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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krisenstimmung in der CDU Merz bringt die Partei in eine historische Lage

Die neue Regierung steht noch nicht, aber Krisenstimmung herrscht trotzdem schon. Zumindest bei der CDU. Was macht Friedrich Merz falsch – und wie gefährlich kann die schlechte Stimmung in den eigenen Reihen für ihn werden?
Es sind keine ganz einfachen Tage für Friedrich Merz. Denn in der CDU kriselt es nun schon seit Wochen. Dabei liegt die gewonnene Bundestagswahl noch gar nicht so lange zurück – und die Regierungsbildung ist nach wie vor nicht abgeschlossen. Bei der Ampel hat die Aufbruchstimmung zumindest so lange gehalten, wenngleich sie dann auch schnell Geschichte war. Dieses Mal scheint es noch schneller zu gehen.
Seit Merz beschlossen hat, gemeinsam mit SPD und Grünen Rekordschulden für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz auf den Weg zu bringen, ist die Stimmung in seiner Partei im Keller. So war die Regierungsübernahme eigentlich nicht geplant. Merz weiß es. Die CDU weiß es. Und die Wählerinnen und Wähler wissen es auch. Der angekündigte Politikwechsel büßt damit für viele an Glaubwürdigkeit ein, bevor es wirklich losgehen konnte. In der Partei herrscht deshalb Frust. Wie so oft löst ein Ereignis das andere aus. Der Frust bei den eigenen Leuten sorgt für fehlende Disziplin, was wiederum zu einem lauter werdenden Raunen in den eigenen Reihen führt. Das Ergebnis: Die Unzufriedenheit wächst weiter, es schaukelt sich hoch. Merz muss sich fragen: Was ist schiefgelaufen? Und welche Fehler kann er in Zukunft vermeiden?
Merz manövriert CDU in historische Lage: Gleichstand mit der AfD
Als der CDU-Vorsitzende am Sonntag die Zahlen im aktuellen ARD-"Deutschlandtrend" gesehen hat, dürfte das nicht zu einer Verbesserung der Gemütslage beigetragen haben. Volle fünf Prozentpunkte rutschen Merz' Persönlichkeitswerte ab. Demnach sind nur noch 25 Prozent der Befragten sehr zufrieden oder zufrieden mit seiner Arbeit. 70 Prozent sind weniger bis gar nicht zufrieden. Und nicht nur das, auch die Partei verliert in den Umfragen. Im "Deutschlandtrend" kommt sie nur noch auf 26 Prozent, während die AfD hinzugewinnt und nun mit 24 Prozent fast gleichauf liegt. Bei anderen Instituten sieht es noch düsterer für CDU und CSU aus. Laut dem Insa-Sonntagstrend für "Bild" liegt die Union in der Wählergunst erstmals gleichauf mit der AfD. Beide kommen dort auf 24 Prozent. Für die Union ist das eine blanke Katastrophe.
So sagte etwa der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, am Sonntagabend im "Bericht aus Berlin": "Diese Meinungsumfragen sind bitter für uns. Das ist überhaupt gar keine Frage." Zudem erklärte Jens Spahn, der in den Koalitionsverhandlungen Teil der Chefverhandler-Runde ist, die Umfragen und das Wahlergebnis zeigten, dass ganz massiv Vertrauen zurückgewonnen werden müsse. "Es muss dem Land wieder besser gehen. Das ist das, was uns hier alle beschäftigt und wo wir versuchen, gute Kompromisse zu finden."
Der Moment, in dem Merz sich daran erfreuen konnte, sein erstes Etappenziel auf dem Weg ins Kanzleramt erreicht zu haben, ist wohl spätestens damit vorbei. Für ihn steht jetzt vielmehr die Frage im Zentrum, wie er das Ruder noch einmal herumreißen kann.
Merz fehlt nach wie vor die Mannschaft
Dafür muss Merz sich zunächst die Frage stellen: Woran liegt die große Unzufriedenheit in den eigenen Reihen? Woher kommt die fehlende Disziplin? Warum zeigen sich mittlerweile selbst enge Vertraute, wie Thorsten Frei, öffentlich besorgt über die Lage? Andere aus dem Umfeld des CDU-Chefs werden sogar noch deutlicher – wenngleich hinter vorgehaltener Hand. Dort heißt es ganz offen, dass man enttäuscht sei. Im Kern hat Merz zwei Fehler gemacht.
Einmal: Er hat sich mit niemandem abgesprochen. Als der Parteichef am Tag nach der Bundestagswahl beschloss, öffentlich über Schulden mit SPD und Grünen im Bundestag nachzudenken, kam Merz gerade aus den Parteigremien. Er hätte dort oder am Rande der Sitzungen jede Gelegenheit gehabt, die Idee bei den Länderchefs und Teilen der Parteispitze schon einmal anzusprechen. Er hätte einen engeren Kreis einweihen, ihn darauf vorbereiten können. Stattdessen hat Merz seine Partei vor den Kopf gestoßen. Denn es stimmt zwar, dass er auch vor der Bundestagswahl öffentlich über Schulden nachgedacht hatte. Allerdings hieß es immer: erst sparen, dann Schulden – und auch nur, wenn es gar nicht anders geht. Dass der Parteichef seinen Fahrplan im Alleingang änderte, führte letztendlich dazu, dass sich nicht nur Wählerinnen und Wähler, sondern auch die eigenen Leute getäuscht fühlten – und das nach außen widerspiegelten.
Die Merz-Mannschaft: Linnemann und Frei wussten auch nicht alles
Ähnlich war es bei dem Sondierungspapier. Selbst mancher Ministerpräsident erfuhr aus der Presse von den Ergebnissen, zu denen Union und SPD gekommen waren. Viele in der Partei fühlten sich nicht nur nicht eingebunden, sondern auch nicht mitgenommen. Das wiederum mündete in offene Unzufriedenheit über den Ausgang. Merz hätte sich in den vergangenen Wochen wohl viel Ärger sparen können, hätten die Absprachen an den entscheidenden Stellen besser funktioniert.
Nur hätte er hierfür eine Mannschaft gebraucht, die ihn unterstützt. Und genau das ist der zweite Fehler. In seinen drei Jahren als Parteivorsitzender ist es Merz zwar gelungen, die CDU unter sich wieder zu einen und Ruhe einkehren zu lassen. Auch hat er den einen oder anderen in der Parteispitze in sein näheres Umfeld "gelassen", Frei etwa oder Carsten Linnemann. Wirklich enge Vertraute fehlen dem CDU-Chef jedoch bis heute. Merz fehlt diese kleine Mannschaft, die ihm den Rücken freihält und bedingungslos loyal ist – und die er in all seine Entscheidungen einbindet. Dass Frei und Linnemann nur oberflächlich im engeren Kreis sind, zeigt sich allein dadurch, dass auch sie von der Entscheidung, plötzlich doch schnelle Rekordschulden zu machen, überrascht worden sein sollen, so heißt es zumindest aus CDU-Kreisen.
In dieser Woche sollen die Koalitionsverhandlungen zum Ende kommen. Für Merz könnte das eine Chance sein, das Kapitel der vergangenen Wochen zu schließen und mit einer neuen Regierung noch einmal neu anzufangen. Allerdings müsste sich dafür doch etwas zur bisherigen Strategie ändern.
- Eigene Recherche
- ARD-Deutschlandtrend