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Zum journalistischen Leitbild von t-online.CDU-Wirtschaftspolitiker Jens Spahn "Dann war das der letzte Schuss der demokratischen Mitte"
Deutschlands Wirtschaft kommt nicht vom Fleck – Schuld trägt die Ampelregierung, sagt Jens Spahn. Im Interview erklärt der CDU-Politiker, was er sofort anders machen würde und was er jetzt der FDP rät.
Jens Spahn macht eine Art Kniebeuge. Dann springt er ohne Zögern die kleine Leiter zum Dach hinauf, zieht kurz das Sakko glatt und geht ein paar Schritte. Als habe er das alles schon 100-mal gemacht. "So, kein Problem", sagt er abgeklärt in die Kamera. "Wo wollen Sie mich haben?"
Hinter dem CDU-Politiker erstreckt sich die eindrucksvolle Kulisse des Reichstags, dahinter: das Kanzleramt. Spahn aber bestaunt diesen Anblick längst nicht mehr, er kennt ihn ohnehin schon auswendig. Immerhin ist der 43-Jährige seit fast 22 Jahren Bundestagsabgeordneter, war Staatssekretär unter Wolfgang Schäuble im Finanzministerium, dann Gesundheitsminister während der Corona-Pandemie. Er kennt das Regieren. Und das Nicht-Regieren. Letzteres fällt ihm zunehmend schwer. Als er später in seinem Büro sitzt, sagt er: "Die häufigste Frage, die man mir stellt, ist: Wann ist die Ampel endlich weg?"
Und während CDU-Chef Friedrich Merz die schwarz-gelben Sehnsüchte der FDP am Wochenende hat abtropfen lassen, sieht Spahn darin eine Chance. Ob die FDP die Ampel verlasse oder nicht, hänge zwar nicht von der Union ab. "Aber wir unterstützen sie gerne moralisch auf ihrem Weg raus", sagt Spahn.
t-online: Herr Spahn, Briefe mit wirtschaftspolitischen Ideen an den Kanzler, Herr Merz träumt schon von Koalitionsoptionen – kann die Union es gar nicht mehr abwarten, wieder zu regieren?
Jens Spahn: Das Land kann nicht mehr darauf warten, dass wir regieren. Die Ampel ist die unbeliebteste und schlechteste Regierung, die wir je hatten. Wenn ich im Land unterwegs bin, spüre ich eine riesige Sehnsucht nach einer anderen Regierung. Die häufigste Frage, die man mir stellt, ist: Wann ist die Ampel endlich weg?
Wollte Friedrich Merz nicht eigentlich aufhören, Briefe an den Kanzler zu schreiben?
Nein, er hat gesagt: Wir wollen keine weiteren rhetorischen Einladungen seitens der Regierung zu einer Zusammenarbeit, aus der am Ende dann doch wieder nichts wird. Unser Ziel als Union ist, dass es Deutschland gut geht. Deshalb haben wir unsererseits in der Vergangenheit mehrfach Hilfe angeboten – nur hat die Ampel diese nie ernsthaft angenommen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat gestern den Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt, und der fällt verheerend aus. Welche Note bekommt er von Ihnen?
Die Performance von Habeck ist mangelhaft. Es hat viel zu lange gedauert, bis er sich auch als Wirtschafts- und nicht nur als Klimaminister begriffen hat. Noch vor einem Jahr hat Herr Habeck uns vorgeworfen, wir würden die Lage schlechtreden – dabei war es damals er, der sie schöngeredet hat. Immerhin ist ihm inzwischen klar: Deutschlands Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise, der Abschwung ist da. Es ist ganz eindeutig: Das ist Habecks Rezession. Und ich erwarte übrigens, dass wir in diesem Jahr erneut ein Minus sehen werden und kein Mini-Plus, wie es Herr Habeck gestern prognostiziert hat. Dann würde die Wirtschaft zwei Jahre in Folge schrumpfen – das gab es zuletzt im Jahr 2003, als Gerhard Schröder die Agenda 2010 ausgerufen hat.
Stellen wir uns vor, Sie würden an seine Stelle rücken. Welche drei Dinge würden Sie sofort anders machen?
Drei Dinge reichen da vermutlich gar nicht.
Versuchen Sie es trotzdem.
Wir würden als Union erstens das Heizungsgesetz sofort zurücknehmen. Zweitens würden wir die Energiekosten für alle senken, über eine Reduzierung der Stromsteuer und der Netzentgelte, später braucht es dann auch dann eine Senkung der Unternehmenssteuern. Als Drittes würden wir dieses Prinzip von Robert Habecks milliardenschwerer Subventions-Schatzkiste beenden, mit der er versucht, die Wirtschaft staatlich zu lenken – ein völlig falscher Ansatz. Es braucht bessere Rahmenbedingungen für alle. Darf ich auch noch einen vierten Punkt ergänzen?
Bitte.
Wir würden dafür sorgen, dass das Wirtschafts- und das Finanzministerium endlich wieder mit- und nicht gegeneinander arbeiten, damit Bürger und Unternehmen wieder Vertrauen in die Politik zurückgewinnen. Einem internationalen Index zufolge ist die Unsicherheit in Deutschland so groß wie einst in Großbritannien, als der Brexit gerade beschlossen war. Das ist fatal. Dieser Zoff zwischen Grünen und FDP lähmt unsere Wirtschaft ungemein.
Vermitteln könnte in dem Streit der Kanzler. Tut er das genug?
Ist das eine ernst gemeinte Frage? Natürlich tut er das nicht. Und das ärgert mich. Der Jahreswirtschaftsbericht ist der letzte notwendige Beweis dafür: Der Kanzler muss die Wirtschaftspolitik und Wachstum für Deutschland endlich zur Chefsache machen. Stattdessen erzählt er bei der Münchener Sicherheitskonferenz "Don’t worry about our economy". Damit will er die Menschen wohl für dumm verkaufen. Ich erwarte, dass Olaf Scholz noch im März zu einem Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt einlädt.
Was soll denn ein solcher Wirtschaftsgipfel bringen, wie Sie ihn vorgeschlagen haben? Plauderrunden im Kanzleramt gibt es etwa mit der "Allianz für Transformation" schließlich schon genug.
Ich erwarte, dass eine solche Runde wuchtvolle Vorschläge zur Belebung der Wirtschaft entwickelt – und die Ampel diese dann auch zügig umsetzt. Deutschland braucht jetzt eine Agenda 2030, um unsere hausgemachten Probleme anzugehen. Bis zum Sommer muss ein neues Wachstumsgesetz stehen, dass nicht nur "Chancen" bietet, sondern einen Wachstumsschub liefert.
Man muss die Steuern nicht auf einen Schlag senken. Gut wäre schon, wenn es einen verlässlichen Plan gäbe, eine Art Steuersenkungspfad in vier Schritten für die kommenden Jahre.
Jens Spahn
Was sollte denn in eine solche Agenda 2030, ein solches Wachstumspaket alles rein?
Es gehört rein das Thema Bürokratieabbau. Dann müssen wir die Arbeitszeit flexibilisieren, wir plädieren da für die Einführung einer Wochenarbeitszeit statt Tagesarbeitszeit. Zudem sollten wir das deutsche Lieferkettengesetz aussetzen und grundsätzlich überarbeiten. Und dann braucht es eine umfassende Unternehmenssteuerreform, damit die Steuerlast für Firmen bestenfalls auf unter 25 Prozent fällt.
Was laut Finanzministerium eine ziemlich teure Angelegenheit wäre: Um die 15 Milliarden Euro könnte das den Fiskus pro Jahr kosten. Woher soll dieses Geld kommen?
Man muss die Steuern nicht auf einen Schlag senken. Gut wäre schon, wenn es einen verlässlichen Plan gäbe, eine Art Steuersenkungspfad in vier Schritten für die kommenden Jahre. Das wäre für die Wirtschaft ein sehr wichtiges Signal, würde Planungssicherheit geben – und ließe sich im Staatshaushalt auch abbilden, weil parallel die Steuereinnahmen weiter wachsen werden.
Größtes Problem bleibt das schwache Potenzialwachstum in den Jahren bis 2028. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die Wirtschaft pro Jahr nur noch um 0,5 Prozent wächst, was vor allem am sinkenden Arbeitsvolumen liegt. Wie wollen Sie mehr Menschen dazu bringen zu arbeiten?
