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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baerbock wagt Vorstoß Landet Putin am Ende im Gefängnis?
Russlands Krieg gegen die Ukraine ist verbrecherisch. Aber kann Putins Regime dafür belangt werden? Außenministerin Baerbock wagt einen Vorstoß.
Ein heftiges Unwetter ist aufgezogen. Bei der Landung von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Rotterdam regnet es in der niederländischen Hafenstadt stark. Bei der Landung zieht das Flugzeug der Ministerin einen breiten Wasserschweif hinter sich her, alles ist nass. Das schlechte Wetter ist sinnbildlich: Denn die Auslandsreise von Baerbock steht im Zeichen des Sturms – des russischen Angriffssturms auf die Ukraine.
Aber dieser Besuch ist etwas Besonderes. Baerbock möchte in den Niederlanden deutsche Führungsstärke demonstrieren und einen Anstoß zu zwei entscheidenden Fragen geben: Wie und durch wen können der russische Präsident Wladimir Putin und sein Regime für seinen Angriff auf die Ukraine juristisch verurteilt werden?
Die deutsche Außenministerin bringt in den Niederlanden dafür den Stein ins Rollen – eine neue Institution soll her, die gegen die russische Führung ermitteln und diese am Ende verurteilen soll. Putin soll "zur Rechenschaft" gezogen werden, diese Botschaft wiederholt Baerbock mehrmals.
Klar ist: Es dürfte schwierig werden, den Kremlchef tatsächlich ins Gefängnis zu bringen. Trotzdem könnte der Vorstoß von Baerbock wichtige Weichen stellen, als abschreckendes Warnsignal für Aggressoren, die ihre Nachbarn angreifen wollen. Es ist eine Botschaft, dass ein Angriffskrieg juristische Konsequenzen hat – auch wenn es wohl eine Wunschvorstellung bleibt, dass Putin sich vor einem internationalen Gericht verantworten muss.
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Völkerrecht ist "nicht tot"
Vom Flughafen in Rotterdam fährt Baerbock zunächst zum Internationalen Gerichtshof, danach geht es für die deutsche Delegation weiter zur Haager Akademie für Völkerrecht in Den Haag. In der Lehr- und Forschungseinrichtung zum internationalen Recht hält sie eine Grundsatzrede zur Stärkung des Völkerrechts in der gegenwärtigen Krise – vor Studierenden, der Presse und der Leitung der Akademie. Ein Heimspiel für Baerbock – immerhin ist sie studierte Völkerrechtlerin.
Die deutsche Außenministerin unterstreicht in ihrer 50-minütigen Rede, dass immerhin 140 Staaten die russische Aggression gegen die Ukraine verurteilt hätten. "Das zeigt, dass für eine große Mehrheit der Weltgemeinschaft Art. 2 Absatz 4 nicht tot ist", sagte Baerbock. Damit meint sie das im Völkerrecht festgeschriebene allgemeine Gewaltverbot.
Sondertribunal soll gegen russische Führung ermitteln
Dann präsentiert Baerbock ihren Vorschlag, wie sie die russische Führungsriege mit einem internationalen Sondertribunal zur Rechenschaft ziehen will. Das Gericht außerhalb der Ukraine solle seine Rechtssprechung aus dem ukrainischen Strafrecht ableiten, machte die Grünen-Politikerin deutlich. Das Tribunal soll so gegen die russische Führung ermitteln und sie vor Gericht stellen können.
Sie habe mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba vergangene Woche beim Besuch in der Ostukraine darüber gesprochen, gemeinsam mit einigen Partnern eine solche Institution schaffen zu wollen, sagte Baerbock. Wichtig sei, dass dies durch eine internationale Komponente ergänzt werde. So könne zum Beispiel ein Standort außerhalb der Ukraine mit finanzieller Unterstützung durch Partner und mit internationalen Staatsanwälten und Richtern die Unparteilichkeit und die Legitimität eines solchen Gerichtes untermauern, betonte die Ministerin.
Darüber hinaus schlug Baerbock zugleich eine Reform des Völkerstrafrechts vor, um eine eklatante Rechtslücke zu schließen. Demnach sollen die rechtlichen Grundlagen für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mittelfristig so angepasst werden, dass auch der Tatbestand des Angriffskrieges uneingeschränkt verfolgt werden kann. Dies ist aktuell unter anderem deswegen nicht möglich, weil weder Russland noch die Ukraine Vertragspartner des Römischen Statuts als Rechtsgrundlage für den Gerichtshof sind.
Es dürfe "keinen Sonderweg für ein Land, für einen Aggressor geben", sagte Baerbock. "Das, was wir schaffen, muss von möglichst vielen in der Welt getragen werden." Mit dieser Konstruktion solle der Internationale Strafgerichtshof gestärkt und nicht geschwächt werden.
Putin und Lawrow wohl zunächst geschützt
Ein Problem allerdings dürfte vor allem bei Menschen in der Ukraine Enttäuschung hervorrufen: Die "Troika" (Baerbock) aus dem russischen Präsidenten Putin, Ministerpräsident Michail Mischustin und Außenminister Sergej Lawrow werde das Tribunal zunächst nicht anklagen können. Wegen deren besonderer Immunität wäre es voraussichtlich erst möglich, diese drei Politiker nach Ende ihrer Amtszeit anzuklagen. Laut der vorherrschenden Lehre im Völkerrecht sind der Staatschef, der Regierungschef und der Außenminister eines Staats vor Strafverfolgung geschützt.
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Mit ihrem Vorstoß zielt Baerbock daher eher auf den anderen Teil der russischen Führungselite. Dabei dürfte es um bis zu 25 Mitglieder des russischen Sicherheitsrates gehen, angefangen etwa bei Verteidigungsminister Sergei Schoigu.
Ohnehin gilt es eher als unwahrscheinlich, dass der Krieg in der Ukraine mit einer Kapitulation Russlands enden wird. Auch im Westen ist man sich sicher: Zum Schluss wird es Verhandlungen zwischen der ukrainischen Führung und dem Kreml geben müssen. Sollte in Russland dann noch Putin an der Spitze sein, wird der Kreml wahrscheinlich keine Friedenslösung akzeptieren, bei der führende russische Politiker von einem Gericht angeklagt werden.
"Vergewaltigungen, Verschleppungen, Gewalt, Folter und Mord"
Dennoch erhöht die Aussicht, für einen Angriffskrieg juristisch verantwortlich gemacht werden zu können, den Druck auf Russland. Das ist zumindest die Hoffnung von Baerbocks Ministerium. Darüber hinaus könnte das Sondertribunal auch andere Staaten abschrecken, künftig eigene Angriffskriege zu führen – zum Beispiel China im Hinblick auf die geplante Wiedervereinigung mit Taiwan.
Baerbocks Sondertribunal könnte im Idealfall eine Revolution für das Völkerrecht werden, hofft man im Umfeld der Außenministerin. Doch dafür müsste sich zunächst einmal das westliche Bündnis auf diesen Kurs verständigen. Selbstverständlich war das lange Zeit nicht, denn es befürchteten zumindest alle Staaten, die am Irak-Krieg oder an der Intervention in Libyen beteiligt waren, dass sie am Ende selbst dafür rechtlich belangt werden könnten.
Aber die Dimension der russischen Kriegsverbrechen könnte nun zu einem Umdenken geführt haben – Baerbock sieht darin zumindest eine Chance. Auch wenn sie mehrfach betont, es sei ein "dickes Brett", das gebohrt werden müsse.
Moralischen Rückhalt in der Ukraine und im Westen dürfte Baerbock mit ihrem Vorstoß durchaus genießen. Trotzdem ist die Einrichtung eines Sondertribunals bei Rechtsexperten umstritten. Ein solches Gericht müsste erst langwierig aufgebaut werden, von der Anstellung der Richter und Ankläger bis hin zur Erstellung eines rechtlichen Rahmens. Auch ein Sondergericht bietet keine Garantie, dass Kriegsverbrecher ausgeliefert werden.
Bei Baerbocks Vorstoß geht es daher nicht nur um Beistand für die Ukraine, sondern um ein Signal. "Aggression darf nicht ungestraft bleiben", erklärte die Außenministerin in Den Haag. "Russlands brutaler Krieg in der Ukraine ist auch ein brutaler Angriff auf das Völkerrecht. Zeitenwende bedeutet: Wir müssen auch im Völkerrecht neue Antworten finden. Niemand hat die Macht, die Charta der Vereinten Nationen zu töten." Eine hoffnungsvolle Botschaft aus dem Herzen des Sturms.
- Begleitung der Reise von Annalena Baerbock in die Niederlande
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche