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Wirtschaftsexperten warnen: Koalitionsvertrag löst Grundprobleme nicht


Wirtschaftsexperten kritisieren Koalitionsvertrag
"Dieses Problem zu vertagen ist gefährlich"


10.04.2025Lesedauer: 4 Min.
Koalitionsverhandlungen von Union und SPD abgeschlossenVergrößern des Bildes
Friedrich Merz: Der CDU-Chef will die deutsche Wirtschaft stärken – aber kann das gelingen? (Quelle: Michael Kappeler/dpa/dpa-bilder)
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Union und SPD wollen Deutschlands Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs bringen. Viele Experten haben jedoch Zweifel, dass das mit dem Koalitionsvertrag möglich ist.

Führende Wirtschaftsexperten stellen dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD nur ein durchwachsenes Zeugnis aus. Zwar hätten einige Maßnahmen das Potenzial, Deutschlands Wachstum im nächsten Jahr wieder über 1 Prozent zu heben, doch grundlegende Strukturprobleme werden aus ihrer Sicht nicht gelöst.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Schwächephase. Nach zwei Rezessionsjahren wurde für 2025 allenfalls ein Mini-Wachstum erwartet. Doch der Handelskonflikt mit den USA und Donald Trumps Zölle haben diese Hoffnungen zunichtegemacht. In der am Donnerstag vorgestellten Gemeinschaftsdiagnose zur Wirtschaftslage rechnen Deutschlands führende Wirtschaftsinstitute für dieses Jahr nur noch mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

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Timo Wollmershäuser, Stefan Kooths, Geraldine Dany-Knedlik, Torsten Schmidt, Oliver Holtemöller und Klaus Weyerstraß bei der Bundespressekonferenz Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute Frühjahr 2025 im Haus der Bundespressekonferenz. Berlin, 10.04.2025 *** Timo Wollmershäuser, Stefan Kooths, Geraldine Dany Knedlik, Torsten Schmidt, Oliver Holtemöller and Klaus Weyerstraß at the Federal Press Conference Joint Economic Forecast of the Economic Research Institutes Spring 2025 in the Haus der (Quelle: IMAGO/Frederic Kern/imago)

Frühjahrsprognose 2025

Die Gemeinschaftsdiagnose wird erstellt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dem Ifo-Institut, dem Kiel Institut für Weltwirtschaft, dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle und dem RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen. Sie fließt ein in die Regierungsprognose, auf deren Basis die Steuereinnahmen geschätzt werden.

Im kommenden Jahr erwarten die Institute dafür wieder ein stärkeres Wachstum von 1,3 Prozent. Davon könnten etwa 0,5 Prozentpunkte auf die zusätzlichen staatlichen Investitionen zurückzuführen sein. Denn Schwarz-Rot will für Verteidigung und Infrastruktur künftig deutlich mehr Geld ausgeben. Die Institute rechnen mit Mehrausgaben von rund 24 Milliarden Euro, die auch das BIP ankurbeln.

"Es muss ein Ruck durch das Land gehen"

Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft sieht in dem Koalitionsvertrag "in der Tat Lichtblicke". Als Beispiele nennt er den geplanten Bürokratieabbau, "Superabschreibungen" auf Investitionen von Unternehmen oder die geplanten Gelder zur Sanierung der Infrastruktur. Außerdem hebt Kooths die Förderung von Künstlicher Intelligenz und insbesondere die Digitalisierung als sinnvolle Maßnahmen hervor.

Aber: "Es gibt leider auch entscheidende Leerstellen", sagt Kooths. So würden die angehenden Koalitionäre auf Zeit spielen, was die langfristige Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme angeht. Doch durch den demografischen Wandel gerate etwa die Rentenversicherung immer stärker unter Druck. "Dieses Problem zu vertagen und Löcher mit Quersubventionen zu stopfen, ist gefährlich", so Kooths. Es müsse ein Ruck durch das Land gehen und die Politik handeln.

Immer weniger Erwerbspersonen in Deutschland

Timo Wollmershäuser vom Ifo-Institut hält den Anstieg des Wirtschaftswachstums um über ein Prozent im nächsten Jahr für realistisch. Doch auch er befürchtet, dass es künftig immer weniger Erwerbspersonen gebe und der Fachkräftemangel steige. Das ließe sich durch mehr Überstunden und mehr geleistete Arbeitsstunden von Rentnerinnen und Rentnern auch kaum ausgleichen, so der Wirtschaftsexperte.

Insgesamt sei das Thema der Lebensarbeitszeit sowie das Anheben von geleisteten Stunden durch Teilzeitbeschäftigte "stiefmütterlich" behandelt worden. "Dabei liegt dort das größte Potenzial, das wir haben", so Wollmershäuser.

Mit Sorgen blicken die Experten auch auf die Umsetzung des Finanzpakets. Das werde 2025 noch kaum Impulse bringen, sagte Torsten Schmidt vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. In den nächsten Jahren müssten die Mittel aus dem 500 Milliarden Euro schweren Sondertopf für die Infrastruktur zudem mit Bedacht und nicht zu schnell eingesetzt werden. Sonst drohe wegen begrenzter Bau- und Planungskapazitäten eine höhere Inflation.

Außerdem sei die Vorgehensweise falsch gewesen. Es hätte zunächst definiert werden müssen, was man planen und sanieren wolle. Dann hätten die dafür nötigen Mittel mobilisiert werden müssen. Jetzt sei es genau andersherum gelaufen. "Die Gefahr ist groß, dass hier Mittel verpuffen", so Schmidt.

Kritik an Energie-Subventionen

Auch der im schwarz-roten Koalitionsvertrag vorgesehene Industriestrompreis löst aus Sicht der Wirtschaftsexperten keine längerfristigen Probleme. Dieser verschaffe der energieintensiven Wirtschaft zwar erst einmal Luft, halte aber den Subventionsbedarf hoch, sagte Stefan Kooths bei der Vorstellung der Analyse in der Bundespressekonferenz.

Auch Entlastungsmaßnahmen wie die Herabsetzung der Netzentgelte seien nicht tragfähig, warnte Kooths. Es brauche einen Umbau der Energiepolitik, der die Produktionskosten insgesamt senke. Dazu müssten das Stromnetz oder die Speicher ausgebaut werden. Im Hinblick darauf sei im Koalitionsvertrag aber wenig zu erkennen.

Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sagte, die Verbilligung des Stroms für manche Unternehmen löse das Knappheitsproblem nicht. Es könne sogar dazu kommen, dass eine solche Subvention den Preis für energieintensive Produktion billiger mache, doch Privatkunden mehr zahlen müssten. Denn auf dem Pfad der Energiewende, auf dem sich Deutschland befindet, werde Energie noch eine längere Zeit lang knapp sein.

"Die Mittelverwendung ist völlig unklar"

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erkennt in der Einigung Licht und Schatten. Direktor Michael Hüther lobt: "Auf der Habenseite findet sich mehr Gutes, als man sich vor Wochen erhoffen konnte." Die Superabschreibung sei ein "wirksames Mittel" zur Hebelung von Investitionen, die Senkung der Unternehmenssteuerlast ein Schritt in die richtige Richtung. Doch kritisiert Hüther die anhaltende Existenz des Solidaritätszuschlags: "Er ist mittlerweile zu einer verkappten Unternehmenssteuer geworden, die Mittelverwendung ist völlig unklar."

Zudem kritisierte Hüther, dass viele Versprechen – etwa zur Bürokratieentlastung – bislang vor allem rhetorischer Natur seien. "Eine Staatsmodernisierung hat bisher noch jede Koalition versprochen", so der IW-Direktor.

Sebastien Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) kritisierte grundsätzlich, dass die Finanzierung vieler Vorhaben noch ungeklärt sei. Maßnahmen wie die Senkung der Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen, die steuerfinanzierte Stabilisierung des Rentenniveaus, die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie oder die Mütterrente vergrößerten "die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben", erklärte Dullien. Mit ebenfalls angekündigten Einsparungen ließen sich die Maßnahmen jedenfalls nicht finanzieren. In weiten Teilen sei der Koalitionsvertrag daher eher eine "Absichtserklärung".

Auch Torsten Schmidt vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung sieht in den schwarz-roten Plänen eine Reihe guter Ansätze für Wirtschaftswachstum. Diese seien oft aber sehr vage formuliert. "Von daher muss man abwarten, was in den nächsten Jahren davon tatsächlich umgesetzt wird und wie dann die Effekte auf das Wirtschaftswachstum sein werden", erklärte Schmidt.

Stefan Kooths warnte zudem, dass sich der Lauf der Welt nicht an die Vereinbarungen von CDU/CSU und SPD halte. "Das bloße Abarbeiten des Koalitionsvertrags allein wird kaum ausreichen", sagte er.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, afp und reuters
  • Eigene Beobachtungen
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