Arbeitsminister Hubertus Heil "Dann steigt die Kaufkraft der Rentner wieder an"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hubertus Heil will anerkannte Flüchtlinge in Jobs bringen, Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland locken und die Altersversorgung der Deutschen zukunftsfest machen. Wie, erklärt er im Interview.
Eine anstrengende Woche liegt hinter Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Treffen mit seinen EU-Amtskollegen, der Bund-Länder-Gipfel, der bis in die frühen Morgenstunden dauerte, parallel die Haushaltsberatungen, bei denen unlängst herauskam, dass das Bürgergeld mehr kostet als ursprünglich geplant.
Trotzdem wirkt Heil vergleichsweise gelöst, als er t-online am Donnerstag zum Interview in seinem Ministerium empfängt. Im Streit um den Strompreis hat die Regierung kurz zuvor einen geräuschlos gefundenen Kompromiss des Wirtschafts- und Finanzministers präsentiert. Heil, dessen Prinzip es ist, erst öffentlich zu reden, wenn es eine Lösung mit den Koalitionspartnern gibt, stimmt das hoffnungsfroh für die Ampel. Die Schelte der Wirtschaftsweisen für seine Rentenpolitik, die er am Vortag kassierte, scheint ihn da kaltzulassen.
t-online: Herr Heil, verzweifeln Sie gerade an der Migrationsdebatte?
Hubertus Heil: Nein, weil wir parteiübergreifend zwischen Bund und Ländern in den vergangenen Wochen dafür die richtigen Entscheidungen vereinbart haben.
Deutschland braucht Fachkräfte, Sie werben um sie im Ausland. Doch dort kommt gerade vor allem an: Migration ist unerwünscht. Bund und Länder ziehen in der Asylpolitik die Daumenschrauben an. Konterkariert das nicht Ihr Ansinnen?
Das sehe ich anders. Wir sortieren die Dinge klar: Es geht erstens um Humanität für Menschen, die vor Krieg fliehen oder die verfolgt werden. Sie werden auch in Zukunft bei uns Schutz erhalten. Zweitens: Wir werden irreguläre Migration in Deutschland und Europa mit den richtigen Maßnahmen verringern, etwa durch schnellere Verfahren und konsequentere Rückführungen. Wer bei uns bleiben darf, soll so schnell wie möglich in Arbeit kommen. Und um mehr dringend benötigte Fachkräfte für uns zu gewinnen, haben wir ein modernes Einwanderungsgesetz geschaffen.
Nur kommen die dann in ein Land, dessen Bevölkerung gerade mehrheitlich gegen mehr Zuwanderung ist.
Nein, die meisten Deutschen wissen, unser Land braucht qualifizierte, gesteuerte Zuwanderung. Es gibt schon jetzt zu wenig Handwerker oder Pflegekräfte. Ziehen wir nicht alle Register, fehlen uns bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte. Deshalb müssen wir alle inländischen Potenziale heben, etwa arbeitslose Jugendliche ausbilden und in Arbeit bringen und durch bessere Kinderbetreuung dafür sorgen, dass mehr Frauen arbeiten können. Nur: Das allein wird nicht reichen. Wir brauchen kluge Köpfe und helfende Hände auch aus anderen Ländern. Gleichzeitig wollen wir die, die kein Recht haben, bei uns zu bleiben, zurückführen. Deshalb verhandeln wir mit anderen Ländern auch über Migrationsabkommen.
Warum sollten Länder etwa in Afrika uns ihre besten Köpfe schicken und zugleich die zurücknehmen, die wir nicht wollen?
Es geht um faire Abkommen, die legale, gesteuerte Zuwanderung ermöglichen und irreguläre Migration reduzieren. Das hilft auch, Schleusern das Handwerk zu legen. Viele Staaten haben ihre Bereitschaft signalisiert, solche Abkommen schließen zu wollen. Nehmen Sie das Beispiel Indien, mit dem wir bereits ein Migrationsabkommen haben. In Indien kommen pro Monat eine Million Menschen zusätzlich auf den Arbeitsmarkt. Ich habe dort mit gut qualifizierten Informatikern und Pflegekräften gesprochen, die ganz bewusst nach Deutschland wollen. Die indische Regierung unterstützt das.
Die Zahl der irregulären Migranten aus Indien, die mithilfe dieses Abkommens dorthin zurückgeführt werden könnten, ist allerdings gering.
Das wird sich ändern, aber insgesamt gilt: Wir haben jetzt die Chance für mehr Migrationsabkommen, weil es ein modernes Einwanderungsgesetz gibt. Das hätte man viel früher machen müssen.
Deutsch lernt man nicht nur in Kursen, sondern gerade auch in der Arbeitswelt.
Hubertus Heil
Mit "man" meinen Sie sich wohl selbst, schließlich waren Sie doch auch in der vorangegangenen Regierung Arbeitsminister. Warum haben Sie es nicht schon früher angeschoben?
Weil das mit CDU/CSU nicht möglich war. Ich habe auch schon mit Horst Seehofer, dem früheren Innenminister, ein Einwanderungsgesetz verhandelt. Aber das war sehr bürokratisch und abschreckend.
Anerkannte Flüchtlinge wollen Sie nun mit einem "Jobturbo" in Arbeit bringen. Warum erst jetzt? Schließlich durften etwa ukrainische Geflüchtete von Anfang an arbeiten, aber nur 19 Prozent tun dies auch.
Eine Hürde ist die Sprache. Wir haben 140.000 Ukrainer in Arbeit gebracht, die in der Regel schon deutsche Sprachkenntnisse hatten. Jetzt haben weitere 100.000 Ukrainer den Integrationssprachkurs durchlaufen, in Kürze kommen weitere 100.000 dazu. Außerdem haben 200.000 Flüchtlinge aus anderen Herkunftsländern diesen Kurs absolviert. Mit dem Jobturbo wollen wir diese jetzt möglichst schnell in Arbeit vermitteln. Nehmen sie die Angebote nicht an, werden Leistungen gekürzt. Gleichzeitig werben wir in der deutschen Wirtschaft dafür, dieses Potenzial zu nutzen und die Menschen einzustellen, auch wenn sie noch nicht perfekt Deutsch sprechen. Schließlich lernt man Deutsch nicht nur in Kursen, sondern gerade auch in der Arbeitswelt.
Eine zentrale Rolle kommt dabei den Jobcentern zu. Die haben aber schon durch die Bürgergeldreform mehr als genug zu tun. Gleichzeitig sollen sie nun 700 Millionen Euro einsparen. Wie soll das gehen?
Die Beschäftigten in den Jobcentern leisten viel. Wie viel Mittel sie zur Vermittlung zur Verfügung haben, entscheidet in der nächsten Woche der Bundestag. Klar ist: Ich kämpfe für eine gute finanzielle Ausstattung der Jobcenter. Jeder zusätzliche Euro ist wichtig, um Menschen in Arbeit zu bringen. Das senkt perspektivisch auch die Kosten.
Verstehen wir Sie richtig, Sie hoffen, dass der Haushaltsausschuss Ihren eigenen Sparvorschlägen nicht folgt?
Die gesamte Bundesregierung muss Kosten senken. Und sparen tut meistens weh. Zugleich gilt, dass ein Regierungsentwurf am Ende nicht so aus dem Haushaltsausschuss kommt, wie er hineingeht. Ich werbe intensiv dafür, dass wir zusätzliche Mittel mobilisieren. Am Ende aber fällt die Entscheidung im Bundestag. Im Übrigen ist es nicht so, dass die Jobcenter jetzt keine Mittel haben, es stehen immer noch deutlich über neun Milliarden Euro im Haushaltsentwurf.
