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Energiekrise: So kann Deutschland noch viel mehr Gas sparen


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Kampf gegen Energiekrise
So kann Deutschland noch viel mehr Gas einsparen


Aktualisiert am 15.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Eine Biogasanlage (Symbolbild): Ist Gas aus Biomüll die Lösung für die Energiekrise? (Quelle: Ralf Geithe/getty-images-bilder)
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Mangelware Gas: Verbraucher müssen sich im Winter auf Einsparungen einstellen. Dabei gibt es in der Industrie noch ungenutzte Sparmöglichkeiten.

Die Gasspeicher füllen sich in Deutschland schneller als erwartet – dennoch kennen Politik und Bundesnetzagentur nur ein Mantra: sparen, sparen, sparen. Durch die Gasumlage, die voraussichtlich ab Oktober in Kraft tritt, sollen die Verbraucher weiter motiviert werden, ihren Gasverbrauch zu reduzieren.

Doch all das scheint nicht zu reichen. Die Bundesnetzagentur als oberste Aufseherin über die Gasmenge warnt fast täglich, dass eine sogenannte Gasmangellage näherrückt. In diesem Fall könnten auch Verbraucherinnen und Verbrauchern harte Sparmaßnahmen drohen, um Arbeitsplätze zu sichern. So könnte es im Winter womöglich nur noch erlaubt sein, einzelne Räume zu beheizen, stellt der Leiter der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, in Aussicht.

Doch gibt es nicht auch noch andere Möglichkeiten, Gas einzusparen? Ein genauer Blick zeigt: Sowohl in der Industrie als auch bei Privathaushalten schlummern noch ungenutzte Potenziale – ganz ohne Arbeitsplätze zu gefährden. t-online stellt drei Wege vor, über die Deutschland noch weiter Gas einsparen könnte, ohne die Einschnitte großartig zu bemerken.

Gas einsparen bei Lackierprozessen

Es gibt Branchen, bei denen Gas unverzichtbar ist: In der chemischen Industrie stehen die Bänder ohne eine konstante Lieferung still. Auch die Glas- oder Zuckerindustrie kann ohne den Rohstoff kaum produzieren.

Anders sieht das aber in Branchen aus, bei denen Gas nur für einen Teil der Produktionskette gebraucht wird. So spielt der Rohstoff etwa bei fast allen Lackier- und Beschichtungsbranchen eine Rolle – vom Autozulieferer bis zum Möbelproduzenten.

"In sogenannten thermischen Nachverbrennungsanlagen werden – vereinfacht gesagt – die letzten Moleküle aus den Lacken und Beschichtungen in der Abluft verbrannt", erklärt der promovierte Chemiker und langjährige Umweltgutachter Ralf Utermöhlen im Gespräch mit t-online.

Richtwerte stammen noch aus den 80er-Jahren

Ohne diesen Schritt würden die Lacke später Schadstoffe in die Luft abgeben, darunter etwa Alkohole, Ester oder Phenol. Die Verbrennung soll verhindern, dass Smog in der Luft entsteht.

Das Problem dabei: Die Richtwerte für die zulässigen Schadstoffmengen stammen noch aus den 80er- und 90er-Jahren. Heutzutage seien die Lacke aber ganz anders aufgebaut als vor 40 Jahren, sagt Utermöhlen. "Mittlerweile sind die meisten Lacke wasserlöslich und geben deutlich weniger Schadstoffe in die Umwelt ab", so der Experte.

Utermöhlen, der seit mehreren Jahrzehnten Unternehmen zu Energiefragen und Umweltschutz berät, plädiert daher dafür, einen Teil dieser Anlagen auszuschalten, um Gas zu sparen. "Je nach Größe der Anlage kann man damit zwischen ein bis 25 Einfamilienhäuser einen Winter lang heizen", sagt Utermöhlen. Insgesamt gebe es in Deutschland Hunderte dieser Anlagen.

"Das ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll"

"Aktuell verbrennen Unternehmen mit einem enormen Aufwand eine sehr geringe Menge an Schadstoffen mit Gas", sagt Utermöhlen. "Das ist in der Krise sowohl klimatechnisch als auch volkswirtschaftlich nicht sinnvoll."

