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Karenztag ohne Lohn: Ist der Vorstoß von Allianz-Chef Bäte richtig?


Kein Lohn am ersten Krankheitstag?
Deutschland droht der Abstieg


Aktualisiert am 07.01.2025 - 17:45 UhrLesedauer: 1 Min.
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Hatschi! Geht es nach den Ideen des Allianz-Chefs Oliver Bäte, sollte es am ersten Krankheitstag ohne Krankschreibung keinen Lohn geben. (Quelle: IMAGO/Daniel Ingold/imago)
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Der Vorstoß des Allianz-Chefs, die Lohnfortzahlung für den ersten Krankheitstag zu streichen, polarisiert. Ist der Vorschlag die Rettung für Deutschlands Wirtschaft?

Mit seinem Vorschlag, die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu streichen, hat Allianz-Chef Oliver Bäte Wirbel ausgelöst. Im internationalen Vergleich seien die Deutschen deutlich häufiger krank – und das gehe zulasten des wirtschaftlichen Erfolgs des Landes. Er empfiehlt der neuen Bundesregierung, den Karenztag wieder einzuführen. Bis in die 1970er-Jahre galt: Nur wenn eine Krankschreibung vom Arzt vorlag, wurde das Gehalt ab dem ersten Krankheitstag weitergezahlt.

Aufseiten der Arbeitgeber bekommt Bäte Zuspruch für die Idee. Die Gewerkschaften weisen den Vorschlag zurück. Anje Piel von der DGB-Führung fürchtet, dass sich noch mehr Arbeitnehmer so krank zur Arbeit schleppen würden. Präsentismus, also krank bei der Arbeit zu erscheinen, sei branchenübergreifend weitverbreitet, so ihre Kritik.

Auch t-online diskutiert die Frage: Sollten Arbeitnehmer am ersten Krankheitstag keinen Lohn bekommen?

Pro
Florian Schmidt
Florian SchmidtLeiter Hauptstadtbüro

Ja, die hohen Krankenstände gefährden unseren Wohlstand

Es reicht ein Blick auf die nackten Zahlen: Die Deutschen sammeln weit mehr Krankentage an als unsere europäischen Nachbarn. Während Arbeitnehmer im europaweiten Schnitt 8 Tage krank sind, kommen die Deutschen auf 20 Tage (!) pro Jahr und Kopf. Bei 30 Tagen Urlaub, die man von den rund 250 Werktagen im Jahr abziehen muss, entspricht das einem Anteil von fast 10 Prozent der eigentlich zu leistenden Arbeitszeit.

Woran das liegt? In Teilen sicher an einer höheren Zahl chronisch Langzeitkranker. (Wobei man sich auch fragen muss, welche Ursachen dieser Umstand hat.) In mindestens ebenso großen Teilen aber eben auch daran, dass so mancher sich morgens nach dem Aufwachen überlegt, ob er heute Lust aufs Arbeiten hat – oder doch lieber "krankmacht".

Der Vorschlag von Allianz-Chef Oliver Bäte ist darum richtig und angesichts der schwächelnden Wirtschaft unbedingt diskussionswürdig: Wenn es am ersten Tag ohne Krankschreibung keinen Lohn mehr gäbe, der in den 1970er-Jahren abgeschaffte Karenztag also wieder eingeführt würde, fielen die Bettkantenentscheidungen mit Sicherheit anders aus. Denn seien wir ehrlich: Zum Arzt rennen, einen Schnupfen vortäuschen für eine Krankschreibung – das machen wegen null Bock dann wohl doch die wenigsten.

Die Folge der Idee: In Deutschland würde substanziell mehr gearbeitet. Und genau das braucht das Land jetzt auch. Zwar ist die Beschäftigung, wie es Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stets betont, auf einem Rekordniveau angelangt. Noch nie hatten so viele Menschen wie heute einen Job, der höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen sei Dank.

Aber: Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ist in diesem Zuge nicht gestiegen, seit 1991 stagniert sie nahezu – und das, obwohl wir angesichts der schwächelnden Wirtschaft eigentlich alle viel mehr arbeiten müssten. Denn eins ist klar: Wenn sich nicht alle mehr anstrengen, mehr anpacken, ist unser Wohlstand in Gefahr. Dann droht uns der Abstieg.

Kontra
Katharina Grimm
Katharina GrimmHead of Regio Nord

Nein, das ist blanker Populismus

Die Nase tropft, der Kopf pocht, der Darm zwickt – und doch sollen sich Angestellte nach den Plänen des Allianz-Chefs so zur Arbeit schleppen. Hinter dem Vorstoß versteckt sich eine gemeine wie populistische Unterstellung: Wer nur einen Tag fehlt, feiert krank. Dabei verkennt der Wirtschaftslenker offenbar, dass es manchmal reicht, sich einen Tag eine Auszeit zu nehmen. Auch um herauszufinden: Werde ich gerade richtig krank, oder ist es doch ein Unwohlsein oder ein verdorbener Magen?

Wer krank zur Arbeit geht, steckt im schlimmsten Fall das ganze Büro an. Dadurch gewinnt keiner: weder die Mitarbeiter noch die Wirtschaft – und vor allem nicht das eh schon überlastete Gesundheitssystem. Denn die logische Folge wäre, dass Kranke ab Tag 1 des Unwohlseins die Wartezimmer beim Hausarzt verstopfen und sich gleich länger aus dem Verkehr ziehen lassen, als es vielleicht Not tut. Wenn sie denn überhaupt noch von einem Arzt begutachtet werden, denn die Hausarztpraxen laufen heute schon am Limit. Wenn jeder quer liegende Döner, Menstruationsbeschwerden und ein Schnupfen eine Krankschreibung benötigen, läuft das System endgültig heiß.

Laut Noch-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sind es auch gar nicht die einzelnen Fehltage, die Deutschlands Gesundheitssystem finanziell belasten, sondern chronische Krankheiten, die zu langen Ausfällen führen. Und zu hohe Behandlungskosten. Will man diese Fälle in den Griff bekommen, muss an der Wurzel angesetzt werden: mehr Prävention, gesünderer Lebensstil. Und Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen und ungesunde Ernährung minimieren. Hier versuchen Krankenkassen, ihre Versicherten durch Anreizsysteme in die richtige Richtung zu bewegen.

Was aber nicht passieren darf: Das Gesundheitssystem, das vielleicht nicht perfekt, aber zu einem der besten in der Welt zählt, auszuhöhlen. Krank sein zu dürfen, ohne finanzielle Einbußen befürchten zu müssen, ist ein hohes Gut, das wir nicht einfach aufgeben sollten.

 
 
 
 
 
 
 

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