Mehr Sanktionen für Flüchtlinge, weniger Geld für Integration: Auch für die Migrationsberatung stellt das Familienministerium ein Drittel weniger zur Verfügung. Wie soll da Integration gelingen?
Auch die Kollegin Paus muss Sparvorgaben umsetzen. Aber noch mal: Am Ende entscheidet der Deutsche Bundestag und nicht die Regierung über die Verwendung von Haushaltsmitteln.
Apropos Haushalt: Mehr Geld brauchen Sie auch für das Bürgergeld, es geht um 2,1 Milliarden Euro. Setzt der Hartz-IV-Nachfolger die falschen Anreize?
Nein, beim Bürgergeld geht es darum, Menschen in Arbeit zu bringen. Die Gründe für in diesem Jahr gestiegene Kosten liegen vor allem in der hohen Inflation bei Lebensmitteln und Energiepreisen, einer schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung, die auch auf den Arbeitsmarkt wirkt, und in der Versorgung ukrainischer Geflüchteter begründet. Deshalb liegen die Antworten im Sinne von Kostendämpfung in der Veränderung dieser Ursachen. Die Dämpfung der Inflation, auf die wir für das nächste Jahr hoffen können, eine wirtschaftliche Belebung und mehr Vermittlung von ukrainischen Geflüchteten mit dem Jobturbo. All das wird helfen, Menschen aus der Bedürftigkeit in Arbeit zu bringen und damit auch Kosten für die Grundsicherung zu reduzieren.
Deutschland fehlen nicht nur Arbeitskräfte, sondern zunehmend auch Beitragszahler für die gesetzliche Rente. Sie wollen an keiner der drei Renten-Stellschrauben – Beiträge, Niveau, Eintrittsalter – drehen und das System trotzdem fit machen für den Demografie-Knick. Können Sie zaubern?
Zaubern kann ich nicht. Allerdings weiß ich, dass es neben den von Ihnen genannten Stellschrauben eigentlich um eine vierte geht, die über alles entscheidet.
Nämlich?
Die Zahl der Menschen, die arbeitet. Wenn möglichst viele Menschen im erwerbsfähigen Alter arbeiten und in die Rentenkasse einzahlen, gelingt es uns, die Rente stabil zu halten. Die Prognosen für die gesetzliche Rentenversicherung waren viel pessimistischer als die Lage heute ist, sowohl mit Blick auf die Beitragssatzentwicklung als auch auf das Rentenniveau.
Warum ist es besser gelaufen?
Weil wir unsere Hausaufgaben am Arbeitsmarkt gemacht haben. Es gibt heute rund fünf Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als vor zehn Jahren prognostiziert. Das zeigt, die Hauptaufgabe besteht darin, so viele Menschen wie möglich in gut bezahlte Arbeit zu bringen – zum Beispiel, indem wir dafür sorgen, dass kein Jugendlicher mehr ohne Ausbildung bleibt, die Frauenerwerbsbeteiligung erhöhen und ausländische Fachkräfte gewinnen. Wenn genügend Menschen in die Rentenkasse einzahlen, bleibt das Umlagesystem stabil.
Die Wirtschaftsweisen haben diese Woche gesagt, es sei schlauer, das Renteneintrittsalter schrittweise weiter zu erhöhen, bestenfalls an die Lebenserwartung zu koppeln.
Das Renteneintrittsalter wird gerade schrittweise bis 2031 erhöht. Viel relevanter als das gesetzliche Renteneintrittsalter ist, wie lange die Menschen tatsächlich arbeiten. Aktuell liegt das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei 64,2 Jahren. Mein Ziel ist es, dass künftig mehr Menschen gut und gesund über dieses Alter hinaus arbeiten können und es flexible Übergänge in den Ruhestand gibt. Eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters über 67 hinaus wird es mit mir nicht geben. In vielen Berufen, etwa in der Logistik, in der Pflege, im Handwerk und auf Baustellen, können Menschen mit 68, 69 oder 70 nicht mehr arbeiten. Für diese Menschen würde eine Erhöhung des Renteneintrittsalters nichts anderes bedeuten als eine Rentenkürzung. Und: Ich werde die Renten nicht kürzen.
Hubertus Heil, geboren 1972, ist seit 2018 Bundesminister für Arbeit und Soziales und seit 1998 Bundestagsabgeordneter für die SPD. Für seine Partei ist er zugleich stellvertretender Vorsitzender, in der Vergangenheit diente er den Sozialdemokraten zweimal als Generalsekretär. Heil ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Ihre SPD spricht sich für eine "langfristige" Stabilisierung des Rentenniveaus aus. Wie lange ist denn "langfristig"?
Die Koalition hat vereinbart, das Rentenniveau auch nach 2025 dauerhaft zu sichern. Mir geht es darum, die Rente auch für die heute junge Generation stabil und verlässlich zu halten. Das beugt auch Altersarmut vor. Details werden Sie meinem Gesetzentwurf für das Rentenpaket II entnehmen.
Die Jahre 2025 bis 2040 sind die kritischsten für die gesetzliche Rente
Hubertus Heil
Der bislang weiter auf sich warten lässt. Woran hängt die Rentenreform denn noch – wann kommt das Gesetz?
Bei so einem wichtigen Vorhaben kann es auch mal ein paar Wochen länger dauern, aber wir sind auf der Zielgeraden. Das reicht auch, denn es geht ja erst um die Zeit nach 2025.
Weil dann die Generation der Babyboomer in Rente geht?
Genau. Die Jahre 2025 bis 2040 sind die kritischsten für die gesetzliche Rente, weil dann die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Hausaufgaben am Arbeitsmarkt auch weiter gut machen.
Was halten Sie denn von der Idee, dass Geringverdiener mehr Rentenpunkte erwerben sollten als Menschen mit einem höheren Einkommen?
Damit Menschen, die hart arbeiten und wenig verdienen, eine anständige Rente bekommen, haben wir die Grundrente eingeführt. Das war ein wichtiger Schritt für mehr Leistungsgerechtigkeit, für den ich hart gekämpft habe und der vielen Menschen hilft.
Dieses Jahr fiel das Rentenplus recht üppig aus. Worauf dürfen sich Rentner im kommenden Jahr einstellen?
Die genauen Zahlen kennen wir erst im Frühjahr. Die Rentenversicherung geht aktuell von einem Plus in Höhe von 3,5 Prozent aus. Damit läge das prozentuale Rentenplus oberhalb der erwarteten Inflationsrate von 2,6 Prozent. Stimmen die Prognosen, steigt die Kaufkraft der Rentner erfreulicherweise wieder an.
Abschließend noch eine persönliche Frage: Sie sind seit 2018 Arbeitsminister, seit 2019 stellvertretender Parteivorsitzender, gelten im Kabinett und in der Partei als einer, der seine Projekte geräuschlos durchzieht. Gibt es eigentlich noch etwas, das Sie beruflich mehr reizt als Ihre aktuelle Aufgabe?
Ich bin Bundesminister für Arbeit und Soziales und Bundestagsabgeordneter und will in diesen Aufgaben meiner Verantwortung gerecht werden. Zudem bin ich im Ehrenamt stellvertretender Parteivorsitzender der SPD. Das alles zusammen sind für mich sehr erfüllende Aufgaben, da reizt mich auch nichts anderes. Deshalb werde ich auf dem Parteitag im Dezember erneut für das Amt des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden kandidieren. Ich will mithelfen, dass die SPD die Partei der Arbeit bleibt und immer wieder neue Antworten auf eine sich stark verändernde Welt findet. Mir geht es um den Wert, die Würde und die Zukunft der Arbeit.
Herr Heil, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Arbeitsminister Hubertus Heil am 9. November 2023