Die Nacht im Überblick Putin verstaatlicht ukrainisches AKW Saporischschja
Europas größtes Atomkraftwerk ist vom Kreml zum Staatseigentum erklärt worden. Präsident Selenskyj will die Fußball-WM ins Land holen. Ein Überblick.
Kremlchef Wladimir Putin macht dem Rückzug der eigenen Truppen zum Trotz mit seiner Unterschrift die Annexion der besetzten Gebiete zumindest in Russland amtlich und verstaatlicht nebenbei auch gleich noch das Atomkraftwerk Saporischschja. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj richtet den Blick ungeachtet des Krieges in seinem Land weit nach vorn: Zusammen mit Spanien und Portugal will die Ukraine die Fußball-Weltmeisterschaft 2030 ausrichten. Das kündigte Selenskyj am Mittwochabend an.
Putin annektiert per Dekret Europas größtes Atomkraftwerk
Russlands Präsident Putin setzt unbeeindruckt von militärischen Erfolgen der Ukraine verwaltungstechnisch die Aneignung der ukrainischen Gebiete Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja fort. Nachdem er zunächst am Mittwoch schon die Ratifizierung der Annexion per Unterschrift abgesegnet hatte, beauftragte er anschließend die Regierung in Moskau, das von seinen Truppen besetzte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja zu verstaatlichen.
"Die Regierung ist angewiesen zu gewährleisten, dass Objekte zur Nutzung von Atomenergie des Kernkraftwerks Saporischschja und anderes für dessen Funktion notwendiges Eigentum in den staatlichen Besitz übernommen werden", hieß es in dem am Mittwoch veröffentlichten Dekret.
Das AKW Saporischschja ist das größte Kernkraftwerk in Europa. Russland kontrolliert das AKW faktisch seit Anfang März, als Moskaus Truppen im Zuge des Angriffskriegs große Teile der Südukraine besetzten. Das Kraftwerk ist in den vergangenen Monaten bei schweren Kämpfen mehrfach unter Beschuss geraten und musste sogar heruntergefahren werden. Die Ukraine und Russland geben sich gegenseitig die Schuld für die Beschädigungen. Der Beschuss hat international Sorgen vor einer atomaren Katastrophe ausgelöst.
Atomwaffen: Röttgen hält Einsatz für unrealistisch, Gabriel nicht
Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen sieht einen möglichen Einsatz von Atomwaffen durch Putin für unrealistisch an. "Ich halte es für keine realistische Option von Putin", sagte Röttgen in der ARD-Sendung "Maischberger". Alle Folgen wären für ihn desaströs. Putin wäre völlig verloren und isoliert in der Welt und die Menschen in Russland wollten nicht in einen Atomkrieg verstrickt werden.
Ex-Außenminister Sigmar Gabriel mahnte indes, Putins Aussagen ernst zu nehmen. "Wir müssen Wladimir Putin beim Wort nehmen, wenn er sagt, Russland sei bereit, Atomwaffen einzusetzen", sagte der SPD-Politiker am Mittwochabend laut Mediengruppe Bayern bei einer Veranstaltung in Passau. Wenn Putin eine Atombombe einsetze, "dann sind wir im Krieg mit Russland".
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Bewerbung für Fußball-WM 2030
In seiner Abendansprache gab sich Präsident Wolodymyr Selenskyj optimistisch bezüglich der Erfolgschancen für eine WM-Bewerbung 2030. Es werde "sehr symbolisch sein, wenn drei Länder der Europäischen Union – Spanien, Portugal und die Ukraine – gemeinsam die Weltmeisterschaft ausrichten können", sagte er am Mittwoch in seiner täglichen Videoansprache. "Zusammen mit unseren Freunden – Spanien und Portugal – bewerben wir uns um die Ausrichtung der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2030", erklärte er. Die Ukraine hat erst vor wenigen Monaten den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten.
Auf das Kampfgeschehen ging Selenskyj nur am Rande ein. Er meldete die Rückeroberung von drei weiteren Ortschaften im Gebiet Cherson und nannte die jüngsten russischen Angriffe mit iranischen Kampfdrohnen auf ukrainische Städte zwecklos. "Das hilft Euch schon nicht mehr. Ihr habt schon verloren", wandte er sich an die russische Führung. Diese könne ihre eigenen Soldaten nicht mehr motivieren, während die Ukrainer wüssten, wofür sie kämpften, zeigte er sich überzeugt.
Der ukrainische Präsident rückte den geplanten Wiederaufbau in den Fokus. Nach der Rückeroberung der ersten Gebiete im Donbass seien dort die Zahlungen von Renten und Sozialleistungen aufgenommen worden, sagte er und kündigte intensive Vorbereitungen für die Bewältigung des "schwierigen Winters" an.
Russen kaufen mehr Antidepressiva
Derweil ist auch die Stimmung in Russland trüb. So ist der Verkauf von Antidepressiva in Apotheken zuletzt deutlich gestiegen. In der Woche vom 19. bis 25. September sei der Absatz um 120 Prozent gestiegen, meldete die Staatsagentur Tass am Mittwoch unter Berufung auf Zahlen des Chemiekonzerns DSM. Putin hatte am 21. September die Teilmobilmachung angeordnet und will nach offiziellen Angaben 300.000 Reservisten einziehen lassen, um nach den Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine die besetzten Gebiete zu halten.
OECD will Vorgespräche mit Ukraine über möglichen Beitritt führen
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht die Ukraine als potenzielles Mitgliedsland. OECD-Generalsekretär Mathias Cormann teilte am Mittwoch mit, es solle zunächst Gespräche zu einem Beitritt geben. Danach solle der OECD-Rat sich damit befassen, ob Beitrittsverhandlungen formell aufgenommen werden. Die Ukraine hatte laut OECD darum gebeten, den Aufnahmeprozess zur Industriestaatenorganisation zu starten. Über die Verhandlungen über eine Aufnahme in die OECD sprach am Abend auch Selenskyj. Ein Regionalbüro der Organisation werde noch bis Jahresende in Kiew eröffnet, teilte er mit.
Was am Freitag wichtig wird
Der Chef der Internationalen Atombehörde, Rafael Grossi, wird am Donnerstag in Kiew erwartet. Anschließend will der Argentinier auch Moskau einen Besuch abstatten. Grossi hatte angekündigt, im Laufe der Woche beide Hauptstädte zu bereisen, um das Problem der Atomsicherheit – speziell die Risiken rund um das umkämpfte Atomkraftwerk Saporischschja – zu besprechen.
Militärbeobachtern zufolge haben die Ukrainer im Gebiet Luhansk ihre Kräfte inzwischen umgruppiert und sind bereit zu weiteren Angriffen. Bereits am Freitag könnte es Gefechte um die für den russischen Nachschub wichtige Stadt Swatowe oder die Stadt Kreminna am Fluss Siwerskyj Donez geben.
- Nachrichtenagentur dpa