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Erdogan und der Lira-Verfall in der Türkei: Der kranke Mann am Bosporus


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Schlechte Nachrichten für Europa
Der kranke Mann am Bosporus

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 14.08.2018Lesedauer: 4 Min.
Türkei - WirtschaftVergrößern des Bildes
Menschen vor einer Wechselstube in Istanbul: Die türkische Lira ist massiv unter Druck. (Quelle: Mucahid Yapici/ap)

Statt die Währungskrise und den Streit mit den USA zu entschärfen, heizt der türkische Präsident beide Konflikte weiter an. Um Europa wird diese Krise keinen Bogen machen.

Gerade erst schien Recep Tayyip Erdogan auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen zu sein. Nachdem er sich im vergangenen Jahr die Zustimmung des Volkes zu einem Superpräsidialsystem hatte geben lassen, zog der türkische Präsident in diesem Jahr die Parlamentswahl vor, um die Machtübernahme abzuschließen. Nur wenige Wochen nach diesem politischen Triumph aber steht das Land am Abgrund: Die Währung verfällt in einem atemberaubenden Tempo, die Türkei schlittert ungebremst in eine Finanzkrise, die weitreichende Folgen für andere Länder haben kann. Auch für Europa.

Im 19. Jahrhundert wurde das Osmanische Reich als der "kranke Mann am Bosporus" bezeichnet. Die heutige Türkei wurde damals durch innere Aufstände stark geschwächt und zunehmend zum Spielball der europäischen Staaten.

Für Demokraten mag es eine Genugtuung sein, dass es Erdogan weder durch gute noch durch böse Worte gelingt, die Währungskrise zu beenden. Doch freuen darf sich niemand an dem Desaster. Denn der türkische Präsident wird kaum klein beigeben. Eher wird er dem Westen endgültig den Rücken kehren, mit China und Russland stehen neue Partner bereit. Solche Verwerfungen aber hätten schwere politische und wirtschaftliche Folgen für alle Länder Europas. Wer glaubt, die Krise in der Türkei ließe sich isolieren, täuscht sich.

Mit jedem Tag, an dem die Türkei tiefer in den Strudel von Währungsverfall, Börsencrash und möglicher Bankenkrise gerät, wächst die Ansteckungsgefahr. Südafrika, Mexiko, Indonesien und Indien spüren die wachsende Skepsis der Anleger gegenüber aufstrebenden Volkswirtschaften bereits schmerzhaft. Wenn die Lage in der Türkei weiter eskaliert, wird es ihnen nur mit deutlich höheren Zinsen gelingen, ausländisches Kapital im Land zu halten.

Der Stoff, aus dem Krisen gemacht sind

Die Kosten dafür – Verfall der Aktienkurse, weniger Import, Bankrotte – werden Anleger, Banken und Exporteure auch in Deutschland und Europa spüren. Schon jetzt schauen Finanzanalysten besorgt auf die Aktien deutscher, französischer, italienischer und spanischer Banken, die den Aufschwung in der Türkei maßgeblich finanziert haben. Solange unklar ist, wie stark sie in der türkischen Wirtschaft engagiert sind, werden sich die Papiere vermutlich nicht nachhaltig erholen können. Werden auch die Engagements in anderen Ländern kritischer bewertet, wird sich der Druck auf die Geldhäuser erhöhen.

Natürlich: Wenn die amerikanische Notenbank die Zinsen erhöht, wächst in allen Schwellenländern die Alarmbereitschaft. Das geht immer so, wenn die Leitwährung der Welt mehr Rendite abwirft. Anleger finden es dann vernünftiger, ihr Geld in den Dollar zu investieren, und ziehen sich aus riskanteren Märkten zurück. Aus diesem Stoff wurden die vergangenen Asien-, Lateinamerika- und Südafrikakrisen gemacht. Dem Kapitalabfluss folgt zwangsläufig eine Rezession, in der sich die Wirtschaft auf niedrigerem Niveau stabilisiert, die Zinsen angehoben und der Import gedrosselt werden müssen.

Rezession passt Erdogan nicht ins Konzept

Doch am Bosporus wird dieser Anpassungsprozess durch die Ignoranz des türkischen Staatschefs blockiert. Erdogan kann es sich nicht leisten, die Luft aus der überhitzten Wirtschaft des Landes entweichen zu lassen. 7,4 Prozent Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr – so rasant wie die Türkei entwickelte sich keine andere der 20 größten Industrienationen der Welt. Auf diesem Erfolg ruht Erdogans Popularität. Eine Rezession passt nicht ins politische Konzept.

Und so heizt der türkische Präsident den Konflikt um die Freilassung eines Geistlichen und um Strafzölle mit den USA mutwillig an, anstatt ihn zu entschärfen. Er ist nicht bereit, Zinserhöhungen zu akzeptieren, um die Inflation von über 15 Prozent in den Griff zu bekommen. Er ist grundsätzlich gegen Deviseninterventionen der Zentralbank in der aktuellen Situation, obwohl die Verschuldung der türkischen Wirtschaft bei rund 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt und die Kredite vor allem in Dollar und Euro abgeschlossen sind.

Mit allein 230 Milliarden Dollar Auslandsschulden tragen die türkischen Banken zum Devisenproblem bei. In normalen Zeiten ist das kein Problem – verfällt der Außenwert einer Währung aber so dramatisch wie zur Zeit in der Türkei, können Schuldendienst und Zinslast unvermittelt zu einer existenziellen Bedrohung für die Unternehmen und die Wirtschaft eines Landes werden. Doch den Internationalen Währungsfonds IWF will Erdogan in seinem Land nicht sehen.

Für Europa sind das schlechte Nachrichten: Europa ist der wichtigste Handelspartner der Türkei, kein anderer Erdteil hat so viel Geld in türkische Baufirmen oder Hotelketten gesteckt. Auch wenn die Krise noch auf die Türkei beschränkt ist, wird die Luft dünner. Im Westen der Brexit, im Osten die Türkei, im Süden Italien. Wer kann da noch sicher sein, dass die Wirtschafts- und Währungskrisen einen Bogen um die Kernländer Europas machen werden?

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt: "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert."

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