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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unternehmerin über Viertagewoche "Kunden haben die Umstellung nicht bemerkt"
Über die Viertagewoche wird heftig gestritten. Viele wünschen sie sich, andere sehen in ihr ein Ende der Leistungsgesellschaft. Vertreter unterschiedlicher Branchen erzählen, warum sie sich dafür entschieden haben.
Jede Woche ein dreitägiges Wochenende und das bei einer Vollzeittätigkeit: Für die meisten Arbeitnehmer klingt das zu gut, um wahr zu sein. Doch die Forderungen nach einer Viertagewoche werden in Deutschland immer lauter, Gewerkschaften aus unterschiedlichen Branchen wollen in den kommenden Wochen und Monaten dafür streiten.
Sie berufen sich auf Studien, wie jene aus Großbritannien, bei der mehr als 60 Firmen die Viertagewoche testeten und am Ende drei Viertel der teilnehmenden Firmen das Konzept beibehalten wollten (mehr zur Studie lesen Sie hier).
Arbeitgebervertreter hingegen sind skeptisch. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnte im Interview mit t-online: Die Viertagewoche "gefährdet unseren Wohlstand". Eine aktuelle Umfrage der Karriereplattform Xing zeigt: Mit 53 Prozent teilt eine Mehrheit der Deutschen seine Sorge. Sie gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft sich eine Viertagewoche nicht leisten kann. 45 Prozent fürchten zudem um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes.
- Kann Deutschland noch Leistung? Dieser Artikel ist Teil einer Serie, weitere Beiträge finden Sie hier.
t-online hat mit Vertretern unterschiedlicher Branchen darüber gesprochen, weshalb sie von der Viertagewoche überzeugt sind und warum sie ein sinnvolles Modell für Mittelstand und Handwerk sein kann.
Unternehmerin: "Die Viertagewoche war fest geplant"
Unternehmerin Maria Lorenz-Bokelberg kann die Vorbehalte gegen eine Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich verstehen. Schließlich ist dafür die Voraussetzung, dass ein Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich ist. Wer um seine Existenz bangt, wagt seltener solche Experimente. Nachdem sie die Podcastfirma Poolartists 2015 gegründet hatte, wollte sie sich von ihrer Idee dennoch nicht abbringen lassen.
"Kritiker bauen häufig ein Drohszenario auf: Deutschland könnte abgehängt werden, wenn wir alle weniger Stunden arbeiten. Ich befürchte eher, dass das Gegenteil der Fall ist", sagt sie. Sie ist überzeugt: Wer qualifizierte Bewerber möchte, muss den Menschen etwas bieten können.
"Schon als meine Geschäftspartnerin und ich die Firma gegründet haben, war die Viertagewoche fest geplant", sagt Lorenz-Bokelberg. Von Anfang an konnten sie das Konzept aber nicht umsetzen. "Wir wussten, dass wir dafür eine gewisse Anzahl an Personen brauchen würden."
Im Mai 2022 starteten sie dann die Viertagewoche. Das Konzept sieht vor, dass das 16-köpfige Team in zwei Schichten eingeteilt ist. Eine Schicht arbeitet von Montag bis Donnerstag, die andere von Dienstag bis Freitag. Getestet wird das Viertage-Modell für insgesamt zwölf Monate. Für alle Projekte hat Lorenz-Bokelberg von Anfang an zwei Leiter eingesetzt, sodass Kunden weiterhin an jedem Arbeitstag einen Ansprechpartner haben. Das klappt bislang gut. "Unsere Kunden haben die Umstellung quasi nicht bemerkt, das war uns als Dienstleister wichtig", berichtet Lorenz-Bokelberg.
