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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kanzlerin trifft Autobranche Mögliche Verbrenner-Prämie: Wer will was bei Merkels Autogipfel?
Die Videoschalte ist für zwei Stunden angesetzt, wahrscheinlich dauert es aber länger: Am Dienstagabend lädt Kanzlerin Angela Merkel zum Autogipfel ein. Worum es dabei geht, erfahren Sie hier.
Keine Branche ist so wichtig für die deutsche Wirtschaft – und kaum eine traf die Corona-Krise so hart: Trotz einsetzendem Aufschwung geht es der Autoindustrie in Deutschland nach wie vor schlecht.
Im Frühjahr standen viele Bänder in den Fabriken wochenlang still, die VW, Daimler, BMW und Co. meldeten für den Großteil ihrer Mitarbeiter Kurzarbeit an. Auch zahlreiche Zuliefererbetriebe kämpfen angesichts der Krise inzwischen ums Überleben.
Die Autobranche will deshalb Hilfen vom Bund. Bereits im Juni hatte die Industrie in der Debatte um ein Konjunkturpaket staatliche Kaufprämien für moderne Benziner und Dieselwagen gefordert, um die Nachfrage anzukurbeln. Dies aber war am Widerstand vor allem der SPD gescheitert.
Die Koalition beschloss dafür eine höhere staatliche Prämien beim Kauf von Elektroautos. Zudem sollte die Senkung der Mehrwertsteuer die Nachfrage antreiben. Über mögliche neue Hilfen wird beim Autogipfel am Dienstag diskutiert. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zum neuerlichen Autogipfel.
Wer trifft sich – und worum geht es?
Der Autogipfel – offiziell ein Spitzengespräch der sogenannten Konzertierten Aktion Mobilität – findet per Videokonferenz am Dienstagabend statt. Teilnehmer sind neben Regierungsvertretern wie Angela Merkel auch die Ministerpräsidenten der Autoländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen – also Markus Söder (CSU), Winfried Kretschmann (Grüne) und Stephan Weil (SPD).
Außerdem werden Vertreter der Autoindustrie, also Manager von Daimler, VW und BMW, erwartet sowie Arbeitnehmervertreter.
Darum geht es beim Autogipfel
Bei den Gesprächen geht es vor allem um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Autobranche und mögliche staatliche Hilfen für die Konzerne. "Die Lage vieler Unternehmen ist weiterhin angespannt", sagte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, der Deutschen Presse-Agentur. "Deswegen ist der Austausch zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Politik so wichtig."
Doch es soll auch um Themen wie Ladeinfrastruktur für E-Autos sowie Autonomes Fahren gehen. In die Digitalisierung investiere die deutsche Automobilindustrie bis zum Jahr 2024 rund 25 Milliarden Euro, so Müller.
Wer fordert welche Hilfen?
Die Interessen der Teilnehmer des Autogipfels sind völlig verschieden. Eine Übersicht der einzelnen Forderungen:
Das will die Autobranche
Autokonzerne: Der Deutschlandchef des Autobauers Ford, Gunnar Herrmann, sprach sich für eine Kaufprämie für Autos mit sparsamen Verbrennermotoren aus. "Die Planung der Fahrzeugproduktion wird derzeit massiv erschwert durch die einseitige Förderung allein von Elektromobilität, der die Kunden aufgrund der mangelhaften Ladeinfrastruktur noch skeptisch gegenüberstehen", sagte Herrmann dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Den anderen Produzenten werden ähnliche Ziele zugeschrieben – offiziell äußern wollten sich die Hersteller auf Anfrage im Vorhinein aber nicht.
Zulieferer: Die Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie, die von sieben Wirtschaftsverbänden getragen wird und nach eigenen Angaben 9.000 vornehmlich mittelständische Zulieferer vertritt, forderte die Bundesregierung am Montag zu "einer zügigen Erweiterung der Kaufanreize" auf.
Das wollen die Parteien
CDU: Die CDU lehnt "Sonderprämien für einzelne Branchen" ab, sagte der CDU/CSU-Fraktionsvize Carsten Linnemann der Nachrichtenagentur Reuters. Wichtiger seien strukturelle Reformen im Steuer- und Arbeitsrecht und ein "Belastungsmoratorium", damit man es den in der Krise ohnehin leidenden Unternehmen nicht noch schwerer mache, im Wettbewerb zu bestehen.
CSU: Die CSU fordert eine "beschleunigte Transformationsstrategie", wie Parteichef Markus Söder vorab sagte. Diese müsste auch Kaufanreize für klassische Verbrennermotoren enthalten. Auch CSU-Parteikollege und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will staatliche Kaufprämien für Verbrennungsmotoren nicht ausschließen. Es gebe bereits eine Prämie für Elektrofahrzeuge, aber noch nicht genug Fahrzeuge auf dem Markt, sagte Scheuer im Deutschlandfunk. "Und deswegen müssen wir jetzt auch die Zeit überbrücken, bis diese Fahrzeuge noch massentauglicher werden. Das heißt, wir müssen alt gegen neu tauschen, und da darf es auch kein Tabuthema Verbrennungsmotor geben."
SPD: Die SPD fordert einen sogenannten staatlichen Mittelstandsfonds. Co-Parteichef Norbert Walter-Borjans sagte t-online: "Die Autobranche ist das Rückgrat unserer Industrie. Von ihrer Kraft zur Erneuerung hängen Millionen von Arbeitsplätzen in Deutschland ab." Eine staatliche Prämie zur Förderung von Verbrennermotoren lehnt die SPD aber strikt ab.
Grüne: Die Chefin der Öko-Partei, Annalena Baerbock, führte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ("FAS") aus: "Wir müssen Mittelständlern und Zulieferern Zeit verschaffen." Sie forderte, dass die Politik über einen staatlichen Fonds als Eigentümer von Krisenfirmen einspringen müsse.
FDP: Die Liberalen kritisieren indes einen "Corona-Sozialismus" von SPD, Grünen und IG Metall. Die Partei lehnt sowohl Teilverstaatlichungen ab als auch eine Kaufprämie, die lediglich zu "Mitnahmeeffekten" führen würde. Stattdessen müssten die "Standortbedingungen" für die Autoindustrie verbessert werden – unter anderem durch eine faire Besteuerung und die Förderung von Forschung und Entwicklung.
Das will die IG Metall
IG Metall: Die Gewerkschaft will sich besonders für die Autozulieferer einsetzen, so Gewerkschaftschef Jörg Hofmann. Er plädierte – ebenso wie die Grünen und SPD – für einen staatlichen "Mittelstands- und Transformationsfonds", der sich an Unternehmen in Not beteiligt, sagte er der "FAS". Der IG-Metall-Chef will beim Autogipfel darauf drängen, dass im Sommer 2021 und damit rechtzeitig vor der Bundestagswahl über eine weitere Verlängerung der Corona-Kurzarbeitsregeln bis 2023 beraten wird. Nach der Wahl sei womöglich sonst die Zeit zu knapp für eine Anschlussregelung.
Das sagen Ökonomen
Monika Schnitzer: Die Wirtschaftsweise hat eindringlich vor einer Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotoren gewarnt. Dies wäre auch dann "ökonomisch falsch", wenn es die Prämie nur für besonders effiziente Verbrennungsmotoren gäbe, sagte Schnitzer den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Verkehrssektor habe bisher nichts zur Verringerung der klimaschädlichen Treibhausgase beigetragen. Deshalb sei der Strukturwandel hin zu Autos, die nicht auf fossile Brennstoffe angewiesen sind, "unumgänglich".
Gabriel Felbermayr: Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW) sagte dem "Handelsblatt", die Krise der Autobranche habe "schon lange vor Corona eingesetzt" und belege, dass der klimapolitische Umbau der Individualmobilität gescheitert sei. Kaufprämien für Verbrenner bezeichnete Felbermayr als "Eingeständnis dieses Scheiterns".
Was soll beschlossen werden?
Wahrscheinlich erst einmal gar nichts. Konkrete Beschlüsse sind wohl nicht zu erwarten. Im Vordergrund steht eher der Austausch zwischen den Teilnehmern.
Es ist noch nicht einmal klar, ob es überhaupt weitere Hilfen für die Automobilbranche geben wird. Das hängt maßgeblich davon ab, ob es eine zweite Corona-Welle geben wird – und wie sich die Autoindustrie dabei schlägt.
So appellierte VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch bereits Anfang September an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, einen zweiten Corona-Lockdown und weitere Abschottungen von Märkten in der Krise unbedingt zu verhindern. Darauf müssten angesichts bereits erheblicher Schäden aus der ersten Pandemie-Welle und wieder steigender Infektionszahlen nun "alle Anstrengungen ausgerichtet" sein, sagte Pötsch.
Es stelle sich "die Frage, ob die bisher beschlossenen Hilfsprogramme ausreichend sind, um wirtschaftlich gut über die nächsten Monate zu kommen", meinte Pötsch. Aktuell bleibe die Gesamtlage "mehr als besorgniserregend".
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und AFP