken, die Preise für bestimmte Güter dürften weiter steigen.

Das hat potenziell auch Folgen für Waren und Produkte, die auf den ersten Blick gar nichts mit Gas zu tun haben, zum Beispiel Lebensmittel. In Großbritannien haben die hohen Strompreise etwa schon dazu geführt, dass sich der Betrieb von Gewächshäusern für einige Bauern nicht mehr rentiert. Das heißt, dass Obst und Gemüse im Supermarkt teurer werden könnten.

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Sollten als Folge des Importstopps die Gasspeicher die Industrie nicht davor schützen, dass in manchen Branchen die Bänder stillstehen, ist auch hier mit Kurzarbeit und mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Zu guter Letzt gilt für Sparer und Anleger: Verhält sich die Börse ähnlich wie zum Beginn der Corona-Pandemie, droht ein starker Kursrutsch bei Aktien, der Vermögen in Milliardenhöhe vernichten würde.

Wie gehen andere Länder vor?

Im Gegensatz zu Deutschland haben die baltischen Staaten Lettland, Riga und Estland die Lieferungen von russischem Gas bereits gestoppt. Seit dem 1. April sollen alle drei Länder kein Gas mehr von dort beziehen. Man habe bereits vor Jahren Vorkehrungen getroffen, um sich von Russland energiepolitisch zu emanzipieren, teilte Litauens Präsident Gitanas Nauseda auf Twitter mit. Mit welchen Maßnahmen die baltischen Staaten sich von den Russen unabhängiger gemacht haben, lesen Sie hier.

Noch einen Schritt weiter sind die USA gegangen. Bereits Anfang März hatte Präsident Joe Biden angekündigt, künftig auf russische Kohle, Gas und Öl zu verzichten. Auch Großbritannien hat einen schrittweisen Ausstieg aus russischem Öl bis zum Ende des Jahres angekündigt.

In der EU herrscht dagegen keine Einigkeit: Neben dem Baltikum befürwortet auch Polen ein komplettes Embargo. Ein Ausstieg aus russischer Kohle wurde dort bereits angekündigt. Andere Länder sind bisher dagegen: Neben Deutschland hatte auf dem vergangenen EU-Gipfel auch Österreich einem Energiestopp eine Absage erteilt. Auch andere Länder sind noch stark auf russische Energieimporte angewiesen, etwa Bulgarien, Tschechien, die Slowakei und Ungarn.

Eine dritte Gruppe innerhalb Europas wirkt unentschieden, ob ein Embargo der richtige Schritt sein könnte: Man finanziere mit russischer Energie jeden Tag den Krieg mit, kritisierte zuletzt etwa die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin. Allerdings wollte sie sich auf einen Stopp nicht festlegen. Luxemburgs Premier Xavier Bettel mahnte, man müsse sich noch Sanktionen aufheben, falls es zu weiteren russischen Eskalationen kommen sollte, etwa dem Einsatz von Chemiewaffen.

Wäre der politische Schaden größer als der wirtschaftliche?

Schon bevor die Leichen in Butscha entdeckt wurden, hatten viele ukrainische Politiker immer wieder die aus ihrer Sicht zu weichen Sanktionen kritisiert. Das setzt sich nun fort: Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bemängelte am Sonntag, dass die kommenden EU-Sanktionen gegen Russland nicht ausreichen werden.

Er hatte nicht nur ein Energieembargo, sondern auch den Ausschluss aller russischer Banken aus dem Swift-Verfahren und die Sperrung aller Häfen für russische Waren gefordert. Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, sprach in der ARD davon, Deutschland hätte schon längst ein Energieembargo verhängen müssen.

Die Unzufriedenheit gegenüber der Bundesregierung kommt allerdings nicht nur aus der Ukraine. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte am Montag, Deutschland sei der Hauptgrund, warum bisher keine schärferen Sanktionen getroffen werden konnten: "Jeder, der die Mitschriften liest, wird wissen, dass Deutschland die größte Bremse ist, wenn es um entschiedenere Sanktionen geht."

Als einer der größten weltweiten Rüstungsexporteure könne Deutschland stattdessen das Land stärker mit Waffen unterstützen. Doch auch dort hapert es: Mehrere Berichte zeigten zuletzt auf, dass es offenbar große Abstimmungsprobleme mit der Ukraine gebe. Dementsprechend seien viele der Güter, die Deutschland liefern wolle, "im Moment nutzlos", habe Botschafter Melnyk aus dem Verteidigungsministerium gehört.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • White House: "Fact Sheet: United States Bans Imports of Russian Oil, Liquefied Natural Gas, and Coal" (englisch)
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