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Katja Kraus: "Klar hat der Fußball ein Sexismusproblem"


Katja Kraus
"Klar hat der Fußball ein Sexismusproblem"

InterviewVon Benjamin Zurmühl

Aktualisiert am 10.12.2018Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Katja Kraus: Kennt die Situation als Frau in einer Führungsposition eines Fußballklubs gut.Vergrößern des Bildes
Katja Kraus: Kennt die Situation als Frau in einer Führungsposition eines Fußballklubs gut. (Quelle: Jung von Matt/SPORTS)

Wie viele Frauen sitzen insgesamt in den Vorständen von Bayern, Dortmund und Schalke? Genau, null. Der Männerfußball wird auch von Männern dominiert. Katja Kraus war als langjähriges Mitglied des HSV-Vorstands eine Ausnahme. Für den Frauenmangel hat sie eine Lösung parat.

Als Sportredakteur ist man es besonders im Fußball gewohnt, dass ein Interview sehr gleichmäßig abläuft. Der Redakteur stellt Fragen und der oder die Befragte antwortet. Meist gibt es ein Zeitlimit von bestenfalls 30 Minuten, sodass ein wirkliches Gespräch kaum entstehen kann. Bei Katja Kraus ist das anders. Sie nimmt sich trotz engem Terminplan Zeit und stellt selbst Fragen, zeigt Interesse an den Ansichten des Gegenübers.

Kraus kennt den Fußball in- und auswendig. Nach ihrer aktiven Zeit als Torhüterin war sie nicht nur bei Eintracht Frankfurt als Pressesprecherin aktiv, sondern war auch acht Jahre lang im Vorstand des HSV tätig. Es gibt kaum ein Thema, zu dem sie keine Meinung hat. Man merkt, dass sie sich über die aktuellen Ereignisse im Sport und der Gesellschaft viele Gedanken macht und so entsteht ein Gespräch über die Bundesliga, psychischen Druck im Sport und den Frauenmangel im Männerfußball.

t-online.de: Frau Kraus, waren Sie von den Super-League-Plänen des FC Bayern überrascht, die "Football Leaks" enthüllte?

Katja Kraus (48): Nein, eigentlich nicht. Vielleicht davon, dass es als Enthüllung daherkam. Ich halte es aber auch für legitim, sich mit der Zukunftsfähigkeit des Wettbewerbs und des eigenen Unternehmens auseinanderzusetzen. Auch der Fußball kann sich gesellschaftlichen Entwicklungen nicht entziehen. Globalisierung, Digitalisierung, verändertes Freizeitverhalten, abnehmende Loyalitäten, all das hat eine Auswirkung, perspektivisch sicher auch auf die bislang so krisensichere Bundesliga. Ich fand es übrigens auch bezeichnend, dass der öffentliche Aufschrei ausblieb.

Dafür sorgten die große Pressekonferenz von Hoeneß, Rummenigge und Salihamidzic oder der Instagram-Post von Lisa Müller für Aufregung …

Das ist auch anderer Stoff. Emotionen. Ungerechtigkeiten. Richtig oder Falsch. Das kommt den Menschen näher. Die Super-League-Thematik hingegen ist abstrakt, es handelte sich bislang nur um Planspiele. Allerdings denke ich schon, dass bei vielen Fußball-Fans eine Entfremdung stattgefunden hat, die zu einer gewissen Lakonie führt.

Besteht eine Gefahr, dass die Menschen bald satt sind vom Fußball?

Die reinen Zahlen sprechen nach wie vor dagegen. In der Breite wächst der Fußball noch weiter, es werden immer neue Geschäftsmodelle etabliert und der Umsatz steigt. Die EM 2024 in Deutschland bietet zudem eine Menge Chancen. Sorge macht mir die Verbundenheit in der Tiefe und die Loyalität ganz unabhängig von Ergebnissen. Die Menschen orientieren sich an der Spitze, an Highlight-Ereignissen und absoluten Topstars. Die Mitte und das Alltägliche verlieren an Anziehung. Die Gefahr droht, dass es irgendwann ein "Vereins-Tinder" gibt und Fans sich dorthin wenden, wo sie gerade das attraktivste Angebot bekommen und wo die besten Spieler sind.

Was bedeuten denn die Super-League-Pläne für die Bundesliga? Haben wir in 100 Jahren noch eine Bundesliga?

Oh je, ich würde nicht einmal eine Prognose für die nächsten zehn Jahre wagen. Die Frage ist aber größer als der Sport. Es geht doch grundsätzlich darum, ob nationale Systeme durch ein offenes Europa infrage gestellt werden. Es ist nur konsequent, das auch für den Sport zu denken.

Neben den Super-League-Gedanken enthüllte "Football Leaks" auch die Deals mit minderjährigen Talenten. Wie stark hat sich der Markt in den letzten Jahren verändert?

Die Jugendarbeit hat sich maßgeblich verändert, nachdem der DFB Nachwuchsleistungszentren und eine skalierbare Ausbildungsqualität von den Vereinen eingefordert hat. Es gibt vermutlich nur noch sehr wenige Bundesligaspieler, die nicht durch das engmaschige Netz der Nachwuchsscouts der Vereine früh gebunden wurden. Für die Spielerberater erleichtert das die Sichtung. Der Markt wächst rasant, es gibt immer mehr Berater und neue Beratungskonzepte. Dabei beginnt der Wettbewerb um die besten Spieler immer früher. Das hat etwas von Gambling und führt zu absurden Auswüchsen.


Man hat oft den Eindruck, dass der Mensch hinter dem Spieler abhandenkommt. Es geht nur noch um oberflächliche und sportliche Eigenschaften.

Für die meisten Berater ist die maximale Kapitalisierung der etwa zehnjährigen Profikarriere ihres Spielers das Geschäftsmodell. Das widerspricht allzu oft der dringenden Notwendigkeit einer wirklich bewussten Karriereplanung im Sinne der Persönlichkeit des Spielers. Fußballprofis sind junge Menschen, die eine enorme Aufmerksamkeit bekommen und einem permanenten, extremen Wettbewerb ausgesetzt sind. Die Erwartungen sind hoch, die Bewertung gnadenlos. Mitgefühl und Verständnis gibt es in der Öffentlichkeit kaum, der Anspruch an die Spieler wird über die Millionengehälter definiert. Ein pralles Bankkonto fühlt sich allerdings auf dem Spielfeld nicht an. Umso wichtiger ist es, ein stabiles Umfeld zu haben, die richtigen Ratgeber, die den Menschen im Fußballprofi sehen. Auch um ihnen dabei zu helfen, mit dem Druck umzugehen, der viele Sportler hemmt, oder sogar zu psychischen Erkrankungen führt.

Zog sich das durch alle Altersschichten oder trat das primär bei den jüngeren Spielern auf?

Das ist keine Frage des Alters, aber es sind unterschiedliche Aspekte. Junge Spieler sind besonders gefährdet, denn es gibt keine Vorbereitung auf das, was sie erwartet, wenn sie Profis werden. Extremsituationen kann man nicht simulieren. Bei älteren Spielern dreht sich irgendwann vieles um die Zeit nach der Karriere und die Frage, was kann noch kommen? Was kann ich außer Fußball spielen? Eine Besonderheit von Leistungssportlern ist es, dass sie ihren beruflichen Höhepunkt schon sehr früh in ihrem Leben haben und häufig keine Vorstellung davon, was sie in Zukunft auf eine ähnliche Weise erfüllt. Das habe ich auch bei vielen als Belastung erlebt.

Das ist Katja Kraus:
Sie war Fußball-Nationaltorhüterin, deutsche Fußball-Meisterin und nahm an den Olympischen Spielen 1996 teil. Kurz gesagt: Katja Kraus hat eine erfolgreiche Karriere als Fußballspielerin hinter sich. Nach ihrem aktiven Karriereende blieb sie dem Fußball treu und begann als Pressesprecherin bei Eintracht Frankfurt, ehe sie beim HSV Vorstand für Kommunikation und Marketing wurde. Damit ist sie bis heute die einzige Frau in einer Management-Position bei einem deutschen Klub. Nach acht Jahren beim HSV war sie Mitgründerin der erfolgreichen Sportmarketingagentur "Jung von Matt/SPORTS" und führt diese als Geschäftsführerin mit Holger Hansen und Robert Zitzmann. Seit 2014 ist sie im Aufsichtsrat von Adidas. Zudem hat sie zwei Sachbücher veröffentlicht.

Wodurch wurden diese negativen Gefühle verstärkt?

Es ist ein permanentes Kräftemessen. Niemand will seelische oder körperliche Schwächen zeigen. Der Druck, immer stark und leistungsfähig sein zu müssen, ist unglaublich zehrend. Der Spaß, ein wesentliches Element des Spiels, geht dabei oft verloren.

Welchen Einfluss hat dann öffentliche Kritik von Trainern, Sportdirektoren oder Präsidenten? Ein aktuelles Beispiel sind die Äußerungen von Uli Hoeneß in Bezug auf den ehemaligen Bayern-Profi Juan Bernat.

Niemand macht gerne Fehler. Wir haben keinen selbstverständlichen Umgang mit Schwächen oder Fehlentscheidungen. Es werden große Anstrengungen unternommen, das zu verbergen. Wenn die Fehler aber sichtbar werden und man darüber hinaus vor einer großen Öffentlichkeit bloßgestellt wird, führt das häufig zu seelischen Verletzungen.

