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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Massiver Gewinneinbruch Konzern in der Krise: Was ist los bei Volkswagen?
Volkswagen plant offenbar den Abbau Zehntausender Stellen in Deutschland. Nun meldet der Autobauer einen massiven Gewinneinbruch. Was ist los bei VW?
Beben bei Volkswagen: Der Autokonzern plant nach den Worten von Betriebsratschefin Daniela Cavallo den Abbau Zehntausender Stellen und droht mit deutlichen Gehaltseinbußen. Cavallo sagte am Montag bei einer Informationsveranstaltung in Wolfsburg, der Vorstand wolle in Deutschland mindestens drei VW-Werke schließen und sich zudem von Abteilungen und Bereichen trennen. "Niemand von uns hier kann sich noch sicher fühlen", sagte sie.
Nun eine weitere Schreckensnachricht: Der Gewinn brach im dritten Quartal um 63,7 Prozent auf knapp 1,58 Milliarden Euro ein, wie der Konzern in Wolfsburg am Mittwoch mitteilte.
Doch was bedeutet das genau? Wie konnte es so weit kommen? Und wie ließe sich die Krise womöglich noch verhindern? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was plant VW laut dem Betriebsrat?
"Der Vorstand will in Deutschland mindestens drei VW-Werke dichtmachen", sagte Konzernbetriebsratschefin Daniela Cavallo bei einer Informationsveranstaltung für die Belegschaft in Wolfsburg. Laut Cavallo plant VW neben den Werkschließungen auch einen Kapazitätsabbau an allen verbleibenden Standorten. Früheren Konzernangaben zufolge fehlen VW rund 500.000 Fahrzeuge pro Jahr, um alle Standorte auszulasten.
Zudem plane der Vorstand betriebsbedingte Kündigungen, so Cavallo weiter. Ganze Abteilungen sollen geschlossen oder ins Ausland verlagert werden. Für die verbleibenden Mitarbeiter wolle VW den Haustarif pauschal um zehn Prozent kürzen und fordere 2025 und 2026 jeweils Nullrunden. Am Mittwoch kommen Konzern und die Gewerkschaft IG Metall zu ihrer zweiten Verhandlungsrunde über den VW-Haustarif zusammen.
Für den Branchenexperten Jürgen Pieper sind die Angaben des Betriebsrats übertrieben. "Es klingt, als würde hier die große Keule geschwungen, um Zugeständnisse zu bekommen", sagte er im Gespräch mit t-online. Er halte es zwar für realistisch, dass VW mehr als 10.000 Mitarbeiter einspart – aber eher, indem Mitarbeiter freiwillig gehen oder früher in den Ruhestand geschickt werden. Mehr als ein Werk, glaube er, sei ohnehin nicht von der Schließung bedroht. "Und selbst die Wahrscheinlichkeit dafür liegt nur bei 30 bis 40 Prozent."
- Kommentar zur VW-Krise: "Willkommen in der Realität"
Welche Werke könnten schließen?
Bislang gibt es nur Spekulationen darüber. Als gefährdet gilt etwa das Werk in Osnabrück, das kürzlich einen erhofften Folgeauftrag von Porsche verloren hat.
Volkswagen hatte den Standort nach der Insolvenz des Zulieferers Karmann übernommen und Nischenmodelle in Kleinserien gefertigt. Diese Modelle sind jedoch größtenteils aus dem Programm verschwunden. Auch die Gläserne Manufaktur mit rund 300 Mitarbeitern gilt als gefährdet, ebenso wie das Werk in Chemnitz. In ersterem baut VW E-Autos, das andere soll auf E-Autos umgestellt werden.
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Experte Jürgen Pieper tippt hingegen darauf, dass das Werk in Zwickau am ehesten geschlossen wird: "Es ist einfach nicht gut ausgelastet." Erst danach würde VW Osnabrück schließen. Das Werk sei so klein, dass ein Aus nur symbolisch wäre. Bei einer Schließung des Werks in Emden würde sich die niedersächsische Landesregierung querstellen. Wolfsburg hätte als VW-Stammwerk ohnehin eine zu große Bedeutung, um geschlossen zu werden.
Die letzte Schließung eines Produktionsstandorts liegt bei VW mehr als 30 Jahre zurück: 1988 hatte VW seine Fabrik in Westmoreland in den USA dichtgemacht. Die Tochter Audi hatte jüngst bereits ihr Werk in Brüssel auf den Prüfstand gestellt. In Deutschland wurde noch nie ein VW-Werk geschlossen.
Wie konnte es so weit kommen?
Volkswagen steckt wie die anderen deutschen Autobauer in einer tiefen Krise. Hintergrund ist die aktuell niedrige Nachfrage nach E-Autos. Gleichzeitig kämpft VW mit einer zunehmenden Konkurrenz aus China, deren E-Autos oftmals deutlich günstiger sind als die hiesigen – und in China daher beliebter.
Im dritten Quartal war der Absatz weltweit um sieben Prozent auf knapp 2,2 Millionen Fahrzeuge gesunken, in China erlitten die Pkw-Marken zweistellige Einbrüche. Der Autobauer hat dort zu wenig Elektroautos im Angebot. Die Käufer steigen überwiegend auf E-Autos heimischer Hersteller um. Die Nachfrage nach Verbrennerautos, bei denen die deutschen Autobauer über Jahrzehnte führend waren, schwächelt.
