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Gaslieferstopp | Von Chemie bis Müsli: Diese Branchen wären betroffen


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Von Chemie bis Müsli
Wen ein Gaslieferstopp dramatisch treffen würde


Aktualisiert am 16.06.2022Lesedauer: 5 Min.
Stahlherstellung (Symbolbild): Die Branche braucht für die Produktion Erdgas – ohne diese Lieferungen drohen Produktionsausfälle.Vergrößern des Bildes
Stahlherstellung (Symbolbild): Die Branche braucht für die Produktion Erdgas – ohne diese Lieferungen drohen Produktionsausfälle. (Quelle: Feng Li/getty-images-bilder)
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Keine Gaslieferungen durch Nord Stream 1: Russland will aufgrund vermeintlicher Reparaturschäden einen Großteil der Gaslieferungen kappen. Der Wirtschaft droht in diesem Fall eine Kettenreaktion.

Deutschland und das russische Gas – seit dem Beginn des russischen Krieges in der Ukraine spaltet der Rohstoff die Realisten von den Idealisten. Denn daran zeigt sich die hohe Abhängigkeit Deutschlands von Russland. Trotz aller Bemühungen sind die Gasspeicher noch immer nicht genug gefüllt, um den Winter zu überstehen, und bei einem Großteil der deutschen Unternehmen gibt es noch immer keinen Notfallplan für einen plötzlichen Lieferstopp.

Und dieser ist mittlerweile nicht mehr nur eine düstere Perspektive der politischen Pessimisten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nannte die Situation am Donnerstag ernst, der russische Botschafter stellte sogar in Aussicht, dass bald gar kein Gas mehr durch Nord Stream 1 fließen könnte. Derzeit fließen nur 40 Prozent der maximalen Kapazität an Gas von Russland durch die Pipeline nach Deutschland.

Doch für die Wirtschaft bringen die Drosselungen der Gaslieferungen ein Schreckensszenario zurück: Vor einigen Monaten hatten viele Branchen Sorge, dass Deutschland ein Gasembargo verhängen könnte – nun ist es eine realistische Option, dass Russland den Gashahn von sich aus zudreht.

Das hätte fatale Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft, es droht durch die Abhängigkeiten der Branchen untereinander eine Kettenreaktion. Indirekt dürfte so fast jeder Wirtschaftszweig betroffen sein. t-online listet hier die Industrien auf, die einen Gasstopp sofort schmerzlich spüren würden.

Chemie

Am drastischsten warnt die Chemieindustrie vor einem Ende der russischen Gaslieferungen. Jährlich setzt die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland 2,8 Millionen Tonnen Erdgas als Rohstoff und 99 Terawattstunden für die Erzeugung von Dampf und Strom ein.

Und die Industrie verwendet Gas, um Wasserstoff, Ammoniak und Acetylen herzustellen. "Erdgas ist mit Abstand der wichtigste Energieträger in der chemischen Industrie", sagt ein Sprecher des Verbands der chemischen Industrie (VCI) t-online.

Ein plötzlicher Lieferstopp würde zu einem Herunterfahren mehrerer großer Werke führen, warnt der Verband. Das hätte langfristige Auswirkungen: "Wenn Chemieanlagen einmal heruntergefahren sind, dann stehen sie für Wochen und Monate still", betonte der Chef des Branchenverbandes, Christian Kullmann.

Es gäbe dann einen "gewaltigen Dominoeffekt", der sich auf die gesamte Wirtschaft ausweite, da die Chemieindustrie wichtige Vorprodukte für andere Industriezweige produziert. Dieser "industrielle Flächenbrand" würde Deutschland in eine schwere Rezession stürzen, sagt Kullmann.

Nach den Ankündigungen Russlands, die Gaslieferungen drastisch zu drosseln, stürzte die Aktie des Chemieriesen BASF am Dax stark ab. Die Anleger scheinen die Auswirkungen auf das Chemieunternehmen zu fürchten.

Stahl

Ebenfalls starke Auswirkungen hätte ein Lieferstopp auf die Stahlindustrie. Mit 40 Millionen Tonnen Rohstahl ist die deutsche Stahlindustrie der größte Hersteller in der EU und der achtgrößte Produzent weltweit. Für viele Industriezweige steht die Stahlindustrie ganz vorne in der Lieferkette.

Ohne Gas würde es zu Produktionsstillständen in der Stahlindustrie kommen, zudem würde die Industrieproduktion im Allgemeinen in Deutschland und der EU einbrechen – denn viele brauchen Stahl, um ihre Produktion herzustellen, von der Auto- bis zur Baubranche.

"Ohne Erdgas wird es keine Produktion von Stahl geben", sagt auch der börsennotierte Stahlkonzern Salzgitter AG t-online. Der Konzern warnt zudem davor, dass eine stockende Stahlproduktion auch die Energiewende verzögere.

"Es können keine kurzfristig benötigten Leitungsrohre zum Transport von LNG-Gas oder Wasserstoff ohne Stahl produziert werden. Ebenso neue Windtürme zur Erzeugung von regenerativer Energie", sagt ein Konzernsprecher t-online. Ohne Stahl gibt es also auch keine Abkehr vom russischen Gas – und ohne russisches Gas keinen Stahl. Ein Teufelskreis, wie es scheint.

Glas

Im Fall eines russischen Lieferstopps für Erdgas würde sich die Glasindustrie nach Verbandsangaben Schäden in Höhe von 50 Millionen Euro je Anlage gegenübersehen. Damit die Produktionsstätten nicht irreversibel beschädigt werden, braucht die Industrie mindestens 70 Prozent des Erdgases, das der Branche im Normalbetrieb zur Verfügung steht, sagt der Bundesverband Glas. Selbst dann gebe es Produktionsausfälle, die beispielsweise die europäischen Lieferketten in der Lebensmittel-, Pharma-, Medizin-, Automobil-, Solar- und Bauindustrie unterbrechen würden.

Der Verband verweist darauf, dass die Glasindustrie deutlich mehr als nur Trinkgläser produziert. Von ihr hängen auch die Produktion von Windrädern, die Halbleiterindustrie sowie die Pharma- und die Lebensmittelindustrie ab.

Bei einem Lieferstopp würden die Anlagen zerstört werden, zudem drohe in den Fabriken in diesem Fall eine Explosionsgefahr, warnt der Verband. Auch der Wiederaufbau der zerstörten Anlagen könnte Monate bis zu zwei Jahren dauern und die Branche daher empfindlich treffen.

Aluminium

Ein weiterer Grundstoff für viele Industriezweige ist Aluminium – und auch hier sind die Unternehmen in Sorge. "Die Verfügbarkeit von Gas ist für die Aluminiumindustrie und ihre Produktionsprozesse von enorm hoher Bedeutung", teilt der Branchenverband Aluminium Deutschland mit.

Im Produktionsprozess ist der Rohstoff nicht zu ersetzen, sodass auch in dieser Branche bei einem Lieferstopp die Produktion stillstehen müsste. Knapp 73.000 Menschen sind in der Aluminiumbranche in Deutschland beschäftigt, Lieferausfälle würden zudem eine noch wichtigere Branche treffen: Fast die Hälfte des Umsatzes macht der Aluminiumsektor mit der Autoindustrie, gibt der Gesamtverband Aluminiumindustrie Deutschland an.

Lebensmittel

Im Supermarkt könnte im Falle eines Lieferstopps nicht nur die Alufolie ausgehen, warnt der Branchenverband – das droht auch anderen Produkten. "Stehen die Unternehmen der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft still, laufen wir in eine prekäre Situation", warnt der Branchenverband der Getreideverarbeiter VGMS. "Dann bleiben Regale dauerhaft leer."

Wichtige Grundnahrungsmittel – Haferflocken, Nudeln, Müsli – würden in diesem Szenario laut Verband fehlen. Auch Verpackungen für Lebensmittel, die mit Stärke hergestellt werden, wären betroffen – und das jeweils schon nach kürzester Zeit. Mit einem Anteil von 12 Prozent ist die Branche der zweitgrößte Erdgasabnehmer in der deutschen Industrie, knapp hinter der Chemieindustrie.

Durch den Ukraine-Krieg sind die Preise für viele Lebensmittel, etwa Getreideprodukte, gestiegen. Durch einen Gasmangel könnte sich diese Entwicklung verschärfen. Doch nicht nur Mehl, Müsli, Nudeln und Co. könnten in diesem Fall knapp werden, auch die Gemüsezüchter stehen vor erschwerten Bedingungen.

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In Großbritannien blieben bereits im März die ersten Gewächshäuser leer, weil die Produzenten den Anbau von Gurken, Auberginen, Paprika und Tomaten aufgrund der steigenden Energiekosten nicht mehr finanzieren konnten.

Um die Gewächshäuser auf die benötigte Temperatur zu heizen, nutzen die Gemüseproduzenten Erdgas, das sich durch die Krise stark verteuert hat. Auch in der EU werden viele Gemüsearten, wie etwa Tomaten, in Gewächshäusern gezüchtet.

Sollte Russland die Gaslieferungen zu einem Großteil einstellen, müsste Deutschland auf andere Gaslieferanten ausweichen. Das würde die Preise erneut deutlich in die Höhe treiben – vollständig werden die russischen Gaslieferungen zudem kurzfristig nicht zu ersetzen sein.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Schriftliches Statement des VCI
  • Schriftliches Statement der Salzgitter AG
  • Schriftliches Statement der Wirtschaftsvereinigung Stahl
  • Schriftliches Statement des BV Glas
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
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