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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Brauereien in der Krise "Dann gibt es kein Bier mehr"
Ist Bier aktuell zu billig? Der Vertriebschef der Erdinger-Brauerei findet, ja. Ein Kasten müsste schon lange mehr als 30 Euro kosten. Auch die Branche pflichtet ihm nun bei – und warnt vor einem Gasstopp.
Angesichts gestiegener Kosten für Deutschlands Brauer fordert der Verband Private Brauereien ein Umdenken in der Branche und im Handel. "Der aktuelle Preis spiegelt den wahren Wert des Bieres bei Weitem nicht wider", sagte Verbandsgeschäftsführer Roland Demleitner im Gespräch mit t-online. "Der Bierpreis ist seit Jahren viel zu niedrig. Das muss sich ändern, um ein dauerhaftes Überleben der Branche zu sichern."
Zuvor hatte der Vertriebschef der Brauerei Erdinger Weißbräu, Josef Westermeier, bereits einen "Paradigmenwechsel" gefordert. Bier sei viel zu billig, sagte er im Interview mit t-online.
"Wenn der Handel und die Kunden nicht verstehen, dass Bier auch etwas wert ist, wird es einen radikalen Umbruch in der Branche geben", sagte Westermeier weiter. "Ein Kasten Bier müsste eigentlich schon lange 30 Euro kosten, wenn sich die Preise wie in anderen Branchen entwickelt hätten."
"Strompreis ist um 200 Prozent gestiegen"
Besonders in der derzeitigen Situation sei es wichtig, dass die Preise anzögen. Die gestiegenen Energiekosten seien "grausam", sie hätten sich verdreifacht. "Theoretisch könnte ein Kasten Weißbier drei bis vier Euro teurer werden. Wann genau, ist offen", so Westermeier. Es hänge vom Handel ab, ob die Kunden letztlich tiefer in die Tasche greifen müssten.
Auch Demleitner, dessen Verband mehrere Hunderte kleine und mittelständische Brauereien vereint, erwartet steigende Preise für Kunden. "Der Strompreis ist um bis zu 200 Prozent gestiegen, Verpackungen um 100 Prozent, bei Malz gibt es immer neue Rekordpreise", so Demleitner. "Die Kosten schlagen voll durch, besonders kleine Brauereien trifft es. Das weiterzureichen, lässt sich nicht verhindern."
"Billiges Bier soll Kunden in die Supermärkte locken"
Zwar akzeptierten Kunden bisweilen höhere Preise, weil viele Brauereien eng mit der Region verwurzelt seien. Es komme aber auf die Region und das Marktsegment an, wie lange die Situation durchgehalten werden könne.
Er appellierte vor allem an den Handel, künftig auf Sonderangebote zu verzichten. "Billiges Bier soll Kunden in die Supermärkte locken", was Probleme schaffe. "Der Preis, den wir eigentlich erzielen müssten, ist so kaum durchsetzbar", so der Verbandsfunktionär.
Denn die Kunden griffen im Zweifelsfall zu den Bieren im Sonderangebot. Drei von vier Bierkästen würden dort gekauft. "Und die großen Brauereien machen da mit. Für sie ist es oft die einzige Möglichkeit, Marktanteile zu bekommen, wenn ein Konkurrent den Betrieb aufgibt."
Brauer-Bund: Handel muss schwierige Situation erkennen
Sie könnten die aktuelle Krise eher aussitzen, sagte Demleitner. Doch: Sollte Bier dauerhaft so günstig bleiben wie derzeit, "wird es auch große Brauereien treffen".
Auch der Brauer-Bund, in dem die großen Brauereien organisiert sind, sieht das Problem der drastisch gestiegenen Kosten. "Wir erwarten, dass nun auch der Handel erkennt, in welcher schwierigen Situation sich die Brauereien befinden", sagte Holger Eichele, Geschäftsführer des Brauer-Bunds, t-online.
Die marktbeherrschenden Handelskonzerne könnten nicht einfach wegsehen, "wenn ihre Lieferanten exzessiven und existenzgefährdenden Kostensteigerungen ausgesetzt sind".
Branche bereitet sich auf Gasstopp vor
Ein Szenario bereitet der gesamten Branche große Sorgen: das eines Gasstopps, sei es durch Russland oder ein Embargo der EU. "Von Woche zu Woche verdichten sich die Hinweise, dass die Gasversorgung Deutschlands massiv gefährdet ist", so Eichele weiter. Die Brauereien bereiteten sich seit Wochen auf einen Lieferstopp für russisches Gas vor; so heißt es auch von Krombacher, man rüste sich "für alle Eventualitäten".
Auch Westermeier hatte zuvor gesagt, Erdinger habe sich solche Gedanken bereits gemacht. "Wir müssten bei einem Gasstopp sehr schnell umstellen, wir bräuchten drei Lkw-Ladungen Heizöl pro Woche", sagte er. Doch im Zweifelsfall müsste das Familienunternehmen abwägen, was es noch produzieren könne und was nicht.
"Fassbier wäre am wenigsten gefährdet, das ist am wenigsten energieintensiv. Überspitzt ausgedrückt: Wir bräuchten eine Weißbier-Triage, eine Priorisierung bei den Absatzwegen." Es müsste also entschieden werden, welcher Kunde noch wie viel Bier bekommen würde – hier hätten die treuesten Kunden Vorrang, so Westermeier.
"Dann gibt es kein Bier mehr, das man verteilen könnte"
Auch Demleitner vom Verband der privaten Brauereien sieht das Risiko. Er sei sich aber nicht sicher, ob man gleich von einer "Triage" sprechen könne, was ja ein medizinischer Begriff sei. In der Corona-Krise rückte er in den Fokus, als es um die Priorisierung von Intensivpatienten ging.
Allerdings, so Demleitner, sei eine "Triage" höchstens als Vorstufe einer Eskalation zu verstehen. "Wenn man uns das Gas abschaltet, werden weite Teile der Branche erwischt. Dann brauchen wir nicht mehr über eine 'Bier-Triage' zu reden. Dann gibt es kein Bier mehr, das man verteilen könnte."
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Roland Demleitner
- Gespräch mit Holger Eichele
- Schriftliches Statement von Krombacher