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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drohende Pleitewelle "Wir erwarten bis zu 25.000 Insolvenzen"
Schon seit Monaten rechnen Experten mit einer Insolvenzwelle. Nun ist eine wichtige Corona-Regel ausgelaufen. Kommen also jetzt wirklich Tausende Pleiten auf Deutschland zu?
Seit Monaten schwebt ein Schreckgespenst über der deutschen Wirtschaft: eine drohende Insolvenzwelle. Paradoxerweise wurden im Corona-Jahr 2020 so wenig Insolvenzen angemeldet, wie noch nie seit Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999.
Der Grund: Bestimmte insolvente Firmen mussten ihre Pleite nicht mehr anmelden – die sogenannte Insolvenzantragspflicht wurde ausgesetzt. Damit ist aber nun Schluss und die Pleite-Gefahr steht erneut im Raum. t-online erklärt, was es damit auf sich hat – und ob nun tatsächlich die Insolvenzwelle kommt.
Was ändert sich beim Insolvenzantrag?
Normalerweise muss eine Firma spätestens drei Wochen nach Eintritt eines Insolvenzgrunds einen Insolvenzantrag beim Gericht stellen. Insolvenzgründe können Zahlungsunfähigkeit, drohende Überschuldung oder Überschuldung sein. Mehr dazu lesen Sie hier.
Wegen der Pandemie hatte die Bundesregierung im vergangenen Frühjahr aber die Meldepflichten für Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit außer Kraft gesetzt. Für Zahlungsunfähigkeit gilt die Antragspflicht seit Oktober wieder.
Für überschuldete Firmen war sie bis Ende April ausgesetzt – unter der Voraussetzung, dass die Firmen bis zum 28. Februar Staatshilfen beantragt haben, die noch nicht ausgezahlt waren. Die Unternehmen mussten zudem glaubhaft machen, dass sie durch die Corona-Krise in Schwierigkeiten gerieten.
Doch nun ist die letzte Corona-bedingte Insolvenzantragsregelung ausgelaufen – alle Firmen müssen nun wieder Insolvenz anmelden.
Warum ist die Insolvenzregelung umstritten?
Dafür gibt es mehrere Gründe. So lautete eine Kritik an der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, dass davon Firmen profitieren, die schon vor Corona Probleme hatten. So erklärt es auch Georg Licht, Ökonom am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). "Ich bin kein Fan der Regelung", sagte er im Gespräch mit t-online. "Denn sie sorgt dafür, dass auch Unternehmen überleben, die eigentlich nicht lebensfähig wären."
Dabei könnte eine Insolvenz auch eine "Chance" für ein Unternehmen sowie die Wirtschaft sein. "Das gilt etwa, wenn eine Firma einem Geschäftsmodell nachgeht, das nicht zukunftsfähig ist. Hier können Insolvenzen einen reinigenden Effekt haben – so schlimm das im Einzelfall sein mag."
Firmen könnten sich strafbar machen
Eine weitere Kritik an der Aussetzung sehen Experten an der unsicheren Rechtslage. Unternehmen laufen Gefahr, unbeabsichtigt eine Insolvenzverschleppung und damit eine Straftat zu begehen – weil sie schlicht nicht wussten, dass sie die Insolvenz anmelden mussten.
Das haben Insolvenzverwalter bereits vor Monaten beklagt. Was Sie zur Insolvenzverschleppung wissen sollten, lesen Sie hier.
Kommt nun die Pleitewelle?
Das ist die entscheidende Frage – bei der sich Politiker und Ökonomen uneins sind. ZEW-Ökonom Licht geht von überdurchschnittlich vielen Pleiten aus. "Eine Insolvenzwelle werden wir sicher sehen. Fraglich ist nur, wie groß diese ausfällt – und wann sie kommt", sagte er im Gespräch mit t-online.
Im Corona-Jahr 2020 war die befürchtete Welle von Unternehmenspleiten ausgeblieben. Die Zahl der Firmenzusammenbrüche sank vielmehr auf den niedrigsten Stand seit Jahren. Die deutschen Amtsgerichte meldeten im vergangenen Jahr 15.841 Firmenpleiten. Das waren 15,5 Prozent weniger als im Jahr zuvor.
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Nach Einschätzung des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) entlasteten auch das Kurzarbeitergeld und staatliche Finanzhilfen die Unternehmen. Wirtschaftsforscher rechnen aber mit deutlich steigenden Insolvenzzahlen, sollten die staatlichen Hilfsmaßnahmen in den kommenden Monaten auslaufen.
Bis zu 250.000 Beschäftigte könnten von Insolvenzen betroffen sein
"Wir erwarten bis zu 25.000 Insolvenzen, alleine aus dem Jahr 2020. Da sind die Firmen aus dem neuesten Lockdown noch gar nicht dabei", so Licht. Bei diesen Unternehmen – etwa Restaurants, Hotels oder Friseursalons – arbeiteten größtenteils weniger als zehn Beschäftigte. "Es geht also um insgesamt bis zu 250.000 Beschäftigte", die von Insolvenzen betroffen sein könnten.
Was zunächst viel klingt, muss in Relation gesehen werden, denn: Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland lag im Januar 2021 bei 33,5 Millionen. Außerdem gilt: Eine Insolvenz muss nicht zwangsläufig zur Arbeitslosigkeit führen. Gut möglich beispielsweise, dass eine insolvente Firma samt Mitarbeitern von einer anderen übernommen wird.
Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, will derweil nichts von Pleiten wissen. "Ich bin Optimist: Unsere Wirtschaft funktioniert, der Mittelstand ist stark und die Impfungen laufen an", sagte er t-online. "Ich rechne Stand jetzt nicht mit einer großen Insolvenzwelle."
Könnte die Insolvenz-Regel doch verlängert werden?
Möglich, aber unwahrscheinlich. So erklärte ein Sprecher des SPD-geführten Justizministeriums am Freitag, die Bundesregierung plane derzeit keine Verlängerung der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht.
Auch Fechner, ein Verfechter der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht, gibt sich ernüchtert. "Nächste Woche starten wir einen letzten Versuch, um die CDU zu einer Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu bewegen", sagte er t-online. "Doch mit denen ist das nicht zu machen."
Die Folge aus seiner Sicht: "Tausende Jobs sind in Firmen gefährdet, die nur in finanzieller Schieflage sind, weil die Hilfen noch nicht geflossen sind." Was er meint: Die bis Ende April ausgesetzte Antragspflicht galt nur für Firmen, die bis Ende Februar auf Corona-Hilfen warteten.
Hilfsgelder sind größtenteils geflossen
Tatsächlich sind die Gelder mittlerweile zum Großteil ausgezahlt, nachdem es lange Zeit Probleme bei der Überweisung gab. Von denjenigen, die bis zum 28. Februar 2021 einen Antrag auf Überbrückungshilfe III gestellt haben, erhielten 82 Prozent (mit Stand vom 22. April 2021) die Hilfen.
Das geht aus der Antwort des Wirtschaftsministerium auf eine Kleine Anfrage der FDP-Politikerin Katja Hessel hervor, die t-online vorliegt. "Grundsätzlich gilt allerdings, dass Auszahlungsquoten von 100 Prozent nicht erreicht werden können, da nicht jede und jeder Antragstellende automatisch auch einen rechtmäßigen Anspruch auf Fördergelder hat", heißt es in der Antwort des Ministeriums weiter.
"Regierung entscheidet nach Gutsherrenmanier"
Hessel, Vorsitzende des Finanzausschusses, kritisiert den Bund derweil scharf für sein Agieren bei der Insolvenzantragspflicht. "Ich habe langsam kein Verständnis mehr für das Vorgehen der Bundesregierung", sagte sie t-online.
Dass der Bund nächste Woche nochmal darüber entscheiden will, wie es weitergehe, kritisierte sie – und spielt auf mangelnde Planungssicherheit für die Firmen an. "Auf was können sich die Unternehmen denn nun einstellen? Auf eine weitere Verlängerung der Aussetzung oder darauf, dass ab dem heutigen 1. Mai ein Insolvenzantrag gestellt werden muss?", so Hessel.
"Hieran hängen Existenzen, aber dies scheint die Groko wenig zu kümmern. Sie schafft keine Rechtssicherheit, sondern entscheidet nach Gutsherrenmanier." Falls die Aussetzungsfrist entgegen der Erwartungen verlängert würde, müsste der Bundestag das schließlich noch absegnen, sagte Hessel – was zwangsläufig weitere Zeit kostet.
Die Regelung würde in dem Fall rückwirkend wieder in Kraft treten. Das könnte für bürokratische Probleme sorgen.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Johannes Fechner
- Statement von Katja Hessel
- Gespräch mit Georg Licht
- Kleine Anfrage der FDP-Fraktion
- Statistisches Bundesamt
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters