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Anzugkontrollen: Für Skispringer ist die Kontrolle ein Moment des Bangens


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Anzugkontrollen im Visier
Das Problem mit der Transparenz im Skispringen


Aktualisiert am 13.03.2022Lesedauer: 6 Min.
Karl Geiger: Der DSV-Adler holte sich in Peking Bronze von der Großschanze.Vergrößern des Bildes
Karl Geiger: Der DSV-Adler holte sich in Peking Bronze von der Großschanze. (Quelle: Xinhua/imago-images-bilder)

Jede Nation tüftelt am perfekten Anzug. Millimeter entscheiden über eine Disqualifikation. Für Skispringer ist die Kontrolle ein Moment des Bangens. Und einer, den es zu überarbeiten gilt.

Jede Skispringerin und jeder Skispringer braucht ihn: den Anzug. Doch das leichte Material, das die Sportlerinnen und Sportler durch die Luft gleiten lässt, hat Tücken. Auf die kleinen Details kommt es an. Unterstoff, Dämmstoff, Luftdurchlässigkeit, Schritt- und Armlänge. Die Herstellung der Anzüge ist komplex, und es wird nichts dem Zufall überlassen. Denn der Internationale Skiverband (FIS) hat sogar ein eigenes Regelwerk dafür erstellt.

Es fehlt an Zeit und Transparenz

Doch seit jeher gibt es eine Grauzone. Und die Sportler gehen immer ans Limit. Das sorgte 2006 bei den Winterspielen in Turin bereits für Ärger, als sich Alexander Herr durch einen größeren Anzug einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollte. Ebenso 2015, als dem Norweger Anders Jacobsen Schummelei beim Neujahrsspringen vorgeworfen wurde.

Zuletzt wurden bei den Olympischen Spielen in Peking vier Springerinnen im Mixed-Team-Wettbewerb disqualifiziert. Die Anzüge waren laut den Kontrolleuren nicht regelkonform. Es folgte eine Welle der Empörung, der deutsche Bundestrainer Stefan Horngacher sprach von einem "Kasperletheater".

t-online hat mit Experten der Skisprung-Szene gesprochen, um sich ein Bild zu machen. Wie genau kann die Anzugkontrolle verbessert werden?

Tragfläche in der Luft darf nicht vergrößert werden

Liest man sich die Regelungen der FIS genau durch, dann darf ein Anzug im Skispringen nicht zu groß sein, damit die Tragfläche in der Luft nicht vergrößert wird. Zudem muss der Anzug aus nur einem Stoff sein. Dieser muss zwischen vier und sechs Millimeter dick sein und eine maximale Luftdurchlässigkeit haben. Doch damit nicht genug, denn: Der Anzug muss am Körper anliegen. In aufrechter Position dürfen sich bei den Männern maximal ein bis drei Zentimeter (bei den Frauen zwei bis vier Zentimeter) zwischen Körper und dem Anzug befinden.

"Was das Material betrifft, so steht die Einhaltung der durch die FIS vorgegebenen Regeln immer an erster Stelle. Die weiteren Kriterien sind möglichst positive aerodynamische und bekleidungs-psychologische Eigenschaften sowie vordergründig die Schutzfunktion des Anzuges für die Athleten", heißt es auf Anfrage von t-online beim deutschen Hersteller für Sprunganzugmaterial.


Nach jedem Springen kann es zu Kontrollen kommen. Und genau hier liegt der Knackpunkt: Denn für die Zuschauer gibt es keine Einsicht, wie diese Kontrollen aussehen. Es fehlt an einer gewissen Transparenz und zudem auch an Zeit.

"Eine Regel, aber ohne jeglichen Nutzen"

Im Skispringen gibt es eine Regel, die besagt, dass die Kontrolleurin oder der Kontrolleur den Sportler vermisst und eine Empfehlung an das Wettkampfmanagement abgibt, ob ein Sportler disqualifiziert werden soll oder nicht. "Diese Empfehlung hat im Fall von Katharina Althaus in Peking die Disqualifikation bedeutet", erklärt DSV-Teammanager Horst Hüttel im Gespräch mit t-online.

Er erklärt weiter: "Das Problem ist, dass während eines Wettkampfes und einer Liveübertragung nicht genügend Zeit vorhanden ist. Deswegen ist es eine Regel, aber ohne jeglichen Nutzen, dass das Wettkampfmanagement entscheiden müsste."

Ein Eindruck, den auch der Herrenkontrolleur Mika Jukkara bestätigt. Der Finne hat das Amt des FIS-Materialkontrolleurs vergangenes Jahr von Sepp Gratzer übernommen, der zuvor 29 Jahre im Amt war.

Jukkara sagt zu t-online: "Aus technischer und messtechnischer Sicht gibt es keine Schwierigkeiten, die Anzugmaße von den Springern zu nehmen. Das Einzige ist die Zeit, um die Messungen während des Wettkampfs vorzunehmen. Als Kontrolleur muss ich entscheiden, was während eines Wettbewerbs gemessen wird. Der Anzug ist nicht das Einzige."

Strategie? "Strengere Kontrollen durchführen"

Denn auch der Body-Mass-Index (BMI), der in Bezug auf das Gewicht eine Rolle spielt, die Skier und die Sprungschuhe müssen überprüft werden. Heißt für Jukkara auch: Er muss entscheiden, wie viele Anzüge er während den Wettbewerben vermisst. "Wenn wir 50 Athleten in der ersten Runde haben, kann es in der Praxis acht bis 14 Kontrollen während der Runde geben. Je nachdem, wie viele Dinge und was gemessen wird. Der Anzug nimmt immer am meisten Zeit zum Messen ein, da wir den Körper messen und dann diese Maße mit dem Anzug auf dem Tisch abgleichen müssen."