Die Kritik an Bernat tätigte Hoeneß auf einer Pressekonferenz, die sich stark gegen Medien richtete. Wie haben Sie denn in Ihrer Zeit bei Eintracht Frankfurt oder dem Hamburger SV die Arbeit mit den Medien wahrgenommen?

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Als ich vor mehr als zwanzig Jahren bei Eintracht Frankfurt als Pressesprecherin begann, war es eine ganz andere Situation. Damals hatten die überregionalen Zeitungen um 17 Uhr Redaktionsschluss und die regionalen Zeitungen um 22 Uhr. Kommentare gab es in Form von Leserbriefen. Und die Bewertung der Spieler fand durch die Noten im Kicker statt. Das ist nicht vergleichbar. Die Verrohung der Sprache, fehlende Differenziertheit, die Neigung zu Urteilen statt zur Einordnung, all das hat sich seither extrem verschärft und macht mir große Sorgen.

Sie haben den Fußball mal als "Testosterongeschäft" bezeichnet. Sie selbst haben sich trotzdem behauptet. War das für Sie ein besonderer Ansporn?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Die Widerstände am Anfang haben mich überrascht. Der Fußball hat mein Leben geprägt, seit ich denken kann, ich hatte eine eigene Karriere und konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass es eine solche Ablehnung geben würde, nur weil ich eine junge Frau war. Am Anfang war es hart. Ich habe sehr viel gearbeitet, versucht, jede Angriffsfläche zu vermeiden. Irgendwann habe ich verstanden, dass es auch eine Chance ist, genauer betrachtet zu werden. Und dass ich die Exotik nutzen kann, Aufmerksamkeit für die Themen zu bekommen, die mir besonders am Herzen lagen.

Wie war das im Verhältnis zu den Spielern?

Gut. Professionell. Ich hatte nie das Gefühl, dass es für die Spieler problematisch war, mit einer Frau zu arbeiten. Es gab im Gegenteil manche Themen, die sie leichter besprechen konnten.

Sie waren in Ihrer Stellung eine Vorreiterin …

Es gibt leider noch immer keine Frauen in Managementfunktionen.

Woran liegt das?

Es gibt kein Bewusstsein für die Bereicherung durch Diversität. Einer der manifesten Glaubenssätze der Branche ist es, dass nur Menschen, die selbst Fußballprofis waren, die Eigenheiten dieses Geschäft vollständig zu verstehen imstande sind. Also Männer. Frauen können das Land führen und Wirtschaftsunternehmen, aber Fußballmanagement wird zur Geheimwissenschaft erklärt. Erstaunlicherweise stellt das niemand infrage. Zudem gibt es eine Versorgungsmentalität unter ehemaligen Profis. Es gibt nicht so viele Möglichkeiten für die Zeit nach der Karriere, wenn der Fokus sehr früh schon komplett auf dem Sport lag.

Auf die umstrittene Rote Karte für seinen Teamkollegen Cristiano Ronaldo in der Champions League sagte Emre Can: "Wir sind doch keine Frauen." Hat der Fußball ein Sexismusproblem?

Klar. Schon weil das Revier so umkämpft ist. Es gibt diese archaische Symbolik. Das Trikot vom Leib reißen, um den muskulösen und tätowierten Oberkörper zu zeigen, zählt dazu. Sprache vor allem. Aussagen wie "schwule Pässe" oder "wir sind doch keine Frauen" sind Beispiele dafür. Insgesamt herrscht im Sport eine männliche Rhetorik und ein männlicher Habitus.

Wie kann man denn dafür sorgen, dass mehr Frauen ins Management im Männerfußball kommen?

Offensichtlich nur durch Druck von außen, durch eine Quote, die auch in anderen Bereichen zu maßgeblichen Veränderungen geführt hat. Die intrinsische Motivation, Potenziale von Frauen zu nutzen, gibt es nicht.

Wie könnte eine Frauenquote konkret aussehen?

So, wie in der Wirtschaft auch. Man könnte eine Quote für die Aufsichtsräte und Präsidien festlegen. Das operative Management folgt dann mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Ich bin überzeugt, das würde nicht nur den Fußball, sondern den gesamten Sport nach vorne bringen.

Können Sie sich denn generell vorstellen, noch einmal bei einem Verein tätig zu werden?

Nein (lacht). Das war eine tolle und lehrreiche Zeit und für diese Jahre meines Lebens das Schönste, was ich machen konnte. Aber jetzt bin ich sehr glücklich mit all dem, was ich heute tue.

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