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Ukraine: Schlacht um Wowtschansk – Einkesselung, Gleitbomben, Verluste


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Schlacht um Wowtschansk
Russland versucht zu retten, was noch zu retten ist


21.06.2024Lesedauer: 5 Min.
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Russische Soldaten in Wowtschansk: Videos zeigen, wie sich einige ergeben. (Quelle: t-online)

Seit gut sechs Wochen läuft die russische Offensive im Gebiet Charkiw. Erfolge kann der Kreml nicht vorweisen. Russland könnte eine krachende Niederlage erleiden.

Vermutlich hatte der Kreml alles ganz anders geplant, als er seine Truppen am 10. Mai nach Charkiw schickte. Bisher aber verläuft die Offensive in der nordöstlichen ukrainischen Oblast mit der gleichnamigen Millionenstadt wohl kaum nach russischen Vorstellungen. Nur rund vier Kilometer konnten die Russen bisher auf ukrainisches Territorium vordringen. Das so eroberte Gebiet war kaum befestigt, der Vormarsch fiel leicht – bis Russland die Kleinstadt Wowtschansk ins Visier nahm.

Was genau Russland mit seiner Charkiw-Offensive bezweckt, ist nicht eindeutig erkennbar. Für einen Versuch, die zweitgrößte Stadt der Ukraine einzunehmen, hat der Kreml zu wenige Truppen in die Region geschickt – darin sind sich Experten einig. Verfolgt Russland also ausschließlich das Ziel, die Front zu verlängern?

Für die Ukrainer bleibt der Personalmangel derweil weiter ein komplexes Thema. Die russischen Truppen konnten dieses jedoch augenscheinlich noch nicht zu ihren Gunsten nutzen. Mit dem Angriff auf Charkiw haben sie zwar die Gefechtslinie nochmals gestreckt und so ukrainische Einheiten dort gebunden, größere Gewinne für die Russen haben sich daraus jedoch bisher nicht ergeben. Sollte Russland in den kommenden Wochen andernorts eine größere Offensive starten, könnte sich das jedoch noch ändern.

Was bleibt, ist die offizielle russische Lesart: Laut Kremlchef Wladimir Putin soll in Charkiw eine wohl zehn Kilometer breite "Pufferzone" entlang der russischen Grenze errichtet werden. Die Ukraine hatte von dort aus häufiger Ziele in der russischen Region Belgorod angegriffen. Damit sollte Schluss sein.

Wowtschansk ist weitgehend zerstört

Neben dem Schutz des eigenen Territoriums dürften sich die russischen Militärstrategen zudem erhofft haben, näher an die Stadt Charkiw heranzurücken und sie so in Reichweite ihrer Rohrartillerie zu bringen. Die russischen Truppen hätten die Millionenstadt, die nur gut 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt, so rund um die Uhr unter Beschuss nehmen können. Doch weiter als bis nach Wowtschansk sind die Russen bisher nicht gekommen. Und dort versuchen sie nun offenbar zu retten, was von ihrer Charkiw-Offensive noch zu retten ist.

In Wowtschansk wiederholt sich ein Bild, das schon aus anderen wochenlangen Schlachten des Ukraine-Kriegs bekannt ist. Russland macht Städte wie Bachmut, Awdijiwka oder derzeit Tschassiw Jar mit tonnenschweren Fliegerbomben, Artilleriebeschuss und Drohnen dem Erdboden gleich. Ein Video, das seit Anfang Juni in sozialen Netzwerken kursiert, zeigt die Zerstörungen. Kaum ein Haus steht noch in der Stadt, über der wegen Explosionen und Beschuss dauerhaft Rauch schwebt. Einst lebten rund 20.000 Menschen in Wowtschansk, der Großteil wurde seit Beginn der Offensive evakuiert. Drei Wochen nach Erstveröffentlichung der Aufnahmen dürften die Zerstörungen um ein Vielfaches größer sein.

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Russische Soldaten in Wowtschansk eingekesselt

Die Zerstörungen gehen auch auf ukrainischen Beschuss zurück. Die Ukrainer wollen die russischen Angreifer, die sich in den Häuserruinen verschanzen, aus dem Gebiet verjagen. Ebenfalls seit Anfang Juni sollen auf dem Gelände einer Chemiefabrik russische Einheiten umzingelt sein. Jurij Povch, Sprecher der operativ-strategischen Heeresgruppe Charkiw, erklärte im Gespräch mit "Forbes", anders als zunächst behauptet, handele es sich jedoch nicht um bis zu 400 Soldaten, sondern um "Dutzende". Die Einkesselung der Russen in der Fabrik bestätigte Povch jedoch. Mehr dazu lesen Sie hier.

