Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Pro und Kontra zum großen Streik Das hat Deutschland seit mehr als 30 Jahren nicht erlebt
Deutschland kommt am Montag zum Stillstand. Denn im ÖPNV, bei der Bahn und an den Flughäfen wird gestreikt. Ist das noch gerechtfertigt?
Kein Bus, keine Bahn, kein Flieger: Wer am Montag in den Urlaub oder auch nur zur Arbeit oder zum Einkaufen will, hat Pech gehabt. Denn die Gewerkschaften EVG und Verdi haben für weite Teile des öffentlichen Verkehrs zum Streik aufgerufen. Dass viele Menschen deshalb traurig und wütend sind, ist verständlich.
Ist ein solcher Streik gerechtfertigt?
Ja, wir brauchen mehr Wut – aber auf die Richtigen
Sie sind sauer, weil am Montag gestreikt wird? Gut so!
Tarifverhandlungen sind in Deutschland ein hohes Gut, doch um das entsprechend zu würdigen, muss die Betonung auch auf den Verhandlungen liegen und das von beiden Seiten – Gewerkschaften und Arbeitgeber.
Die Arbeitgeber machen aber bereits seit einer Weile nicht mehr mit: Mit Verweis auf die Corona-Pandemie und die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben sie sich in den vergangenen zwei Jahren aus der Affäre gezogen. Die Gewerkschaften akzeptierten das, hielten sich mit Forderungen zurück.
Mit deutlichen Folgen: 2022 hatten Arbeitnehmer in Deutschland einen Reallohnverlust von 4,1 Prozent zu verkraften (etwaige außertarifliche Gehaltserhöhungen sind dabei sogar schon berücksichtigt). Wenn die Gewerkschaften nicht gegensteuern, dürfte das munter so weitergehen. Denn, dass die Preise an der Supermarktkasse und der Zapfsäule in naher Zukunft unter das Vorkrisenniveau zurückfallen, gilt unter Ökonomen als ausgeschlossen.
Das Leben für die Beschäftigten bleibt also teuer, der Lohn niedrig. Und das, obwohl gerade auch die Reisebranche boomt und Fluggesellschaften etwa wieder deutliche Gewinne einfahren. Von einer Lohn-Preis-Spirale kann daher kaum die Rede sein.
Dass die Arbeitgeber diese weiter als Argument wie einen Schild vor sich hertragen, verhindert jede Diskussion darüber, was wirklich eine angemessene Vergütung wäre. Wer immer gleich den Teufel an die Wand malt und in jeder Gehaltserhöhung das wirtschaftliche Ende seines Konzerns heraufbeschwört, verkennt schlichtweg die konjunkturelle Realität.
Dass sich die Gewerkschaften nun mit vereinter Kraft dagegenstellen, mag verfrüht und unangemessen erscheinen. Dass es dem Einzelnen am Montag ungelegen kommt, ist zudem verständlich.
Im Lichte der vergangenen Jahre aber ist es ein notwendiger Schritt, um das Gleichgewicht zwischen den Tarifparteien zu wahren. Denn nur so kann auch in den kommenden Jahren weiter in guter Tradition mehr verhandelt als gestreikt werden – davon profitieren am Ende wir alle.
Nein, dieser Streik ist keine Warnung mehr
Ein paralleler Streik im Flug- und Bahnverkehr, dazu Ausfälle bei Bussen, S- und U-Bahnen, sogar auf den Straßen dürfte es zu Einschränkungen kommen, weil zugleich auch noch die Mitarbeiter der Autobahn GmbH nicht zur Arbeit antreten:
Einen Streik solchen Ausmaßes hat Deutschland seit mehr als 30 Jahren nicht erlebt. Die Gewerkschaften zeigen ihre Muskeln – und legen damit das gesamte Land in Ketten. Zum Schaden aller.
Von den Millionensummen, die das die deutsche Wirtschaft, und damit das Fundament unseres Wohlstands, kostet, muss man an dieser Stelle gar nicht anfangen. Viel wichtiger und kritikwürdiger ist, was der Schritt grundsätzlich heißt: Stellvertretend für die gesamte Gewerkschaftslandschaft verabschieden sich Verdi und EVG von einer guten Tradition.
Denn eigentlich galten Deutschlands Gewerkschaften stets als verantwortungsbewusst, sowohl in ihren Forderungen als auch in der Wahl der Mittel, um diese zu erreichen. Streiks – auch harte – setzten sie gezielt ein und nur im äußersten Fall. Fast immer hielten sie dabei fest an den Prinzipien von Maß und Mitte, sahen von Generalstreiks, wie sie andere Länder immer wieder plagen, in der Regel ab.
Mit diesen Werten scheint es nun vorbei zu sein, zumindest fürs Erste. Der jetzt angekündigte Streik ist keine Kampfansage, sondern gleicht vielmehr einer Kriegserklärung. Es wirkt, als wollten sie den Arbeitgebern demonstrieren, dass auch Deutschland zu Arbeitskämpfen von französischem Ausmaß fähig ist.
Das Schlimme daran: Das alles geschieht ohne Not. Nicht einmal drei Verhandlungsrunden wartete etwa Verdi beim Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst ab, ehe die Gewerkschaft jetzt das Land lahmlegt. Viel hätte sich noch tun können am Verhandlungstisch.
An diesen müssen die Gewerkschaften nun schnellstmöglich zurückkehren. Tun sie es nicht, demaskieren sie sich endgültig und beweisen, was schon jetzt als wahrscheinlich gilt: Dieser Streik ist keine Warnung mehr, sondern der Auftakt für Jahre der großen Konflikte, für eine gesellschaftliche Spaltung.
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