Experte: "Es sieht eher aus wie ein Krieg"
"Die Lage bei VW ist ernst, sehr ernst", sagte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer t-online am Montag. "Und jetzt macht die IG Metall durch die Ansage, dass drei Werke geschlossen werden, öffentlichen Druck auf VW. Es sieht eher aus wie ein Krieg, statt eine Lösung zu suchen."
VW hatte im September die seit mehr als 30 Jahren geltende Beschäftigungssicherung aufgekündigt. Ab Mitte 2025 wären betriebsbedingte Kündigungen möglich. Auch Werksschließungen hatte VW in den Raum gestellt, bisher aber keine Zahl oder Standorte genannt. Damals hatte Branchenexperte Jürgen Pieper t-online gesagt: "Dass VW die Beschäftigungsgarantie aufkündigt, zeigt, wie tief der Konzern in der Krise steckt." Es sei "ein einmaliger Schritt in der Konzerngeschichte".
Heute sagt der Experte: "Lange herrschte in der deutschen Autoindustrie Überheblichkeit." Viel zu lange habe man weiterhin auf den Bereich gesetzt, den sie so lange beherrschte: Benzin- und Dieselautos. So lange, dass Tesla und chinesische Hersteller in vielen Bereichen an den deutschen Herstellern vorbeigezogen seien. "Die bisherigen E-Produkte von VW und anderen Herstellern wie Mercedes waren nicht besonders gelungen, einfach kein großer Hit."
Die Kernmarke Volkswagen hat seit Jahren mit hohen Kosten zu kämpfen und liegt bei der Rendite weit hinter Konzernschwestern wie Skoda, Seat und Audi zurück. Ein 2023 aufgelegtes Sparprogramm sollte hier die Wende bringen, das Ergebnis bis 2026 um zehn Milliarden Euro verbessern. Unter anderem sollen die Personalkosten in der Verwaltung um 20 Prozent sinken.
Beim Personalabbau setzte VW bisher auf Altersteilzeit und Abfindungen, entsprechende Programme wurden im Frühjahr noch einmal ausgeweitet und 900 Millionen Euro für Abfindungen von bis zu 474.000 Euro für besonders altgediente Mitarbeiter zurückgelegt.
Was können Politik und Betriebsrat tun?
Einiges. "Niedersachsen sitzt im VW-Aufsichtsrat und könnte gemeinsam mit dem Betriebsrat Schließungen blockieren", sagt Experte Pieper. Das VW-Management könne wahrscheinlich nicht allein über die Schließung von Werken entscheiden. "Ein Kompromiss wird nötig sein, doch das wird sicherlich schwierig werden." VW erzielte beträchtliche Gewinne, da sei es nicht leicht, Werksschließungen zu rechtfertigen.
Ob es in der aktuellen Lage klug ist, Sparmaßnahmen zu verhindern, hält Pieper allerdings für fraglich: Der Betriebsrat riskiere, dass das Unternehmen bei zu geringen Einsparungen langfristig immer schwächer werde. "Ein mutiger Schritt nach vorn ist daher nötig: entweder durch Werksschließungen oder – sinnvoller – durch Lohnsenkungen und Nullrunden in den nächsten Jahren."
Und die Politik riskiere noch mehr: "Die Autoindustrie ist eine der letzten großen Zukunftsbranchen in Deutschland, und ein Rückschritt hier würde dem Land einen massiven Wohlstandsverlust bescheren."
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sagte t-online: "Das Kernproblem von VW sind die verkrusteten Strukturen bei VW in Niedersachsen, die durch die unglückliche Verfassung von VW kaum Änderung zulassen." Solange das Land 20 Prozent der Aktien besitze und die IG Metall ihre Stärke in Niedersachsen behalte, werde "VW ein politisches Unternehmen sein. Und solange wird es eine Sisyphus-Aufgabe bleiben, wettbewerbskonforme Bedingungen für VW in Niedersachsen zu schaffen", so Dudenhöffer weiter.
Wie geht es bei VW weiter?
VW steht vor enormen Zukunftsinvestitionen. Und die kann der Konzern womöglich nicht stemmen, ohne sich weiter stark zu verschulden, glaubt Experte Pieper. Deshalb habe VW das Gefühl, dringend durch Werksschließungen oder Gehaltskürzungen sparen zu müssen.
Nicht nachvollziehbar sei es hingegen, an der Belegschaft vorbeizuarbeiten. Stattdessen müsse man gut kommunizieren, dass sowohl der Konzern als auch Mitarbeiter Abstriche machen müssen. "VW muss klar sagen: Die alten Zeiten der Privilegien, der Beschäftigungsgarantien, sind vorbei. Dafür haben wir dann aber eine Chance, das Unternehmen langfristig zu sichern."
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version haben wir statt von Zwickau von Eisenach geschrieben. Das haben wir korrigiert.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Jürgen Pieper
- Statement von Ferdinand Dudenhöffer
- RND: "Welches VW-Werk wackeln könnte"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und AFP