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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die große Vorsorge-Lüge Warum nicht die Börse, sondern die Rente das größte Risiko birgt

Wer auf die staatliche Rente vertraut, könnte im Alter ein böses Erwachen erleben. Warum ausgerechnet die vermeintlich "unsichere" Börse die bessere Altersvorsorge bietet.
Rente – das klingt für viele nach staatlicher Sicherheit und einer fernen Zukunft. Die Börse dagegen scheint hektisch, riskant und eher etwas für Profis. Doch wer glaubt, dass diese beiden Welten nichts miteinander zu tun haben, der irrt – und riskiert womöglich seine finanzielle Unabhängigkeit im Alter.
Im exklusiven Gespräch mit t-online räumt Finanzexpertin und Madame-Moneypenny-Gründerin Natascha Wegelin mit Mythen rund um die Altersvorsorge auf – und zeigt, warum ausgerechnet die Börse ein entscheidender Schlüssel für ein sicheres Leben im Ruhestand sein kann.
t-online: Rente und Börse – zwei Dinge, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, oder doch?
Natascha Wegelin: Rente und Börse hängen für mich unmittelbar zusammen. Denn: Die gesetzliche Rente reicht für die meisten Menschen schon jetzt nicht mehr aus, um im Alter gut über die Runden zu kommen – und genau hier kommt die Börse ins Spiel. Wer langfristig in Aktien investiert, kann sich zusätzlich ein Vermögen aufbauen, das im Ruhestand als wichtige Einkommensquelle dient. Je früher man beginnt, desto stärker wirkt der Zinseszinseffekt – ein entscheidender Faktor für den Vermögensaufbau. Klassische Sparmodelle können da renditetechnisch langfristig nicht mithalten. Altersvorsorge ohne Kapitalmarkt? In der heutigen Zeit kaum noch realistisch.

Über Natascha Wegelin
Natascha Wegelin ist Gründerin des Finanz-Podcasts und Blogs Madame Moneypenny (seit 2016) und Autorin eines Sachbuchs zum Thema finanzielle Unabhängigkeit für Frauen. Sie vermittelt praxisnahe Ratschläge rund um Finanzen und Vorsorge und empfiehlt unter anderem das Drei-Konten-Modell für Paare sowie Investitionen in ETFs. Mit ihrem Ratgeber "Madame Moneypenny – Wie Frauen ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen können", erschienen im August 2018 im Rowohlt Verlag, war sie 27 Wochen auf den Spiegel-Bestsellerlisten vertreten.
Politiker sehen das anders. Dennis Radke von der CDU sagt, dass nur die gesetzliche Rente Sicherheit biete. Was raten Sie Menschen, die so etwas in der Zeitung lesen oder im Radio hören?
Wer solche Aussagen hört, sollte sie kritisch hinterfragen – und sich eigenes Wissen aufbauen. Denn: Die gesetzliche Rente basiert auf einem Umlagesystem, das stark von der demografischen Entwicklung abhängig ist – und genau das funktioniert bereits heute nicht mehr reibungslos. Sicherheit bedeutet nicht automatisch, dass am Ende auch genug zum Leben bleibt. Denn was nützt ein "sicheres" System, wenn es Ihnen im Alter trotzdem nicht reicht?
Wer auf die Politik wartet, verliert nicht nur Zeit, sondern auch Rendite.
Natascha Wegelin
Reicht die gesetzliche Rente künftig überhaupt noch aus – oder braucht es einen grundlegend anderen Ansatz bei der Altersvorsorge?
Niedrige Renten sind leider keine Seltenheit. Und natürlich schwanken Kapitalmärkte – aber sie wachsen langfristig. Es geht nicht um ein "Entweder-oder", sondern um ein "Sowohl-als-auch": Die gesetzliche Rente kann ein Baustein sein, aber die private Vorsorge sollte das Fundament bilden. Nur wer sich selbst um die Altersvorsorge kümmert, kann wirklich selbstbestimmt und finanziell abgesichert leben – und finanzielle Eigenverantwortung beginnt mit Wissen.