"Hatte am Anfang sogar ein schlechtes Gewissen"
"Es gab auch Sorgen", erzählt die Unternehmerin über die Zeit der Umstellung. Alle Beteiligten hatten vorher fünf Tage pro Woche gearbeitet, nun gab es viele Fragen und Unsicherheiten darüber, wie die Arbeit in weniger Zeit erledigt werden soll. "Wir haben viel über Effizienz gesprochen und unsere Meetingstruktur überarbeitet. Da konnten wir am einfachsten Zeit einsparen", sagt Lorenz-Bokelberg. Ihre Mitarbeiter seien durch die längeren Wochenenden entspannter und damit an den Arbeitstagen produktiver, erläutert sie weiter.
Zudem investiere sie in bessere Aufnahmetechnik für die Podcasts, um die Nachbearbeitungszeit zu verkürzen. "Unser Ziel: Arbeit soll nicht das Leben dominieren."
Dass sie, als Geschäftsführerin eines Medienunternehmens in Berlin, vorprescht, findet Lorenz-Bokelberg nicht erstaunlich. Es sei normal, dass Branchen anfangen, für die ein solches Modell einfacher umzusetzen sei. "Ich glaube aber auch, dass viele Unternehmer, die sich vehement gegen eine Viertagewoche stellen, sich nicht ausreichend damit beschäftigt haben." Viel mehr Unternehmer könnten mutig sein, sagt Lorenz-Bokelberg.
Doch bei aller Überzeugung fiel der Chefin die Umstellung selbst gar nicht so leicht. "Ich habe den Montag frei und hatte am Anfang sogar ein schlechtes Gewissen."
Zeit für Erledigungen und Hobbys
Für die Angestellten bei Poolartists bedeutet die Viertagewoche vor allem Freiheit. "Der Montag ist jetzt mein Sonntag – und die Geschäfte sind sogar offen", sagt Felix Böhme, der für den Bereich Produktion zuständig ist. Seine Kollegin Lisa Hertwig verantwortet den redaktionellen Bereich. Der freie Tag hat ihr ermöglicht, ein geliebtes Hobby wieder anzufangen. "Ich bin in der Kindheit und Jugend immer geritten, hatte neben einer 40-Stunden-Woche aber keine Zeit mehr dafür. Jetzt verbringe ich meinen freien Freitag im Pferdestall", erzählt sie.
In ihrem Freundeskreis ist sie mit ihrer Viertagewoche allerdings noch eine Vorreiterin. "Viele arbeiten im medizinischen Bereich", erzählt sie. "Aber ich halte es für möglich, wenn die Chefetagen bereit sind, Strukturen zu ändern."
Gründerin: Mitarbeiter sind nachhaltig zufrieden
Das Team von Poolartists zeigt: Die Viertagewoche erfordert ein gewisses Umdenken, andere Schichtpläne und auch den Mut, ein wirtschaftliches Risiko einzugehen. Im Fall von Poolartists hat sich das Experiment bislang ausgezahlt. Da in Projekten gearbeitet wird, könne sie es zwar nicht genau beziffern, so Lorenz-Bokelberg, aber sie habe den Eindruck, dass sie eine ähnliche Menge bewältigen können wie zuvor – nur effizienter. Weiteres Personal musste sie bislang nicht einstellen, um die Arbeit des fünften Tags zu kompensieren.
In klassischen Bürojobs scheint ein solches Modell zunächst leichter umzusetzen. Aber stimmt das?
Nicht unbedingt, sagt Luisa Schmitt. Kaum jemand steht mit so vielen kleinen und mittelgroßen Handwerksbetrieben im Austausch, wie sie. Als Gründerin der Personalvermittlung Hammerjobs hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, Betriebe und Fachkräfte zusammenzuführen. Dabei hat sie festgestellt: "Neben einem guten Gehalt und Wertschätzung zählt die Viertagewoche oder ein dynamisches Arbeitszeitmodell zu den wichtigsten Vorteilen bei der Jobwahl."
Das zähle nicht nur bei Bürojobs. "Handwerksbetriebe, die moderne Arbeitszeitmodelle anbieten, werden zum einen attraktiver wahrgenommen", sagt Schmitt. Erfahrungsberichte zeigten außerdem, dass Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeiter steigen.
Familienbetrieb setzt schon seit Jahren auf Flexibilität
Ein Beispiel dafür ist der Telekommunikationsdienstleister Mugler, ein Familienunternehmen aus dem sächsischen Oberlungwitz. Bereits seit vielen Jahren bietet die Firma ihren Mitarbeitern flexible Arbeitszeitmodelle.
"Es gibt viele verschiedene Formen der Viertagewoche", sagt die Personalerin des Unternehmens, Janine Richter. "Wir verstehen darunter, dass die Mitarbeiter sich aussuchen können, ob sie ihre Arbeitsstunden an vier oder fünf Tagen abarbeiten."
Das Besondere: Die Regelung gilt gerade nicht für die Büroangestellten. "Ich finde es interessant, dass es oft heißt, flexible Arbeitszeiten wären im Büro leichter umsetzbar", sagt sie. "Bei uns sehe ich das Gegenteil: Im Büro sind wir an allen Wochentagen vertreten, damit wir immer für die Techniker draußen erreichbar sind." Bei Mugler arbeiten 540 Mitarbeiter, davon sind 100 bis 150 Personen im Büro tätig. Der Rest arbeitet im Außendienst und auf den Baustellen.
Personalerin: Machen Montage so attraktiver
Als Personalerin sieht Richter einen klaren Gewinn in dem Modell: Es mache die Arbeit auf dem Bau attraktiver und ermögliche den Mitarbeitern eine bessere Freizeitgestaltung. Das zahle sich aus und sporne an. "Wir machen uns bereits Gedanken, wie wir auch in Zukunft qualifizierte Mitarbeiter finden können", sagt Richter. "Ich denke dabei an Möglichkeiten für Sabbaticals oder geteilte Stellen."
Dass andere Mittelständler bei dem Thema zurückhaltender sind, habe häufig mit der Firmenkultur zu tun, glaubt Richter. "Modernere Arbeitsmodelle erfordern immer einen Entwicklungsprozess", sagt sie. Ob sich etwas verändere, hänge damit zusammen, wie offen die Unternehmenschefs seien.
Gewerkschaften erstreiten Arbeitszeitverkürzung
Der Druck auf Unternehmen in den verschiedensten Branchen wächst. Zuletzt forderte Gewerkschaftsboss Claus Weselsky eine Arbeitszeitverkürzung für Angestellte der Deutschen Bahn von 38 auf 35 Stunden (mehr dazu lesen Sie hier). Auch die Gewerkschaft IG Metall fordert in der aktuellen Tarifrunde direkt eine Viertagewoche mit 32 Stunden Wochenarbeitszeit. Bislang sieht der Tarifvertrag in der Metallindustrie eine 35-Stunden-Woche vor.
Dass solche Ziele durchsetzbar sind, zeigen erste Beispiele aus der Industrie im europäischen Ausland. So testet der französisch-italienische Brillenhersteller EssilorLuxottica, der Marken wie Ray-Ban, Armani und Chanel im Programm hat, ein eigenes Viertagemodell. Dabei soll zwar nicht die Zahl der Stunden, aber eben die der Arbeitstage reduziert werden. Beim Sportwagenbauer Lamborghini hingegen wurde im Dezember für die Mitarbeiter in Italien ein neuer Deal mit den Gewerkschaften ausgehandelt: Sie arbeiten künftig bei vollem Lohnausgleich nur noch an vier Tagen in der Woche.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Janine Richter (Mugler)
- Gespräch mit Felix Böhme (Poolartists)
- Gespräch mit Lisa Hertwig (Poolartists)
- Gespräch mit Maria Lorenz-Bokelberg (Poolartists)
- Gespräch mit Luisa Schmitt (Hammerjobs)
- Salzburger Nachrichten: "Lamborghini führt in Italien Vier-Tage-Woche ein"
- tagesschau.de: "Ray-Ban-Hersteller testet Vier-Tage-Woche"
- tagesschau.de: "Stahlarbeiter wollen die Vier-Tage-Woche"
- IG Metall: Fragen und Antworten zur Vier-Tage-Woche