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Mindestlohn von 15 Euro: Handwerkspräsident warnt vor Preisanstiegen


Handwerkspräsident Dittrich warnt
"Das wäre eine massive Belastung"


27.04.2025 - 16:48 UhrLesedauer: 7 Min.
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Saskia Esken und Lars Klingbeil (SPD): Der Handwerkspräsident Jörg Dittrich wirft der Partei mangelnde Wirtschaftskenntnisse vor. (Quelle: ESDES.Pictures, Bernd Elmenthaler/imago-images-bilder)
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Schwarz-Rot will die Wirtschaft beleben. Doch kann das funktionieren – und was haben kleine Betriebe vom Koalitionsvertrag? Deutschlands oberster Handwerker Jörg Dittrich gibt Antworten.

Das Handwerk hat es in Deutschland nicht leicht: Nachwuchs ist rar, Zehntausende Betriebe suchen Nachfolger. Gleichzeitig steigen Personal- und Materialkosten. Einer, der trotzdem hoffnungsvoll bleibt, ist der Dachdeckermeister und Präsident des Handwerksverbands, Jörg Dittrich.

Im Gespräch mit t-online erklärt er, welche Chancen er im Koalitionsvertrag sieht, an welchen Stellen der SPD aus seiner Sicht Wirtschaftskompetenz fehlt und warum er sich über einen Handwerksbetrieb aus Sachsen ärgert und ihn trotzdem nicht anruft.

t-online: Herr Dittrich, hat das Handwerk ein Rassismus-Problem?

Jörg Dittrich: Die gesamte Gesellschaft ist nicht immun gegen Rassismus. Ich habe den Eindruck, dass gerade in disruptiven Zeiten fremdenfeindliche Tendenzen zunehmen. Das müssen wir angehen, denn einfach wegschauen darf keine Option sein.

Hintergrund der Frage ist der jüngste Fall von einem sächsischen Dachdecker, der eine rassistische Stellenanzeige geschaltet hatte. Was ging Ihnen als Erstes durch den Kopf, als Sie davon gehört haben?

Da war zunächst eine große Betroffenheit, und ich habe mich gefragt: Wie konnte es so weit kommen? Und dann war ich einfach wütend.

Auf den sächsischen Dachdecker?

Klar, weil medial jetzt wieder mit dem Finger auf das ganze Handwerk gezeigt wird. Durch sein Verhalten gerät völlig in den Hintergrund, welche immense Integrationsleistung das Handwerk erbringt. Sie ist weit überproportional im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen. Rund die Hälfte aller Geflüchteten, die 2015 und 2016 nach Deutschland kamen und eine berufliche Ausbildung machten, wurden im und durch das Handwerk ausgebildet. Das bleibt jetzt unerwähnt. Das ärgert mich maßlos, denn es ist herausragend, was das Handwerk hier leistet.

Rufen Sie ihn an und sagen ihm das?

Nein. Aber die zuständige Dresdener Handwerkskammer wird sich damit beschäftigen. Insgesamt aber müssen wir uns als Gesellschaft mit der Frage auseinandersetzen, was hinter solchen Äußerungen steckt.

Was glauben Sie denn, was das ist?

Viele Menschen in Deutschland haben, so ist mein Eindruck, eine tiefe Zukunftsangst. Diese wird durch die Digitalisierung, den demografischen Wandel und geopolitische Spannungen gespeist. Aus den genannten Entwicklungen entstehen reale Probleme, wie etwa die aktuell schwache Wirtschaftslage, und zugleich psychische Belastungen. Die Angst um den eigenen Arbeitsplatz, Inflation und finanzielle Sorgen. Die Dauerflut an schlechten Nachrichten und die vielen falschen Behauptungen in den sozialen Medien tun ihr Übriges. Woher sollen die Menschen in einem solchen Umfeld Zuversicht schöpfen? Ohne Hoffnung kann der Mensch aber nicht leben.

Wie hoffnungsvoll stimmt Sie der kürzlich vorgestellte Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD?

Der Koalitionsvertrag stimmt mich so hoffnungsvoll, dass ich ihn nicht gleich wieder verdamme oder in den Boden stampfe – was leider vielfach schon wieder der Fall ist. Was ich derzeit im eigenen Betrieb und bei Veranstaltungen immer wieder erlebe: Die Menschen in Deutschland sehnen sich nach Zuversicht.

Was genau gefällt Ihnen denn an dem Papier?

Der Koalitionsvertrag zielt darauf ab, die wirtschaftliche Lage in Deutschland zu verbessern. Und das an vielen Stellen sogar in einer Detailtiefe, die ich in der Form so gar nicht erwartet hätte. Gerade bei den Themen Bürokratieabbau, Abschreibungen für Investitionen und Strompreisdämpfung fällt das positiv auf.


Quotation Mark

Jede Anhebung bei der Einkommensteuer trifft viele dieser kleinen Betriebe.


Jörg Dittrich


Die Industrie oder auch sehr große Betriebe können mit den Superabschreibungen beispielsweise Maschinen neu anschaffen. Kleinen Unternehmen bringt das aber weniger, oder?

Sie haben natürlich recht: Vom Entlastungseffekt einer schnelleren Abschreibung kann nur profitieren, wer dank seiner wirtschaftlichen Lage entsprechende Anschaffungen und Investitionen tätigen kann. Eine allgemeine Senkung der Steuern hätte da vermutlich eine breitere Wirkung gehabt. Doch ich sehe das pragmatisch: Wir müssen diejenigen, die Geld haben, dazu bringen, es auch auszugeben und zu investieren. Das kommt dann wiederum allen zugute. Solche Abschreibungsmöglichkeiten schaffen dafür gute Anreize. Bei der derzeit so miesen Stimmung kann ich nachvollziehen, dass die Politik hier ein Signal senden will.

Für die kleinen Handwerksbetriebe ist aber zu wenig dabei?

Auch fürs Handwerk sind im Koalitionsvertrag durchaus gute und sinnvolle Maßnahmen vorgesehen. Zum Beispiel, dass eine wöchentliche Höchstarbeitszeit kommen soll, dass das Sonntagsbackverbot für Bäcker fällt, dass die Bonpflicht abgeschafft wird. Doch bei einem für das Handwerk wichtigen Thema fehlt der SPD aus meiner Sicht das nötige wirtschaftliche Verständnis.

Was meinen Sie?

Ich spreche von der Idee, den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Das ist Gift, gerade fürs Handwerk. Denn jede Anhebung bei der Einkommensteuer trifft viele dieser kleinen Betriebe. 76 Prozent der deutschen Handwerksbetriebe sind als Personenunternehmen organisiert und würden damit verstärkt zur Kasse gebeten. Das wäre eine massive Belastung für die Leistungsträger der Gesellschaft.

Noch ist nicht bekannt, wer die Wirtschaftsthemen als Minister oder Ministerin verantworten soll. Wie sieht Ihre Traumbesetzung aus?

Zwei Aspekte sind dabei wichtig: Erstens sollte eine künftige Ministerin oder ein künftiger Minister die Wirtschaft selbst erlebt haben und Unternehmertum nicht nur theoretisch aus dem Politikbetrieb kennen. Und zweitens braucht die Person den Rückhalt des Bundeskanzlers und der eigenen Fraktion zur Umsetzung der nötigen Reformvorhaben.

Fällt Ihnen aus der Union jemand ein, der diese beiden Punkte erfüllt?

An der Personalspekulation beteilige ich mich nicht, doch unter den diskutierten Namen gibt es durchaus welche, die diesem Anforderungsprofil nahekommen.

Viel diskutiert wird gerade auch ein möglicher Mindestlohn von 15 Euro, der laut Schwarz-Rot "erreichbar" ist. Sie sind Dachdecker. Können Sie uns vorrechnen, wie viel teurer die Rechnung für ein klassisches Einfamilienhausdach wird, wenn der Mindestlohn auf 15 Euro steigt?

Für mein Gewerk hätte dieser Mindestlohn keine Relevanz, weil dort die Löhne tarifvertraglich geregelt bereits darüber liegen. Ein gesetzlicher Mindestlohn von 15 Euro würde sich aber im Tarifgefüge auswirken, weil dann auch andere Tarifgruppen höhere Löhne einfordern. Ein Anstieg um zwei Euro beim Mindestlohn würde den Stundenverrechnungssatz um vier bis sechs Euro nach oben treiben, weil dadurch ja auch die Sozialabgaben entsprechend höher ausfallen. Und nicht zu vergessen: Auch die Mehrwertsteuer auf den dann höheren Verrechnungssatz ist dadurch höher. Die Folge: Das Dach wird für den Auftraggeber definitiv teurer, denn das Handwerk ist personalintensiv, höhere Personalkosten schlagen sich immer durch auf den Endpreis.

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Und wie viel teurer würde das Dach dann konkret?

Das lässt sich pauschal nicht sagen, das hängt auch noch von anderen Faktoren ab, etwa von der Qualität der Dachmaterialien. Das kann variieren. Ich kann versuchen, auf der Baustelle mit einem Kran zu arbeiten, um die Produktivität meiner Mitarbeiter zu steigern. Es gibt aber Gewerke im Handwerk, da geht das nicht, da machen die Personalkosten fast 80 Prozent des Endkundenpreises aus. Friseure zum Beispiel könnten den Kostenschub sicher nicht mit einem preiswerteren Shampoo dämpfen. Das heißt, der Friseurbesuch dürfte deutlich teurer werden. Und ich finde: Ein Haarschnitt darf kein Luxus werden, sondern muss bezahlbar für alle sein.

Zur Person

Jörg Dittrich, Jahrgang 1969, ist Dachdeckermeister und führt einen 1905 in Dresden gegründeten Familienbetrieb mit 65 Mitarbeitern. Berufsbegleitend studierte er an der Fachhochschule Zittau Hochbau. Ehrenamtlich engagiert er sich seit 2012 in der Dresdner Handwerkskammer. Seit Januar 2023 ist er Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.

Im Handwerk insgesamt sind geschätzt rund 200.000 Stellen offen. Ließen sich die nicht besser besetzen, wenn die Betriebe besser zahlen?

In vielen Handwerksberufen lässt sich sehr gut verdienen. Gerade in Regionen, wo der Bedarf groß ist, können sich gut ausgebildete Handwerker den Betrieb aussuchen. Auch eine Firmengründung kann finanziell attraktiv sein. Einen höheren Mindestlohn mit dem Fachkräftemangel zu begründen, halte ich daher für falsch. Wir müssen vielmehr im Blick haben, dass 2024 rund 62.000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Meistens nicht durch Entlassungen, sondern weil Betriebe "still" geschlossen haben: wegen zu hoher Kosten, zu viel Bürokratie und zu geringer Wertschätzung der unternehmerischen Verantwortung. Viele haben schlicht keinen Nachfolger gefunden. Das ist bitter. Und zeigt: Es fehlt an Nachwuchs, aber sicher nicht nur im Handwerk.

Besetzen ließen sich die Positionen mit Zuwanderern. Inwiefern schadet oder nutzt da die neue Migrationspolitik von Schwarz-Rot?

Deutschland hat Jahre der ungesteuerten Migration erlebt. Es ist gut und nötig, dass die neue Regierung das nun angehen und regeln will. Denn: Wenn sich in der Gesellschaft ein Gefühl von Überforderung breitmacht, führt das zu einem Klima, in dem auch jene Menschen aus dem Ausland auf Ablehnung stoßen, die wir unbedingt brauchen: gut ausgebildete Fachkräfte, die über das Zuwanderungsgesetz nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten und das Land voranzubringen.

Gebraucht werden all diese Menschen auch, weil absehbar viele Menschen in Deutschland in Rente gehen und nur wenige Junge in den Arbeitsmarkt nachwachsen. Merz, Klingbeil und Co. wollen für diese demografische Herausforderung nun eine Expertenkommission einsetzen, die Vorschläge macht für eine Reform der Sozialversicherung. Reicht das aus?

Nein, das reicht natürlich nicht. Das ist nur der nächste Arbeitskreis, der das Problem bespricht – und die Lösung zeitlich verdrängt. Dabei lassen alle Daten zur demografischen Entwicklung und dem Status quo der Sozialsysteme nur einen Schluss zu: Sich um Reformen herumzumogeln, ist keine Option. So wie es jetzt ist, wird es in der Zukunft nicht funktionieren können. Ich sage es ungern, aber es ist einfach so: Wir müssen uns alle bewegen. In einer alternden Gesellschaft wird vermutlich kein Weg daran vorbeiführen, dass alle, denen es möglich ist, länger arbeiten. Dazu müssen auch Erwerbsbiografien betrachtet werden. So wie es bei der Rente derzeit läuft, ist es extrem Generationen-ungerecht. Die Jungen zahlen mit steigenden Beiträgen Leistungen für die rentennahen Jahrgänge, die sie vermutlich selbst so nicht erhalten werden. Und: Lohnintensive Bereiche wie das Handwerk müssen anteilig noch mehr für die Sozialversicherungsbeiträge aufwenden als Branchen, in denen die Personalkosten anteilig weniger ausmachen. Das ist eine inakzeptable Situation für das Handwerk!

Was ist Ihr Lösungsansatz?

Wir müssen an einer ganzen Reihe von Stellschrauben drehen. Längeres Arbeiten bei längerer Lebenserwartung dürfte ein Teil davon sein. Gleichzeitig brauchen wir eine grundlegende Reform von Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, vor allem im Bereich der Finanzierung, die nach wie vor zu einseitig vor allem an den Lohn gekoppelt ist. Und was spricht eigentlich gegen eine größere Eigenverantwortung, auch in der Krankenversicherung? Es ist nicht in Ordnung, dass schon die Diskussion über jegliche Reformidee von vorneherein zu persönlichen Angriffen auf die Menschen führt, die Argumente über Lösungen austauschen wollen.

Blicken wir abschließend noch kurz in die USA, wo Donald Trump mit seinem Handelskrieg die Weltwirtschaft ins Chaos stürzt. Wie sehr betreffen die Zölle auch das deutsche Handwerk?

Auf den ersten Blick ließe sich meinen: kaum. Früher hieß es mal: Das Handwerk ist lokal, die Industrie global. Auf den zweiten Blick aber erschließt sich, dass dieser Satz so nicht mehr gilt. Dafür sind Handwerk und Industrie viel zu stark verflochten. Handwerksbetriebe sind vielfach Zulieferer für die Industrieproduktion, übernehmen die Wartung von Maschinen, die Gebäudereinigung und die Lebensmittelversorgung von Industrieunternehmen. Wenn es großen Industriekonzernen wegen der Zölle schlecht geht, spüren das also auch Handwerksbetriebe. Und natürlich exportieren manche Betriebe auch direkt: etwa die Dresdener Bäckermeister, die Christstollen in die USA liefern. Deshalb ist klar: Europa muss noch stärker und enger zusammenarbeiten, um Trump etwas entgegenzusetzen und um bessere Absatzmärkte zu schaffen.

Herr Dittrich, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Jörg Dittrich am 23. April 2025
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