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Arbeitgeberpräsident Dulger: "Vier-Tage-Woche gefährdet unseren Wohlstand"


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Arbeitgeberpräsident Dulger
"Sonst bricht das Rentensystem zusammen"


Aktualisiert am 30.05.2023Lesedauer: 7 Min.
Arbeitgeberpräsident BDA Rainer DulgerVergrößern des Bildes
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger: "Die meisten Menschen, die ich treffe oder die in meinem Unternehmen sind, arbeiten gerne." (Quelle: Yorck Maecke/t-online)
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Die Wirtschaft kommt nicht in den Tritt. Zugleich reden viele von der Viertagewoche. Arbeitgeberpräsident Dulger erklärt, warum das nicht zusammenpasst.

Viele Deutschen sehnen sich danach, weniger zu arbeiten. Neue Arbeitszeitmodelle wie die Viertagewoche wirken auf viele attraktiv. Doch können wir uns das leisten?

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger ist skeptisch. Angesichts der jüngst festgestellten Rezession sei die Diskussion verfehlt. Im Interview mit t-online erklärt er, warum es umgekehrt eher mehr Arbeit brauche, was die Ampelregierung tun sollte, um das Rentensystem zu retten – und wieso das Streikrecht gesetzlich besser geregelt werden sollte.

t-online: Herr Dulger, Hand aufs Herz: Würden Sie nicht auch gern nur vier Tage die Woche arbeiten – bei vollem Lohn, versteht sich?

Rainer Dulger: Nein, ich habe immer gerne gearbeitet. Meine Arbeit ist ein fester Bestandteil meines Lebens, meiner Persönlichkeit und meines Wirkens. Zudem weiß ich: Wir befinden uns wirtschaftlich in einer wirklich angespannten Lage. Nichts wird besser, wenn wir alle weniger arbeiten. Die von Ihnen beschriebene Viertagewoche gefährdet unseren Wohlstand.

Wie meinen Sie das?

Wenn in den nächsten zehn Jahren die Babyboomer-Generation in Rente geht, verlieren wir pro Jahr rund 400.000 qualifizierte Berufstätige. Die werden dann von Beitragszahlern zu Beitragsempfängern. Das ist ohnehin schon eine schwierige Situation, denn es rücken einfach zu wenige junge Menschen nach. Wenn wir dann aber noch weniger arbeiten, wird das Rentensystem in seiner aktuellen Form unfinanzierbar. Davon abgesehen finde ich aber auch, dass die Viertagewoche-Diskussion merkwürdig geführt wird.

Inwiefern?

In der Debatte wird vieles vermischt: Die einen meinen mit dem Begriff "Viertagewoche", dass an nur vier Tagen jeder ein bisschen länger arbeitet, dafür aber drei Tage Wochenende hat. Dabei übersehen sie: Genau diese Möglichkeit, also flexiblere Arbeitszeiten, gibt es in vielen Jobs doch schon längst. Andere wiederum meinen damit eine Reduktion der Arbeitsstunden pro Woche bei gleichem Gehalt. Letzteres käme einer plötzlichen Lohnerhöhung um 20 Prozent gleich. Diese Form der Viertagewoche können wir uns – auch mit Blick auf den internationalen Standortwettbewerb – nicht leisten.

Sie führen ein Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie, Ihre Angestellten arbeiten statt der vielerorts üblichen 40 Stunden nur 35 Stunden pro Woche. Wieso sollte das nicht für alle möglich sein?

Prinzipiell ist es das ja. Als Arbeitnehmer können Sie Ihre Arbeitszeit und Ihr Entgelt immer mit Ihrem Arbeitgeber aushandeln – nur sollte sich die Politik bei solchen Diskussionen heraushalten. Um es ganz klar zu sagen: Wir haben derzeit einen Arbeitnehmermarkt. Wer mit den eigenen Arbeitsbedingungen unzufrieden ist, hat gute Chancen, einen neuen Job zu finden. Grundsätzlich, denke ich, hat die Arbeitsbereitschaft immer auch etwas mit dem Arbeitsumfeld zu tun. Die meisten Menschen, die ich treffe oder die in meinem Unternehmen sind, arbeiten gerne.

Beim BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter klang das kürzlich anders. Er beklagte, die Deutschen müssten wieder "mehr Bock auf Arbeit" haben. Wie passt das zusammen?

Nein, überhaupt nicht! Er hat doch genau das Gleiche gemeint, was ich versuche zu erklären: Es geht um Lust auf mehr Arbeit. Wenn Sie keinen Kita-Platz finden und das selber organisieren müssen, dann haben sie keine Zeit und auch keine Lust auf mehr Arbeit. Für manchen ist es auch schlicht nicht attraktiv, mehr zu arbeiten, weil die Einkommenssteuer das meiste auffrisst, was man mehr verdient. Das können wir uns einfach nicht leisten in unserem Land.


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Ich kann das nicht mehr hören


Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger


Ich wundere mich oft, wenn ich morgens Frühstücksfernsehen schaue. Da zählen die Moderatoren häufig runter, wie viele Tage es noch sind, bis endlich wieder Wochenende ist, und wir diskutieren über die sogenannte "Work-Life-Balance". Ich kann das nicht mehr hören: Beides gehört doch zusammen. Wenn uns ständig eingeredet wird, dass es uns mit weniger Arbeit besser geht, dann wollen das auch mehr Menschen ausprobieren. Dabei ist Arbeit das Fundament unseres gesellschaftlichen Wohlstandes. Sie finanziert unsere sozialen Sicherungssysteme, stiftet Sinn und gibt uns Halt – gerade in diesen Zeiten.

Sie hatten bereits die hohe Zahl der Menschen angesprochen, die jedes Jahr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Gleichzeitig arbeiten besonders viele Mütter nur in Teilzeit. Verschwenden wir da nicht ein unglaublich großes Arbeitskräftepotenzial?

Definitiv. Und um es zu heben, brauchen wir vor allem eine bessere und längere Kinderbetreuung. Hier muss die Politik endlich bessere Rahmenbedingungen schaffen. Mütter sind dabei aber bei Weitem nicht die einzige Gruppe, um die wir uns besser kümmern müssen.

An wen denken Sie noch?

Wir müssen unser ganzes inländisches Potenzial heben! Wir haben jährlich rund 50.000 Schulabgänger ohne Abschluss. Und dann brechen auch noch etwa 30 Prozent der Studenten ihr Studium ab, auch die müssen wir gezielt ansprechen. Über viele Nebensächlichkeiten gibt es in Deutschland einen Aufschrei. Dieser Bildungsskandal aber wird hingenommen. Das dürfen wir doch nicht mehr zulassen! Die Bundesagentur für Arbeit hatte aus Datenschutzgründen bis vor Kurzem keinen Zugriff auf die Adressen der Studienabbrecher. Sie konnte sie deshalb auch nicht für Weiterbildungsmaßnahmen anschreiben.

Arbeitgeberpräsident BDA Rainer Dulger
Arbeitgeberpräsident BDA Rainer Dulger (Quelle: Yorck Maecke/t-online)

Rainer Dulger, Jahrgang 1964, ist Unternehmer und Chef der Prominent GmbH in Heidelberg, einer Anlagenfirma, die unter anderem Dosierpumpen produziert. Ehe Dulger 2020 Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wurde, war er acht Jahre als Präsident von Gesamtmetall, der Arbeitgebervereinigung der Metall- und Elektroindustrie, tätig. Dulger ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Wie ist denn Ihr grundsätzlicher Eindruck von der Ampelregierung – gehen Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) genug auf Ihre Forderungen ein?

Ich würde sagen: Da ist noch Luft nach oben. Neben der Bekämpfung des Fachkräftemangels steht für mich vor allem die Reform der Sozialkassen im Fokus, die ich eben schon erwähnt habe. Aufgrund des demografischen Wandels werden wir absehbar in allen Sozialversicherungszweigen finanzielle Probleme bekommen. Wenn wir die Beiträge erhöhen, würde das den Wirtschaftsstandort Deutschland stark belasten, deswegen können wir das nicht machen.

Bleibt die Option: Mehr Steuergeld fürs Rentensystem.

Ja. Aber dann stehen diese Mittel nicht mehr für Investitionen in Infrastruktur, Bildung oder auch Kinderbetreuung zur Verfügung.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Die Notwendigkeit von ausgabensenkenden Strukturreformen der Sozialversicherung ist unumstritten. Zunächst einmal fordern wir aber, dass die Bundesregierung einmal im Jahr einen Bericht über die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung vorlegt und dieser dann im Bundestag diskutiert wird.

Ein fast bescheidener Wunsch. Papier ist geduldig und Berichte gibt es schließlich zu vielen Dingen.

Aber genau zu diesem wichtigen Thema nicht. Uns fehlt eine ehrliche Debatte über die Sozialkassen. Zu viele Politiker haben Angst vor einer Rentenreform, weil sie das Wählerstimmen kosten könnte. Bei einer verpflichtenden Aussprache im Plenum könnte es also hoch hergehen, wenn die Opposition den Finger in die Wunde legt.

Aus der Opposition, genauer von der CDU, kam zuletzt der Vorschlag, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln und damit langsam, aber stetig zu erhöhen. Was halten Sie davon?

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Ich persönlich halte das für eine nachvollziehbare Idee. Angesichts der alternden Gesellschaft führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen alle länger arbeiten. Sonst bricht das Rentensystem zusammen. Im Übrigen begrüße ich auch den Vorschlag aus der CDU, in Zeiten von Fach- und Arbeitskräftemangel die abschlagsfreie "Rente mit 63" sofort abzuschaffen.

Derzeit liegt das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren. Halten Sie es für tragbar, dass wir künftig alle bis 70 arbeiten?

Ich denke, wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir hier eine Veränderung brauchen. Und ich glaube, dass wir dafür einen Konsens finden können. Und viele Menschen wollen ja auch länger arbeiten. Was fehlt, ist eine unbürokratische Grundlage dafür.

Für diesen Konsens müssten sich auch die Ampelparteien dem Vorschlag der CDU anschließen. Wie realistisch ist das?

Bevor ich mich in die Köpfe der verantwortlichen Politiker versetze, will ich zunächst einmal auf die drängende Frage der Generationengerechtigkeit hinweisen. Ich möchte, dass meine Kinder auch in vielen Jahren noch Anspruch auf eine auskömmliche Rente und einen schönen Lebensabend haben. Wenn wir aber so weitermachen wie bislang, wird das sicher nicht passieren. Meine Kinder werden sich bestimmt nicht auf die Straße kleben – aber sie können berechtigterweise protestieren und sagen: Wenn ihr heute nicht die richtigen Weichen stellt, dann haben wir im Alter ein Problem.

Stellt die Bundesregierung denn die richtigen Weichen?

Mein Eindruck ist, dass die Koalitionäre hinter den Kulissen heftig um Lösungen ringen. Das Problem bei der Rente und den Sozialkassen ist allerdings, dass ein Gefühl der Dringlichkeit fehlt.

Wie meinen Sie das?

Deutschland kann Krise. Das hat sich in der Corona-Pandemie gezeigt, aber auch in der Gaskrise. Da hält das ganze Land zusammen. Geht es dagegen um nichts Akutes, sondern um etwas, das erst in ein paar Jahren zum Tragen kommt, zerfällt der Konsens. Dann stellt jeder nur noch seine Partikularinteressen in den Vordergrund: Die einen wollen weniger CO2-Ausstoß, die anderen wollen mehr Bäume pflanzen, die dritten wollen mehr Sitzbänke im Park und wieder andere wollen mehr Urlaub und weniger arbeiten. Jeder kämpft nur noch für seine eigenen Interessen. Was uns fehlt, ist ein verbindendes Ziel, hinter dem alle Deutschen stehen und dieses verfolgen. Und bei dem klar ist: Das ist das, was wir alle gemeinsam wollen.

Und darunter leidet auch die Koalition?

Genau. Aber am Ende eben auch wir alle. Deutschland muss insgesamt wieder verstehen: Nur eine starke Wirtschaft macht ein starkes Land.

Die Gewerkschaften würden sagen: Genauso dazu zählt eine starke Arbeitnehmerschaft. Und um das zu beweisen, scheinen sie in diesem Jahr besonders stark auf Streiks zu setzen. Wie beurteilen Sie das Gebaren von Verdi, EVG und Co.?

Bei dieser Frage möchte ich gern eines vorweg schicken, damit wir uns nicht missverstehen.

Bitte.

Das Streikrecht ist ein wichtiger Bestandteil unserer Tarifautonomie und damit der Sozialpartnerschaft. Es ist gut, dass wir es haben, und es wird im Kern von niemandem infrage gestellt. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft ohne eine Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten nicht funktionieren kann. Es ist deshalb richtig, dass es in unserer Rechtsordnung verankert ist.

Aber?

Das Streikrecht ist nicht gesetzlich geregelt. Zuletzt hat das dazu geführt, dass etwa bei der Bahn ein 50-stündiger Warnstreik im Raum stand. Das ist eine völlige Verzerrung des Streikgedankens.

Deshalb plädierten Sie kürzlich für "bessere Spielregeln" bei Streiks. Wie könnten die denn konkret aussehen?

Im Detail will ich das mit den Sozialpartnern besprechen und nicht mit der Presse oder der Politik. Ein Punkt ist dabei aber sicherlich die Frage: Was ist eigentlich ein Warnstreik? Und was ist ein echter Streik, dem man nur den Zettel "Warnstreik" anheftet, um kein Streikgeld zahlen zu müssen? Darüber müssen wir reden. Klar ist: Wir brauchen verbindliche Regeln. Das Streikrecht darf nicht länger ein reines Richter-Recht bleiben, also von der Auslegung einzelner Gerichte abhängen.

Herr Dulger, vielen Dank für dieses Gespräch.

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Wie stehen Sie zu einer Viertagewoche? Schreiben Sie eine E-Mail an Lesermeinung@stroeer.de. Bitte nutzen Sie den Betreff "Viertagewoche" und begründen Sie Ihre Meinung.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Interview mit Rainer Dulger
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