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Kinderverschleppung im Ukraine-Krieg: Ist Lukaschenko beteiligt?


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Deportationen aus der Ukraine
Selbst davor schreckt Lukaschenko nicht zurück


Aktualisiert am 19.07.2023Lesedauer: 4 Min.
Alexander Lukaschenko, Machthaber von Belarus (Archivbild): Bis diesen Herbst sollen etwa 3.000 ukrainische Kinder nach Weißrussland gebracht werden.Vergrößern des Bildes
Alexander Lukaschenko, Machthaber von Belarus (Archivbild): Bis diesen Herbst sollen etwa 3.000 ukrainische Kinder nach Belarus gebracht werden. (Quelle: SPUTNIK/reuters)
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Dass Alexander Lukaschenko seinem Freund Putin treu ergeben ist, hat er mehrfach bewiesen. Auch vor der Entführung von Kindern soll er dabei nicht zurückschrecken.

Sie werden gegen ihren Willen aus dem Land gebracht, müssen die russische Nationalhymne, die russische Sprache und teils sogar den Dienst an der Waffe lernen, ihr Heimatland – die Ukraine – lernen sie zu beschimpfen: Russland hat mutmaßlich während seines Angriffskrieges Tausende ukrainische Kinder verschleppt. Dass Moskau dabei offenbar Unterstützung von einem engen Verbündeten erhält, soll nun ein Bericht des britischen "Telegraph" zeigen.

Die Vorwürfe wiegen schwer: Demnach soll der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko maßgeblich an der Verschleppung ukrainischer Kinder durch Russland beteiligt sein – und damit an einem Kriegsverbrechen.

Umerziehung und militärische Ausbildung von Kindern

Dass Russland durch die Kinderverschleppung offenbar Kriegsverbrechen begeht, stellte die Untersuchungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereits vor einigen Wochen fest. Drei Rechtsexpertinnen aus Lettland, Norwegen und Tschechien waren von 45 der 57 OSZE-Mitgliedstaaten beauftragt worden, den Vorwürfen Kiews nachzugehen. Dort gaben Behörden zuletzt eine Zahl von etwa 19.000 Kindern an, die durch Russland zwangsdeportiert worden sein sollen.

Wie viele Kinder tatsächlich betroffen sind, konnte die OSZE nicht feststellen, da Russland die Deportationen nicht dokumentiert. Doch laut dem Bericht der Experten besteht kein Zweifel daran, dass die Taten von Moskau begangen werden. Die entführten Kinder seien demnach Umerziehung, Informationskampagnen und militärischer Ausbildung ausgesetzt. Moskau behindere die Rückkehr der Kinder zudem aktiv und habe Kiew keine Liste der Betroffenen zur Verfügung gestellt. Die Türkei und Saudi-Arabien haben darum erwirkt, dass Kiew und Moskau derzeit Listen mit den Namen der Kinder anfertigten, die nach Russland deportiert wurden, berichtet die "Financial Times".

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte die Vorwürfe bereits zu Beginn des Jahres manifestiert: Der Gerichtshof hatte einen internationalen Haftbefehl gegen Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Ombudsfrau für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa erlassen.

Umerziehungslager in Russland und Belarus

Die Ombudsfrau selbst macht um Russlands Taten keinen Hehl: Im russischen Staatsfernsehen sagte sie, man gebe die Kinder wegen "Sicherheitsbedenken" zur Adoption von russischen Familien frei oder schicke sie in "Erholungscamps". Auch werde man ihnen im Schnellverfahren die russische Staatsbürgerschaft übertragen. So gibt der russische Staat vor, sich nur um das Wohl der Kinder zu sorgen – statt sie rechtswidrig umzusiedeln.

Insgesamt 43 solcher Lager sind laut einer Studie der US-Universität Yale in Russland und auf der völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim errichtet worden. Doch einige weitere befinden sich offenbar auch in Belarus: Wie der britische "Telegraph" nun berichtet, sollen seit vergangenem September mehr als 2.000 ukrainische Kinder nach Belarus gebracht worden sein. Bis zum Herbst dieses Jahres sollen es noch etwa tausend weitere werden. Das zeigten Beweise, die dem IStGH vorgelegt worden seien.