Laut Koalitionsvertrag von CDU und SPD soll das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent des Durchschnittsverdienstes liegen. Zudem sollen Menschen im Rentenalter künftig 2.000 Euro monatlich steuerfrei einnehmen dürfen. Ist das die Lösung?
Diese Maßnahmen können bestenfalls eine Basis schaffen – aber sie reichen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter in den meisten Fällen nicht aus. Das bedeutet für viele Menschen eine erhebliche Versorgungslücke. Und auch wenn Steuerfreiheit zunächst gut klingt – sie ändert nichts an dem strukturellen Problem der Altersarmut. Wer sich ausschließlich auf politische Versprechen verlässt, lebt gefährlich. Denn Gesetze ändern sich. Eigenverantwortung bei der Altersvorsorge ist daher kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Vorsorgedepot und Aktienrente, zentrale Projekte der Vorgängerregierung, fehlen im Koalitionsvertrag von CDU und SPD – einzig die Frühstart-Rente wird noch erwähnt. Welche politischen Prioritäten lassen sich daraus konkret ableiten?
Das zeigt ziemlich deutlich: Altersvorsorge hat politisch keinen echten Stellenwert. Statt wirksamer Konzepte erleben wir Symbolpolitik. 10 Euro pro Monat für Kinder von 6 bis 18 Jahren sind keine echte Unterstützung. Frühzeitige Eigenvorsorge wird zu wenig gefördert – und das ist ein Problem. Wer auf die Politik wartet, verliert nicht nur Zeit, sondern auch Rendite. Der beste Moment zu investieren, ist immer jetzt – unabhängig von politischen Rahmenbedingungen. Die Verantwortung für die eigene Altersvorsorge sollte man nicht delegieren.
Viele können heute kaum sparen – und künftig drohen noch höhere Rentenbeiträge und Abgaben bis nahe 50 Prozent. Was raten Sie?
Die entscheidende Frage lautet: Was ist dein langfristiges Ziel – und was bist du bereit, dafür zu tun? Natürlich: Mehr Einkommen kann helfen – und wer die Möglichkeit hat, sollte diese Chance nutzen. Aber viele unterschätzen, wie viel Potenzial in der Ausgabenoptimierung steckt.
Private Vorsorge ist kein "Nice-to-have" mehr – sie ist unser Fundament für ein selbstbestimmtes Leben im Alter.
Natascha Wegelin
Statt sich über 50 Prozent Abgaben zu sorgen, lohnt es sich, auf die verbleibenden 50 Prozent zu schauen – und das Beste daraus zu machen. Finanzplanung und ein Haushaltsbuch offenbaren oft Spielräume, die man gar nicht auf dem Schirm hatte. Und gerade wenn Abgaben steigen, wird eines immer klarer: Private Vorsorge ist kein "Nice-to-have" mehr – sie ist unser Fundament für ein selbstbestimmtes Leben im Alter.
- Lesen Sie auch: So führen Sie ein Haushaltsbuch – mit Muster
Was ist heute der klügste Weg für eine langfristige, renditestarke Altersvorsorge – gerade angesichts niedriger Zinsen und steigender Abgaben?
Wir bei Madame Moneypenny setzen auf langfristiges Investieren in breit gestreute ETFs. Diese börsengehandelten Fonds sind transparent, kostengünstig und renditestark – und damit besonders gut für den langfristigen Vermögensaufbau geeignet. Wichtig ist ein klarer Sparplan, der automatisiert läuft – ganz ohne Market-Timing oder Panikverkäufe. Statt auf intransparente Produkte mit hohen Gebühren zu setzen, braucht es Eigenverantwortung.
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Wer die Börsenkurse verfolgt, dem kann leicht angst und bange werden. Ist das ein Grund, warum sich viele Menschen schwertun, sich mit Aktien, Fonds und ETFs anzufreunden?
Ja, viele lassen sich von Kursschwankungen abschrecken. Angst ist menschlich – aber sie entsteht meist aus Unwissenheit. Die größte Gefahr ist nicht die Börse – sondern das Nichtstun und fehlendes Wissen. Wer sich mit der Börse beschäftigt, erkennt: Schwankungen gehören dazu. Sie sind kein Fehler, sondern ein natürlicher Teil des Marktes.
Welche typischen Fehler machen Menschen beim Investieren?
Medien berichten häufig überproportional negativ, was das Bild der Realität verzerrt. Viele glauben, sie müssten den perfekten Einstiegszeitpunkt erwischen – ein gefährlicher Denkfehler. Nicht das Timing entscheidet, sondern die Zeit im Markt. Andere typische Fehler: Panikverkäufe bei Rückgängen, Fomo-Käufe, also die Angst, die nächste Kursrallye zu verpassen. Vermeintliche Schnäppchen. Zögern aus Angst vor falschen Entscheidungen. Emotionen wie Angst und Euphorie führen ohne Strategie oft zu teuren Fehlentscheidungen.
Was könnte dagegen helfen?
Wichtig ist, sich nicht von Nachrichten leiten zu lassen, sondern einer klaren Strategie zu folgen. Wer langfristig denkt, kann solche Phasen sogar nutzen, um günstig nachzukaufen. Der Austausch mit Gleichgesinnten hilft – zum Beispiel in unserer Community, wo viele Frauen selbst in Krisenzeiten entspannt bleiben. Bildung schafft Selbstvertrauen – und das verwandelt Angst in Handlungskraft.
Nichts zu tun, weil man Angst hat, ist die teuerste Entscheidung von allen.
Natascha Wegelin
Und übrigens: Es ist okay, Zweifel zu haben – aber nichts zu tun, weil man Angst hat, ist die teuerste Entscheidung von allen. Denn Vermögen wird nicht aufgebaut, wenn alles ruhig und sicher wirkt – sondern in genau den Momenten, in denen andere zögern.
Ist es für Ältere wirklich zu spät für den Vermögensaufbau – oder gibt es noch sichere Alternativen zum Aktienmarkt?
Auch im Alter ist Investieren möglich – mit einer angepassten, risikoärmeren und diversifizierten Strategie. Beispielsweise mit kürzeren Laufzeiten, konservativen Geldmarkt-ETFs, Anleihen, Tagesgeld oder auch Immobilienanteilen. Ein kleiner Aktienanteil – etwa in dividendenstarken Titeln – kann weiterhin sinnvoll sein. Wichtig ist ein Fokus auf Kapitalerhalt statt auf maximale Rendite und ein strukturierter Entnahmeplan. Und: Weiterbildung lohnt sich in jedem Alter. Wissen schützt vor schlechten Entscheidungen. Es ist nie zu spät, Verantwortung für die eigenen Finanzen zu übernehmen – denn was wäre die Alternative?
Gab es einen Wendepunkt, der Ihr Verhältnis zu Geld verändert hat?
Mein größter Aha-Moment kam mit einem schmerzhaften Fehler: Ich ließ mich "kostenlos" beraten und schloss eine private Rentenversicherung ab, die am Ende fast 18.000 Euro an Gebühren kostete – ein guter Deal für die Maklerin, ein schlechter für mich. Ich hatte die Verantwortung abgegeben. Danach war klar: Finanzen muss man selbst in die Hand nehmen. Wer sich selbst kümmert, gewinnt nicht nur finanziell, sondern auch mental: Kein ständiges Grübeln mehr über Geldsorgen – stattdessen das beruhigende Gefühl, alles im Griff zu haben. Diese Kontrolle ist unbezahlbar.
Frau Wegelin, wir danken Ihnen für das Gespräch.
- Interview mit Natascha Wegelin, Gründerin der Finanzcommunity "Madame Moneypenny"