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Wirecard-Skandal | Ex-Kollege packt über CEO Braun aus: "Markus war besessen"


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"Für alles andere war er blind"
Ex-Manager packt über Wirecard-Bosse aus


Aktualisiert am 19.06.2022Lesedauer: 6 Min.
Jörn Leogrande: Seit 2017 war er Chef der globalen Innovationsabteilung bei Wirecard, berichtete direkt an Markus Braun.Vergrößern des Bildes
Jörn Leogrande: Seit 2017 war er Chef der globalen Innovationsabteilung bei Wirecard, berichtete direkt an Markus Braun. (Quelle: privat/Thomas Dashuber)
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Als Wirecard vor zwei Jahren implodierte, brach auch die Welt von Jörn Leogrande zusammen. Der Manager gibt Einblicke ins Innere des Skandalkonzerns.

In einem normalen Berufsleben kommt es nicht allzu oft vor, dass der eigene Chef verhaftet wird. Und dessen Kollege mit internationalem Haftbefehl gesucht wird. Wenn Jörn Leogrande aber von seinem früheren Arbeitgeber spricht, wird er genau von dieser Episode berichten müssen.

Denn er war nicht irgendwo tätig. Sondern bei Wirecard.

Der Firma also, die in einem milliardenschweren Betrugsfall verwickelt war. Die aufgrund fehlender 1,9 Milliarden Euro auf philippinischen Treuhandkonten Insolvenz anmelden musste. Und deren Implosion den deutschen Finanzplatz und die deutsche Politik einmal auf den Kopf stellen sollte.

Sein Chef war Markus Braun, der bis zu seinem Rücktritt vor exakt zwei Jahren seit 2002 Vorstandschef bei dem Konzern war, nun aber in Untersuchungshaft sitzt. Sein Asienvorstand Jan Marsalek ist seit Ende Juni 2020 auf der Flucht. Lesen Sie alle Hintergründe zum Fall Wirecard.

"Jetzt ist es vorbei"

Wenn Jörn Leogrande vom Absturz seines früheren Arbeitgebers berichtet, wirkt er aufgewühlt. Die Tage waren "sehr dramatisch", sagt der 58-Jährige heute. Mehr als 15 Jahre lang hat er bei dem Unternehmen gearbeitet, habe sich "mit dem Konzern identifiziert", so Leogrande. "Das war plötzlich alles weg."

Als die Ad-hoc-Mitteilung von den nicht auffindbaren 1,9 Milliarden gekommen sei, dachten er und seine Kollegen noch nicht, dass der Skandal solche Ausmaße annehmen würde. "Verunsichert war ich dennoch." Er sei deshalb in diesen Tagen aus dem Homeoffice jeden Tag ins Büro gefahren, sagt er.

"Doch viel erfahren, was bei Wirecard los ist, haben wir auch nicht", erzählt er. "Erst als die Meldung kam, dass Wirecard Insolvenz anmeldet, wusste ich: Jetzt ist es vorbei. Das war die Apokalypse, ein brutaler Schock." Das war am 25. Juni 2020.

Leogrande berichtete direkt an Markus Braun

Leogrande war das, was man klassischerweise als "hohes Tier" in einem Unternehmen bezeichnet. Er war lange Marketingchef des Wirecard-Konzerns, oder wie er sagt – "der Wirecard". Bis zur Insolvenz war er als globaler Innovationschef für die Erschließung neuer Märkte und Produkte zuständig.

Leogrande berichtete direkt an Markus Braun, war einer der wenigen, die ihn duzen durften. Schließlich kannten sie sich seit 2006, als Wirecard noch Zahlungen für Glücksspiel- und Pornoanbieter abwickelte.

Auch er und Jan Marsalek duzten sich. Das aber war nichts Besonderes. "Jan hat jeder geduzt. Er war ein cooler, lässiger Typ, der nichts auf Posten gab." Wenn Leogrande heute von den damaligen Topmanagern erzählt, nennt er sie immer noch nur beim Vornamen.

Wirecard-Albträume

Leogrande hat ein Buch über seine Zeit bei dem Zahlungsdienstleister geschrieben, was zum Spiegel-Bestseller avancierte. Auch um die Zeit zu verarbeiten. Noch Anfang vergangenen Jahres erzählte er in einem Podcast, Albträume von Wirecard zu haben. Mittlerweile habe er seinen Seelenfrieden geschlossen, sagt er.

Dieser Artikel ist Teil einer Mini-Serie von t-online zum Wirecard-Skandal. Anlass ist der Absturz des Konzerns vor zwei Jahren. In weiteren Artikeln beschäftigen wir uns mit den geschädigten Wirecard-Anlegern und den politischen Konsequenzen aus dem Fall Wirecard. Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an wirtschaft-finanzen@stroeer.de.

Leogrande kann daher auch ein klares Bild von den früheren Topmanagern zeichnen, denen vorgeworfen wird, über Jahre das Betrugssystem bei Wirecard aufgebaut zu haben: Jan Marsalek und Markus Braun, der als Förderer Marsaleks galt.

Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Braun und Komplizen mithilfe der falschen Bilanzen bei Banken und Investoren Milliarden erschwindelten. Braun hingegen sieht sich als Opfer von Betrügern im Unternehmen. Den Namen seines Asienvorstands nahm er dabei bislang nicht in den Mund.

Braun galt als Nerd, als "unnahbar"

Allein: Die beiden Vorstände könnten unterschiedlicher kaum sein. Ihre Gemeinsamkeit: Die Herkunft Österreich. Und der Glaube an Wirecard.

Vielen galt Braun als Nerd. Als jemand, der sich mit seiner Sache sehr gut auskannte, aber wenig redete. Wenn Braun – schlank, unauffällig, randfreie Brille – dann mal sprach, war das einzige Thema sein Unternehmen.

Auch Leogrande beschreibt Braun als "sehr unnahbar", sein Urteil fällt entsprechend harsch aus. "Er konnte meiner Ansicht nach nicht gut mit Menschen umgehen."

Das habe Leogrande auch oftmals in Meetings gemerkt, von denen es mehrere im Monat gegeben habe. Dort "wirkte er oft unsicher, in sich gekehrt", sagt der Ex-Wirecard-Manager über seinen Chef.

Braun "war für alles andere blind"

"Doch er war ein Zahlentyp. Er wollte immer genau wissen, ob wir unsere hochgesteckten Ziele erreichen", so Leogrande. Wachstum lautete die Devise. "Der Druck auf die Mitarbeiter in seinem Zuständigkeitsbereich war enorm." Auch die Staatsanwaltschaft München sprach von einem "streng hierarchischen System". Braun habe das Unternehmen mit "Korpsgeist" geführt.

So weit geht Leogrande zwar nicht. Doch sagt er: "Markus war besessen von Wirecard, vom Traum nach Erfolg. Sein großes Ziel war es, irgendwann in einer Liga mit Apple, Google und Alipay zu spielen. Für alles andere war er blind."

Wohl auch für sein Auftreten. Bei Presseterminen und Hauptversammlungen wirkte Braun gelegentlich etwas verknittert. Oftmals trug er einen Rollkragenpullover, kombiniert mit einem Jackett. Ähnlich wie Steve Jobs. Und wenn er einen Anzug trug, saß der oft nicht ganz perfekt.

"Obsession fürs Militärische"

Gänzlich anders als bei Jan Marsalek, der gut zehn Jahre jünger ist als Braun. "Er war ein James-Bond-Typ. Das war meiner Meinung nach sein großes Vorbild", so Leogrande über Marsalek. "Selbst wenn er nach einem 13-Stunden-Flug aus dem Flieger stieg, hatte er ein perfektes Erscheinungsbild. Alles an seinem Auftreten und seinem Anzug war aufeinander abgestimmt."

Zu dem Image als Geheimagent gehörte demnach auch, dass Marsalek eine Art Doppelleben geführt hat. Neben seiner Vorstandstätigkeit, berichten mehrere Medien unter Berufung auf Chats und Bekannte, habe sich der Österreicher stark mit Fragen innerer und äußerer Sicherheit beschäftigt.

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Demnach soll sich Marsalek Ende 2018 für den Aufbau einer Söldnerarmee in Libyen eingesetzt haben. Unterstützung für diesen Plan hat Marsalek dabei offenbar in Russland gesucht.

Auch Leogrande bestätigt: "Jan hatte eine Obsession fürs Militärische." Marsalek habe mehrmals von seinen Reisen nach Libyen oder Tunesien erzählt. Und auch, dass er "eine schusssichere Weste tragen durfte". Da "ging ihm das Herz auf", so Leogrande über seinen Ex-Kollegen.

"Er war stets auf Achse. Oftmals wusste niemand, wo er gerade eigentlich ist", so Leogrande über den Mann, der mehrere falsche Pässe besessen haben will, Kontakte zu Spionen und russischen Oligarchen pflegte und einmal vor Londoner Börsenmaklern mit der Formel des Nervengifts Nowitschok geprahlt haben soll. Gesteuert hat er dieses Netzwerk von seiner gemieteten Villa aus in der Münchner Prinzregentenstraße 61.

"Betrunken war Jan Marsalek nie"

Trotz seines Faibles fürs Geheime gab sich Marsalek offen, anders als Braun. So ließ er seinen Charme spielen, etwa wenn er zu spät zu Meetings kam. Marsalek war auch ein Arbeitstier, sagt Leogrande. "Wenn wir gemeinsam mit Kollegen etwas trinken waren, hat er immer übers Business geredet. Etwas anderes gab es nicht für ihn."

Das Oktoberfest war für Marsalek "wie der Heilige Gral", so Leogrande. Hier habe er ebenfalls gearbeitet, sich mit Geschäftspartnern getroffen. Aber eben auch gefeiert. 14 Tage lang. "Doch betrunken war Jan Marsalek nie", sagt Leogrande. "Er wollte die Kontrolle nicht verlieren." Bis zuletzt.

Seine Flucht war offenbar akribisch vorbereitet. Einem Bericht des "Spiegels" zufolge soll Marsalek noch am Tag seiner Freistellung, dem 18. Juni, über Weißrussland nach Russland gelangt sein. Ob er sich aktuell dort noch aufhält, ist unbekannt.

"Jan war ein freier Geist", so Leogrande. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jan in Moskau in irgendeiner Dadscha hockt und den ganzen Tag Däumchen dreht. Das würde nicht zu ihm passen."

Ex-CEO drohen bis zu zehn Jahre Haft

Wo sich Braun befindet, ist dagegen bekannt. Er sitzt in einer 9-Quadratmeter-Zelle in der JVA Augsburg-Gablingen. Im Sommer entscheidet das Oberlandesgericht München darüber, ob die Anklage der Staatsanwaltschaft zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet wird.

Es geht um gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Marktmanipulation und Untreue. Bis zu zehn Jahre Haft drohen ihm. Braun bestreitet sämtliche Vorwürfe, sein Sprecher teilte t-online auf Anfrage mit, dass Braun aus Vorstand und Mitarbeiterschaft heraus Personen, denen er bis zuletzt vertraut habe, hintergangen hätten. Darüber sei er "mehr denn je fassungslos".

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft wollte sich indes auf t-online-Anfrage zum aktuellen Stand nicht äußern, verwies aufs OLG. Hier teilte ein Sprecher mit, derzeit laufe das "Zwischenverfahren", in dem sich die "Angeschuldigten", also Markus Braun sowie ein weiterer Wirecard-Manager, zu den Vorwürfen gegen sie äußern können.

Leogrande hat seine eigene Vermutung, was Braun angeht. "Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Markus Braun nichts von dem Betrug gewusst haben soll. Schließlich war er CEO – und musste eigentlich über alle Zahlen seiner Firma Bescheid wissen."

"Dass da ein riesiger Betrug läuft, ahnte niemand"

Der Ex-Innovationschef selbst hatte Zweifel, wunderte sich etwa über das Umsatzwachstum des Konzerns. "Ich war nicht der einzige, der seine Zweifel an diesem dauernden Mega-Wachstum hatte", so Leogrande.

"Dass da ein riesiger Betrug läuft, ahnte jedoch niemand. Wir steckten auch nicht tief genug in den Bilanzzahlen – und haben uns auch auf EY als Wirtschaftsprüfer verlassen." EY hatte neun Jahre lang sämtliche Jahresabschlüsse testiert, hatte nichts zu beanstanden.

"Leicht war es aber nicht, über das mulmige Gefühl zu sprechen. Immerhin war Wirecard ja der Arbeitgeber." Er habe sich auch um andere Jobs bemüht, aber keine Stelle habe zu 100 Prozent gepasst, sagt er. "Also bin ich bei Wirecard geblieben." Im Sommer 2020 habe er dann gekündigt, um einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter zuvorzukommen.

"Ich war nicht wichtig genug, um eingeweiht gewesen zu sein"

Mittlerweile arbeitet der gelernte Journalist und Werbetexter erneut als Marketingchef bei einer Finanz-App. Mit Wirecard hat er abgeschlossen. Und auch mit den Vorständen.

"Ich bin heute rückblickend sehr dankbar, dass Jan von meinen Fähigkeiten als Manager wohl nicht besonders überzeugt war", so Leogrande. "Ich war nicht wichtig genug, um irgendwo eingeweiht gewesen zu sein."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Jörn Leogrande
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