Ihm zufolge gebe es daher ein enormes Einsparpotenzial – das auch noch kurzfristig wirken könnte. Wenn man den Behörden den Spielraum gäbe, dass sie überschrittene Grenzwerte übergangsweise tolerieren, könnten die Unternehmen "innerhalb von Tagen" umstellen, meint der Berater.

Es komme dabei aber immer auch auf den Einzelfall an. "Wenn so eine Anlage mitten in einem Wohngebiet steht, muss man die Luftbelastung natürlich anders bewerten", räumt Utermöhlen ein.

Kühlketten effizienter nutzen

Fleisch, Käse oder das Eis am Stiel zum Nachtisch – viele unserer Lebensmittel stammen aus dem Kühlregal. Um die Lieferketten abzusichern, stehen in Deutschland Hunderte Kühlhäuser, die sehr viel Energie verbrauchen.

Erdgas spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle, sagt Jan Peilnsteiner, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Kühlhäuser und Kühllogistikunternehmen, t-online. "Blockheizkraftwerke (BHKW) wurden von Bund und Ländern vor einiger Zeit noch als wichtiger und nachhaltiger Beitrag zum Umweltschutz beworben", erklärt er.

Viele Unternehmen wie Bofrost oder Frosta haben daher in den vergangenen Jahren ihre Kühlhäuser auf eigene Blockheizkraftwerke umgestellt – ursprünglich, um klimafreundlicher und unabhängiger zu sein. Doch die Investition wird nun zum Bumerang, denn: Die meisten Unternehmen betreiben ihre Kraftwerke mit Gas.

Bofrost will Gas durch Strom ersetzen

Die hohen Energiekosten treiben daher viele Betriebe zum Umdenken an. So erklärt etwa Bofrost auf t-online-Anfrage, dass das Unternehmen aktuell nach Wegen suche, um Gas einzusparen.

"Bofrost befindet sich hier noch in Prüfung verschiedener Möglichkeiten – zum Beispiel einer Reduktion der Einsatzzeiten des Blockheizkraftwerkes oder einer Teilsubstitution der benötigten Energie durch Elektrizität", sagt eine Unternehmenssprecherin. Konkurrent Frosta betreibt ebenfalls ein Blockheizkraftwerk mit Strom – das Unternehmen hat sich auf Anfrage unserer Redaktion allerdings nicht zu möglichen Sparplänen äußern wollen.

Smarte Technologie könnte die Wende bringen

Verbandschef Peilnsteiner sieht in der ganzen Branche den Trend, die Blockheizkraftwerke auszuschalten und das Gas durch Strom zu ersetzen. "Dadurch steigt jedoch natürlich der allgemeine Strombedarf an", sagt er.

Die Crux dabei: Gerade plötzlich auftretende Nachfragespitzen decken die Energiekonzerne mit Strom aus Gaskraftwerken ab. Firmen, die auf Kühlhäuser setzen, sind also an zwei Stellen auf Gas angewiesen, sowohl bei ihren eigenen Werken als auch beim klassischen Strom.

Am Ende hilft deshalb nur, den Energieverbrauch insgesamt zu reduzieren. Hier könnte smarte Technologie die Lösung sein. Daran arbeitet unter anderem das niedersächsische Unternehmen Coldsense Technologies, das drei ehemalige Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig gegründet haben.

Die Unternehmer haben eine Technologie entwickelt, mit der Kühlhäuser ihren Bedarf um bis zu 20 Prozent reduzieren können. "Kühlhäuser kann man sich vereinfacht wie überdimensionierte Kühlschränke vorstellen", erklärt einer der drei Geschäftsführer, Stephan Bansmer, im Gespräch mit t-online.

Abtauprozesse verschlingen viel Energie

Wie herkömmliche Kühlschränke können auch die Häuser vereisen. Um das zu verhindern, müssen sie regelmäßig abgetaut werden. "Das passiert aktuell bei vielen Unternehmen in Zyklen, meist drei- bis viermal täglich", erklärt Bansmer.

Viele Kühlhäuser tauen dabei nach festen Zeitmustern ab und nicht nach Bedarf. Das wollen die drei Gründer ändern: Sie haben eine Maschine entwickelt, die die Temperaturen und den Grad der Vereisung misst. Anschließend analysiert eine künstliche Intelligenz des Unternehmens die Daten und berechnet, wann das Kühlhaus tatsächlich abgetaut werden sollte.

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"Bei manchen Kunden hat sich herausgestellt, dass sie statt viermal täglich nur alle zwei Tage diesen Prozess starten müssen", sagt Bansmer. Das spare viel Energie. Denn für das Abtauen verbrauchen die Unternehmen gleich zweimal größere Mengen an Strom oder Gas: Um die Kühlelemente zuerst aufzuheizen und anschließend von der erhöhten Temperatur wieder abzukühlen.

Hier besteht also noch viel Einsparpotenzial und das ebenfalls recht kurzfristig. Laut den Unternehmen zeigen sich die Einsparungen der smarten Technologie bereits nach wenigen Wochen – früh genug also, um für den Winter zu sparen.

Mehr Biogas aus Abfällen erzeugen

Ein ganzes Prozent des deutschen Gasbedarfs schmeißen die Deutschen aktuell einfach weg – das beklagt Peter Kurth, Präsident des Entsorgungswirtschaftsverbandes BDE. Aktuell deckt Deutschland ein Prozent seines Gasbedarfs aus Biogas. Wenn wir unseren Müll konsequenter trennen würden, könnte Deutschland diesen Ertrag allerdings verdoppeln, so Kurth.

"Bioabfall landet noch immer oft im Restmüll", kritisiert auch Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe. 39 Prozent des Restmülls hierzulande seien Bioabfälle. Branchenvertreter Kurth und Umweltschützer Fischer sind daher dafür, dass die Länder den Kommunen Druck machen, damit mehr Biotonnen aufgestellt werden.

"Seit 2015 ist das Aufstellen einer Biotonne Pflicht, aber vielerorts wird es einfach nicht gemacht", sagt Kurth. Laut dem Umweltverband Nabu haben nur 55 bis 60 Prozent der Haushalte eine Biotonne. Damit verschenken Kommunen und Gemeinde wertvolle Rohstoffe. Denn jährlich sammeln die Abfallunternehmen in Deutschland knapp 5 Millionen Tonnen Bioabfälle, der Nabu schätzt das Potenzial allerdings auf 8 Millionen Tonnen ein.

Strom für mehr als 2.000 Familien aus Biomüll

Wie viel Energie aus den Abfällen gewonnen werden kann, zeigt das Beispiel Lübeck. Hier werden aus der Stadt und den umliegenden Kommunen knapp 15.600 Tonnen Biomüll gesammelt und verwertet. Von dem Strom können bis zu 2.200 Vierpersonenhaushalte versorgt werden, rechnet die Kampagne "Wir für Bio" vor, die aus einem Zusammenschluss kommunaler Abfallwirtschaftsbetriebe aus zwölf Bundesländern entstanden ist.

Viele Kommunen sind allerdings nicht angetan von der Idee, mehr Biotonnen aufzustellen. Sie fürchten höhere Kosten. Der Deutsche Landkreistag weist etwa darauf hin, dass die Verbraucher die Aufstellung der braunen Tonnen über Abfallgebühren finanzieren müssten. Da oft aber nur kleinere Mengen anfallen würden, müssten die Haushalte mit hohen Zusatzgebühren rechnen.

Kommunen befürchten Plastikmüll in Biotonnen

Ein Sprecher des bayrischen Landkreises Altötting weist darauf hin, dass in Biomülltonnen "nachweislich viel Plastik landet, welches nach der Vergärung in Biogasanlagen in Form von Mikroplastik auf Feldern und somit in der Nahrungskette landet". In dem Ort gibt es daher keine Biotonne – und auch kein Interesse, welche aufzustellen.

Für den BDE-Präsidenten Kurth ist das ein Scheinargument. Er verweist besonders mit Blick auf eine drohende Gasmangellage im Winter, die Hunderte Arbeitsplätze gefährden könnte, auf die Potenziale. Ein Prozentpunkt mehr „wäre ein weiterer Schritt, um das Problem zu meistern und unabhängiger zu werden von Energieimporten“, sagt Kurth.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Ralf Utermöhlen
  • Gespräch mit Stephan Bansmer
  • Austausch mit Jan Peilnsteiner
  • Anfrage an Bofrost
  • Anfrage an Frosta
  • Hochschule Trier: Neue TA-Luft. Herausforderungen für die thermische und katalytische Nachverbrennung
  • Nabu: Zu viele Haushalte haben keine Biotonne
  • Wir für Bio: Wie steht es um den Biomüll in Deutschland
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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