Das beschäftigt auch mich sehr. Denn ohne Wachstum geraten wir in Verteilungskonflikte, dann drohen extreme gesellschaftliche Spannungen. Meine Vorstellung ist deshalb ein "Pakt für Fleiß": Wer mehr arbeiten will, soll das im Lohnbeutel spüren – etwa durch steuerfreie Überstunden oder steuerliche Anreize für Teilzeitangestellte, damit sich mehr Stunden Arbeit auch wirklich lohnen.
Das CDU-Grundsatzprogramm sieht vor, das Renteneintrittsalter ab 2031 zu dynamisieren. Warum nicht schon früher?
Vor ein paar Jahren lag das Renteneintrittsalter noch bei 59,9. Mittlerweile liegt es deutlich über 60. Es ist also schon einiges passiert. Im Kern ist die Frage, wie wir langfristig mit dem Thema umgehen – und da ist klar: Länger arbeiten muss sich lohnen, damit Menschen später in Rente gehen. Ab 2031 ist ein sinnvoller Zeitrahmen, weil ja bis dahin die Rente mit 67 schrittweise eingeführt wird.
Und wir dachten schon, es läge daran, dass 2031 viele Wählerinnen und Wähler der Union nicht mehr betroffen wären, weil sie dann schon in Rente sind.
Nein, es geht darum, dass die Menschen, die heute kurz vor der Rente stehen, mit einem längeren Arbeitsleben nicht bestraft werden. Wir wollen, dass es sich für Arbeitnehmer lohnt. Ich würde das gerne einfach ausprobieren. Was passiert, wenn wir die ersten 2.000 Euro, die man im Monat als Rentner verdient, steuerfrei machen? Meine These wäre, dass dann Hunderttausende wieder anfangen werden zu arbeiten. Freiwillig.
Die CDU schlägt außerdem vor, die Sozialversicherungsbeiträge wieder bei 40 Prozent zu deckeln. Sie waren selbst mal Gesundheitsminister, kennen die Probleme in der Kranken- und Pflegeversicherung und auch bei der Rente. Wie soll das gelingen?
Wir können das, was da in der Pflege, Kranken- und Rentenversicherung auf uns zukommt, nur schaffen, wenn wir wirtschaftliches Wachstum haben.
Das müssen Sie uns jetzt erklären.
Aktuell steigen die Beiträge, weil die Ausgabenlast höher ist als die Einnahmebasis. Das hängt auch mit der wirtschaftlichen Lage zusammen. Damit die finanziell nötigen Spielräume entstehen, brauchen wir Mehreinnahmen. Die können nur durch Wachstum generiert werden.
Klingt nach dem Blick in die Glaskugel. Müssten Sie realistisch gesehen nicht an anderer Stelle Steuern erhöhen, um mehr Geld in die Sozialversicherungen investieren zu können?
Es ist richtig, dass wir uns nicht allein auf Wachstum verlassen können. Wir müssen also auch darüber nachdenken, ob mehr Steuermittel in die Sozialversicherungen fließen müssen.
Es gibt Debatten im Bundestag, da klatscht die Union für die FDP, während sich bei SPD und Grünen kein Finger rührt.
Jens Spahn
Was halten Sie davon, für Ideen wie diese neue Schulden aufzunehmen, wie es Teile der Ampel vorschlagen?
Nichts.
Robert Habeck würde zum Beispiel gerne ein Sondervermögen Wirtschaft aufnehmen. Das könnte den Haushalt an vielen anderen Stellen entlasten und der Wirtschaft helfen. Macht die Union da unter keinem Umstand mit?
Nein. Die Union fährt da einen vollkommen anderen Ansatz und auch unser Anspruch an die Wirtschaft ist ein anderer. Alle Unternehmen brauchen gute Rahmenbedingungen, um zu investieren und auch Risiken einzugehen. So funktioniert die Marktwirtschaft – aber das scheint den Grünen völlig fremd zu sein. Nicht umsonst hat der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gesagt, man müsse die soziale Marktwirtschaft in der Koalition jeden Tag erklären. Das scheint mir ein Grundsatzproblem zu sein.
Herr Djir-Sarai hat Ihnen am Wochenende die ausgestreckte Hand hingehalten. Die Schwarz-Gelb-Ansage haben viele als Einladung verstanden. Sie auch?
