Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Babypause für Mandatsträger Anwältin: "Ein Vorstandsmitglied wird vor dem Gesetz kaum als Mensch betrachtet"
Als Unternehmenschefin in die Babypause? Das kommt selten vor. Ein Grund dafür ist, dass Vorständinnen kein Anrecht auf Rückkehr in ihren Job haben. Eine Initiative will deshalb das Gesetz ändern.
Für Angestellte und einfache Beschäftigte ist die Sache klar: Kommt ein Kind zur Welt, können Mütter und Väter problemlos in Elternzeit gehen, ohne fürchten zu müssen, dadurch ihren Job zu verlieren.
An der Spitze vieler großer Unternehmen sieht es anders aus. Für Konzernvorstände und Geschäftsführerinnen gibt es ein solches Recht nicht, denn sie sind keine herkömmlichen Arbeitnehmer, sondern sogenannte Mandatsträger.
Ihre Rechte und Pflichten regelt unter anderem das deutsche Aktiengesetz. Und das sieht eine zeitweise Auszeit vom Job, ob für Familie, Pflege oder eine längere Krankheit, nicht vor.
Am eigenen Leib erfahren hat das zuletzt Delia Lachance. Sie war bis vor Kurzem als Chief Creative Officer im Vorstand des börsennotierten Möbelhändlers Westwing. Anfang März musste sie von ihrem Posten zurücktreten – weil sie ein Kind erwartete, sechs Monate zu Hause bleiben wollte.
Ein Unding, fand nicht nur Lachance selbst, sondern auch eine Reihe anderer Wirtschaftsvertreter und Rechtsanwälte. Gemeinsam gründeten sie deshalb die Initiative #stayonboard, was übersetzt so viel heißt wie: "Bleib im Vorstand."
Der Bundestag müsste das Aktiengesetz anpassen
Ziel der Gruppe, die unter anderem vom FDP-Bundestagsabgeordneten und früheren Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger unterstützt wird, ist eine Anpassung des Aktiengesetzes. Im Kern geht es der Initiative um Folgendes:
- Firmenchefs, Vorständinnen und Aufsichtsräte sollen unter Wahrung einer angemessenen Ankündigungsfrist einen Anspruch auf eine Mandatspause von beispielsweise sechs Monaten haben. Nach Ablauf der Pause sollen sie automatisch auf ihre bisherige Position zurückkehren dürfen.
- Der Dienstvertrag würde in dieser Zeit ohne Bezahlung ruhen, Geld bekämen sie während ihrer Abwesenheit nicht vom Unternehmen.
- Während der Abwesenheit sollen die Mandatsträger von ihrem Haftungsrisiko entbunden sein, das heißt konkret: Kommt es während der Pause zu Schäden am Unternehmen, dürfen nicht sie dafür verantwortlich gemacht werden.
Herkömmliche Arbeitnehmerrechte, das ist den Initiatoren wichtig zu betonen, entstünden dadurch nicht. Vielmehr soll die Gesetzesänderung auch den Interessen der Unternehmen Rechnung tragen: Für die Dauer der Pause könnte der Aufsichtsrat etwa eine Vertretung berufen. Zudem sollen die Vorstände ihre Auszeit nicht plötzlich ankündigen können, etwa wenn sich im Unternehmen Probleme abzeichnen.
Doch wieso ist all das überhaupt so wichtig? Wen betrifft der Vorschlag wirklich – und wie wahrscheinlich ist seine Umsetzung? t-online.de hat darüber mit der Rechtsanwältin Jessica Jacobi gesprochen, die zu den Initiatoren von #stayonboard zählt.
t-online.de: Frau Jacobi, von den 198 Dax-Vorständen sind 29 Frauen. Man könnte sagen, der Wunsch nach einer gesetzlichen Babypause ist ein absolutes Nischenthema. Warum kämpfen Sie trotzdem dafür?
Jessica Jacobi: Berechtigte Frage! Unser Kampf für die Mandatspause hat drei Gründe. Erstens ist der Frauenanteil in den Start-ups deutlich höher als in den Dax-Konzernen. Auch ist dort das Durchschnittsalter der Vorstandsmitglieder niedriger. Zwar gibt es dafür keine statistische Erhebung – gefühlt aber sind knapp 30 Prozent der Start-up-Vorstände weiblich, im Schnitt dürften die Chefs von jüngeren Unternehmen etwa 40 Jahre alt sein. Es handelt sich also um weit mehr Menschen, die sich noch dazu in einer anderen Lebensphase befinden. Zweitens geht es darum, dass Vorständinnen auch Vorbilder sind. Das, was ein Vorstand macht, beeinflusst ganz stark, was die Ebenen darunter machen.
Und der dritte Punkt?
Da geht es um etwas Grundsätzliches: Erst dann, wenn gleiche Rechte für beide Eltern eingeführt sind und auch wahrgenommen werden, hilft das auch den Frauen. Denn sonst wird die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf immer ein Sonderproblem sein, was den Frauen zugeordnet wird.
Aber gibt es in der Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Arbeitsalltag nicht Wichtigeres als die Nöte von Elite-Managerinnen, die sich im Zweifel eine Kinderbetreuung besser leisten können als einfache Arbeitnehmerinnen?
Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich will die Situation von einfachen Arbeitnehmerinnen gar nicht kleinreden. Die Schwierigkeiten, die Eltern auch in anderen Unternehmensebenen täglich meistern, sind sehr groß. Gerade jetzt, in der Corona-Krise, wird einmal mehr deutlich, wie viel Hunderttausende Eltern, vor allem aber Frauen leisten. Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass es auch für die Führungsebene Regelanpassungen braucht.
In den letzten 50 Jahren wurden viele, viele Rechte für die Arbeitnehmerschaft erkämpft. Für die sogenannten Unternehmensorgane, für die Führungsebenen also, hat sich dagegen fast nichts verändert. Ein Vorstandsmitglied oder ein Geschäftsführer wird vor dem Gesetz bislang kaum als Mensch betrachtet, der auch mal ein krankes Kind hat, dessen Eltern gepflegt werden müssen – oder der auch mal selbst aus gesundheitlichen Gründen über einen längeren Zeitraum ausfällt.
Sie spielen auf Douglas-Chefin Tina Müller an, die krankheitsbedingt mehrere Monate nicht arbeiten kann.
Ich kann zu dem konkreten Fall nichts sagen, aber solche Dinge passieren auch im Leben eines Vorstands. Doch das deutsche Gesetz bildet das überhaupt nicht ab. Das Aktiengesetz geht von einem dauerfunktionierenden Vertretungsorgan aus. Das ist ein Problem.
Warum ist die Situation überhaupt so wie sie ist – wieso fällt das erst jetzt auf?
Das ist eine gute Frage, da kann ich nur mutmaßen. Das eine ist natürlich, dass die Arbeitnehmerschaft zahlenmäßig deutlich größer ist als der Vorstand. Auf der anderen Seite hat der Vorstand eines Unternehmens auch eine andere Verantwortung – gegenüber der Belegschaft, den Aktionären und dem Markt. Deshalb wagen es nur wenige, auch nur wenige Betroffene, an den aktuellen Regeln zu rütteln. Und es braucht natürlich immer ein erstes Mal, einen Präzedenzfall. So wie jetzt bei Delia Lachance.
Gutes Stichwort: Ist es nicht richtig, dass wegen der größeren Verantwortung für Vorstände andere Regeln gelten?
Ja und nein. Natürlich ist es richtig, dass die Verantwortung für das Unternehmen bei den Vorständen liegt – und zwar de facto rund um die Uhr. Sie sind verantwortlich, wenn sie im Urlaub sind und auch wenn sie krank zu Hause bleiben. Es gibt kaum ein Vorstandsmitglied, das nicht auch im Urlaub oder bei Krankheit täglich berufliche Telefonate führt.
Die Fortzahlung der Vergütung bei Urlaub und Krankheit wird üblicherweise im Dienstvertrag geregelt, nicht aber die Situation bei Elternschaft oder Pflegebedarf in der Familie. Und die Verantwortlichkeit und die Haftung gelten grundsätzlich immer, auch bei Abwesenheit, wegen der Gesamtverantwortung des Vorstands. Das muss sich ändern. Dafür machen wir konkrete Vorschläge, die auch im Einklang sind mit den Interessen des Unternehmens.
Was genau meinen Sie damit?
Eine Mandatspause darf etwa nicht zur Unzeit genommen werden, zum Beispiel, wenn sich eine unternehmerische Schieflage abzeichnet. Da darf sich niemand plötzlich aus der Verantwortung stehlen, indem sie oder er eine Langzeiterkrankung aus dem Hut zaubert. Eine Schwangerschaft aber kündigt sich ja längerfristig an, das lässt sich planen, sie kann also nicht als Umgehungsmechanismus dienen. Die Verhinderung von Missbrauch muss im Gesetz festgehalten werden. Zudem wollen wir, dass der Aufsichtsrat einen Vertreter bestellen kann – oder selbst die Verantwortung für den Bereich des betroffenen Vorstandsmitgliedes übernimmt.
Zentral ist bei all dem die Frage der Haftung für mögliche Schäden am Unternehmen, die während der Abwesenheit entstehen. Warum ist das so wichtig?
Weil in den vergangenen 20 Jahren die Zahl der Haftungsfälle immens gestiegen ist. In meiner Kanzlei beschäftigen wir uns heute deutlich öfter mit Klagen gegen Vorstände, die falsch, also nicht zum Wohle des Unternehmens gehandelt haben sollen. Das gab es früher in dem Ausmaß nicht. Ein Grund dafür ist, dass die Zahl der Manager-Versicherungen, die Vorstände absichern, stark gestiegen ist. Wo es einen Versicherer im Hintergrund gibt, wird häufiger geklärt, ob der Vorstand haftet. Zudem ist das Entbinden von der Haftung während der Abwesenheit auch mental wichtig: Erst, wenn ich als Vorstand weiß, dass ich auch während der Elternzeit oder der Reha kein Risiko mit den Entscheidungen anderer eingehe, kann ich richtig abschalten.
Weshalb braucht es dafür ein Gesetz – warum reicht eine Vereinbarung in den Unternehmen, etwa den 30 Dax-Konzernen, nicht aus?
Ich bin skeptisch, dass eine Vereinbarung, die alle Dax-Unternehmen freiwillig von sich aus treffen, wirklich zustande kommt. Und es gibt in Deutschland ja weit mehr Aktiengesellschaften als nur die im Dax vertretenen. Auch wären solche Vereinbarungen für Mandatspausen, die man etwa in die Dienstverträge aufnimmt, rechtlich nicht verbindlich. Selbst wenn ein Unternehmen, vertreten durch den Aufsichtsrat, sagt, dass ein Vorstand nach einer sechsmonatigen Pause wieder zurückkommen darf, kann sich der Aufsichtsrat in seinem Ermessen nicht daran binden. Eine solche Zusage ist nichtig. Deshalb meinen wir, dass eine Gesetzesänderung nötig ist.
Was sind die nächsten Schritte Ihrer Initiative?
Wir sind bereits in Kontakt mit mehreren Bundesministerien und mit mehreren Bundestagsabgeordneten. Über sie wollen wir das Gesetzgebungsvorhaben einbringen – und dann hoffen wir darauf, dass es dafür eine breite Mehrheit gibt. Im Moment sehen wir es so, dass mindestens zwei, wenn nicht drei oder gar vier Parteien für ein solches Vorhaben stimmen könnten. Wir sehen deshalb ganz gute Chancen für unser Vorhaben. Was uns besonders optimistisch stimmt: Unsere Webseite ist erst seit wenigen Tagen online und schon jetzt werden wir von vielen Seiten angeschrieben. Es gibt viele positive Reaktionen – zuletzt zum Beispiel auch vom Deutschen Ethikrat.
Sie haben selbst eine steile Karriere hingelegt, sind aber als Anwältin nicht im Vorstand einer AG. Gab es auf Ihrem Weg dennoch Momente, wo Sie schockiert waren über die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern?
Als Partnerin in einer Anwaltskanzlei bin ich in einer ähnlichen Verantwortung wie ein Vorstand. Zur Frage nach der Ungleichbehandlung würde ich sagen, dass Frauen in Deutschland heute erst einmal jeder Weg offensteht. Komplizierter wird es allerdings, wie schon gesagt, wenn die Mutterschaft ins Spiel kommt. Als Mutter von drei Kindern empfinde ich es als Glück und als Privileg, Leben zu schenken und Kinder bekommen zu haben. Das aber in Einklang zu bringen mit dem Beruf – sei es mit viel oder wenig Geld –, ist nie einfach. Im Moment sind Kinder noch zu sehr ein Thema, das viele vor allem mit der Frau verknüpfen. Die Lösung kann auch für die Frauen nur darin liegen, dass die Rollenmodelle sich insgesamt ändern.
Aber gerade jüngere Männer wollen doch immer mehr auch ein richtiges Familienleben haben.
Richtig, da können wir große Fortschritte beobachten. Daran hat auch der Gesetzgeber seinen Anteil: Die Neuregelung der Elternzeit hat eine Menge gebracht. Die zwei zusätzlichen Monate, die nur dann bezahlt werden, wenn "das andere Elternteil" sie nimmt, haben väterliche Elternzeit üblicher gemacht und uns gesellschaftlich stark nach vorne gebracht. Trotzdem: Wir brauchen mehr Vorbilder an der Spitze, die so etwas auch vorleben. Deshalb fordern wir nun eine Ergänzung des Gesetzes.
Zum Abschluss: Welche drei Ratschläge würden Sie jungen Frauen mitgeben, die es beruflich in verantwortungsvolle Positionen bringen wollen?
Das hängt sehr von der Art der Ausbildung und von dem Beruf ab. Grundsätzlich aber würde ich folgende drei Tipps geben. Erstens: Die erste Zeit im Job Vollgas geben. Auch wenn es andere Modelle gibt – meiner Ansicht nach hat es sich bewährt, die ersten Erfahrungen und auch die ersten Jahre im Beruf zu genießen. Es ist toll, wenn man einfach mal loslegen kann, wirklich reinpowern und nicht von Anfang an begrenzt ist.
Zweitens: Wenn junge Mütter ein Kind bekommen, immer im Austausch mit den Kollegen bleiben. Gerade bei einer längeren Elternzeit hilft es ungemein, auch mal im Unternehmen aufzuschlagen – und sei es als Urlaubsvertretung mit dem Baby im Körbchen. So können sie zeigen: Ich bin noch da, ich will.
Drittens: Im Voraus mit dem Partner zu Hause darüber sprechen, wie man sich das gemeinsame Leben, auch das Berufsleben, vorstellt. Künftige Eltern sollten sich schon früh Gedanken darüber machen, wie die Zeit mit den Kindern aussieht – und wer von beiden für welche Aufgaben zuständig sein wird.
Frau Jacobi, ich danke Ihnen für das Gespräch.
- Telefonisches Interview mit Jessica Jacobi
- Eckpunktepapier der Initiative #stayonboard