Skisprung-Bundestrainer Horngacher kritisierte zuletzt im ZDF während der Winterspiele in Peking: "Der neue Kontrolleur hat die Kontrollen extrem verschärft – gefühlt auch sehr für die deutschen Skispringer." Jukkara hat im vergangenen Jahr die Sommersaison gemeinsam mit Sepp Gratzer kontrolliert und ihm über die Schulter geschaut.

Er berichtet t-online, dass er im Winter auf die gleiche Weise gearbeitet hat, ergänzt jedoch: "Meine einzige Strategie bestand darin zu versuchen, strengere Kontrollen für diesen Winter durchzuführen und mich mehr auf den Anzug zu konzentrieren, wie wir es auch im Sommer tun."

Und zwar nicht, um die Skispringer zu ärgern, sondern die Sportart weiterzuentwickeln. "Athleten sind hochprofessionell und strenge Kontrollen gehören zur Fairness. Für mich ist das neben der Sicherheit einer der wichtigsten Aspekte unseres Sports und diese möchte ich immer im Hinterkopf behalten. Dies ist Spitzensport, Athleten entwickeln ihre Fähigkeiten und Techniken ständig weiter, und wir müssen die Entwicklung verfolgen und gleichzeitig unsere Kontrollen in Richtung Zukunft weiterentwickeln."


Horst Hüttel ist der Meinung, dass "vieles gut funktioniert hat mit Mika Jukkara bisher. In Peking lag das Problem auch nicht im Bereich der Skisprung-Herren, sondern bei den Damen.

"Jukkara macht beim Anzugmanagement einen ganz guten Job. Es würde helfen, wenn die Absprachen unter dem Herren- und Damenbereich konkreter wären", so der DSV-Teammanager, der auch für die Nordische Kombination zuständig ist. Bei den Frauen ist Agnieszka Baczkowska seit zehn Jahren Kontrolleurin des Materials.

Messprozedere neu überarbeiten

Tatsächlich ist es so, dass der Anzug bei den Herren und den Damen aus unterschiedlich vielen Teilen besteht. Auch die Regeln der FIS weichen im Herren- und Damenbereich voneinander ab. "Eine engere Zusammenarbeit wäre hilfreich", so Hüttel.

Er regte daher allgemein zuletzt an, das Messprozedere zu überarbeiten und neue Abläufe zu entwickeln. Beispielsweise die Sportler vor dem Sprung zu kontrollieren und nicht danach. Diejenigen, die unten ankommen, hätten somit nichts mehr zu befürchten. Im Gespräch mit t-online vertieft Hüttel das Vorhaben, sagt: "Das heißt, wenn die Athletin oder der Athlet oben auf dem Balken sitzt und die Lichtampel grün leuchtet, die Person ab diesem Zeitpunkt nicht mehr disqualifiziert werden kann. Es muss vorher schon alles passieren. Wie es genau aussehen könnte, muss gut überlegt werden."

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Und ist nicht einfach. Den Kontrollen vor dem Springen würden auch bedeuten, dass der Veranstalter Räumlichkeiten dafür zur Verfügung stellen müsste. Eine erste Umsetzungsidee liefert Hüttel jedoch mit: "Vielleicht könnten die Anzüge schon am Vormittag kontrolliert und von der FIS dann in Verwahrung genommen und kurz vor dem Wettkampf ausgeteilt werden. Man muss sich sicherlich noch einiges an Gedanken machen, aber ein Kommentator und Stadionsprecher kann sich so auch freuen, wenn er weiß, dass der Athlet nicht mehr disqualifiziert werden kann. Das würde vieles erleichtern, auch emotional."

"Anzahl der Kontrollen erhöhen"

Dass es Handlungsbedarf gibt, sieht auch Jukkara so und hat Wünsche für die Zukunft: "Man könnte die Anzahl der Kontrollen erhöhen und vor den Sprüngen durchführen und neue Techniken entwickeln, um diese Prozesse zu unterstützen. Dadurch können wir auch zumindest einige Disqualifikationen vermeiden."

Auch die deutsche Skispringerin Katharina Althaus sagte "Sport 1", in Bezug auf ihre Disqualifikation in Peking, dass sie offen für Änderungen sei. "Irgendetwas muss nach der Saison geschehen, damit so etwas nicht noch einmal passiert."

Dass während der aktuellen Saison noch neue Prozesse entstehen, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass im Sommer eine neue Messtechnik erprobt werden könnte. "Das Vorgängerduo bestehend aus Sepp Gratzer und Walter Hofer hat immer die zehn Sommer-Grand-Prix genutzt. Dort sind ja immer alle Athleten am Start. Es war ja auch oft so, dass Regeländerungen, die im Frühjahr beschlossen wurden, bis Oktober unter Vorbehalt ausgelobt waren und im Sommer getestet wurden. Im Oktober wird dann bestätigt, verworfen oder modifiziert."

So könnte es kommen. Darüber, dass sich etwas ändern muss, ist sich die Skisprungwelt einig. Oder wie der Skisprung-Rennleiter der FIS, Sandro Pertile, zu t-online sagt: "Das gesamte Thema 'Ausrüstung' wird in den laufenden Wochen evaluiert und im April während der Sitzung des FIS-Subkomitees diskutiert. Wir entwickeln ein Konzept und erwarten auch interessante Inputs von den Nationalen Skiverbänden." Klingt nach einem ersten Schritt zu Änderungen.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Horst Hüttel
  • Eigener Kontakt zum deutschen Hersteller für Sprunganzugmaterial
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