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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Milliardenschaden befürchtet Das kostet der Bahnstreik täglich
Der Bahnstreik trifft nicht nur Pendler und Reisende, auch die Wirtschaft fürchtet erhebliche Einschnitte. Die Kosten würden dabei nicht einfach nur von Tag zu Tag steigen, sondern sich multiplizieren, sagen Experten.
Leere Bahnsteige, genervte Pendler: Es sind die klassischen Bilder, die bei jedem Bahnstreik verbreitet werden. Doch nicht nur einzelnen Bürgern entsteht ein Schaden, auch die heimische Wirtschaft kommt der Streik nach Prognose von Ökonomen teuer zu stehen. "Ein eintägiger bundesweiter Bahnstreik kostet etwa 100 Millionen Euro am Tag an Wirtschaftsleistung", sagte Michael Grömling, Konjunkturchef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), der Nachrichtenagentur Reuters.
Bei der nun angekündigten Streikdauer von sechs Tagen würden die Kosten nicht mehr linear steigen, sondern sich teils multiplizieren. "Wir sind da schnell bei einer Milliarde Euro Schaden", erklärte Grömling.
DB Cargo: Lieferketten werden nachhaltig gestört
Doch wie kommen diese hohen Kosten zustande? Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht davon aus, dass durch den Streik die Wertschöpfung im Transportsektor pro Tag um schätzungsweise 30 Millionen Euro sinkt.
So erfährt natürlich die Deutsche Bahn selbst einen großen Schaden durch den Streik. Viele Reisende tauschen ihre Tickets um, andere verzichten auf Fahrten, die sie an den Streiktagen buchen wollten. Ähnliches gilt für den Güterverkehr der DB Cargo, der ebenfalls bestreikt wird und wo an diesen Tagen deutlich weniger Fahrten umgesetzt werden können.
Die Lokführergewerkschaft GDL unter ihrem Chef Claus Weselsky streitet seit November mit der Deutschen Bahn über einen neuen Tarifvertrag. Eine Kernforderung darin ist die Absenkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden. Ein Angebot der Bahn über eine 37-Stunden-Woche lehnte Weselsky zuletzt ohne Verhandlungen ab und rief zum sechstägigen Streik auf. "144 Stunden Streik wirken sich unmittelbar auf Industrie-Lieferketten aus und stören sie nachhaltig", hieß es in einer Pressemitteilung von DB Cargo daraufhin. Das befürchtet auch Grömling, zumal die Situation in der Logistik durch die Huthi-Angriffe im Roten Meer derzeit ohnehin schon international angespannt sei.
Gemeint ist damit konkret: Container könnten in Häfen liegen bleiben, was hohe Kosten verursacht. Je nach Länge des Streiks kann hier an manchen Stellen gar ein Rückstau entstehen. Mehr zur Situation lesen Sie hier.
Durch den Streik kommt aber keineswegs der gesamte Güterverkehr zum Erliegen. Der Anteil der Deutschen Bahn ist in diesem Bereich in den vergangenen Jahren gesunken. "60 Prozent des Schienengüterverkehrs rollen wie üblich und kommen wegen eines entleerten Netzes sogar häufig besser ans Ziel", hieß es vom Verband Die Güterbahnen, in der vor allem die Cargo-Wettbewerber organisiert sind.
Wenn Nachschub fehlt, schließen Fabriken
"Viel größere wirtschaftliche Schäden entstünden, wenn Fabriken ihre Produktion wegen Nachschubproblemen runterfahren müssten", warnt wiederum Krämer. Das könnte diesmal der Fall sein, sollte keine kurzfristige Lösung erzielt werden. Denn viele Unternehmen beziehen über die Schiene Vorprodukte für ihre Produktion.
Vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) etwa hieß es, dass nach flexiblen Lösungen gesucht werde, aber die Einschränkungen und Verzögerungen durch den Streik nur teilweise kompensiert werden könnten.
Auch die Automobilindustrie ist betroffen. Die kurzfristige Umstellung von Schiene auf Straße gestalte sich laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) "außerordentlich schwierig".
Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Tanja Gönner, sagte in einem Statement: "Es drohen weitere harte Einschränkungen bis hin zu einzelnen Produktionsausfällen, Drosselungen und Stillständen in der Industrie." Schäden von bis zu einer Milliarde Euro hält sie für "nicht unrealistisch". Keiner der Verbände nannte unterdessen konkrete Zahlen für einzelne Branchen.
Gibt auch Profiteure
Doch es gibt auch einige Profiteure des Streiks. So verzeichnen Autovermieter mehr Buchungen. "Aktuell beobachten wir für diese Woche bundesweit eine deutlich erhöhte Nachfrage", sagte ein Sprecher des börsennotierten Autovermieters Sixt am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Zu dessen Netzwerk in Deutschland zählen knapp 350 Stationen.
Konkurrent Europcar betonte, grundsätzlich noch viele freie Fahrzeuge zu haben. "Bis einschließlich Mittwoch könnte es allerdings knapp werden, da wir bereits zahlreiche Buchungen erhalten haben", sagte Tobias Zisik, Geschäftsführer der Europcar Mobility Group Germany. Europcar zählt bundesweit mehr als 300 Stationen.
Manche Unternehmen machen sich auch einen Spaß aus der Situation. In einer E-Mail wirbt etwa der Anbieter billiger-mietwagen.de mit dem Slogan "Bye bye Bahnsinn, Hallo Carsharing".
Die Flughäfen hingegen gehören nicht zu den Gewinnern. "Es wird schwieriger für die Leute, zum Flughafen zu kommen", erklärte der neue Geschäftsführer des Hamburger Flughafens, Christian Kunsch. Beim letzten Streik vor zwei Wochen hätte die S-Bahn alle 20 Minuten fahren sollen, dennoch seien Züge ausgefallen. Aus Angst, ihren Flug zu verpassen, kämen viele Passagiere zwei oder drei Stunden früher als nötig zum Flughafen. Die Terminals seien darum voller als sonst. Vor dem Check-in bildeten sich lange Schlangen, obwohl die Schalter noch gar nicht geöffnet seien. "Unser normaler Prozess wird gestört", sagte Kunsch.
Auf die Flugbuchungen hat der sechstägige Streik bis Montag nach Einschätzung des Airportchefs kaum Auswirkungen. Für ein kurzfristiges Umsteigen von der Bahn in den Flieger fehlten die Kapazitäten. "Die Flieger sind gut ausgelastet", sagte Kunsch. Es gebe nur noch wenige freie Plätze, und die Preise seien enorm hoch. "Einer Airline fällt es zurzeit schwer, irgendwo noch mal ein Flugzeug herzuholen und eine Crew auf das Flugzeug zu setzen."
Der Lufthansa-Konzern hatte am Dienstag von einer höheren Nachfrage auf den innerdeutschen Strecken berichtet. Es gebe für den Streikzeitraum "einige zusätzliche Buchungen", hieß es. Man setze auch größere Flugzeuge ein. Auch die Tochtergesellschaft Eurowings stellte eine sprunghaft gestiegene Nachfrage auf ihren innerdeutschen Strecken fest.
- Eigene Recherche
- Pressemitteilung DB Cargo
- Pressemitteilung BDI
- Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters