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Fridays for Future – Klimakrise: Warum die Schuld-Diskussion aufhören muss


Klimakrise
Die Schuld-und-Sühne-Rhetorik hat ausgedient


Aktualisiert am 14.01.2020Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Greta Thunberg: Dass es den Klimawandel gibt, bestreitet niemand mehr.Vergrößern des Bildes
Greta Thunberg: Dass es den Klimawandel gibt, bestreitet niemand mehr. (Quelle: alterphotos/imago-images-bilder)

Sinkende CO2-Emissionen, mehr Wind und Sonne für erneuerbare Energien im Jahr 2019 – doch anstatt sich zu freuen, suchen Klimaschützer weiterhin Schuldige.

Der Begriff "Klimahysterie" wurde heute zum Unwort des Jahres 2019 gewählt. Mit dieser Vokabel sei im vergangenen Jahr versucht worden, die Klimaschutzbewegung in Deutschland zu diffamieren. Deutlicher als mit dieser Entscheidung kann man das Dilemma der deutschen Klimadebatte kaum demonstrieren: Den bisherigen Skeptikern fällt es angesichts des rasanten Temperaturanstiegs schwer, die alten Positionen – abwarten und nur auf den technischen Fortschritt hoffen – zu räumen. Zum anderen aber haben die Klima-Aktivisten selbst die Menschen zu lange zu Umkehr und Verzicht aufgefordert, als dass sie jetzt einem konsequenten und effizienten Weg des Klimaschutzes das Wort reden könnten. Das aber ist nötig, wenn das Wort "Klimahysterie" nicht nur gebrandmarkt, sondern auch überflüssig werden soll.

Denn auch die Mahner haben allen Grund, ihre Positionen zu überdenken: Die CO2-Emissionen in Deutschland sind 2019 um fast sieben Prozent gesunken, das deutsche Klimaziel für 2020 scheint auf einmal wieder erreichbar zu sein. Das Schöne daran: Der Rückgang wurde ohne Extra-Steuer, ohne E-Mobilität, ohne verordneten Fleischverzicht erreicht.

Aufbau einer neuen Klimapolitik?

Auf einer solchen Nachricht müsste eine neue, rationale Klimapolitik aufbauen. Doch die politischen und kirchlichen Klimaschützer, die "Fridays for Future"-Sympathisanten, die E-Mobilitäts-Evangelisten wurden vom unverhofften CO2-Schwund auf dem falschen Fuß erwischt. Statt die Sache zu ihrem Erfolg zu machen, ringen sie immer noch um Fassung.

Dass es den Klimawandel gibt, bestreitet niemand mehr. Die fürchterlichen Waldbrände in Australien sind nur ein weiterer Weckruf für die globale Gesellschaft, die schon erschüttert ist. Menschengemacht oder nicht, ist dabei völlig egal. Wenn die Menschheit den Klimawandel begrenzen kann, muss sie es tun.

Politik soll auf Veränderungen reagieren

Mit dieser Erkenntnis aber hat die Schuld-und-Sühne-Rhetorik ausgedient, die die Jugendlichen, ihre Eltern und Großeltern auf die Straßen der europäischen Großstädte getrieben hat. Denn nun kann es nicht mehr um eine kollektive Bußaktion für Sünden der Gegenwart und Versäumnisse der Vorfahren gehen. Die Beteiligten müssen sich darauf konzentrieren, was mach- und bezahlbar ist, und was wirkt. Was keine Wirkung zeigt oder zu teuer ist, muss abgestellt werden.

2019 gab es mehr Wind und mehr Sonne: Der Klimawandel selbst mit seinen ausgeprägten Hochdruckgebieten und den häufig heftigen Böen hilft den Erzeugern erneuerbarer Energien – jedenfalls auf dem europäischen Kontinent. Wenn die Heizperioden kürzer werden, werden weniger Fernwärme, Gas und Heizöl gebraucht. Darauf muss die Politik reagieren: Denn wenn die teuren Förderprogramme für neue Dreifachfenster oder das Dämmen alter Häuser nicht mehr sinnvoll sein sollten, könnte das Geld anderweitig besser verwendet werden.

Übergang von Kohle- zu Gaskraftwerken sollte stattfinden

Der Emissionshandel sorgt dafür, dass Energie aus fossilen Rohstoffen teuer genug wird, um die besonders klimaschädliche Kohleverstromung schrumpfen zu lassen. Ähnlich wird die CO2-Steuer vom kommenden Jahr an in den anderen Sektoren funktionieren: Der steigende CO2-Preis sorgt dafür, dass die Verbraucher entweder weniger Klimagase verursachen – oder dafür zahlen. Statt darüber zu schimpfen, dass die Deutschen immer noch am liebsten große Autos fahren, könnte man sich hier einfach auf den Preismechanismus verlassen.

Die Konjunkturflaute und der Strukturwandel tun ein Übriges. Die Industriemaschinen waren im vergangenen Jahr nicht so stark ausgelastet und verbrauchten weniger Energie. Hier aber wäre die Politik schlecht beraten, wenn sie eine Fortsetzung dieses Trends herbeisehnt. Eine Deindustrialisierung Deutschlands kann sich niemand wünschen – selbst für das Klima nicht.

Dasselbe gilt international: Wenn neue Erdgasfelder erschlossen werden, sinkt der Preis für Gas – und fällt womöglich langfristig unter den von Kohle. Kohlekraftwerke werden zugunsten von klimafreundlicheren Gasturbinen abgeschaltet – und die Klimaemissionen sinken. In den USA sind in den vergangenen zehn Jahren 334 Kohlekraftwerke abgeschaltet worden. Dafür gingen 612 neue Gasturbinen ans Netz. Dass sich das Land aus dem Welt-Klimaabkommen verabschiedet, ist zwar ein politischer Skandal. Doch für das Klima ist der Übergang von Kohle- zu Gaskraftwerken wichtiger.

Übertreibung der Mahner führt zum Handeln

Doch diejenigen, die sich am meisten freuen sollten, senken ihre Blicke betreten zu Boden: Menschheitsvergehen, schimpfen sie und verlangen Buße und Umkehr. Nächstes Jahr werde alles wieder ganz schlimm, prophezeien sie und predigen Fleischverzicht. In Australien sterben alle Tiere, menetekeln sie und prangern echte oder vermeintliche Klimavergehen an.

Die Mahner sind wichtig. Ohne sie passiert nichts oder zu wenig. Nur sie machen den Schrecken sichtbar. Sie bringen die Mehrheitsgesellschaft dazu, nachzudenken und dann auch zu handeln. Und doch leben sie von der Übertreibung. Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, stehen sie vor der Fundi-oder-Realo-Frage: Lieber in Ehren untergehen oder sich pragmatisch an der Suche nach Lösungen beteiligen?
In diesem Stadium befinden wir uns jetzt.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online.de und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast "Tonspur Wissen".

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