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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Union Berlin im Aufwind Eine Gefahr bleibt
Gegen Real Madrid setzte es im letzten Champions-League-Gruppenspiel eine knappe Niederlage. Trotzdem zeigte Union Berlin viel von dem, was den Klub so erfolgreich machte. Aber eine Gefahr bleibt.
Aus Berlin berichtet Nils Kögler
"Wir brauchen die Alte Försterei wie die Luft zum Leben": Es war ein Banner mit dieser Aufschrift, das die Fans von Union Berlin während aller drei Champions-League-"Heimspiele" vor die Gegengerade des Olympiastadions hingen, wo sie sich ihre Kurve eingerichtet hatten.
Vor dem letzten Spiel gegen Real Madrid legten die Fans der "Eisernen" nun aber erneut einen drauf. Auf zahlreichen weiteren Transparenten brachten sie ihrer eigentlichen Heimspielstätte, der "Alten Försterei", eine Ode dar. "Eine Pilgerstätte des Zusammenhalts", "Heimat des 1. FC Union" oder "die Bastion, der Hexenkessel" stand darauf unter anderem zu lesen.
Die Angst wurde real
Die Anhänger des kleinen Union Berlin wollten in aller Deutlichkeit zeigen: Sie fremdelten mit der großen Bühne Champions League, zumindest mit dem Umzug ins größere Olympiastadion von Stadtrivale Hertha BSC, der damit einherging. Ihre Sorge: Er könnte symbolisch stehen für eine Abkehr des Vereins von seinen Wurzeln. Von dem Beschaulichen und Bodenständigen, das den Kult-Klub aus Köpenick seit jeher ausgemacht und in den vergangenen Jahren so erfolgreich gemacht hatte. All das schien in Gefahr.
Tatsächlich sollten die Fans ein Stück weit Recht behalten. In der laufenden Saison war Union Berlin zumindest auf dem Platz kaum wiederzuerkennen. Von den kompakten wie effizienten Fußball-Arbeitern, die den Verein in den vergangenen Jahren von der zweiten Liga bis in die Champions League geführt hatten, war nichts mehr zu sehen. Zu viele Fehler, zu viele Gegentore: Die simplen Dinge wollten nicht mehr funktionieren und ein verändertes, jetzt mit Stars wie Robin Gosens, Kevin Volland oder Leonardo Bonucci geschmücktes Union, legte eine Niederlagenserie hin, die am Ende sogar dem geliebten Trainer Urs Fischer den Job kostete. Der Höhenflug Champions League endet nach der Niederlage gegen Real Madrid nun mit dem vierten Platz in der Gruppe – und damit sogar ohne den erhofften Trostpreis Europa League.
Doch trotz der Niederlage und des Ausscheidens dürften viele Union-Fans erhobenen Hauptes ein letztes Mal aus dem verhassten Olympiastadion gelaufen sein. Denn: Gegen Real Madrid hat ihre Mannschaft viele ihrer Qualitäten aus der Vergangenheit wiederentdeckt. Am Ende des Höhenflugs Champions League ging es zurück zu den Grundlagen des Fußballs und damit zu den alten Stärken. Das dürfte den Fans Hoffnung für die Zukunft machen – auch wenn eine Gefahr bleibt.
Madrid muss ganz hart arbeiten
Die "Königlichen" von Real Madrid mussten bei ihrem am Ende erfolgreichen Gastspiel in Berlin nämlich genau das tun, was Teams in der Vergangenheit gegen Union eigentlich immer, in dieser Saison aber nur zu selten tun mussten: ganz hart arbeiten. Zeitweise 80 Prozent Ballbesitz erlaubten die Unioner ihren spanischen Kontrahenten, doch das Abwehrbollwerk stand lange Zeit stabil. Kam doch mal ein Madrilene gefährlich vor das Tor, war ein überragend aufgelegter Frederik Rönnow zwischen den Pfosten zur Stelle – sogar gegen Weltstar Luka Modrić, dessen Handelfmeter er kurz vor der Pause parierte.
5. Runde
Dienstag, 26.11.
Quasi im direkten Gegenzug traf Kevin Volland dann auch noch zum 1:0 und schickte Union mit einer Führung in die Pause. Hinten stabil, vorne einer drin: So kann es funktionieren, so hat es doch schon so oft funktioniert. Auch als die Madrilenen in der zweiten Hälfte erfolgreicher waren und durch einen Doppelpack von Stürmer Joselu in Führung gingen, kämpften die Berliner weiter und hatten endlich – anders als so häufig in dieser Saison – eine Antwort parat. Mit dem 2:2 von Axel Kral in der 85. Minute war der Sieg kurz wieder in Reichweite.
Doch am Ende war die Übermacht aus Madrid doch zu stark. "Wir standen gut in den Räumen und haben versucht, alles weg zu verteidigen", analysierte Kapitän Rani Khedira nach dem Spiel. "Es ist aber natürlich schwer, gegen so eine Mannschaft."
Konzentration auf die Grundlagen
Auch wenn es am Ende nicht reichte, um doch noch in Europa zu überwintern, dürften Mannschaft und Fans wieder Hoffnung schöpfen. Gegen eines der besten Teams der Welt war die Sensation in Reichweite. Nur wenige Tage zuvor hatte es in der Bundesliga gegen Gladbach zudem dank einer ähnlich couragierten Vorstellung sogar den ersten Sieg seit Ende August gegeben. Das alte, kämpferische und kompakte Union Berlin – da ist es ja wieder.
Ein weiterer Hoffnungsschimmer für die Fans: Nicht nur spielerisch kann sich Union wieder auf die Grundlagen konzentrieren. Nach dem Aus in Europa gilt jetzt auch wettbewerbstechnisch der volle Fokus dem Kerngeschäft: der Bundesliga. Das wird auch bitter nötig sein, immerhin stecken die Köpenicker dort tief im Abstiegskampf. Mit den kommenden zwei Partien gegen die Kellerkinder Bochum und Köln stehen dabei enorm wichtige Spiele an.
"Das muss die Basis sein"
Das weiß auch Khedira, der die Mannschaft deshalb beschwört, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen: "Ich hoffe, dass der Fokus ab morgen dann wieder Richtung Bochum geht", sagte der Kapitän nach dem Spiel gegen Real. "Ich hoffe, dass jeder weiß, dass man, wenn man so spielt wie am vergangenen Samstag gegen Gladbach oder auch über weite Strecken heute, wenn man als Team agiert, dass man erfolgreich sein kann", so Khedira. "Das muss jetzt die Basis für alles sein."
Die Basis, die Grundlagen: Es sind Schlüsselwörter für die Trendwende in Berlin. Der neue Trainer Nenad Bjelica scheint der Mannschaft ihre alte Identität zurückgegeben zu haben. Ein Spiel gegen Union Berlin: Jetzt wird es wieder eklig. Mit Siegen gegen Bochum und Köln könnte Union das neugewonnene Selbstverständnis weiter stärken, einen großen Schritt hinaus aus dem Abstiegskampf machen – und womöglich am Ende sogar doch wieder Europa ins Visier nehmen?
Die Gefahr der teuren Neuzugänge
Derart hochgesetzte Ziele nach gerade einmal zwei guten Spielen scheinen dem neu ausgerufenen Fokus auf das Wesentliche entgegenzustehen. Doch im Hinterkopf muss die Hoffnung auf Europa bei den Verantwortlichen des Berliner Klubs weiterleben. Denn bei aller Bescheidenheit bleibt die Gefahr bestehen, die der Verein mit den Star-Verpflichtungen im vergangenen Sommer heraufbeschworen hat. Neuzugänge wie Gosens, Volland oder Bonucci konnte Union nur aufgrund der zusätzlichen Einnahmen aus der Champions League realisieren. Spielt der Klub in der kommenden Saison nicht international, werden die fürstlichen Gehälter das Berliner Budget schwer belasten.
Ein Anlauf auf Europa aus dem Tabellenkeller wäre dabei nicht beispiellos: Bayer Leverkusen steckte zu Beginn der vergangenen Saison ebenfalls in der Abstiegszone fest, schaffte nach einem Trainerwechsel von Gerardo Seoane zu Xabi Alonso und einer furiosen Aufholjagd am Ende aber doch noch die Europa-League-Qualifikation. Die Union-Verantwortlichen dürften auf ein ähnliches Szenario hoffen. Ganz Union-typisch werden sie dies jedoch nur im stillen Kämmerlein tun, nach außen weiter Bescheidenheit propagieren – und damit ebenfalls ein Erfolgsrezept aus der Vergangenheit weiterführen.
Ob Abstiegskampf oder erneuter Angriff auf Europa: Der Unterstützung ihrer Fans dürfen sich die Unioner wohl sicher sein. Immerhin sangen die Anhänger auch während der vergangenen schweren Monate lautstark für ihr Team. Nun dürfen sie das auch wieder ausschließlich dort tun, wo sie sich zu Hause fühlen: an der Alten Försterei. Ihrer Basis.
- Eigene Beobachtungen