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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Folgen der US-Wahl für Deutschland Experte warnt: Nun könnten Unternehmen abwandern
Die USA haben sich entschieden: für ihren alten, neuen Präsidenten Trump. Die deutsche Wirtschaft blickt mit Sorge auf diese Entwicklung, sie fürchtet Protektionismus und hohe Zölle.
Ex-Präsident Donald Trump hat es geschafft und wird erneut US-Präsident. Er selbst hatte sich bereits vor einigen Stunden zum Sieger erklärt. Für die deutsche Wirtschaft ist das kein gutes Ergebnis – da sind sich die meisten US-Experten und Ökonomen einig.
David Sirakov, Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz, sagte t-online am Mittwochmorgen: "Wir wissen, dass unter anderem die Handelspolitik schwierig wird. Trump hat bereits angekündigt, Einfuhrzölle einzuführen. Ein Handelskrieg zwischen den USA und der EU ist möglich." Europa müsse sich nun auf einige Veränderungen einstellen.
"Ein Trump-Sieg ist genau das, was wir für unsere schwächelnde Wirtschaft derzeit nicht gebrauchen können", sagt Ökonom Jürgen Matthes vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Vor allem für die deutsche Industrie könnte Trump zum Problem werden – immerhin sind die USA und Deutschland derzeit wichtige Handelspartner. Besonders die chemische Industrie und die deutsche Automobilbranche setzen stark auf den US-amerikanischen Markt.
Ökonom Matthes: Zehntausende Jobs in Gefahr
Grund für diese Sorge: Trump hat bereits angekündigt, neue Zölle auf Importe erheben zu wollen. Ein schwerer Schlag für die Exportnation Deutschland. IW-Ökonom Matthes sagt im Gespräch mit t-online: "Trump hat mehrfach angekündigt, Zölle zu erhöhen, und das trifft uns an einer verwundbaren Stelle, weil die USA unser wichtigster Exportmarkt sind."
Wie schwerwiegend dieser Schlag sein könnte, hat das IW berechnet. Demnach könnten Trumps Zollpläne ein Plus von bis zu 20 Prozent auf europäische Produkte bedeuten. Sollte Brüssel darauf wiederum mit Gegenmaßnahmen reagieren, könnte das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2028 um 180 Milliarden Euro schrumpfen. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 lag das deutsche BIP bei rund 4,5 Billionen Euro. Noch greifbarer wird die Gefahr für die deutsche Wirtschaft mit einer anderen Zahl. Denn das IW rechnet darüber hinaus damit, dass eine zweite Präsidentschaft Trumps Deutschland bis zu 151.000 Jobs kosten könnte.
Dabei dürfte es vor allem die ohnehin angeschlagene Automobilbranche treffen. "Grundsätzlich sind alle Exportsektoren betroffen, aber die Autoindustrie ist zusätzlich verletzlich, weil Trump den Zugang europäischer E-Autos zu den Fördergeldern des IRA verschließen könnte", so Matthes. Er bezieht sich dabei auf den sogenannten Inflation Reduction Act, der unter dem amtierenden Präsidenten Joe Biden verabschiedet wurde und nach der Corona-Pandemie die amerikanische Wirtschaft, aber auch den Umweltschutz stärken sollte. Dementsprechend gab es darin auch Möglichkeiten für europäische Unternehmen, ihre Produkte an den Markt zu bringen.
"Wenn Trump die USA weiter abschottet, setzt das Verlagerungsanreize für europäische Konzerne, ihre Produktion zu verschieben. Das wäre ein Problem für Deutschland", sagt Matthes. Im Klartext: Unter einer protektionistischen Trump-Regierung könnten Unternehmen aus Europa abwandern, um ihren Marktzugang in den USA nicht zu verlieren.
Die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, erklärt dazu auf t-online-Anfrage: "Spätestens jetzt ist deutlich, dass die Aufgaben, die bereits seit Langem bekannt sind, schnell und entschlossen angegangen werden müssen." Europa müsse dringend lernen, Geo- und Wirtschaftspolitik zusammenzudenken. "Für die Zulieferer im VDA sind die USA nach China der zweitgrößte Exportmarkt weltweit", so Müller. Die USA seien daher von hoher Bedeutung für die deutsche Automobilindustrie.