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Demnach sollen sich drei solcher Kinderlager in der Region Minsk befinden: Im Sanatorium Ostroshitsky Gorodok, dem nationalen Bildungs- und Gesundheitszentrum für Kinder Zubrenok und dem Kinderlager Dubrawa, das dem staatlichen belarussischen Düngemittelunternehmen Belaruskali gehört. Ein vierter Standort soll das Sanatorium Golden Sands in der Region Gomel sein.

"Damit Putin die Kontrolle über die gesamte Ukraine übernimmt"

In einem Dokument, das das dem "Telegraph" vorliegt, fordert Dmitri Mesenzew, Vorsitzender einer russisch-belarussischen Organisation und ehemaliger russischer Botschafter in Belarus, eine Zusammenarbeit zwischen den belarussischen und russischen Staatsbahnbetreibern, um den "Transport der Kinder des Donbas zur Rehabilitation in das brüderliche Belarus" zu organisieren.

Eine Kooperation, die offenbar bereits stattfindet: Laut Recherche des "Telegraph" werden die ukrainischen Kinder durch Russland zunächst in die Stadt Rostow am Don, im Süden Russlands gebracht, bevor sie mit dem Zug in die belarussische Hauptstadt Minsk transportiert werden. Mit Bussen würden sie dann auf die vier Einrichtungen verteilt werden.

Dort würden die Kinder systematisch "umerzogen" – oft unter Einsatz von Gewalt, sollten sie nicht tun, was von ihnen verlangt wird. So sollen sie etwa glauben, sie seien Russen. Dazu werde mit ihnen nur auf Russisch gesprochen. In vielen ukrainischen Familien beherrschen die unterschiedlichen Generationen oft beide Sprachen. Auch müssten sie die russische Nationalhymne und den Umgang mit der Waffe lernen. Bevor sie in russischen Familien untergebracht werden, werden sie zudem dem Bericht zufolge zum Hass gegen die Ukraine angestachelt. So sollten sie lernen, auf ihr Heimatland zu schimpfen.

Einen Einblick von einer solchen Propagandashow gibt ein Video, das laut dem "Telegraph" dem IStGH vorliegen und aus dem belarussischen Dubrawa-Lager stammen soll. Zwei belarussische Popsängerinnen halten zahlreichen Kindern eine Rede, in der es etwa heißt: "Damit wir in Frieden leben, damit Biden stirbt, [...] damit auch Selenskyj stirbt und Putin gedeiht und die Kontrolle über die gesamte Ukraine übernimmt." Während einige Kinder schweigend in ihrem Sitz versinken, ernten die Sängerinnen von anderen tosenden Applaus.

Haftbefehl gegen Putins Gehilfen Lukaschenko?

Die mutmaßliche Hilfe von Lukaschenko zeigt einmal mehr, dass er als Putins Handlanger agiert. Immer wieder hatte er dem Kremlchef in der Vergangenheit seine Treue bewiesen.

Zunächst, indem er Russland gewährte, seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine von seinem Territorium aus zu beginnen, dann indem er weitere russische Truppen in Belarus stationieren ließ. Er erlaubte es Putin, taktische Atomwaffen auf belarussischem Territorium zu stationieren und vermittelte schließlich beim Aufstand des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin, bot dessen Söldnern gar Exil in seinem Land, wo sie inzwischen offenbar an der Ausbildung belarussischer Soldaten beteiligt sind. Mehr dazu, und in welchen Ländern Wagner sonst noch aktiv ist, lesen Sie hier.

Auf EU-Ebene werde daher Konsequenzen gefordert: Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, Gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik des Europäischen Parlaments hat den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag aufgefordert, auch einen Haftbefehl gegen Lukaschenko zu erlassen – ähnlich wie dem gegen Putin und seine Ombudsfrau für Kinderrechte, Lwowa-Belowa.

Verwendete Quellen
  • telegraph.co.uk: "Exclusive: Belarus abducts thousands of Ukrainian children" (englisch)
  • Spiegel.de: "Verschleppte ukrainische Kinder – OSZE spricht von Kriegsverbrechen"
  • understandingwar.org: "RUSSIAN OFFENSIVE CAMPAIGN ASSESSMENT, JULY 18, 2023" (englisch)
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • Eigene Recherche
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