Die Lage für die eingekesselten Soldaten könnte aussichtsloser kaum sein: Der russische Vorstoß in dem Gebiet wurde weitgehend gestoppt, stattdessen rücken Ukrainer in Wowtschansk weiter vor und üben so Druck auf das Fabrikgelände und die dortigen Soldaten aus. Hinzu kommen Bombardements aus der Luft. Russland versucht zwar, seine Soldaten per Drohnen mit Lebensmitteln und Wasser zu versorgen, die Luft dürfte für die Kämpfer jedoch immer dünner werden.

Davon lässt sich Russland derweil nicht beirren. Wieder nimmt die Militärführung in den eigenen Reihen eine hohe Zahl an toten oder verletzten Soldaten in Kauf, um die eigenen Ziele zu erreichen – dieses Bild ist bereits aus anderen Schlachten bekannt. In Wowtschansk schickt Russland seine Soldaten abermals fast schutzlos in den Kampf.

"Das ist nur der Anfang"

Ein ukrainischer Soldat des Marinekorps berichtet auf der Plattform X von den Gefechten: "Die einzige Sache, die ich über die Schlacht um Wowtschansk sagen kann: Das ist nur der Anfang", schreibt der Soldat dort. Dann beschreibt er, wie Russland in der Charkiw-Offensive vorgeht: "Die Russen nutzen nur Infanterie ohne gepanzerte Fahrzeuge", erklärt er. Bisher seien lediglich "ein paar" Kampf- und Schützenpanzer zerstört worden.

Der Soldat, der sich auf X "Kriegsforscher" nennt, beschreibt es als "merkwürdig", dass Russland sich dazu entschlossen hat, Infanterieeinheiten ohne Schutz durch gepanzerte Fahrzeuge vorzuschicken. Die Russen hätten dadurch große Verluste. Ihre Taktik deutet jedoch darauf hin, dass Russland es vorzieht, Soldaten anstatt von Kriegsgerät zu verlieren. Womöglich bestätigt dieses Vorgehen die Einschätzung von Experten, dass sich die russischen Depots schnell leeren. Im Interview mit t-online erklärte der Militärexperte Gustav Gressel bereits Ende Mai: "Putin schießt sein Arsenal derzeit leer."

Der ukrainische Soldat berichtet weiter, dass Russlands Truppen zudem so viele Flugdrohnen einsetzten, wie sie könnten. "Jede Stunde (sogar nachts)" setze Russland zwischen acht und zwölf ihrer Kampfdrohnen ein. Dazu schicke die russische Luftwaffe zunehmend mehr Helikopter in die Luft, auf die sie zu Beginn der Offensive noch weitgehend verzichtet hätten. Und nicht zuletzt bereiten die Invasoren nach Angaben des Soldaten bereits frische Kräfte vor, um die künftig in dem Gebiet einzusetzen.

Russland und Ukraine setzen zerstörerische Gleitbomben ein

Darüber hinaus setzt Russland eine bereits zuvor überaus zerstörerische Waffe im Gebiet Charkiw nun in einer weiterentwickelten Version ein: Gleitbomben. Die Militäranalysten des US-Thinktanks "Institute for the Study of War" (ISW) schreiben, dass es erstmals zum Einsatz einer mehr als drei Tonnen schweren Gleitbombe gekommen sei. Bereits seit Monaten wirft Russlands Luftwaffe diese Fliegerbomben auf ukrainische Städte sowie Verteidigungsanlagen. Bisher war die größte Version rund 1,5 Tonnen schwer. Mehr zu den Gleitbomben lesen Sie hier.

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Video | Russland setzt wohl erstmals 3,4-Tonnen-Gleitbombe ein
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Quelle: t-online

Die rund drei Tonnen schwere Version der Gleitbombe wird FAB-3000 genannt. "Sollten die russischen Streitkräfte in der Lage sein, massive Salven von FAB-3000 (oder noch schwereren gelenkten Gleitbomben) abzufeuern, werden sie ukrainischen Frontstellungen und kritischer Infrastruktur noch größeren Schaden zuzufügen können", schreiben die ISW-Analysten.

Seitdem die westlichen Partner es der Ukraine erlauben, zur Verteidigung Charkiws mit den von ihnen gelieferten Waffen Ziele in Russland ins Visier zu nehmen, ist nun auch die ukrainische Luftwaffe dichter an der Front aktiv. Wie die ukrainische Zeitung "Kyiv Post" berichtet, nutzt die Ukraine präzisionsgelenkte Bomben aus französischer und US-Produktion, um die russische Infanterie in und um Wowtschansk anzugreifen. Dabei nimmt sie offenbar besonders die eingekesselten russischen Soldaten ins Visier.

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