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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Halbzeit beim Nürnberger Stadtoberhaupt OB zu Opern-Chaos: "Auf die anderthalb Jahre Verzögerung kommt's nicht an"
Zeit für eine Zwischenbilanz in Nürnberg: Wir blicken mit Marcus König zurück – und machen den Faktencheck. Kann König Krise?
Drei Jahre ist Marcus König jetzt im Amt. Drei weitere folgen. Seine Zeit als Oberbürgermeister war bislang geprägt von Krisen. Wie hat er sie gemeistert? "Nürnberg kann Krise", erwidert der CSU-Mann. Stimmt das? t-online prüft seine Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt.
Corona-Pandemie:
Aussage: "Wir haben schnell, verantwortungsbewusst und lösungsorientiert reagiert", erklärt Marcus König, wenn er auf die Corona-Pandemie zurückblickt.
Faktencheck: Ja, Testzentren wurden in kürzester Zeit aufgebaut, bald auch vielfältige Möglichkeiten zum Impfen geboten. Ein Beispiel ist das Impfmobil, das niederschwellig und vor Ort die Spritzdosen anbot. Die Stadtspitze agierte flexibel – soweit es ihr in der zunächst unübersichtlichen Situation möglich war.
Dennoch hat es viel Kritik an den Maßnahmen gegeben, die allerdings weniger der Kommune als Land und Bund geschuldet waren. König zeigt sich selbstkritisch: "Manche Maßnahme ist nicht beim Menschen angekommen." Es lag eben auch an der Stadt, die drastischen Schritte besser zu erklären – und die Menschen vor Ort mitzunehmen. Insgesamt hat Nürnberg mehr als 1.400 Corona-Tote zu beklagen (laut Corona-Homepage der Stadt, Stand Mitte April). Und auch die Impfquote hätte besser sein können.
Ukraine-Krieg:
Aussage: "Beim Krieg gegen die Ukraine haben wir beispiellos gehandelt", bilanziert der OB in Bezug auf die Anfänge des Angriffskriegs Russlands. "Es war unfassbar: diese Menschlichkeit, die humanitäre Bereitschaft. Alle gingen Hand in Hand."
Faktencheck: Unbürokratisch hat die Stadt Nürnberg nach eigener Aussage 8.000 Geflüchtete aufgenommen und eine zentrale Anlaufstelle errichtet. Ebenso wurde eine Art Zeltstadt auf dem Nelson-Mandela-Platz errichtet, die als Notunterkunft für 2.000 Ukrainer dienen sollte. Gänzlich ungenutzt wurden die Zelte Monate später wieder eingestampft. Der Aktionismus in allen Ehren: Wären die Ressourcen woanders besser aufgehoben gewesen? Auch aus der Bevölkerung kam derweil große Hilfsbereitschaft, besonders für die Partnerstadt Charkiw: Rund 2 Millionen Euro und viele Sachspenden kamen aus Nürnberg.
Energiekrise:
Aussage: Eine Folge des Kriegs war die Energiekrise: Dabei gehe es nicht nur um Katastrophenschutz, sondern auch darum, den Menschen mitzunehmen, so König. "Wir haben gut nach außen kommuniziert."
Faktencheck: Nürnberg war tatsächlich Vorreiter bei den Energiesparmaßnahmen: Die Verantwortlichen beschlossen als Erstes etwa die Schließung der Hallenbäder und sprachen sich vergleichsweise schnell für das Teil-Aus von nächtlicher Beleuchtung in der Altstadt aus. Zwar war's deshalb zum Christkindlesmarkt nur noch halb so stimmungsvoll – ohne erleuchtete Sehenswürdigkeiten. Laute, kritische Stimmen gab es diesbezüglich aber kaum. Die Nürnberger fühlten sich diesmal wohl besser abgeholt.
Ab 17. April soll die Altstadt dann wieder wie gewohnt erleuchten. Und: Die Sparmaßnahmen haben sich nach Angaben der Stadt außerordentlich gelohnt. Außerdem wurde ein Kristenstab "Energie" eingerichtet, der Strukturen und ein Leuchtturm-System für den Notfall erarbeitete.
Klima/Umwelt:
Aussage: "Wir wollen Nürnberg klimaneutral machen." Das Ziel des 42-Jährigen: "Mehr zu entsiegeln als zu versiegeln".
Faktencheck: Die Urbane Gartenschau kommt 2030 nach Nürnberg. Es ist das 50. Jubiläum der bayerischen Landesgartenschau. Die Stadt erhofft sich davon einen Schub und Impulsgeber für mehr Grün in der City. Außerdem setzt Nürnberg neuerdings auf Pocket Parks; der graue Nelson-Mandela-Platz wurde grüner. Es gibt einen Klimafonds, einen Hitze-Aktionsplan sowie den Masterplan Freiraum.
"Doch das alles kostet Geld", ergänzt König. Damit hat er recht. Luft nach oben hat die Stadt definitiv bei Fassaden- oder Dachbegrünung, das gibt es hier bislang nur vereinzelt. Weitere Bewegung kommt in die nachhaltige Energieerzeugung in Nürnberg. So erhält die Nürnberger Messe Bayerns größte Fotovoltaikanlage. Außerdem hat sich eine Wasserstoff-Initiative gebildet. Das Wahlversprechen "Pro Baby ein Baum" hat König gehalten: Nach eigener Aussage wurden in Nürnberg seitdem 5.000 Bäumchen pro Jahr gepflanzt.
Mobilität:
Aussage: König strebt beim Thema Mobilität nach intelligenten Lösungen – nicht nach ideologischen. Nach einer, die alle Verkehrsteilnehmer in den Blick nimmt: Fußgänger, Radfahrer, den ÖPNV-Nutzer und Autofahrer.
Faktencheck: Dazu wurde 2021 ein Mobilitätsbeschluss auf den Weg gebracht, ein "Masterplan für nachhaltige urbane Mobilität". Darin sind etwa für den Ausbau der Radwege jährlich zehn Millionen Euro festgesetzt. Und das ist auch notwendig. Radfahrer haben in der Stadt bislang noch allzu oft das Nachsehen. Auch für Fußgänger soll's sicherer werden.
Auch beim öffentlichen Nahverkehr tut sich einiges: Die Stadtspitze hat sich mit dem ÖPNV-Maßnahmenpaket 2030 dazu bekannt, Bus und Bahn weiter ausbauen zu wollen. Jedoch: Die Bedürfnisse aller Menschen zu berücksichtigen – mit all ihren unterschiedlichen Anforderungen – ist eine Herausforderung. Ein bitterer Rückschlag bleibt das Aus des 365-Euro-Tickets für jedermann. Das kassierte der Stadtrat trotz Königs großspuriger Ankündigung wieder ein – das Vorhaben war zu teuer.
Wirtschaft/Wissenschaft:
Aussage: "Nürnberg ist wirtschaftlich weiterhin auf einem sehr guten Weg." Wissenschaft und Bildung seien der Schlüssel zu Wohlstand. Deshalb investiert König darin. Und: "Nürnberg ist eine Wohlfühlstadt."
Faktencheck: Nürnberg bietet eine lebendige Gründerszene: Start-ups erhalten dort vielerorts Unterstützung und Forderung, etwa im Zollhof. Doch die Konkurrenz ist groß. Dazu siedelt in Nürnberg mit der Technischen Universität eine gänzlich neue Hochschule an. Wo gibt es so was in einer Großstadt sonst?
Längst überfällig war dagegen, dass die bereits bestehende erziehungswissenschaftliche Fakultät ein neues Obdach bekommt. Das Gebäude an der Regensburger Straße ist seit Jahren in einem sehr schlechten Zustand. Ein neuer Standort wurde nun auf dem ehemaligen Schöller-Gelände gefunden. Das alles ist zwar kein Alleinverdienst Königs, aber die Symbiose mit dem Freistaat funktioniert.
Wer aber durch die Innenstadt flaniert, der mag von Nürnbergs florierender Wirtschaft weniger mitbekommen. In die Einkaufsstraßen zieht mehr und mehr Leerstand ein. Zwar versucht die Stadtspitze etwa mit flexiblen Pop-up-Stores gegenzusteuern, das aber gelingt nur bedingt. Und so fällt das Wohlfühlen in der Breiten Gasse gerade schwer.
Kultur:
Aussage: "Ich möchte das Kulturangebot nach vorne bringen."
Faktencheck: Das kulturelle Angebot in Nürnberg wurde zuletzt deutlich beschnitten. Schuld ist der klamme Haushalt der Stadt: Bis zum Ende von Königs Amtszeit muss Nürnberg jährlich 50 Millionen Euro einsparen. Zulasten von Großveranstaltungen: Unter anderem die Blaue Nacht sowie das Rathaus-Clubbing finden künftig nur noch alle zwei Jahre statt, das städtische Silvestival ist gänzlich Geschichte.
Viel Geld kostet dagegen das Operninterim in der Kongresshalle. Zuletzt aber verkündete die Stadt, dass sie mit den Plänen für die Übergangslösung zwei Jahre hinterherhängt – sehr zur Unsicherheit der Mitarbeitenden des Opernhauses. Der OB erklärt dazu nur: "Was wir geschafft haben, ist sensationell. Da kommt's auf die anderthalb Jahre Verzögerung jetzt auch nicht an."
Digitalisierung:
Aussage: "Mein Credo ist: Das Amt muss zum Bürger kommen und nicht der Bürger zum Amt."
Faktencheck: Was die Digitalisierung der Stadt betrifft, gibt es noch Nachholbedarf. Lange Schlangen vor und stundenlange Wartezeiten in den Ämtern verärgerten die Nürnberger lange Zeit. Die Stadtverwaltung versucht mit mehr Onlineangeboten gegenzusteuern, jedoch kommen die beim Bürger bislang nur eingeschränkt an. König gibt zu: "Ich weiß, der Bürger spürt das nicht immer sofort." Das Onlineportal kann den Gang zum Amt in vielen Fällen nicht ersetzen. Und auch hier scheint der Modebegriff "Pop-up" laut König erneut die Lösung der Probleme: Er will auf Pop-up-Ämter setzen, unter anderem an der Frankenstraße.
Wie schnell die Digitalisierung der Stadtverwaltung voranschreitet, dürfte auch vom Personal abhängen. Die Stadt kämpft – wie viele andere Arbeitgeber auch – mit Personalmangel. Und der klamme Haushalt sieht auch noch die Streichung von 500 Vollzeitstellen vor.
Sicherheit:
Aussage: "Auch Sicherheit und Sauberkeit haben für die Stadt weiter hohe Priorität."
Faktencheck: Das subjektive Sicherheitsgefühl der Nürnberger hat in den vergangenen Jahren zugenommen: Fast jeder Zweite ist nach einer aktuellen Haushaltserhebung zufrieden mit der öffentlichen Sicherheit und dem Schutz vor Kriminalität. Dieses Bild jedoch trübt der Hauptbahnhof: Der Nürnberger gehört zu den drei gefährlichsten Deutschlands – weil die Bundespolizei hier 2022 die meisten Sexualdelikte, Gewaltverbrechen und Eigentumsdelikte erfasst hat.
Beim Thema Sauberkeit, das mit der Sicherheit einhergeht, ist nach Ansicht der Nürnberger noch deutlich Luft nach oben. 200 Mitarbeitende, die über 3.200 Mülleimer im Stadtgebiet leeren. Das sei zu wenig, räumt König ein. Er sagt aber auch: "Das ist unsere Stadt. Da muss jeder ran und jeder trägt Verantwortung."
- Reporterin vor Ort
- Eigene Recherchen