Dass viele in der FDP unglücklich in der Ampel sind, ist ja physisch zu spüren und auch zu hören. Aber die Liberalen haben sich dazu entschieden, Teil dieser Regierung zu sein. Ursprünglich mit der Rechtfertigung, Schlimmeres zu verhindern. Ich würde aber sagen: Die FDP verhindert nicht Schlimmeres, sondern macht Schlimmeres möglich. Am Ende denke ich an den Satz von Christian Lindner: "Lieber nicht regieren als falsch regieren". Dieser Satz aus 2017 ist so aktuell wie nie. Die FDP braucht wie einst in den 1980er-Jahren ein neues Lambsdorff-Papier, sie braucht ein Lindner-Papier. Am Ende muss darin stehen, was aus Sicht der Liberalen nötig ist, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Und wenn das in dieser Koalition nicht möglich ist, dann sollte die FDP ihre Konsequenzen ziehen und die Ampel verlassen.
Sie nehmen den Ball also auf und fordern die FDP auf, die Koalition platzen zu lassen?
Fakt ist, dass Schwarz-Gelb im aktuellen Bundestag keine Mehrheit hat. Wir können also keine Koalition anbieten. Ob die FDP die Ampel verlässt oder nicht, hängt nicht von der Union ab. Aber wir unterstützen sie gerne moralisch auf ihrem Weg raus. Es gibt Debatten im Bundestag, da klatscht die Union für die FDP, während sich bei SPD und Grünen kein Finger rührt. Das sagt eine Menge über den Zustand der Ampel, aber auch über die Lage der FDP in der Koalition aus.
Ist es dann schlau, die Liberalen so abtropfen zu lassen, wie Friedrich Merz es unlängst getan hat?
Friedrich Merz hat nur den Punkt gemacht, dass die FDP am Ende für sich entscheiden muss, ob sie in der Ampel bleiben will oder nicht. Wir freuen uns über das, was Herr Djir-Sarai gesagt hat, weil es in der Sache richtig ist. Eine bürgerliche Koalition aus Union und FDP würde jetzt sicher die richtigen Impulse setzen, gerade im Bereich Wirtschaft.
Das klang bei dem CDU-Chef doch deutlich anders.
Ich habe ihn nicht anders wahrgenommen.
In einer kürzlich veröffentlichten "MerzMail", erklärt Ihr Parteivorsitzender die FDP gar indirekt für obsolet. Und mit Olaf Scholz scheint die persönliche Ebene so schlecht zu sein, dass man sich eine Koalition mit der SPD kaum vorstellen kann. Bleibt am Ende doch nur Schwarz-Grün?
Nach der nächsten Bundestagswahl sehe ich nicht, dass Olaf Scholz noch irgendein Faktor in der Bundespolitik ist. Da muss man abwarten, was dann mit der SPD passiert. Was die Grünen angeht, die müssten ihre Positionen sehr verändern, um für uns als Koalitionspartner infrage zu kommen. Die nächste Regierung muss eine grundsätzlich andere Politik machen als die jetzige. Nur so können wir die Gesellschaft wieder überzeugen. Die Bürger wollen keine Variante zur Ampel, sondern ein Gegenmodell. Wenn uns das nicht gelingt, dann war das der letzte Schuss der demokratischen Mitte. Das wäre fatal.
Wäre die Union bereit, noch dieses Jahr zu regieren?
Jederzeit.
Heißt der Kanzlerkandidat dann Friedrich Merz?
Ich bin mit Markus Söder einer Meinung. Friedrich Merz wäre dann der klare Favorit.
Favorit oder Kandidat?
Unsere beiden Parteivorsitzenden werden rechtzeitig einen Vorschlag machen.
Wäre es nicht klüger, die Frage vor dem CDU-Parteitag im Mai ein für alle Mal zu klären, um auf alles vorbereitet zu sein?
Wir lassen uns nicht treiben. Stand jetzt haben wir eine Regierung, Bundestagswahlen sind im Herbst 2025 und wir werden die Frage bis zum Herbst 2024 entscheiden.
Letzte Frage, was schätzen Sie an Robert Habeck?
Er kann die Menschen für Politik auf emotionaler Ebene ansprechen.
Herr Spahn, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Jens Spahn am 21. Februar 2024