Wie groß dieser Markt ist, zeigen die Zahlen aus dem vergangenen Jahr: 2023 fertigten deutsche Hersteller 900.000 Autos in den USA, so viele wie nie zuvor. Die Hälfte dieser Autos wurde exportiert. Die deutsche Automobilindustrie beschäftigt aktuell 138.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den USA, davon entfallen 48.000 auf Automobilhersteller und 90.000 auf deutsche Zulieferer. Zudem wurden 2023 etwa 400.000 Pkw aus deutscher Produktion in die USA verschickt. Im ersten Halbjahr 2024 waren die USA der wichtigste Abnehmer der deutschen Pkw-Exporte.
Ökonom Dullien: Wirtschaftliche Erholung wird verhindert
Auch der Ökonom Sebastian Dullien fürchtet, dass den Unternehmen "in den kommenden Monaten weitere, möglicherweise herbe Rückschläge" drohten. Dullien ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Damit kommt die Entscheidung in den USA zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn gerade hatte sich die Auftragslage in der deutschen Industrie im September wieder verbessert. Dullien deutet das als "Auftakt zu einer zyklischen Erholung".
Doch genau diese Erholung könnte nun gestört werden. "Tatsächlich aber dürften in den kommenden Monaten die geopolitischen Entwicklungen eine solche Trendwende verhindern", so der Ökonom. Das Wahlergebnis in den USA sei dabei "für die deutsche Industrie umso dramatischer, als der US-Markt in den vergangenen beiden Jahren ein überraschender Lichtblick für die deutsche Exportwirtschaft war".
Exportverband: Bundesregierung muss sich einigen
Angesichts dieser sich abzeichnenden schwierigen Lage fürchten Verbände und Unternehmen sich umso mehr vor einer wackelnden Bundesregierung. Dirk Jandura, Präsident des Exportverbandes BGA, sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Wir haben schon eine Wirtschaftskrise, noch eine politische Krise können wir uns nicht leisten."
Die Bundesregierung müsse jetzt Verantwortung übernehmen und sich im aktuellen Streit einigen. Bundeskanzler Olaf Scholz will sich am Mittwoch mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) treffen, um noch eine Einigung im Haushaltsstreit zu erreichen. Es brauche eine entschlossene Führung und mehr Freiheit, so Jandura.
"Importzölle auf europäische und chinesische Produkte sehen wir kritisch", sagte Jandura. Die Welt brauche weniger und nicht mehr Handelsbeschränkungen. Er hofft auf eine Fortsetzung und Aufwertung des EU-US-Handels- und Technologierats TTC. "Das Scheitern des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP vor wenigen Jahren war ein massiver politischer Fehler", sagte Jandura. "Wir sollten ihn nicht wiederholen."
Vor allem Trumps Umgang mit anderen wichtigen Handelsmächten könnte den freieren Handel allerdings erheblich erschweren. "Trumps China-Strategie ist unberechenbar", sagt Ökonom Matthes. Schon unter dem amtierenden US-Präsidenten Joe Biden wurden die Zölle auf E-Autos aus China auf 100 Prozent erhöht. Trump will das angeblich auf alle chinesischen Waren ausdehnen. "Das wiederum könnte für eine Schwemme von chinesischen Produkten auf dem europäischen Markt und anderen Märkten sorgen. Das würde zu einer Welle von Handelsschutzmaßnahmen weltweit führen", führt der Experte aus. "Das wird der Weltwirtschaft weiter schaden."
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Jürgen Matthes (IW)
- Anfrage Hildegard Müller (VDA)
- IW: Was droht den transatlantischen Handelsbeziehungen unter Trump 2.0
- bild.de: "150.000 Jobs in Deutschland bedroht, wenn Trump gewinnt"
- IW: US-Wahl: Zweite Trump-Ära könnte die deutsche Wirtschaft bis zu 150 Milliarden Euro kosten
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters