Gladbach gegen FC Köln Bonhof voller Ehrfurcht: "Weisweiler hat Borussia gemacht"
Mönchengladbach (dpa) - Rainer Bonhof hatte eine besondere Beziehung zu Hennes Weisweiler, der an diesem Donnerstag 100 Jahre alt geworden wäre. Der spätere Weltmeister kam im Januar 1970 als 18-Jähriger zu Borussia Mönchengladbach.
Weisweiler schulte das Talent vom Stürmer zum Mittelfeldspieler um und baute ihn neben Netzer, Heynckes, Vogts und Co. zum Star und Weltklassespieler auf. Für Bonhof gab es keinen besseren Trainer als Weisweiler.
Es gibt viele Mythen um Weisweiler. Wie war er tatsächlich?
Rainer Bonhof: Tatsächlich war er ein väterlicher Mensch, der sich aber nicht verbogen hat für jemanden. Das, was er für Vorstellungen hatte, hat er aus einem raus geholt. Das war bei mir der Fall, und das hatte er vorher auch schon mit dem Berti Vogts gemacht. Mit anderen jungen Leuten wie damals Herbert Laumen, mit denen ist er 1966 zur WM nach England gefahren. Da hat er dann zum Berti und zum Laumen gesagt: "So jetzt machen wir mal Fortbildung und fahren da mal hin." Einer von den Jungs musste immer fahren. Da merkte man, er hat einen guten Draht zu jungen Spielern und das, was er sagt, hat Hand und Fuß. Das, was er wollte, übte er so lange, bis es zu Selbstverständlichkeit wurde. Was ich an Flugkopfbällen mit ihm geübt habe! Das ging immer Bum. Bum. Bum. Du warst eigentlich völlig platt, aber es ging weiter. Du konntest dem Chef ja nicht sagen, dass man nicht mehr kann.
Sagten Sie immer Chef zu ihm?
Bonhof: Das war die Amtssprache, ja. Das kommt aus der engen Verbindung zu Sepp Herberger. Die 54er Weltmeister sagten zum Herberger auch immer Chef. Sepp Herberger war ja Ausbilder an der Sporthochschule Köln und Hennes sein Assistent. Dadurch entstand das.
Er galt damals als innovativer Trainer. War er das?
Bonhof: Das ist schon richtig. Ich hatte natürlich keinen Vergleich, weil ich vorher keinen anderen Bundesligatrainer hatte. Aber wir haben schon viel anders und neue Sachen gemacht. Das haben wir gemerkt, wenn wir uns in der Nationalmannschaft austauschten. Die anderen fragten dann recht überrascht: "Wie macht ihr das denn? Wie geht die Übung denn? Was soll das bringen?" Auch wir konnten das manchmal nicht nachvollziehen, warum der Chef uns zwischendurch Hürdenlaufen ließ. "Was soll der Quatsch?" Er sagte dann nur: "Macht das mal, das ist gut für die Koordination." Er baute die Hürden sogar höher. Wir sahen da keinen Sinn drin. Aber nach ein paar Wochen merkte man, dass man viel geschmeidiger wurde im Hüftbereich. Weisweiler ließ damals auch schon mit dem Deuserband trainieren, was 30 Jahre später auf einmal als besonders modern galt.
Wie war seine Menschenführung?
Bonhof: Damals waren nur 17 Mann im Kader, die immer alle mitfuhren. Man fuhr vor allem mit dem Zug, und die jungen Spieler waren natürlich die Osterhasen und mussten Koffer schleppen. Aber er war derjenige, der zwischendurch kam und sagte: "Komm Jung, jetzt hast du richtig gearbeitet, jetzt kauf dir hinten mal einen Schoko-Riegel." Auch da merkte man, dass er jeden einzelnen genau beobachtet.
Die Trainer damals galten als autoritär, war er das auch?
Bonhof: Wenn wir eingerissene Schuhe hatten, dann musste man die vorzeigen beim Manager, beim Herrn Grashoff. Der entschied dann, ob die zum Schuster gingen oder ob man neue Schuhe bekam. Wenn du vorher aber beim Chef warst, nahm er sich die Schuhe und riss die Löcher noch größer. "So, jetzt bekommst du neue Schuhe." Der wusste genau, wie der Grashoff funktioniert. Das war schon schön. Andersherum kam er nach ein paar nicht so guten Spielen und sagte: "Ich habe gehört, sie haben eine neue Freundin?" Da sagte ich: "Ja, Chef. Das ist aber schon neun Monate her. Mit der jetzigen Leistung hat das nicht zu tun." Später trank er dann Bruderschaft mit meiner Frau.
Wie schlimm war es bei Niederlagen?
Bonhof: Weder beim Skat, noch im Training, noch im Punktspiel: Verlieren ging nicht, das konnte er nicht. Er sagte uns dann immer: "Wir können hier nicht verlieren." Wenn das auf der Kippe war, dann hat er getobt. Dann hat er auch in der Halbzeit getobt. Er hat dann auch mal Sachen umgetreten. Da hat man dann gedacht: "Verdammt hacke, jetzt geht's dir aber an den Kragen." Und dann holten wir nochmal etwas aus uns raus. Aber wenn wir zum Beispiel in Köln verloren haben, dann konntest du ihn drei Wochen lang nicht gebrauchen. Das war grausam. Dieser Ehrgeiz war immer zu spüren. Einmal gewannen wir im UEFA-Cup bei den Glasgow Rangers. Drei Spieler lud er dann zu seiner privaten Feier ein. Am nächsten Morgen in Mönchengladbach sagte er plötzlich: "Jetzt 5000 Meter auf Zeit." Da haben wir uns schon gefragt, warum wir überhaupt mit ihm feiern durften. Er wollte uns damit zeigen, dass wir zwar feiern, aber uns niemals hängen lassen dürfen. Wir mussten immer Gas geben.
Unter ihm als Kölner kam es überhaupt zu der besonderen Rivalität zwischen Gladbach und dem 1. FC Köln. Wie erlebten Sie das?
Bonhof: Er wohnte ja in Köln und war Dozent an der Sporthochschule. Er hat uns eingetrichtert, dass wir in Köln nicht verlieren durften. Das hat ja auch meistens geklappt. Aber auch wenn wir mal 1:1 da spielten, konntest du ihn drei Wochen nicht ertragen. Das war immer ein besonderer Anreiz. Ich würde behaupten: Er ist der eigentliche Vater dieses Derbys. Am Anfang war es auch nur ein Derby auf dem Platz, aber nicht im Umfeld. Das entwickelte sich erst daraus.
Können Sie seine Bedeutung für Borussia zusammen fassen?
Bonhof: Hennes Weisweiler war die Figur. Er hat Borussia Mönchengladbach gemacht. Er und wir - das war eine Einheit.
Wird er vielleicht manchmal auch etwas verklärt?
Bonhof: Es wird ihm schon alles gerecht. Natürlich konnte ich ihn zwischendurch auch mal nicht mehr sehen, weil er uns ständig antrieb, draufhaute und uns noch weiter nach vorne bringen wollte. Aber ich erinnere mich auch an ein Treffen am Münchner Flughafen nach der Sportmesse ISPO zwischen mir, Berti Vogts und Günter Netzer. Da haben wir fast den Flieger verpasst, weil wir so vom Weisweiler schwärmten.
In Gladbach gab es Probleme mit Netzer, in Barcelona mit Cruyff und in Köln mit Overath. Warum konnte er nicht gut mit Stars?
Bonhof: Ich denke, das ist ein Klischee. Natürlich hatte er in Barcelona mit dem Cruyff oder später in Köln mit dem Wolfgang Overath Probleme. Aber es ist ja nicht so, dass wir keine Stars hatten: Neben dem Günter Netzer gab es noch den Berti, den Hacki Wimmer, den Luggi Müller, den Klaus-Dieter Sieloff. Er hat ja auch alte, gestandene Spieler geholt und mit denen wunderbar gearbeitet. Er hat in Barcelona und in Köln wohl eher erkannt, dass der jeweilige Star über seinem Zenit war. Das war bei Cruyff damals so und bei Overath auch.
Und bei Netzer?
Bonhof: Bei ihm waren wir etwas in der Zwickmühle. Auf der einen Seite hatte Günter natürlich teilweise recht, und er war Kamerad von uns. Auf den anderen Seite wollten wir nur eines: Erfolg haben. So lange das der Fall war, war uns das Verhältnis egal. Günter war so anerkannt, dass er derjenige war, der dem Chef gesagt hat, dass wir nicht ständig Vollgas geben konnten. Er meinte aber, das ginge.
Sie hatten nach Weisweiler noch ein paar Trainer. Konnten die dem Vergleich mit ihm standhalten?
Bonhof: Weisweiler steht da natürlich über allen. Das geht ja auch gar nicht anders. Er hat aus mir als Stürmer einen aus meiner Sicht ganz passablen Mittelfeldspieler gemacht. Er hat mir das ganze Verhalten auf dem Platz beigebracht. Ich würde nie schlecht über ihn reden, obwohl er mich manchmal wirklich getriezt hat.
Wie haben sie seinen frühen Tod erlebt?
Bonhof: Für mich war das ein Schock. Er war ja erst 64. Wir hatten uns alle für ihn gefreut, als er nach Zürich zu den Grasshoppers ging. Wir dachten: Jetzt kann er es ruhiger angehen lassen. Er hatte ja wirklich ein aufregendes Leben. Tja, und dann hört man: Das ist vorbei. Es gab dann ja auch eine riesige Trauerfeier. Die Leute haben draußen auf der Domplatte gestanden. Und der Kölner Dom ist nun wirklich nicht klein. Da waren dann alle da, all seine Mannschaften.
ZUR PERSON: Rainer Bonhof (67) ist seit zehn Jahren Vizepräsident von Borussia Mönchengladbach. Dort begann der gebürtige Emmericher 1970 seine Profikarriere. Bis 1978 gewann er alle fünf deutschen Meisterschaften mit der Borussia und wurde je einmal DFB-Pokal- und UEFA-Pokal-Sieger. 1972 wurde er mit der Nationalmannschaft Europameister und 1974 Weltmeister. Mit dem FC Valencia gewann er später noch den spanischen Pokal und den Europacup der Pokalsieger. Bonhof spielte zudem noch für den 1. FC Köln und Hertha BSC. Unter dem früheren Bundestrainer Berti Vogts arbeitete er als Co-Trainer und war von Ende 1998 an ein Jahr lang Chefcoach der Borussia.